Magnolia - Monica Brashears

Magnolia (eBook)

Roman
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
320 Seiten
Ecco Verlag
978-3-7530-0066-4 (ISBN)
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Was bedeutet es, Schwarz, arm und eine Frau in den amerikanischen Südstaaten zu sein?
Magnolia Brown ist neunzehn Jahre alt und eine Waise. Neben einem notorisch überzogenen Bankkonto und ihrem übergriffigen Vermieter muss sie jetzt auch noch damit klarkommen, dass sie ihre kürzlich verstorbene Großmutter Mama Brown sehr vermisst.

Erst die zufällige Begegnung mit dem weißen Bestatter Cotton und seiner alkoholabhängigen Tante, einer begabten Visagistin, scheint die positive Wende zu bringen. Magnolia soll als Model die Identität verstorbener Mädchen annehmen, damit sich die trauernden Familien per Video von ihnen verabschieden können.

Obwohl sich einige Dinge zum Besseren wenden, wird Magnolias Leben nicht weniger kompliziert. Als Cottons Anfragen immer seltsamer werden, stellt sie fest, dass es für sie um viel mehr geht als nur darum, endlich genug Geld für die Miete zu verdienen.

Monica Brashears ist eine afroamerikanische Schriftstellerin, die aus den Appalachian Mountains stammt. Sie studiert an der Syracuse University. Magnolia ist ihr Debütroman.

Cornelia Holfelder-von der Tann wurde 1950 in Villingen/Schwarzwald geboren und studierte Anglistik, Germanistik und Romanistik. Nach einem Lehramtsreferendariat in Berlin begann sie, als freie Übersetzerin zu arbeiten. Sie übersetzte unter anderem Literatur der amerikanischen Frauenbewegung (Betty Friedan, Marilyn French, Naomi Wolf, Susie Orbach). Im Laufe der Jahre entwickelte sie ein besonderes Interesse an den Möglichkeiten des Übersetzens von Umgangssprache, von Black American English, von Soziolekten und Dialekten.

Ein beeindruckender Debütroman in der literarischen Tradition der amerikanischen Südstaaten.

Poetisch, berührend, traurig und zugleich mit feinem Humor erzählt.

"Dieser Roman ist kraftvoll, verführerisch und subversiv in einem." - Dana Spiotta

1


Noch nie habe ich mich so gefangen gefühlt, so nah am Ersticken wie jetzt gerade. Wenn es mir so geht, wenn es sich anfühlt, als hätte sich Kudzu fest um meinen Brustkorb geschlungen, wenn mir Hitze aus allen Poren quillt, dann verziehe ich mich gern in meinen Kopf. Ich vergesse diese harte Kirchenbank und all die breitkrempigen seidenen Hüte, die zum Trauergospel wippen. Ich bin nicht hier. Ich bin nicht in der Mountain Bend Baptist Church. Ich bin nicht mal in Tennessee.

Ich bin eine kleine schwarze Bohne. Ich bin eine kleine schwarze Bohne in England im Jahr 1734, und ein Junge trägt mich in der Hand zu sich nach Hause. Als wir in das kleine Häuschen kommen, sagt seine Mama: Junge, du hast doch nicht die Kuh für ein paar Bohnen verkauft! Bevor sie ihn mit ihrem Schuh verdrischt, schmeißt sie mich aus dem Fenster, aber mir passiert nichts. Ich bin eine kleine schwarze Bohne, die in weichem Lehm landet. Ich schlafe tief im kühlen Boden. Als es Morgen wird, weckt mich nicht die Sonne. Der Junge weckt mich. Seine mageren Finger packen mich. Ich bin eine Bohnenranke: dick, grün, kräftig und hoch, hoch bis zum Himmel. Aber der Junge kann mich nicht in Ruhe lassen. Er schlingt die Beine um mich und zieht seinen Bubenkörper an mir hoch. Seine Knochen graben sich in mich. Ich sage: »Warum zum Teufel kletterst du an mir rauf?«

Eine glatte Hand reibt meine Schulter, holt mich zurück zur Trauerrede.

»Magnolia, Baby. Deine Granny hat jetzt Frieden gefunden.« Die schöne hellbraune Frau neben mir muss mein Lachen für Schluchzen gehalten haben. Sie zieht mit ihren Acrylnägeln Kringel auf meinem Arm, flüsterzart, bis Pastor Wooly etwas in ihr auslöst. »Halleluja!« Sie klatscht in die Hände. Mama Brown und ich waren nur zweimal im Jahr in der Kirche. Ostern und Weihnachten. Ich weiß den Namen der Frau neben mir nicht. Aber sie hat meine Mama Brown gemocht. Anders als die meisten.

Die mochten sie jedenfalls nicht genug, um zu wissen, dass sie die Blumen da um ihren Sarg herum schrecklich fände: aufgeplusterte Nelken, schlaffe Rosen, zungenfarbene Pfingstrosen. Mama Brown hätte so was gewollt wie zu Hause: Gartentulpen mit ein paar Zweigen Schleierkraut. Und ihr Gesicht ist total daneben. Die Foundation ist zwei Töne zu hell und bibeldick. Und dieses Predigtgefasel würde sie auch nicht wollen. Sondern Musik und fröhliches Tanzen.

»Und was spricht der Herr?« Pastor Wooly klopft mit dem Mikrofon auf seinen Handrücken. Er ist dunkel und runzlig mit Pusteblumenflaum als Haar. Immer fängt er sein Programm damit an, dass er mit seinem Gehstock zum Altar humpelt. Bei diesem Trauergottesdienst ist es auch nicht anders. Wenn der Geist über ihn kommt, wirft Pastor Wooly die Arme hoch. Das Knallen, wenn der Gehstock auf den Parkettboden schlägt, ruft prompt ein schallendes Halleluja hervor. Die einzelnen Stimmen der Gemeindemitglieder – der heiseren alten Frauen, der jungen Männer mit Feuer unter den Zehen, das sie immerzu aufspringen lässt, der Sünder, die Brocken von Lobpreisung in ihrem Mund finden –, alle werden zu einer einzigen Stimme, stark und voll. Als ich klein war, dachte ich in diesen Momenten, er beschwöre die Stimme Gottes herbei. Jetzt weiß ich, dass das nicht stimmt.

»Ich will euch sagen, was der Herr spricht«, sagt Pastor Wooly.

»Ja, Pastor!«, ruft ein Mann irgendwo hinten.

»Er spricht: ›Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er stirbt‹.«

»Halleluja«, sagt die hübsche Frau neben mir.

»Hört ihr mich?« Pastor Wooly hüpft, kommt außer Atem. Jedes zweite Wort, das er uns in die Ohren feuert, ist mit einem flattrigen Luftholen verbunden. »Er spricht: ›Ich bin-hhh die Auferstehung-hhh und das Leben-hhh!‹« Der Stock knallt auf den Boden.

»Halleluja!« Als der Geist sich verflüchtigt, erhebt sich die Gemeinde und bringt ein Trauerfeier-beendet-Gemurmel hervor.

Ich ertrage die Vorstellung nicht, herumzustehen, von Umarmungen und vom Geruch nach White Diamonds und Old Spice und von Beileid erstickt zu werden. Alle Gott-segne-dich, die die Kirche mir spenden will, können mir diesen Schmerz nicht nehmen. Können das Wissen in mir nicht wegmachen, dass der einzige Mensch, der mir mit meinem Problem helfen könnte, steif und stumm in einer Eichenholzkiste liegt.

Ich schleiche mich durch die Seitentür, die zum Rand des Friedhofs hinausführt. Am Horizont reift Rot. Es wird dunkel sein, bevor sie Mama Brown runterlassen.

»Miss Magnolia!«, ruft eine Stimme von den Grabsteinen her.

Sugar Foot kommt vom Rand des offenen Grabs angeschlendert; er pafft eine knittrige Selbstgedrehte. Als er bei mir ist, grinst er. »So ein Bullshit, eh?«

Ich habe Sugar Foot im Trauergottesdienst nicht gesehen. Und er ist auch nicht dafür angezogen: mahagonifarbener Anzug mit goldenem Schlips und dazu passendem, schief aufgesetztem Fedora. Ich kenne diesen Mann schon mein Leben lang, und ich habe ihn noch nie anders als in seinen Diakonsachen gesehen: weißes Hemd und Tuchhose. Er wirft mir ein Butterscotchbonbon zu.

Ich fange es auf. Er füttert mich mit Süßigkeiten, seit ich klein war. »Sir? Was meinen Sie?«

Er zeigt mit der kreiselnden Zigarette zur Tür. »Das alles. Deine Granny hätte es schrecklich gefunden.«

»Mama Brown fände es schon okay«, sage ich. »Die Kirche hat ihr Bestes getan.«

Er zieht an der Zigarette, bläst eine dicke Rauchwolke in die Luft zwischen uns. »Ich habe dadrin ein Wunder gesehen.«

»Ein Wunder?«

»Ja, Miss Magnolia. Ich habe dadrin etwa zehn Frauen mit trockenen Augen weinen sehen. Keine einzige gottverdammte Träne.« Er gluckst.

Ich lächle. »Die Werke des Herrn sind wundersam.«

Die Seitentür der Kirche geht auf. »Wir haben dich überall gesucht, Mädchen«, sagt ein Kirchendiener.

»Bist du mit dem Auto da?«, fragt Sugar Foot, als ich reingehe.

»Nein, Sir. Ich bin zu Fuß gekommen«, sage ich.

»Ich nehme dich nachher mit.«

»Ja, Sir.«

Der Kirchendiener führt mich wieder zur vordersten Bank; die Sargträger heben Mama Brown hoch, als wäre sie so leicht wie ein Gedanke.

Ich folge der langsam gehenden Menge hinaus auf den winzigen, staubigen, eingezäunten Friedhof. Wie würde ich mich fühlen, wenn ich weinen könnte? Albern. Die Erde mit Tränen zu nässen hat noch nie jemanden daraus hervorsprießen lassen. Das letzte Tageslicht sinkt mit ihr hinab.

Sugar Foot findet mich vor dem Trauermahl, schlingt mir den Arm ums Kreuz und geht mit mir runter ins Untergeschoss der Kirche, zum Speisesaal. Auf einem langen weißen Klapptisch, der eigens für Gemeinschaftsanlässe gemacht ist, stehen Aluschalen. Spaghettiauflauf, frittierter Catfish, gefüllte Eier. Hefebrötchen, grüne Bohnen, frittierte Hähnchenstücke, Kartoffelsalat mit Senf. An der Seite ein Rührkuchen. Ich habe keinen Hunger. Man wartet höflich, dass ich meinen Teller fülle, also tue ich’s, gehe dann an einen Tisch beim Ausgang und trinke langsam von meinem Mineralwasser. Jemand dreht die Anlage auf, Lauryn Hill fängt an zu singen, und ich weiß, dieser Teil zumindest würde Mama Brown gefallen.

Sugar Foot kommt angetänzelt, nur ein bisschen Kartoffelsalat und ein kleines Brötchen auf dem Teller. Er wedelt mit seiner Plastikgabel über meinem Essen. »Ich würde das nicht essen, wenn ich du wäre.« Er sticht mit der Gabel auf seinen Salat ein, sieht aus wie ein Blödmann, der vor dem Beten isst. »Den Fisch hat Miss Wanda gemacht. Letztes Mal hat sie so ziemlich der ganzen Gemeinde Cholera angehängt.«

»Kriegt man Cholera nicht vom Wasser?«, frage ich.

»Da leben die doch, oder?« Er stößt mich mit dem Ellbogen an, lacht.

Alle finden einen Platz, mit vollgehäuften Tellern. Pastor Wooly, der vorn am Büfett steht, sagt: »Lasst uns beten.«

Sugar Foot legt seine Gabel hin.

Ein Gebet, das Mägen zum Knurren bringt, ein Amen und sein Echo.

Eineinhalb Stunden sitze ich da und lasse es über mich ergehen, diese Parade guten Willens. Leute, die versuchen, meiner Mama Brown so zu gedenken, wie sie sollten, wobei aber immer das Gleiche rauskommt: dass sie in aller Nettigkeit über sie sagen, dass sie ein loses Weibsbild gewesen sei. Eineinhalb Stunden beiße ich mir auf die Wangen.

Pastor Wooly steht auf, zum Zeichen, dass das Mahl vorbei ist.

Als ich vorn in Sugar Foots Auto sitze, schallt mir immer noch Gospelgesang in den Ohren. Wie können sie von Freiheit singen und vom Wegfliegen, wenn sie Erde auf jemanden schaufeln? Wir fahren in dem schwülen Schwarz langsam die Straße lang, den House Mountain runter, diesen bewaldeten Hubbel, der North Broadway von der East Side trennt.

»Wie alt bist du jetzt, Miss Magnolia?«, fragt Sugar Foot.

»Neunzehn«, sage ich.

»Versteh mich nicht falsch, ich spreche echt nicht gern von geschäftlichen Dingen an so einem traurigen Tag, aber ich habe mein Geld nun mal nicht gemacht, indem ich Nettigkeit obenan gestellt habe.« Er zündet sich eine Selbstgedrehte an. Ich mache das Fenster einen Spalt auf.

»Was für geschäftliche Dinge?«

»Na ja, du bist neunzehn und arbeitest an der Tankstelle. Du hast jetzt deine Granny nicht mehr, um mir die Miete zu zahlen.«

»Sie kriegen sie rechtzeitig. Wie immer.« Ich strecke den Arm aus dem Fenster und lasse den Wind mein Handgelenk kühlen. Wir kommen an einer Stelle vorbei, wo Geißblatt wächst, und der süße Duft füllt den Wagen.

Ich halte mich daran...

Erscheint lt. Verlag 23.1.2024
Übersetzer Cornelia Holfelder-von der Tann
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Original-Titel House of Cotton
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte african american experience • African American literature • afroamerikanisch • Debütautorin • Debütroman • Debüt-Roman • Feministisch • für Fans von Toni Morrison • Gothic novel • House of Cotton • Mexican Gothic • Roman • sterben tod und trauer • Südstaaten • Tennessee • Trauer • Trauerbewältigung • Waise
ISBN-10 3-7530-0066-3 / 3753000663
ISBN-13 978-3-7530-0066-4 / 9783753000664
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