Verschwunden (eBook)
496 Seiten
Heyne (Verlag)
978-3-641-28084-0 (ISBN)
Unterdessen erschüttert eine brutale Verbrechensserie die Toskana. Menschen verschwinden, und die wenigen, die zurückkommen, sind traumatisiert und für immer zerstört. Commissario Neri ermittelt, träumt aber schon von einem Altersruhesitz am Meer, den ihm die Maklerin Elena vermitteln soll. Doch dann verschwindet auch sie...
Sabine Thiesler, geboren und aufgewachsen in Berlin, studierte Germanistik und Theaterwissenschaften. Sie arbeitete einige Jahre als Schauspielerin im Fernsehen und auf der Bühne und schrieb außerdem erfolgreich Theaterstücke und zahlreiche Drehbücher fürs Fernsehen (u.a. Das Haus am Watt, Der Mörder und sein Kind, Stich ins Herz und mehrere Folgen für die Reihen Tatort und Polizeiruf 110). Ihr Debütroman »Der Kindersammler« war ein sensationeller Erfolg, und auch all ihre weiteren Thriller standen auf der Bestsellerliste.
- Spiegel Bestseller: Belletristik / Taschenbuch (Nr. 04/2024) — Platz 16
- Spiegel Bestseller: Belletristik / Hardcover (Nr. 07/2023) — Platz 16
- Spiegel Bestseller: Belletristik / Hardcover (Nr. 06/2023) — Platz 17
- Spiegel Bestseller: Belletristik / Hardcover (Nr. 05/2023) — Platz 8
- Spiegel Bestseller: Belletristik / Hardcover (Nr. 04/2023) — Platz 20
12
Elena hielt vor dem Haus. Die Kunden waren noch nicht da. Wunderbar. Wenn man sich direkt am Objekt verabredete, bestand immer die Gefahr, dass die Interessenten schon ein, zwei Stunden vorher da waren, allein auf dem Grundstück herumkrochen und sich alles ansahen. Das liebte sie gar nicht. Daher hatte sie Herrn und Frau Wedekind gesagt, die Eigentümer erwarteten, dass man die verabredete Zeit einhielt.
Es war eine Notlüge, eine bugia bianca, wie die Italiener sagten, denn die Eigentümer saßen in Mailand, hatten nicht die geringste Lust, in ihrem mittlerweile ungeliebten Haus anwesend zu sein, und überließen alles Elena. Sie wollten nur noch zur Vertragsunterzeichnung beim Notar anreisen.
Sie stieg aus dem Wagen. Was für ein schöner, sonniger Tag. Ideal für eine Hausbesichtigung. Alles sah gut aus. Der Rasen war gemäht, die Büsche gestutzt, das Unkraut weitgehend entfernt, und der Pool schimmerte hellblau und kristallklar. Sie würde Francesco ein kleines Lob per WhatsApp schicken.
Bevor sie das Haus aufschloss, checkte sie noch ihre Mails, klickte jede Menge Werbung weg, öffnete dann alle Fenster und Türen und ertappte sich bei dem Gedanken, dass ihr dieses Anwesen auch gefallen könnte. Es war zwar kein Vergleich zu ihrem Kleinod mitten in Siena, aber auf seine Weise ebenfalls wunderschön. Perfekt. Die Häuser, in denen ein Leben auch für sie durchaus denkbar wäre, konnte sie immer am besten und am schnellsten verkaufen.
Langsam ging sie durch alle Zimmer, wischte hier noch ein bisschen Staub von einer Lampe, entfernte dort einige Spinnenweben aus einer Ecke und spülte die Toilette.
Sie war gespannt, was Herr und Frau Wedekind, die aus Freiburg kamen, sagen würden. Die Exposés hatten sie ansprechend gefunden, aber heute sahen sie das Haus zum ersten Mal in der Realität.
Als sie hörte, wie ein Auto vorfuhr, trat sie auf die Terrasse und war sich ihrer Erscheinung vollkommen bewusst: Ihr sommerliches Outfit war perfekt, ihre Haare wehten locker im Wind, und sie lächelte strahlend.
Elena ging auf das Ehepaar zu, das aus dem Auto stieg und zögernd näher kam. »Herr und Frau Wedekind?«
Die beiden nickten.
»Ich grüße Sie!« Sie gab erst ihr, dann ihm die Hand. »Herzlich willkommen. Ich hoffe, Sie hatten eine angenehme Fahrt. Haben Sie das Anwesen hier ohne Weiteres gefunden?«
»Ja«, sagte Herr Wedekind, »wir hatten kein Problem, das heißt: unser Navi hatte kein Problem.«
»Das freut mich. Ich würde vorschlagen, wir gucken uns bei diesem herrlichen Wetter erst einmal die Außenanlagen an. Darf ich Ihnen etwas zu trinken anbieten? Ich habe gekühltes Mineralwasser im Wagen.«
»Nein, danke«, sagte Frau Wedekind, »wir hatten Wasser dabei und haben im Auto genug getrunken.« Sie lächelte Elena zu.
Elena lächelte zurück. Zumindest zu der Frau war eine positive Verbindung hergestellt.
»Sind Sie allein hier?«, fragte Herr Wedekind mit hochgezogenen Augenbrauen. »Wo sind denn die Eigentümer?«
»Ach ja.« Elena tat, als ärgere sie sich selbst über ihre Vergesslichkeit. »Sie lassen sich vielmals entschuldigen. Die Signori Rossini wohnen in Milano, und die Signora ist Modedesignerin und hat in dieser Woche eine wichtige sfilata di moda, eine Modenschau. Daher schaffen sie es leider nicht. Es tut mir auch sehr leid, dass Sie sich nicht kennenlernen. Aber das werden wir nachholen, und ich hoffe, dass ich Ihnen alle Fragen beantworten kann.«
Herr Wedekind sah aus, als würde er innerlich leise knurren, aber da rief seine Frau: »Hubertus! Dreh dich doch bitte mal um und lass diesen Blick auf dich wirken! Hast du so etwas Schönes in deinem Leben überhaupt schon mal gesehen?«
»Schon hundertmal!«, sagte Hubertus, aber er grinste dabei.
»Und schau mal: Was für ein herrlicher Pool! Da können wir im Wasser liegen oder schwimmen und dabei über die ganze Welt sehen.«
»Ja, das ist wirklich einmalig«, mischte sich Elena ein. »So einen weiten Blick vom Pool aus habe ich wirklich auch bei den allerteuersten Häusern und Villen nur ganz selten.«
Und dann ließ sie die beiden erst einmal in Ruhe, hielt genug Abstand, um leise Gespräche nicht mitzuhören, blieb aber doch nah genug, um aufkommende Fragen sofort beantworten zu können.
Die beiden besichtigten geschlagene vier Stunden. Das erlebte Elena selten. Es gab Wahnsinnige, die durch ein Haus hasteten, einmal kurz übers Grundstück rannten und nach zehn Minuten sagten: »Okay, wir nehmen es.«
Dann gab es die, die noch nicht einmal aus dem Auto ausstiegen, sondern nur die Scheibe runterließen und sagten: »Nein, tut uns furchtbar leid, aber das ist es nicht.«
»Aber wollen Sie das Haus denn nicht von innen besichtigen? Es ist wunderschön, sehr elegant, mit herrlichem Blick, und den Pool können Sie von hier aus auch noch gar nicht sehen, er ist …«
»Nein, sorry, aber das gefällt uns nicht.« Und schon brausten sie davon.
Der Normalfall war eine Besichtigung von ein bis zwei Stunden, je nachdem, wie groß das Anwesen war.
Aber vier Stunden intensive Besichtigung war schon eine Hausnummer und etwas Besonderes.
Elena blieb ruhig und gelassen, bekam immer mehr Lust, Dinge und Details zu erklären, denn je mehr Zeit verging, desto größer war anscheinend das Interesse. Das rettende Ufer war noch nicht erreicht, aber bereits in Sicht.
Als sie alles gesagt und erklärt hatte, was es zu diesem Haus überhaupt zu sagen und zu erklären gab, setzte sich Elena an den Pool und schloss die Augen. Sie wusste, dass allein ihre Optik mit ihrer lässigen, entspannten Haltung, ihren schönen übereinandergeschlagenen Beinen, ihrer verspiegelten Sonnenbrille und ihrem blonden langen Haar, das so locker, unkompliziert und ungestylt wirkte, aber genau das überhaupt nicht war, den Luxus des Hauses noch unterstrich. In jeder Hochglanzbroschüre wäre sie bei der Präsentation des Hauses mit auf dem Foto gewesen.
Irgendwann setzten sich die Wedekinds zu ihr. Elena nahm die Brille ab, lächelte und schwieg.
»Es ist wunderschön«, sagte Frau Wedekind, aber ihre Stimme klang verzagt, als wäre dies alles nur ein unerreichbarer Traum.
Herr Wedekind blätterte im Exposé. »Dreieinhalb Millionen!«, rief er kopfschüttelnd. »Das ist verdammt noch mal ein Haufen Geld.«
Elena sagte gar nichts. Tja, den Preis hatte er vorher gewusst. Der war schließlich kein Geheimnis. Und er hatte ihn mit keinem Wort infrage gestellt. Konnte es wirklich wahr sein, dass Herr Wedekind jetzt noch anfangen wollte zu handeln? Das war in ihren Augen erbärmlich. Entweder sie konnten sich das Haus leisten oder nicht. Entweder es gefiel ihnen oder nicht. Oder hatten sie am Ende nur läppische dreihunderttausend auf dem Konto und wussten jetzt nicht, wie sie ohne Gesichtsverlust aus der Nummer wieder rauskamen?
Sie hielt ihr Gesicht in die Sonne und wartete ab.
Zum Glück war sie auf den Verkauf nicht angewiesen, da würde sich dann schon jemand anderes finden. Und sie hatte noch heißere und lukrativere Eisen im Feuer.
Zwei Minuten später stand Hubertus Wedekind auf und stopfte sich umständlich das Hemd in die Hose. »Tja, meine Liebe«, sagte er zu seiner Frau, »da ich noch nicht dazu gekommen bin, mich nach einem Geburtstagsgeschenk für dich umzusehen, denke ich, es ist eine gute Idee, wenn ich dir dieses Haus schenke. Du scheinst es ja zu mögen.«
Frau Wedekind stieß einen spitzen hohen Schrei aus, stürzte sich auf ihren Mann, übersäte ihn mit Küssen und quiekte: »Ich mag es nicht nur, ich liebe es! Und ich liebe auch dich! Es ist wunderbar. Ich danke dir! Es wird so schön sein, wenn wir die Sommer hier verbringen.«
Na also, dachte Elena. Das war ja doch einfach gewesen.
»Aber du weißt schon, Rosi, dass ich im Sommer auf der Yacht sein will?«, sagte Hubertus lächelnd, doch unmissverständlich.
Rosi erstarrte. »Das heißt, du bist im Sommer auf der Yacht und ich allein hier? Das geht ja gar nicht!«
»Wenn es dein Haus ist, kannst du hierherfahren, wann immer du willst. Frühling, Sommer, Herbst und Winter. Alles ist möglich und von mir vollkommen unabhängig. Ich werde sicher hin und wieder mitkommen, natürlich, aber im Sommer bin ich auf der Yacht.«
Elena hörte dem Gespräch fassungslos zu.
»Das funktioniert nicht«, meinte Rosi enttäuscht. »Ich kann doch hier im Sommer nicht allein rumsitzen, mich langweilen und zu Tode gruseln, weil es so einsam ist!«
»Überleg es dir. Ich kann dir zu deinem Geburtstag auch den Maserati schenken, den du dir schon so lange wünschst. Das ist wesentlich billiger für mich. Und dann kommst du vielleicht mit aufs Boot.«
»Vielleicht«, murmelte Rosi nachdenklich.
Hubertus sah Elena an und grinste. »Wir überlegen leider noch. Meine Frau ist – wie immer – unentschlossen.«
Was seid ihr beide doch für Vollidioten, dachte Elena, ihr erstickt im Geld und schafft es nicht, euer Leben zu genießen. Sie war jetzt so genervt, dass sie aufpassen musste, nicht irgendeine beleidigende Bemerkung rauszuhauen.
»Kein Problem«, sagte sie freundlich, »so eine Entscheidung trifft man ja auch nicht in fünf Minuten. Überlegen Sie in Ruhe und rufen Sie mich an, wenn Sie sich entschieden haben. Im Moment sind Immobilien wie diese in Italien sehr gefragt, sagen Sie mir also bitte schnell Bescheid, sonst kann ich für nichts garantieren.«
Obwohl die Wedekinds ihre Nummer, ihre Mail-Adresse und alle wichtigen Daten hatten, reichte sie ihnen dennoch ihre Visitenkarte. Es war...
Erscheint lt. Verlag | 18.1.2023 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Schlagworte | 2023 • Ambra • Commissario Neri • Der Kindersammler • eBooks • gefährliche Leidenschaft • ItalienKrimi • Katz-und-Maus-Spiel • Mutter-Tochter-Beziehung • Neuerscheinung • Psychothriller • Siena • Spiegel Bestseller Autorin • Spiegel Bestsellerliste aktuell • taschenbuch neuerscheinung 2024 • Thriller • Thriller Neuerscheinung 2023 • Toskana • Verschwundene Menschen |
ISBN-10 | 3-641-28084-2 / 3641280842 |
ISBN-13 | 978-3-641-28084-0 / 9783641280840 |
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