Das Strahlen des Herrn Helios (eBook)

Ein Fall für Skarabäus Lampe
eBook Download: EPUB
2022 | 1. Auflage
272 Seiten
Klett-Cotta (Verlag)
978-3-608-11924-4 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Das Strahlen des Herrn Helios -  Meike Stoverock
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In einer Welt voller ungewöhnlicher Phänomene, in der Tiere aufrecht gehen und Kleider tragen, stellt sich einer dem Verbrechen entgegen. Der Hase Skarabäus Lampe ist ein genialer Detektiv, analytischer Kopf und ganz nebenbei auch Hobby-Entomologe. Im Mittelpunkt seines ersten Falles steht ein grausames Verbrechen in einem kleinen Wanderzirkus. Die städtische Polizei stößt mangels ordentlicher Ausstattung und fehlender Weitsicht wie üblich an ihre Grenzen, so dass Skarabäus einmal mehr helfen muss, Licht ins Dunkel zu bringen. Der Löwe Helios, Direktor eines Wanderzirkus, wurde ermordet und die Umstände seines Todes sind so seltsam, dass Skarabäus Lampe schnell klar wird: Dahinter steckt mehr als die drohende Auflösung des Zirkus, wie die Polizei vermutet. Zwischen bunten Zelten und schummrigen Schaustellerwagen liegt vieles im Schatten und nach und nach findet der Meisterdetektiv heraus, dass jeden der »Freaks« eine ganz eigene Geschichte mit dem Direktor verband. Doch welche reicht für ein Mordmotiv? Bei seinen Ermittlungen wird der Detektiv unterstützt von seinem ehemaligen Kindermädchen Helene Pick, sowie dem kleinen Straßenkater Teddy, den Lampe wie einen Sohn liebt, was er aber nie zugeben würde. Als Teddy mitten in den Ermittlungen entführt wird, beginnt ein Wettlauf mit der Zeit und der nüchterne Verstand des Detektivs gerät an seine Grenzen.

Meike Stoverock studierte Biologie mit Schwerpunkt Evolutionsökologie und promovierte im Bereich Epidemiologie. Die komplexen Wechselwirkungen zwischen Lebewesen und ihrer Umwelt sind ihr besonderes Steckenpferd. Seit der #Aufschrei-Aktion 2013 beteiligt sie sich immer wieder an Geschlechter- und Gesellschaftsdebatten.

Meike Stoverock studierte Biologie mit Schwerpunkt Evolutionsökologie und promovierte im Bereich Epidemiologie. Die komplexen Wechselwirkungen zwischen Lebewesen und ihrer Umwelt sind ihr besonderes Steckenpferd. Seit der #Aufschrei-Aktion 2013 beteiligt sie sich immer wieder an Geschlechter- und Gesellschaftsdebatten.

Ein Anruf und viele Spuren


Symmetrisch oder asymmetrisch?«

»Ich mag nicht! Hast du nicht etwas anderes? Schmetterlinge oder so? Fliegen sind langweilig!«

Der kleine dunkelbraune Kater, der so nachdrücklich gegen die ihm zugedachte Nachmittagsbeschäftigung protestierte, ließ das Vergrößerungsglas sinken, mit dem er eben noch ein Beweisstück aus der Gruppe der Insekten untersucht hatte, rutschte auf dem viel zu großen Schreibtischstuhl zurück und zog sich die karierte Schiebermütze über die Augen.

Skarabäus Lampe verdrehte die Augen. Da sich ein berühmter Meisterdetektiv aber nicht von den Launen eines Kindes den Nerv rauben ließ, atmete er tief ein und aus.

»Du weißt genau, dass das keine Fliegen, sondern Bremsen sind, und wenn du so werden willst wie ich, musst du lernen, wie man sie auseinanderhält.«

Er schob den Schaukasten mit den Vergleichsbremsen näher an den Kater. »Also – symmetrisch oder asymmetrisch?«

Widerwillig nahm der Junge die Lupe wieder in die Hand. »Als ich gesagt hab’, ich will so sein wie du, hab’ ich doch nicht das gemeint«, er machte eine verächtliche Kopfbewegung in Richtung der offenen Insektenkästen, »sondern das andere! Gangster! Verfolgungsjagden! Schießen!«

Und mit diesen Worten sprang er vom Stuhl, flitzte durch das Zimmer, wobei er Lampes Gehstock umwarf, der am Schreibtisch lehnte, und duckte sich hinter das Sofa. Von dort aus gab er mit der Lupe, die er mit beiden Händen wie eine Waffe hielt, mehrere Schüsse auf Lampe ab, die er akustisch untermalte. »Ähähähäh!«

Lampe sah ihm ausdruckslos zu und hob seinen Stock auf. »So wie du sie hältst, tippe ich auf Pistole, und die macht nicht ›Ähähähäh‹«, kommentierte er trocken. »Aber wenn du nicht so sein möchtest wie ich, kannst du natürlich deinen Lebensunterhalt auch weiter damit bestreiten, braven Bürgern, zum Beispiel mir, ihre Wertgegenstände, zum Beispiel goldene Füllfederhalter, zu stehlen und an die dubiosen Gentlemen, mit denen du zu verkehren pflegst, für ein Butterbrot zu veräußern.«

Der Kater ließ die Pistolen-Lupe sinken und kam hinter dem Sofa hervor. »Ich habe den Füllfederhalter nicht gestohlen, sondern du hast ihn liegengelassen und dann habe ich ihn gefunden!«

Lampe seufzte. »Ich habe ihn nicht liegengelassen, sondern ihn kurz abgelegt, um mir die Nase zu putzen. Das ist etwas anderes.« Er wies erneut auf den Insektenkasten. »Also, zum letzten Mal, Zacharias – symmetrisch oder asymmetrisch?« Wenn Lampe ihn bei seinem richtigen Namen nannte und nicht bei seinem Spitznamen Teddy wie sonst, wusste der Kater, dass die Stimmung zu kippen drohte. Er sah ein, dass ein strategischer Rückzug für dieses Mal klüger war. Maulend und mit hängenden Schultern kehrte er zum Schreibtisch zurück.

Missmutig nahm er die Nadel, auf der eine dicke braun-schwarze Bremse steckte, wieder in die Hand und untersuchte unter dem Licht der grünen Schreibtischlampe die Fühlerglieder des aufgespießten Insekts. »ImmernurdieblödenBremsenasimmtrischkannichjetztgehen?«

Lampe überhörte den erneuten Meutereiversuch.

»Asymmetrisch, richtig. Und das heißt was?«

Zacharias gab sich große Mühe, so gelangweilt wie möglich zu klingen, und zog jedes Wort in die Länge. »Tabanus sudeticus oder Tabanus bovinus. Genauer geht es nur mit Mikroskop. Kann ich jetzt gehen, bitte

Lampe lehnte sich zufrieden zurück.

Zacharias Bärlein gehörte zu der Art von unverwüstlichem Straßenkraut, deren besondere Fähigkeiten von normalen Personen weder erkannt noch gefördert werden konnten. Mit seinem beeindruckenden Repertoire an Widerborstigkeiten war er Waisenhäusern, Prinzipalen und Pflegeeltern so weit voraus, dass alle Institutionen ihre Erziehungsbemühungen nach kurzer Zeit aufgegeben hatten. Da er dadurch auf Umwegen in den Lichtkegel von Lampes Aufmerksamkeit geraten war, konnte man das Scheitern staatlicher Bildungseinrichtungen als glücklichen Zufall betrachten. Der kleine Kater war ein exzellenter Beobachter und hatte ein Gedächtnis, das sich die Beobachtungen in beinahe fotografischer Genauigkeit einprägen konnte. Nicht auszudenken, was aus diesen Begabungen unter dem Einfluss eines Lehrers geworden wäre, der Geschichtsdaten und Benimmregeln für Bildung hielt. Das Bestimmen der Bremsen war für den kleinen Kater nicht mehr als eine Fingerübung und sein Protest nichts als Theater gewesen.

»Na bitte«, sagte Lampe, »das hätten wir alle auch schneller haben können. Jetzt lass dir von Mamsy ein paar Krabben geben und dann läufst du zu Inspektor Sutten und sagst ihm, dass es entweder das Pferd oder der Stier war. Den Rest sollte selbst jemand wie er alleine schaffen, meinst du nicht auch?« Dabei zwinkerte er Teddy zu.

Als sei das das erwartete Stichwort, flitzte der Kater aus dem Zimmer und polterte durch das Treppenhaus. Unten sprach er kurz mit Helene und nur Sekunden später fiel die Haustür krachend ins Schloss.

Lampe verdrehte mit einem Seufzen die Augen. Tausendmal hatte er dem Jungen gesagt, er solle um Himmels willen lernen, leiser zu sein, wenn er jemals Gangster fangen wolle. Aber nun ja, Teddy war sieben und im Leben eines Siebenjährigen gab es nun einmal Dinge, gegen die auch ein genialer Meisterdetektiv nicht ankam.

Skarabäus Lampe steckte die Beweisbremse zurück in die kleine Beweistüte und legte sie in die Mappe mit den Fallunterlagen. Er räumte die Schachtel mit den Vergleichsbremsen in den großen Apothekerschrank, in dessen unzähligen Schubladen sich genug Exemplare für eine ganze Insektenzivilisation befanden. Alle tot und in penibel beschrifteten Kästen, Pappschachteln, Marmeladengläsern, Blechdosen, Briefumschlägen und Zigarrenkisten verstaut. Oh, und ein Puderdöschen war auch dabei, in dem er sein einziges Exemplar eines seltenen Lomechusa pubicollis aufbewahrte.

Als er sein silbernes Zigarettenetui suchte, das seelenruhig neben den Bremsen in der Schublade mit den Zweiflüglern auf seine Entdeckung wartete, klingelte das Telefon. Ohne ein Wort des Anrufers abzuwarten oder seine Suche zu unterbrechen, sagte er: »Herr von Oben! Was hat Sie aufgehalten?«, und kramte weiter auf dem Schreibtisch herum. Wie immer genoss er den kurzen Moment verblüfften Erstaunens am anderen Ende der Leitung, den solche Sätze bei Normalsterblichen für gewöhnlich erzeugten. Der Anrufer gab ein gurgelndes Geräusch von sich, das vermutlich ein Seufzen darstellen sollte.

»Wissen Sie«, sagte von Oben, »ich frage mich wirklich langsam, warum ich mir überhaupt noch die Mühe mache, Sie anzurufen. Wenn Sie schon wissen, dass ich Arbeit für Sie habe, kommen Sie doch einfach zu mir, und wir ersparen uns diese entwürdigenden Tricks.«

Der Detektiv gab sich entrüstet. »Aber lieber Freund! Wo bleibt denn da der Spaß? Ich mache den Zirkus doch nicht umsonst – auch nicht für Sie!«

Anstelle des Zigarettenetuis fand er in der untersten Schublade, unter einem Stapel Papier seine zerfledderte Ausgabe von Professor Redlichs Kompendium der rezenten Gliederfüßer« die er bei seinem letzten Fall schmerzlich vermisst hatte.

Von Oben knurrte leise. »Sie bekommen einhundert Gimmling für Ihre Arbeit, Lampe. Und jetzt hören Sie auf mit den Spielereien und kommen Sie in mein Büro. Es gibt zu tun.«

Skarabäus Lampe legte auf, nahm Stock und Mantel und verließ sein Arbeitszimmer. Stock, gesunder Fuß und fehlgebildeter Fuß erzeugten auf der Treppe einen Dreiklang, aus dem Helene, sein ehemaliges Kindermädchen, über die Jahre die feinen Nuancen seiner Launen heraushören konnte. Heute klang sein Schritt robust und gut gelaunt. Im Vorbeigehen rief er in die Küche, »Mamsy, mein Zigarettenetui ist verschwunden. Wenn du es findest, sag ihm, ich will es nicht mehr, es kann sich ein neues Zuhause suchen. Bis später!« Noch bevor Helene etwas antworten konnte, war der Detektiv zur Türe hinaus.

Lampe wohnte in der südlichen Weststadt, auf der bürgerlichen Grenze zwischen dem Arbeiterviertel im Norden und der Villengegend im Süden. Auf diese Weise konnte er alle für sein Metier relevanten Parteien gleichermaßen im Blick behalten. In der Weststadt waren die Wohnhäuser eine adrette Mischung aus Einfachheit und Vorzeigbarkeit. Die Straßen waren ohne besonderen Reiz, aber sauber, die städtische Infrastruktur funktionierte vorbildlich. Die Leute, die hier lebten, waren überwiegend rechtschaffen, aber einer Gelegenheit nicht grundsätzlich abgeneigt. Wenn sie das Wort aussprachen, schauten sie im Allgemeinen wie...

Erscheint lt. Verlag 23.7.2022
Verlagsort Stuttgart
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Fantasy / Science Fiction Fantasy
Schlagworte All Age • All Age Fantasy • Detektiv • Detektivgeschichte • Kriminalgeschichte • Sherlock Holmes • Tiere • Tierfantasy • Verbrechen • Zirkus
ISBN-10 3-608-11924-8 / 3608119248
ISBN-13 978-3-608-11924-4 / 9783608119244
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