Das Haus Zamis 48 (eBook)

Die lauernde Bibliothek

(Autor)

eBook Download: EPUB
2022 | 1. Aufl. 2022
64 Seiten
Bastei Lübbe (Verlag)
978-3-7517-3658-9 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Das Haus Zamis 48 - Rüdiger Silber
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»Seid willkommen in der Bibliothek, Gervinus!«
Vor Johannes Gervinus stand ein kleiner, kahlköpfiger Greis, dessen Haarkranz und gesträubte Koteletten im Fackelschein schimmerten wie Silberwolle. Auf der Radieschennase saß ein goldener Kneifer, hinter dessen Gläsern helle Äuglein funkelten.
Gervinus' Blick schweifte zu der fleckigen Lederschürze, die den Bauch des Alten verbarg, mit ihren Schlaufen voller blutiger Messer. »Wer seid Ihr?«
»Ich binde die Bücher ein«, schnarrte die Kreatur.

In der Biografie ihres Vaters hofft Coco einen Hinweis darauf zu finden, wie sie Wien aus Gorgos' Bann befreien kann. Aber befindet sich diese Biografie tatsächlich zwischen den Buchdeckeln jenes geheimnisvollen Bandes, den sie in der Fernsehaufnahme gesehen hat? Coco macht sich auf den Weg ins Dracula-Museum nach Deutschland und betritt die lauernde Bibliothek ...


2. Kapitel


Ich stand im Vorraum der Damentoilette am Waschbecken und schöpfte mir Wasser ins Gesicht. Dann blickte ich in den Spiegel. Die Frage war, warum dieser sonderbare Schauspieler mit dem noch seltsameren Namen nur so auf mich abfuhr. Ich hatte schon besser ausgesehen. Mein Gesicht war unnatürlich blass, meine schwarzen Haare stumpf und strähnig. Während der langen Reise von Port Blanc in Frankreich über die deutsche Grenze bis hierher nach Buseck waren nur mein Gesicht und meine Hände ab und zu mit Wasser in Berührung gekommen. Ich sehnte mich nach einer ausgiebigen Dusche und einem Bett zum Schlafen. Auch ein Kleiderwechsel war längst überfällig. Leider war mir der Rucksack, den ich in Port Blanc mit auf die Reise genommen hatte, unterwegs abhandengekommen. Ich hatte ihn extra mit einem Schutzzauber gegen Diebstahl belegt – und ihn dann beim Umsteigen im Zugabteil liegen lassen. Ein Schutzzauber gegen Vergesslichkeit wäre nützlicher gewesen. Nun also besaß ich keine Ersatzwäsche, und für einen Klamotteneinkauf würde das Wechselgeld, das ich an der Kasse der »Sammlerwelt« eingestrichen hatte, schwerlich reichen. Und ständig wehrlose Menschen zu hypnotisieren und um ihr Geld zu bringen, entsprach zwar meiner Erziehung, aber nicht meinem Charakter.

Immerhin war ich mir, während ich mich erleichtert hatte, über etwas klar geworden: Der Versuch, das gepfählte Buch in die Hände zu bekommen, um es genauer zu begutachten, war unnötig geworden. Zwar konnte ich, indem ich es berührte und mehr als meine fünf menschlichen Sinne aktivierte, womöglich etwas über diese seltsame Ausstrahlung erfahren, die das Artefakt auf mich ausübte, so als bestünde irgendeine schwache, uralte, aber besondere Verbindung zwischen dem Buch und mir. Doch das Buch zu öffnen und hineinzusehen, war ja laut Auskunft Lady Catherines unmöglich, und der Augenschein sprach für die Wahrheit ihrer Behauptung.

Nein, viel wichtiger erschien mir nun, nach Laubach zu gelangen.

Ich dachte an den Lieferwagen mit dem aufgemalten Theater-Maskenpaar, den ich auf dem Parkplatz der »Sammlerwelt« gesehen hatte. Gottfromm Genius versprach plötzlich, doch noch brauchbar zu sein.

Mein weiteres Vorgehen stand nun fest.

Ich wischte mir das Gesicht trocken und wandte mich zum Toilettenausgang.

Die selbsttätig schließende Tür schwang hinter mir zu. Sie war noch nicht ins Schloss gefallen, da spürte ich bereits, dass etwas nicht stimmte. Vor mir erstreckte sich das Foyer der »Sammlerwelt« mit den Spielzeugauslagen, links von mir lag die Kasse. Ich sah die monströsen Plüschtiere und die Oldtimer-Wagen. Daran war nichts auffällig. Aber mein sechster Hexensinn warnte mich. Die Luft schien zu knistern, sie war drückend und schwül wie vor einem Gewitter. Und dann roch ich es – nur schwach, aber eindeutig: ein Odeur von Ozon und Schwefel. Das untrügliche Zeichen, dass eine böse dämonische Präsenz ihre Macht ballte. Im selben Moment, als ich es erkannte, wich ich zurück, doch zu spät.

Das Schloss der Toilettentür rastete hinter mir ein.

Es war wie auf der Drehbühne eines Theaters, nur viel abrupter. Die Kulisse wechselte schneller, als ich mit den Lidern klimpern konnte.

Ich fand mich in einer bizarren Szenerie wieder. Unter meinen Sohlen erstreckte sich Kopfsteinpflaster. Zwischen den feucht glitzernden Buckeln der Pflastersteine verliefen silbrige Rinnsale. Feine Regenschnüre woben mich in ihr nasskaltes Netz.

Gleichzeitig hatte ich den Eindruck, als blickte ich durch eine seltsame Art von Sonnenbrille. Die Szenerie war dunkel, nächtlich und ohne Farben. Der Himmel, von dem ich nur einen schmalen Streifen sah, war so schwarz wie Durchschlagpapier. Milchige Wolkenschwaden geisterten vor einer scharf konturierten Mondscheibe, die direkt auf mich gerichtet schien wie die einzige Lichtquelle in einem verqualmten Verhörkeller. Ich fühlte mich, als sei ich auf das Zelluloid eines alten Schwarz-Weiß-Films gebannt worden. Erst als ich mich weiter umsah, bemerkte ich, dass in dieser monochromen Umgebung einzelne, auffällige Farbtupfer existierten, die alles nur noch unwirklicher erscheinen ließen.

Mein Aktionsradius war gering. Ich stand in einer engen Gasse. Zu beiden Seiten ragten Ziegelwände in die Höhe. Eiserne Feuerleitern klammerten sich an die Mauern wie abgestorbene Efeuranken. Vor mir verlor sich die Gasse in undurchdringlicher Finsternis; hinter mir wurde sie von einem windschiefen, rostigen Eisentor abgeschnitten, das etwa zweieinhalb Meter hoch war und dessen Stäbe in gefährlich wirkende Spitzen ausliefen.

Auch jenseits des Eisentores herrschte Dunkelheit. Alles, was ich dahinter erkennen konnte, war eine tote Katze, deren räudiges Fell sich mit Regenwasser vollsog, das eine wachsende Pfütze um den Kadaver bildete.

Im Kontrast zu der Schwarz-Weiß-Umgebung wirkte der gelb-rot getigerte Katzenleib beinahe grell; einen weiteren bunten Kontrapunkt zu dem farblosen Umfeld bildete ein halb zerfetztes Plakat, das sich wie verbrühte Haut von der Ziegelwand zu meiner Rechten schälte.

DRACULA

The BLOODY TERROR of

TRANSYLVANIA,

las ich.

As the Count:
BELA LUGOSI HELEN CHANDLER

Directed by TOD BROWNING

From a novel by ABRAHAM STOKER

Es handelte sich um eines der Plakate, die ich zuvor in der Filmabteilung des Museums gesehen hatte.

Zwei Meter tiefer lag ein Schmuddel-Magazin im regendurchspülten Rinnstein. Monstermöpse lautete der Titelschriftzug auf dem Cover. Das nackte Covermädchen mit dem Schlafzimmerblick, den aufgeworfenen Lippen und den Melonenbrüsten – war ich selbst. Typisch! Große Möpse, nichts darüber – Coco Zamis lässt die Glocken läuten!, verhieß die dazugehörige Textzeile. Im nächsten Augenblick weichte eine Rinnsteinwelle das Heft noch weiter auf, die nächste riss es mit sich fort.

Die wenigen Fenster der Gebäude, die mich umschlossen, waren meist tiefschwarze Löcher in den dunkelgrauen Fassaden. Einige Meter über mir jedoch glomm ein einzelnes gelbes Rechteck. Darin zeichneten sich die schwarzen Streifen einer schiefen Jalousie und zwei menschliche Silhouetten ab; wie in einem lautlosen Schattentheater holte die männliche Silhouette immer wieder mit einem langen Messer aus, dessen Klinge in monotoner Wiederholung mit dem weiblichen Schattenriss verschmolz. Doch ich vernahm keinen Schrei, keinen Hilferuf – das einzige Geräusch war das Rauschen des Regens.

Meine magische Erfahrung sagte mir natürlich, dass meine Umgebung nicht real war – doch ebenso warnte sie mich, dass diese Scheinwelt vollkommen reale Gefahren barg.

Ich suchte nach einem Ausweg.

Zu beiden Seiten türmten sich hohe Häuserfassaden; die Feuerleitern waren rostzerfressen, verbogen und führten ins Nirgendwo. Die dritte Seite wurde von dem Tor versperrt, das schwer zu überwinden war und hinter dem schwarze Finsternis lauerte. Schwarze Finsternis lauerte ebenso in der vierten Richtung, wo sich die Gasse in dichten Schatten verlor.

Es spielte keine Rolle. Denn wer immer diese dämonische Falle für mich aufgebaut hatte, er nahm mir die Initiative aus der Hand.

Der Regen begann dichter zu fallen, die Tropfen wurden kälter. Wie die Spitzen von Eisnadeln trafen sie mein Gesicht und die ungeschützte Haut, die der Kragen meines T-Shirts freiließ. Der stygische Schlund jenseits des Eisentors schien sich zu fast stofflicher Schwärze zu ballen. Anfangs verschluckte er jedes Geräusch, doch allmählich erreichte ein gedämpftes, trockenes Husten mein Gehör. Es wurde deutlicher, und ich erkannte, worum es sich handelte. Ich hörte das Knattern eines Benzinmotors.

Das Motorengeräusch wurde lauter, kam näher.

Im nächsten Augenblick flammten zwei grellweiße Scheinwerfer auf. Geblendet wich ich zurück. Das Gatter des Tores schraffierte das Pflaster zu meinen Füßen mit langen Schattenstreifen. Im Gegenlicht der Autoscheinwerfer konnte ich noch immer nicht erkennen, was in der Dunkelheit dahinter vorging. Doch glaubte ich, den Wagen als grobe Kontur zu erfassen, welcher lautlose Gestalten entstiegen, fast unsichtbar wie schwarze Lederapplikationen auf tiefschwarzem Samt.

Während ich noch mit den Blicken die Finsternis zu durchdringen versuchte, um die Bedrohung identifizieren und ihr begegnen zu können, übergoss mich auch von hinten Helligkeit.

Ich fuhr herum. Jetzt waren es vier Autoscheinwerfer, die mich von zwei Seiten anstrahlten. Von ihren Lichtkegeln eingefangen, ohne möglichen Fluchtweg, die Art der Gefahr nicht begreifend und daher ohne Abwehrmöglichkeit, fühlte ich mich wie ein gehetztes Tier.

Mitten in der Gasse, vielleicht fünfzehn Meter von mir entfernt, stand ein Oldtimer. Silbrige Rinnsale tränten über die Windschutzscheibe, die meine Blicke abwies wie ein schwarzer Spiegel.

Auf dem Nummernschild stand: Adler Cabriolet, BJ 1926. Es war ein Schaustück aus der »Sammlerwelt«.

Hinter meinem Rücken tat sich etwas; das Tuckern des Automotors erstarb. Von beiden Seiten bedrängt, drehte ich mich wieder in Richtung des Gittertors.

Hatte ich zuvor...

Erscheint lt. Verlag 16.8.2022
Reihe/Serie Das Haus Zamis
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Horror
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 2017 • 2018 • Abenteuer • alfred-bekker • Bastei • Bestseller • Coco Zamis • Dämon • Dämonenjäger • dan-shocker • Deutsch • Dorian Hunter • eBook • E-Book • eBooks • Extrem • Fortsetzungsroman • Frauen • Geisterjäger • grusel-geschichten • Gruselkabinett • Grusel-Krimi • Grusel-Roman • Horror • Horror-Roman • horrorserie • Horror-Thriller • john Sinclair • Julia-meyer • Kindle • Krimi • Kurzgeschichten • larry-brent • Lovecraft • Macabros • Männer • morland • neue-fälle • Paranomal • professor-zamorra • Professor Zamorra • Psycho • Roman-Heft • Serie • Slasher • sonder-edition • spannend • Spin-Off • Splatter • Stephen-King • Terror • Thriller • Tony-Ballard • Top • Zaubermond
ISBN-10 3-7517-3658-1 / 3751736581
ISBN-13 978-3-7517-3658-9 / 9783751736589
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