Das verborgene Paradies (eBook)

Spiegel-Bestseller
Roman
eBook Download: EPUB
2022 | 1. Auflage
624 Seiten
Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG
978-3-7517-2082-3 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Das verborgene Paradies -  Luca Di Fulvio
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Ein kleines Dorf. Eine epochale Entdeckung. Eine große Liebe.

Borgo San Michele, ein Alpendorf umgeben vom Panorama majestätischer Berge. Dort verbinden sich die Schicksale von Daniele, einem jungen Mann, der mit einer besonderen Gabe zur Welt kam, und Susanna, die unter dramatischen Umständen geboren wurde. Es ist das Jahr 1633, und die Inquisition verfolgt gnadenlos jeden, der ihre Lehre anzweifelt. So auch den Universalgelehrten Galileo Galilei, der das Weltbild der Kirche mit einem spektakulären Beweis ins Wanken gebracht hatte: Nicht die Erde ist Mittelpunkt des Universums, sondern die Sonne. Eine atemraubende Mission bringt auch Susanna und Daniele in tödliche Gefahr. Doch sind die Menschen um sie herum überhaupt bereit für eine neue Zeit? Und ist die Zeit bereit für eine Liebe über Grenzen hinweg?

Ein bildgewaltiges Epos, in dem Tradition und Aberglaube mit Fortschritt und Visionen von einer besseren Welt ringen, eine mitreißende Geschichte um mutige Entscheidungen, die Macht der Liebe und den unerschütterlichen Glauben an den Sieg der Gerechtigkeit

»Luca Di Fulvio erzählt eine atmosphärisch dichte Schicksalsgeschichte, die von der ersten bis zur letzten Seite fesselt!« Taschenbuch-Magazin

»Di Fulvio versteht es meisterhaft, die Angst der Menschen vor allem Neuen, ihren Aberglauben und den Würgegriff der Inquisition darzustellen. Sehr gut!« Mainhattan Kurier

»In zwei parallelen Erzählsträngen bewegt sich dieser fesselnde, atmosphärisch dichte Roman auf sein dramatisches Ende zu und hält bis zur letzten Seite seine Leser:innen in Atem« BUCHJOURNAL



Luca Di Fulvio, geb. 1957, lebt und arbeitet als freier Schriftsteller in Rom. Bevor er sich dem Schreiben widmete, studierte er Dramaturgie bei Andrea Camilleri an der ACCADEMIA NAZIONALE D'ARTE DRAMMATICA SILVIO D'AMICO. Seine Vorgängerromane standen auf den ersten Plätzen der Spiegel-Bestsellerliste.

Luca Di Fulvio, geb. 1957, lebt und arbeitet als freier Schriftsteller in Rom. Bevor er sich dem Schreiben widmete, studierte er Dramaturgie bei Andrea Camilleri an der ACCADEMIA NAZIONALE D’ARTE DRAMMATICA SILVIO D’AMICO. Seine Vorgängerromane standen auf den ersten Plätzen der Spiegel-Bestsellerliste.

3


Anno Domini 1610
Dritter Tag im Monat November

Borgo San Michele, Ostalpen

Es bringt Unglück, vor einem Kranken zu knien. Das zieht den Tod an. Und den hab ich heute schon mal gesehen«, bemerkte Jehanne.

»Verrichte deine Arbeit«, erwiderte Fra’ Thevet lediglich. »Und du, Fra’ Stanislao, bring ein paar Kräuter, damit die Frau wieder zu Sinnen kommt.«

»Das ist ja Berna, die Hure von der Bärenbrücke«, stellte die Hebamme fest, als sie an die Frau auf dem Tisch herantrat.

»Wie lange wird es dauern?«, wollte der Prior wissen, während der kräuterkundige Frater, ein ungeschlachter Mann, der Gebärenden ein Fläschchen unter die Nase hielt.

»Immer die gleiche Frage.« Jehanne seufzte. »Bei allem Respekt, und auch wenn euch Priestern dieses Gewerbe nicht geheuer ist – ich bin eine gute Hebamme, aber auch für mich heißt es warten, bis die Mütter ihre Kinder ausspucken, je nach Laune der Natur.« Damit wandte sie sich dem Tisch zu, auf dem die nun schweißnasse Dirne sich wand, die Hände schützend um ihren Leib gelegt, der von einem grünen, mit Löchern, Flicken und Fettflecken übersäten Rock bedeckt war. »Dann wollen wir mal sehen«, murmelte Jehanne, entblößte die Beine der Frau, hob den Rock an und sah darunter. Ungeachtet der Blicke der Mönche fasste sie zwischen die Beine der Gebärenden, zog ihre raue große Hand, deren Nägel von Zichorie und Fischinnereien dunkel gefärbt waren, triefendnass wieder hervor und merkte an: »Himmelherrgott noch mal, es geht schon los, Mädchen. Also, Honigschnute, jetzt mal an die Arbeit, mit aller Kraft, die du noch hast. Dauert nich mehr lang, dann ist das Balg da, darauf kannst du Gift nehmen.« Sie wischte sich die große von Fruchtwasser tropfende Hand an der Seite ab und setzte sich auf einen Hocker.

Die Mönche schwiegen verdutzt. Fra’ Thevet fasste sich als Erster: »Du hast doch gerade gesagt, dass es gleich kommt, wieso setzt du dich dann?«

»Prior«, gab die Hebamme zurück, ohne ihn auch nur eines Blickes zu würdigen, »hast du schon mal einem Kind auf die Welt geholfen? Ich schon. Und zwar so vielen, dass ich es gar nicht mehr genau sagen kann. Wenn die Hure hier beichten will, dann kommt sie zu dir, aber wenn sie ihren Bastard zur Welt bringen will, dann vertraut sie besser auf mich, so wahr mir Gott helfe. Also lass mich in Ruhe. Und da es hier gleich ein bisschen ungemütlich wird, wenigstens für so zarte Seelen wie euch, wäre es besser, wenn ihr alle rausgeht. Bei allem Respekt, ich kann dann besser arbeiten, und eure reinen Seelen nehmen keinen Schaden.«

Ein lautes Stöhnen durchbrach die darauffolgende Stille, die Gebärende bäumte sich auf, krallte die Hände in die Tischkanten und sank jäh wieder auf das nunmehr feuchte Holz zurück.

»Ja, es geht los, Honigschnute.« Jehanne stand auf und ließ die Mönche noch wissen: »Ich kümmere mich jetzt um den Teil, dem ihr abgeschworen habt. Was ihr jetzt tut, sei euch überlassen.«

Schweigend verließen die Mönche den Raum und schlossen die Tür hinter sich. In der Zwischenzeit hatte die Nachricht vom Geschehen andere Ordensbrüder angelockt, und als Fra’ Thevet ihnen aufgeregt zurief: »Es geht schon los!«, scharten sie sich lauschend und leise tuschelnd vor der dicken Tür des Krankenzimmers zusammen.

Bei jedem Schrei von drinnen wichen sie erschrocken zurück.

»In dieser Dreckswelt …«, fluchte die Hebamme, die nun, nach dem Abgang der Mönche, redete, wie ihr der Schnabel gewachsen war, während sie sich am Leib der Gebärenden zu schaffen machte, »… atmen, Honigschnute, tief atmen, dann ist es leichter … atmen, atmen … wie gesagt, diese Dreckswelt ist so voller Dreck, Dreck auf der Straße, im Wasser, in den Höfen, überall Dreck … und deshalb hör mir gut zu: Wenn eine Hure ein Kind kriegt, dann wird das nichmals getauft oder wenn, nur mit Dreckswasser … atmen, tief atmen, so, genau, dann brauchst du gar nicht zu schreien …« Jetzt untersuchte Jehanne den Leib der Dirne, deren Gesicht von Schmerzen gezeichnet war. »Atmen, atmen und pressen, na los … Also, hör mir zu: Wenn du willst, dann gebe ich ihm einen ordentlichen Tritt an den Kopf, diesem Bastard, den du da gerade gebärst, aber um Himmels willen stirb du mir hier nicht, das isses nicht wert. Glaubst du vielleicht, du tust ihm einen Gefallen, wenn du ihn auf die Welt bringst? Denk erst mal an dich, Mädchen, danach erst an den kleinen Bastard von einem Hurensohn. Weiter atmen, so, sehr gut … Und wenn du das überlebst und das Kind zur Welt bringst, dann hoffentlich einen Jungen … Und jetzt pressen … pressen! Pressen, hab ich gesagt. Frater, Frater! Schnell, komm!« Jehanne lief zur Tür. »Frater, das Salz, du musst ihr noch mal Salz geben, die ist mir schon wieder ohnmächtig geworden … Ewiges Licht, das schafft sie nich, das schafft sie nich …« Und gleich darauf war sie wieder bei der Frau, deren Bewegungen jetzt träge waren, als hätte sie ihren Schmerzen schlicht nichts mehr entgegenzusetzen.

Fra’ Stanislao öffnete das Fläschchen und hielt es der Dirne unter die Nase, während die Hebamme in ihrem Bemühen, das Kind hinauszuschieben, mehrfach mit aller Kraft den Oberbauch der Frau bearbeitete.

Fra’ Thevet kam ins Zimmer und trat an den Tisch. Die Dirne wandte suchend den Kopf, als hätte sie seine Anwesenheit einmal mehr eher gespürt, als ihn wirklich zu sehen, und trotz der Geburtsqualen suchten ihre trüben Augen in einem letzten Aufbäumen nach den seinen. Und wieder trafen sich ihre Blicke, verkeilten sich ineinander.

»Ich habs ja gewusst, gewusst hab ichs …«, jammerte die Hebamme, während sie der Frau Backpfeifen verpasste, den Bauch immer heftiger bald in die eine, bald in die andere Richtung drückte, mit ihren schmutzigen Händen zwischen den schlaffen Beinen herumfuhr und sie voller Blut wieder hervorholte. »Pressen, na los, hierbleiben! Was denn, was denn? Schnell, das Salz, schnell … die stirbt uns hier … Wie viele wie dich hab ich gesehen, Huren wie dich, wie viele hab ich gesehen, mager wie sonst was, mit so schmalen Hüften …« Dann wurden die Bewegungen der Hebamme langsamer, wie ein Wagen, der nach und nach an Fahrt verliert, und schließlich zog sie Fra’ Stanislaos Hand mit den Salzen unter der Nase der Frau weg.

»Das braucht sie jetzt nicht mehr, Frater. Lass gut sein.«

Eisige Stille senkte sich über den Raum. Mit angehaltenem Atem drängten die Mönche nun von draußen herein, als hätten sie nicht schon genug vom Tod gesehen.

Fra’ Thevet schloss der Frau die Lider und machte ein letztes Kreuzzeichen auf ihrer Stirn.

Die bläulichen Hände der Toten waren noch in den Tisch gekrallt, auf ihrer Wange mischte sich ein Speichelfaden mit salzigem Schweiß, ihr strähniges Haar lag ausgebreitet über dem Stroh unter ihrem Kopf und ihre Halsadern waren unnatürlich angeschwollen.

Kein Laut war zu hören.

Und plötzlich ertönte ein schlüpfriges, furzähnliches Geräusch, wiederholte sich, anfangs leise, dann immer lauter. Zuerst blickte nur die Hebamme zwischen die Beine der Toten, doch dann folgten die Blicke der anderen. Wieder ertönte das furzende Geräusch, Blut spritzte ins Gesicht der Hebamme, die sich diesen explodierenden Furz nicht erklären konnte. Entschieden griff sie nach ihrem stumpfen Messer, machte einen resoluten Schnitt und zog zwischen den Beinen der Toten kurzerhand ein Baby hervor, ein winziges Mädchen, ebenso bläulich wie seine Mutter, aber im Gegensatz zu ihr höchst lebendig.

»Du bist ja noch schlimmer als eine Hure«, raunte Jehanne. »Dass mich der Schlag trifft, so was ist mir noch nie passiert. Du bist ja wirklich noch schlimmer als eine Hure, du bist eine Hexe, eine Hexe bist du!« Und ohne die Nabelschnur zu durchtrennen, ließ sie der toten Mutter das Neugeborene in die Arme fallen, als wäre es brühendheiß.

Das Kind schrie und wand sich, und Fra’ Thevet ergriff tiefes Bedauern für dieses hilflose Geschöpf.

Dann erhob Jehanne wieder die Stimme. »Werft sie noch heute in den Fluss«, stieß sie hervor. »Dieses Mädchen ist in Blut getauft, sie ist das Kind vom Teufel. Ihr seid mir nichts schuldig, nein, nein, ich nehm kein Geld vom Teufel. Macht mit ihr, was ihr wollt, von mir erfährt niemand was. Werft sie in den Fluss, hört auf mich, in den Fluss.«

»Raus mit dir!«, stieß Fra’ Thevet so hart und unbarmherzig hervor, dass die Hebamme schon im nächsten Moment das der Heiligen Ulpizia geweihte Kloster verließ und in den stinkenden Gassen des Dorfes verschwand.

Die Mönche – allen voran Stanislao – wiegten die Köpfe, zunächst zögerlich, doch schon bald wurde ein Nicken daraus, was jedoch ihr Glaubensbekenntnis entehrte, als wollten sie sagen: »In den Fluss, ja, in den Fluss …«

Der Blick, den der Prior ihnen zuwarf, war vernichtend. »Schämt euch!«, rief er laut.

Die wenig barmherzigen Brüder knieten erschrocken nieder und bekreuzigten sich einmal, zweimal, so oft, wie sie zuvor nickend ihr Einverständnis zu diesem vorschnellen Todesurteil gegeben hatten.

Nur Fra’ Stanislao blieb kopfschüttelnd stehen. »Das war gegen die Natur«, sagte er finster. »Nicht Gott hat das gewollt, sondern der Teufel. Die Hebamme hat recht.«

Fra’ Thevet trat einen Schritt auf ihn zu, packte ihn an seinem um den Hals baumelnden Kruzifix und raunte: »Knie nieder, Frater, und bitte Gott um Vergebung für deine Gedanken, oder ich werde den...

Erscheint lt. Verlag 30.9.2022
Übersetzer Elisa Harnischmacher
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Historische Romane
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Aberglaube • Bildung • Familie • Feminismus • Freiheit • Galileo Galileo • Häresie • Hexe • Inquisition • Kloster • Lebenstraum • literarische Unterhaltung • Literatur • Meinungsfreiheit • Natur • Naturwissenschaft • Rebellion • Selbstfindung
ISBN-10 3-7517-2082-0 / 3751720820
ISBN-13 978-3-7517-2082-3 / 9783751720823
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