Argylle (eBook)
544 Seiten
Blanvalet (Verlag)
978-3-641-29972-9 (ISBN)
Der russische Milliardär Wassili Federov träumt davon, Russland wieder zu alter Größe zurückzuführen. Als der alte und unbeliebte Präsident zurücktritt, wähnt er seine Zeit gekommen, das Ruder zu übernehmen. Doch um das russische Volk auf seine Seite zu ziehen, bedarf es eines symbolischen Akts. Was wäre, wenn es Federov gelänge, den Russen einen einmaligen Kunstschatz zurückzugeben? Das Bernsteinzimmer! Frances Coffey, die legendäre Chefin des CIA, weiß, dass sie Federovs Machtstreben Einhalt gebieten muss. Sie muss das Bernsteinzimmer vor dem Russen finden. Doch dafür benötigt sie einen ganz besonderen Spion: Argylle - mit einem Rucksack voller Probleme und einer nicht ganz reinen Vergangenheit, aber mit den einzigartigen Fähigkeiten, die benötigt werden, um es mit einem der mächtigsten Männer der Welt aufzunehmen ...
Elly Conway ist die Autorin des mit Hochspannung erwarteten Spionagethrillers »Argylle«. Sie lebt in den USA und arbeitet derzeit am nächsten Band der Serie über den Superspion Aubrey Argylle.
Prolog
Nur wenige Orte auf der Erde sind trostloser als Südostsibirien an einem beißend kalten Morgen im März. Die stacheligen Kiefernwälder der Taiga überziehen den Boden wie ein grünes Nagelbett. Hier, bei einer Kälte von minus fünfundzwanzig Grad, hört man kein Vogelgezwitscher. Nur das Tosen des Winds und gelegentlich das klägliche, ferne Geheul eines Wolfs.
Aber ein Geräusch durchbricht die Totenstille, ein leises, anschwellendes Rumpeln. Dann funkelt auf einmal etwas in der frühmorgendlichen Sonne. Ein Hochgeschwindigkeitszug. Die spitze Nase pflügt unerbittlich durch die eisige Luft. Der dichte Wald weicht sumpfigen Ebenen und windgepeitschter Tundra.
In den Standardwaggons liegen Menschen auf schmalen Pritschen und schlafen mit den Gesichtern zur Wand den Wodkarausch der vergangenen Nacht aus. Oder sie sitzen beisammen auf den unteren Betten, essen Piroschki und betrachten durch verschmierte Fenster die Landschaft. Am hinteren Ende des silbrigen Strangs jedoch befindet sich ein Waggon aus Gold mit den Initialen WF und IF, in kaiserlichem Violett miteinander verflochten.
Die Träger der Initialen – bekannt als Wassili und Irina Federow – sind alles andere als miteinander verflochten. Tatsächlich ist schwer vorstellbar, dass sich zwei Personen einen so beengten Raum mit solch großer Distanz zueinander teilen können. Irina sitzt auf einem Sessel mit hoher Rückenlehne, eigentlich eher ein Thron. Ihr linker Fuß ruht in einer Porzellanschale voller Rosenöl. An der Oberfläche treiben Blütenblätter. Auf dem Boden vor ihr kniet eine Frau in einem Trägerkleid und schrubbt kräftig ihre rechte Fußsohle. Dafür benutzt sie Seetang, kurz vor der Abfahrt des Zugs frisch aus dem Hafen in Wladiwostok geerntet.
Irina hält eine Zeitschrift in der Hand, in der sie desinteressiert blättert. Der Zug braucht weitere sechs Tage nach Moskau. Mobilfunkempfang ist trotz der versprochenen Spitzentechnologie praktisch nicht vorhanden. Sie kann weder mit ihren Freundinnen noch mit ihrer Schwester telefonieren. Irina kann ihnen nicht berichten, dass die Gefangenschaft in diesem goldenen Waggon bei ihrem Ehemann den Wunsch in ihr weckt, sich die Haut vom Leib zu kratzen. Sie kann ihnen nicht erzählen, wie sehr seine leise Stimme an ihren Nervenenden zerrt und dass sie sich wie ein aufgespießter Schmetterling fühlt, wenn er den Blick seiner farblosen, leblosen Augen hinter der randlosen Brille auf sie heftet.
Selbst wenn sie mit ihnen reden könnte, was würden sie schon sagen? Höchstens, dass man Irina davor gewarnt hatte, einen Außenstehenden zu heiraten, obwohl sie reichlich Auswahl unter den alten russischen Familien gehabt hätte. Generationen, die man so mühelos zurückverfolgen konnte wie die Adern am eigenen Handgelenk. Oder dass sie sich nach ihrer unglücklichen Wahl damit trösten sollte, seine Milliarden zu verprassen. Für ein Ferienhaus am Waldaisee. Ein Apartment in Knightsbridge. Eine Villa an der Côte d’Azur. Verschwenderische Einrichtung. Eine neue Jacht. Mehr Fettabsaugungen. Aufwendigere Haarverlängerungen. Mittlerweile hat sie so viele Operationen hinter sich, dass sie vor dem Spiegel das eigene Gesicht kaum noch erkennt. »Vorsicht«, hat er sie gewarnt, als sie das letzte Mal aus der Privatklinik in Beverly Hills zurückgekommen ist. Er hat am Schminktisch hinter ihr gestanden und die noch empfindliche Haut ihrer Wangen zurück zum Haaransatz gezogen. »Wenn du sie noch weiter dehnst, reißt sie wie eine alte Papiertüte.«
Die Kosmetikerin, die mittlerweile die rauere Haut an der Ferse mit einem Bimsstein bearbeitet, drückt zu fest zu. »Pass gefälligst auf!« Irinas Fuß schnellt vor. Die Frau verliert das Gleichgewicht und muss sich mit der Hand abstützen. Dabei stößt sie gegen die Porzellanwanne, aus der ein kleiner Schwall Wasser auf den weichen Teppich schwappt. »Idiotin!«
Auf der anderen Seite des Eisenbahnwagens, so weit wie möglich entfernt, schaut Irinas Ehemann auf. Falls ihn die Störung wütend, besorgt oder auch nur neugierig macht, lässt es sich nicht in seinen platten, unscheinbaren Zügen ablesen. Er sitzt am Fenster auf einem Sessel, der genauso aussieht wie der seiner Frau. Vor ihm steht ein Schreibtisch aus poliertem Holz. Darauf liegt ein Laptop in der Größe eines kleinen Aktenkoffers. Er geht gerade seine Notizen für die live ausgestrahlte Fernsehdebatte durch, an der er nach der Ankunft in Moskau teilnehmen wird. Natürlich hätten sie auch mit einem seiner beiden Privatjets fliegen können. Aber die demonstrative Reise durch von den meisten Politikern ignorierte Teile Russlands gehört mit zur Kampagne. Sie soll den enteigneten Heerscharen in den ländlichen Provinzen die Botschaft vermitteln, dass sie nicht vergessen wurden, jedenfalls nicht von ihm. So will er sich die populistischen Stimmen eines jeden unzufriedenen Bauern sichern.
Anfangs hatte er sich gegen den goldenen Waggon gewehrt. Die letzten beiden Winter in der Gegend waren hart. Die Menschen hungern. »Ich will mir nicht vorwerfen lassen, mit meinem Reichtum zu protzen«, hat er zu seinem Stabschef gesagt.
Der Mann zog darüber die Augenbrauen hoch. »Bei allem Respekt, Sie sind mit dem Fahrschein eines Bürgerlichen unterwegs zur Macht«, erwiderte er. »Der Mann, der aus dem Nichts die Welt erobert. Sie müssen für die Leute all das verkörpern, was sie nicht haben. Warum sollten sie sich von einem Mann vertreten lassen wollen, der nichts hat, wonach sie streben? Einem Mann, der immer noch genauso ist wie sie?«
Wassili Federow hat keinen Aufwand gescheut, um seine russische Herkunft zu belegen. Er hat Hunderte Millionen in technische Infrastruktur und nationale Belange investiert. Außerdem hat er sich ein Bürgermeisteramt gekauft und mit seiner bestens ausgebildeten Privatmiliz gnadenlos und systematisch auf den von ihm regierten Straßen aufgeräumt. Er hat die Tochter des Präsidenten geheiratet und engagiert sich für russische Kultur, finanziert Filme, Theaterstücke und Tanzgruppen, die ihn zu Tode langweilen, wenn er sie sich mehr als eine Minute ansehen muss. Stundenlang hat er Sprachunterricht über sich ergehen lassen, wodurch er Russisch mittlerweile fließend und nahezu akzentfrei beherrscht. Trotzdem verbleiben Probleme wie der goldene Waggon, die ihm vor Augen führen, dass er immer noch ein Außenseiter ist, ihn daran erinnern, dass er Christopher Clay nicht vollständig hinter sich gelassen hat.
Der Zug rast durch Zeitzonen – insgesamt acht, bis er sein Ziel erreicht. Sie haben längst den Baikalsee passiert, den größten und tiefsten Süßwassersee der Welt, ebenso das Arbeitslager Gulag Perm-36, wo im Verlauf der Jahre schon so viele Dissidenten festgehalten worden sind. Für sie empfindet Federow wenig Mitgefühl. Als russisches Findelkind, leider von Amerikanern adoptiert und im Mittleren Westen aufgewachsen, wo er sich immer als Außenseiter, als Freak gefühlt und nach seinem Vaterland oder vielleicht auch nur nach seiner Mutter gesehnt hat, fehlt ihm die Zeit für Menschen, die kritisieren und destabilisieren.
Der Zug hält an verschiedenen Stationen. An jeder steht neben den Straßenhändlern und den zum Einsteigen bereiten Reisenden eine Gruppe von Menschen in der Kälte, die Frauen mit Hosen unter Kleidern unter Pullovern unter Mänteln, die Männer mit vom eisigen Wind geröteten, wunden Wangen. Sie warten auf ihn. Wollen einen flüchtigen Blick auf den goldenen Waggon und den Mann darin werfen. Auf ihn, der ihnen Veränderungen versprochen hat. Den Selfmade-Milliardär, der mit nichts angefangen hat, eigentlich sogar mit weniger als nichts, und der sein Vermögen in Amerika gemacht hat, es aber in Russland auszugeben gedenkt. Nicht nur in den Städten mit den Palästen der Oligarchen, sondern auch in den trostlosen Industriekaffs und den vernachlässigten ländlichen Dörfern. Er ist der Mann, der sagt, was sie hören wollen – dass Masseneinwanderung die Ressourcen belastet und die russische Identität verwässert. Dass die Ballungszentren das Land leer saugen und nichts für alle anderen übrig lassen. Dass die Sowjetunion stärker wiederaufgebaut werden und all jene Menschen aufnehmen kann, deren Herzen noch russisch sind, obwohl sie vielleicht unter estnischer oder ukrainischer Flagge leben müssen.
Aber die Fragezeichen bleiben immer, nicht wahr? Der Akzent, den er so bemüht zu verbergen versucht. Die weichen Hände und sauberen Fingernägel. Der Anzug. Die randlose Brille. Er passt hier nicht ins politische Narrativ. Federow stammt weder von altem Geldadel ab noch ist er durch die Ränge des russischen Militärs aufgestiegen. Deshalb sind die Leute gekommen, um ihn mit eigenen Augen zu sehen.
An jeder Station muss er sich an der Tür des Zugs präsentieren. Irina muss ihre dunkle Brille und ihr verhaltenes Lächeln aufsetzen, das wie ein Schlitz in ihrem gestrafften Gesicht wirkt. Und sie müssen beide winken. Manchmal wirft er auch kleine Geschenke in die Menge – Bleistifte mit seinem Namen in Goldprägung, Süßigkeiten für die Kinder.
Mittlerweile sind sie durch den Ural und passieren Jekaterinburg, wo Zar Nikolaus II. und seine Familie umgekommen sind. Auch dafür kann Federow kein Mitgefühl aufbringen. Alles hat ein Ablaufdatum. Als sie sich Moskau nähern, wird die Landschaft draußen vor dem Fenster industrieller – qualmende Fabriken, riesige Lastwagen, graue, von Wohnblöcken umringte Ortschaften.
Irina setzt sich an den Schminktisch und frischt ihr Make-up mit einer dicken, weichen Bürste auf.
»Vergiss nicht, das Armband zu tragen«, erinnert Federow sie.
Damit hat er an diesem Tag das erste Mal mit ihr gesprochen. Sie...
Erscheint lt. Verlag | 17.1.2024 |
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Übersetzer | Michael Krug |
Sprache | deutsch |
Original-Titel | Argylle |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Schlagworte | 2023 • 2024 • Actionthriller • Agententhriller • Ariana deBose • Bernsteinzimmer • Blockbuster • Bryan Cranston • Bryce Dallas Howard • Buch aus dem Film • Catherine O'Hara • CIA • CIA-Agent • Dua Lipa • eBooks • Frederick Forsyth • Geheimagent • henry cavill • James Bond • John Cena • Kingsman • Lee Child • Matthew Vaughn • neuer Kalter Krieg • Neuerscheinung • Neuerscheinung 2023 • neuerscheinung 2024 • Ocean's Eleven • rob delaney • Robert Ludlum • Sam Rockwell • Samuel L. Jackson • Spionage • Spionagethriller • Taylor Swift • Thriller • Tom Clancy • Universal Studios • Wettlauf gegen die Zeit |
ISBN-10 | 3-641-29972-1 / 3641299721 |
ISBN-13 | 978-3-641-29972-9 / 9783641299729 |
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