Die Krimi-Ladys von Dedley End (eBook)
480 Seiten
Goldmann Verlag
978-3-641-29042-9 (ISBN)
Victoria Walters arbeitet als Buchhändlerin bei Waterstones und hat mehrere Frauenromane geschrieben. »Die Krimi-Ladys von Dedley End« ist der Beginn einer Landhaus-Krimi-Reihe, die in den malerischen Cotswolds spielt. Die Autorin lebt mit ihrer nach Harry Potter benannten Katze Harry in Surrey.
2. Kapitel
»Hier ist’s ja so still!«, rief eine fröhliche Männerstimme, und Nancys Kindheitsfreund, Jonathan Murphy, trat mit einem munteren Winken über die Schwelle.
Diesmal erhob sich Charlie; er liebte Jonathan und lief schwanzwedelnd zu ihm hin. Jonathan bückte sich und kraulte dem Beagle die Ohren. »Ich hab was zum Mittagessen für euch mitgebracht!«
»O toll, ich bin schon am Verhungern«, antwortete Nancy, deren Blick sich wieder auf die Einladung in ihrer Hand richtete.
»Wie immer.« Er trat zu ihnen und stellte eine Papiertüte auf den Tresen, sie stammte aus dem Teahouse, dem Dorfcafé. »Ist genug für drei, Mrs. H.«, fügte er hinzu und schenkte Jane ein gewinnendes Lächeln. Diese schnalzte missbilligend. Nancy musste grinsen. Oma tat immer so, als habe Jonathan einen schlechten Einfluss auf ihre Enkelin. »Und, was gibt’s Neues?«, erkundigte er sich betont beiläufig.
Nancy blickte auf. Misstrauisch verfolgte sie, wie Jonathan ein Kresse-Ei-Sandwich für Jane auspackte, ein Käse-Tomaten-Sandwich für sie und Schinken mit Gürkchen für sich selbst, dazu drei Tüten Kartoffelchips, drei Fläschchen Orangensaft und drei Schokomuffins. »Wie kommen wir zu der Ehre?«
Jonathan wich Nancys Blick aus. »Was soll das heißen? Darf ich nicht mal meinen ältesten und liebsten Freunden was zur Mittagspause vorbeibringen – ohne dass mir sofort Hintergedanken unterstellt werden?«
»Doch, genau das.«
Jonathan blickte auf und grinste kläglich. Er war ein wenig kleiner als Nancy, hatte zerzaustes dunkles Haar und dunkle Augen und trug immer dieselbe abgerissene Jeans und dieselbe begrenzte Anzahl ausgeleierter Pullis. Mit seinen achtundzwanzig war er zwei Jahre älter als Nancy, womit sie ihn früher oft gnadenlos aufgezogen hatte. Er revanchierte sich, indem er ihr den Spitznamen »Nancy, the Vampire« gab, wegen ihrer überschlanken Figur und ihrer sehr hellen Haut, und auch wegen ihres Nachnamens, »Hunter«.
Eigentlich war es ein Wunder, dass sie überhaupt Freunde geworden waren.
»Okay, gut, stimmt, ich müsste mal mit dir reden …« Sein Blick heftete sich sehnsüchtig auf die Einladung in Nancys Hand.
»Hat es zufällig was damit zu tun?« Nancy wedelte mit der Karte.
»Okay, okay, ich muss dich unbedingt was fragen. Und du musst einfach Ja sagen, denn meine Karriere hängt davon ab!«
Jane konnte nur die Augen verdrehen, denn diese beiden kabbelten sich ständig. »Ach, kommt, jetzt setzen wir uns erst mal und essen in aller Ruhe. Bei der ganzen Aufregung brauche ich was in den Magen.«
Jonathan verteilte gehorsam die Brote, Jane nahm hinter der Kasse Platz, er selbst in dem Ohrensessel, der für die Kundschaft vorgesehen war, und Nancy ging zur Fensterbank. Von dort hatte man den schmalen kleinen Laden gut im Blick. Charlie sprang zu ihr auf die Bank und legte ihr eine Vorderpfote aufs Bein. Nancy brach lächelnd ein Stück von ihrem Sandwich ab und verfütterte es dem Beagle. Sie liebte es hier: Bücher, wo man nur hinsah, Regale vom Boden bis zur Decke. Auch wenn den Kunden manchmal der Durchblick fehlte, was das Ordnungssystem betraf – Nancys Vater war nicht gerade ein Organisationstalent gewesen –, und manchmal musste selbst Nancys Freundin Penelope, die als Teilzeitkraft hier aushalf, nachfragen, aber Nancy wusste immer ganz genau, wo jeder Titel stand. Sie hatte einfach nicht umräumen wollen, weil es sie an ihren verstorbenen Vater erinnerte.
Im hinteren Teil des Ladens befand sich der Tresen mit der Registrierkasse und dahinter der Durchgang zum Bürokabuff sowie eine kleine Toilette; in einer Ecke stand die alte Standuhr, die George Hunter, Nancys Großvater, seinem Sohn vererbt hatte und die immer noch zuverlässig und vor allem laut tickte. An den Wänden wachten die berühmtesten Detektivgeschichten und Mystery Thriller in großen gerahmten Plakaten über sie. Und direkt hinter der Theke hing ein großes Foto von Nancys Vater vom Tag der Eröffnung. Er stand vor dem Buchladen, und man sah ihm deutlich an, dass er vor Stolz fast platzte. Dieses Foto betrachtete Nancy ganz besonders gern, weil er darauf so glücklich aussah und weil die Ähnlichkeit zwischen ihnen unübersehbar war. Nancy sah mehr ihrem Vater ähnlich und nicht der Oma – und schon gar nicht ihrer abwesenden Mutter, worüber Nancy erleichtert war. Alle hatten die gleichen grünen Augen, aber während sie und ihr Vater groß und schlank waren, war Jane, nun ja, klein und rundlich.
Nancy biss in ihr Sandwich und tätschelte Charlie, der sich wieder in seinem Körbchen auf der Fensterbank zusammenrollte. Jonathan saß schweigend im Sessel, während sie aßen, und wippte ungeduldig mit der Fußspitze. Nancy und Oma grinsten sich verstohlen zu. Schließlich gab Nancy nach und sagte: »Okay, spuck’s aus. Was willst du?«
»Es geht um die Party bei den Roths. Mein Gott, was wäre das für eine Story! Zum ersten Mal seit wer weiß wie vielen Jahren öffnen sie wieder ihre Pforten für die Außenwelt. Ich meine, wie lange ist das her? Dreißig Jahre? Irre, oder? Also, da muss ich unbedingt dabei sein, damit ich was darüber schreiben kann.« Jonathan arbeitete bei der Lokalzeitung, dem Cotswold Star, und war ständig auf der Suche nach einem interessanten Stoff. Nicht immer einfach, denn hier passierte ja so gut wie gar nichts. Dedley End war tatsächlich ein totes Ende, ein verschlafenes kleines Kaff, in dem es sich zwar gut lebte, das einem aufstrebenden Journalisten aber wenig Aufregendes zu bieten hatte. »Als wir hörten, dass diese Einladungen im Dorf kursieren, hat mein Chefredakteur, Tony, gleich versucht, eine für mich zu ergattern. Aber die Roths lassen sich nicht erweichen – die Leute aus dem Dorf sind willkommen. Die Presse nicht.«
»Kann man ihnen nicht verdenken«, bemerkte Jane trocken.
»Mrs. H., das will ich jetzt mal nicht gehört haben«, meinte Jonathan gekränkt. An Nancy gewandt fuhr er fort: »Aber man hat Tony bestätigt, dass alle Geschäftsinhaber eingeladen werden, und als ich dann Paul Postler in eure Richtung gehen sah, und weil ja jeder eine Begleitperson mitbringen darf …« Er schwieg vielsagend und grinste gewinnend.
»Du solltest ihn wirklich nicht so nennen«, meinte Jane vorwurfsvoll.
»Ach was, das mag er doch! Na jedenfalls, ihr seid also eingeladen, ja? Da könnte ich doch deine Begleitperson sein, was meinst du, Nancy?«
Aber Nancy schüttelte den Kopf. »Das letzte Mal, als du mich begleitet hast, auf diese Weihnachtsfeier des Rotary Clubs, da hat der alte Andrews mir zwischen die Beine gefasst.« Sie erschauderte angeekelt.
»Mag sein, aber du hast dich gut gewehrt. Wenn mich meine Erinnerung nicht trügt, hast du ihm dein Getränk über den Kopf gekippt.«
»Das hat er auch verdient«, entgegnete Nancy ohne Reue.
»Allerdings«, pflichtete Oma ihr bei, »außerdem, wie kommst du auf den Gedanken, dass wir die Einladung annehmen?« Oma grinste Nancy heimlich an. Sie triezten Jonathan zu gerne und taten es bei jeder sich bietenden Gelegenheit. »Was mich betrifft, ich bin nicht gerade begeistert, bei so einem Wetter ausgehen zu müssen!« Sie deutete aus dem Fenster und auf den wirbelnden Schneeregen, der sich zunehmend in Schneefall verwandelte.
»Aber das ist das gesellschaftliche Ereignis des Jahres! Und du wolltest doch immer mal sehen, wie’s dort drinnen aussieht, in diesem großen viktorianischen Kasten«, appellierte Jonathan flehentlich an Nancy.
Das stimmte. Nancy, die früher auf ihrem Schulweg zweimal täglich am Haus auf dem Hügel vorbeigekommen war, hatte sich oft gewünscht, nur einmal in ihrem Leben sehen zu dürfen, wie es in so einem Anwesen zuging. Aber sie war, ebenso wie der Rest des Dorfs, noch nie dorthin eingeladen worden. Bis heute. Sie seufzte. »Tja, neugierig bin ich schon, das kann ich nicht bestreiten. Ich würde mir das Haus liebend gerne mal von innen ansehen. Nicht zu fassen, dass sie tatsächlich das halbe Dorf eingeladen haben. Die haben doch noch nie einen von uns reingelassen.«
»Früher schon, vor langer Zeit«, meinte Jane. »Früher war dort jede Menge los, aber seit dieser Gartenparty bin ich nicht mehr dagewesen, und das ist schon dreißig Jahre her, wie du sagst, Jonathan. Vergessen werde ich diese Party nie, das kann ich euch sagen.« Oma blickte sich im Laden um. »Die hatten da eine ganz tolle Bibliothek in dem Haus, Nancy, die hätte dir gefallen!« Es hörte sich wehmütig an.
»Alle, die wichtig sind im Dorf, sind eingeladen«, versuchte es Jonathan mit Schmeichelei. »Die Mitarbeiterin, mit der Tony gesprochen hat, meinte, es war eine ziemlich kurzfristige Entscheidung, die von Maria ausging. Offenbar hat sie ihren Eltern so lange zugesetzt, bis sie nachgegeben haben. Die ganze Welt soll von ihrer Verlobung erfahren. Das ist wohl der Grund, warum die Einladung so kurzfristig erfolgt.«
»Na ja, nach all den Jahren, da müssen wir doch wohl hin, oder, Liebchen?«
»Ich glaube, wir würden es bereuen, wenn wir nicht hingingen«, musste auch Nancy einräumen. »Obwohl, ich hab keine Ahnung, was ich zu so was anziehen soll! Abendgarderobe!«
»Ach, wir finden schon was, da bin ich ganz sicher«, überlegte Jane, die jetzt selbst ganz aufgeregt wurde. »Wen sie wohl sonst noch eingeladen haben? Ich glaube, ich rufe gleich mal Gloria an und frage, ob sie auch eine Einladung gekriegt haben.« Jane verschwand im Kabuff. Sie liebte nichts mehr, als die Überbringerin aufregender Neuigkeiten zu sein.
»Also, was sagst du? Nimmst du...
Erscheint lt. Verlag | 19.10.2022 |
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Übersetzer | Gertrud Wittich |
Sprache | deutsch |
Original-Titel | Murder at the House on the Hill |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Schlagworte | 2022 • Bestseller Taschenbuch 2022 • Buchhandlung • Cosy Crime • eBooks • England • Krimi • Kriminalromane • Krimis • krimi und thriller • Neuerscheinung • Spannung |
ISBN-10 | 3-641-29042-2 / 3641290422 |
ISBN-13 | 978-3-641-29042-9 / 9783641290429 |
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