Gut Erlensee – Marillas Schicksal (eBook)

Roman
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2023 | 1. Auflage
400 Seiten
HarperCollins eBook (Verlag)
978-3-7499-0469-3 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Gut Erlensee – Marillas Schicksal - Juliana Weinberg
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Wer kann einem Halt geben in stürmischen Zeiten?
Juli 1924 bei Kiel. Marillas Welt liegt in Scherben. Als ihre große Liebe sie verlassen hat, hat die junge Frau auch ihren Lebensmut verloren. Am liebsten würde Marilla gar nicht mehr vor die Tür gehen, doch das lassen ihre Schwestern nicht zu. Marillas Hilfe wird auf dem Gut der Familie gebraucht. Sie beugt sich dem Druck der Familie und muss schon bald feststellen, dass ihr die frische Luft, die Nähe zu den Pferden und die Natur guttun. Besonders der nebenan lebende Leonhard ist ihr eine Stütze in dieser Zeit. Aber gerade als Marilla wieder Vertrauen in das Schicksal fasst, ereilt sie eine unheilvolle Nachricht ...



Juliana Weinberg wurde in Neustadt an der Weinstraße geboren. Sie schreibt Bücher, seit sie acht Jahre alt ist. Außerdem interessiert sie sich für fremde Sprachen und Kulturen. Gemeinsam mit ihrem Mann und ihren drei Kindern lebt sie im Pfälzerwald.

Kapitel 1


Dezember 1923

Marilla

Der Tag war frostig und kalt, das Nachmittagslicht, das durch die Gardinen fiel, trüb wie fader Tee. Ein guter Tag, um im Bett zu liegen und die dicke Daunendecke bis zum Kinn zu ziehen, denn wie so oft in den letzten Monaten fror sie entsetzlich, auch das im Kamin prasselnde Feuer vermochte daran nichts zu ändern. Sie wusste, dass es eine Kälte war, die ihren Ursprung tief in ihrem Innern fand, und die ihr ganzes Wesen mit eisigen Klauen umklammerte, sie vielleicht nie wieder loslassen würde. Eine Kälte, die sich aus Verlust, Trauer und Einsamkeit nährte.

»Mutti!« Emilie, ihre dreieinhalbjährige Tochter, war noch zu jung, um Verständnis für ihren Seelenzustand aufzubringen, und hüpfte schwungvoll zu ihr auf das Bett. »Gehen wir noch zu den Pferden? Du hast es versprochen.«

»Mhm.« Marilla strich der Kleinen über das samtige Kinderhaar, das dieselbe honigblonde Farbe wie ihr eigenes aufwies, nur war das ihrer Tochter lang und zu dünnen Haarschnecken aufgesteckt. Das Frisieren übernahm jeden Morgen Marillas Schwester Margareta, da ihr selbst die Kraft dazu fehlte. Ihren eigenen sonst so feschen Bob hatte sie seit Monaten – genauer, seit Eduards Tod im August – nicht nachschneiden lassen, und die Spitzen berührten mittlerweile die Schultern. Es war ihr gleichgültig, wie sie aussah, alles war gleichgültig.

»Mutti, jetzt komm!« Emilie rüttelte ungeduldig an ihr, und sie ließ es geschehen. Ihr Körper fühlte sich so schwach und matt an, als habe sie seit Wochen nicht geschlafen.

»Gleich, gönn mir noch ein paar Minuten. Ich muss mich ausruhen.«

Emilie zog einen Flunsch. »Immer musst du dich ausruhen.« Sie kletterte vom Bett herunter und begann, die Schubladen zu durchstöbern. Marilla schloss die Augen. Selbst das kleinste Gespräch ermüdete sie. Seit Eduard bei diesem schrecklichen Unfall mit dem Automobil gestorben war – in ihren Träumen vernahm sie noch immer das Kreischen der Bremsen, die Schreie ihrer Tochter, das Splittern von Glas, das Aufeinanderkrachen von Blech und die tödliche Stille danach –, fühlte sie sich nicht mehr wie sie selbst. Ihre Energie, ihre Fröhlichkeit und Lebenslust, all dies schien zerstampft zu Asche, aus der nie wieder etwas erwachsen würde.

Plötzlich schreckte ein unmelodisches Quietschen sie aus ihrer Lethargie. Sie fuhr hoch und sah, dass Emilie vor ihrem Kleiderschrank kniete und ihre Querflöte entdeckt hatte, die sie eigentlich gut zwischen Hutschachteln und Schuhen versteckt hatte; anscheinend nicht gut genug.

»Ich kann auch Querflöte spielen, wie du, Mutti.« Der Kopf krebsrot vor Anstrengung pustete Emilie in das Instrument. Mit einem Satz war Marilla aus dem Bett und riss es ihr aus den Händen, woraufhin ihre Tochter sie mit weit aufgerissenen Augen, in denen sich die Tränen sammelten, anstarrte.

Sofort tat Marilla ihre heftige Geste leid, und sie hockte sich in ihrem Nachthemd zu Emilie auf den königsblau gemusterten Teppich. »Die Querflöte ist sehr wertvoll, Kleines, sie ist kein Spielzeug für kleine Mädchen. Wenn du älter bist, bringe ich dir vielleicht bei, wie man sie spielt.«

»Vati hat auch Querflöte gespielt«, flüsterte Emilie und strich mit ihrer kleinen Hand so andächtig über den schlanken Instrumentenkörper, dass nun auch Marilla die Tränen in die Augen schossen.

»Ja, das hat er«, murmelte sie sanft. Warum hatte sie sich derart selbstvergessen ihrem Leid hingegeben, dass sie nicht gemerkt hatte, wie Emilie an den Schrank gegangen war? Die Querflöte in den Händen zu halten, die schwer wie eines von Großmutters Schnapsfässern schien, war mehr, als sie ertragen konnte. Ihre Liebe zu Eduard war in den Musikstunden entstanden, die er ihr erteilt hatte. Ihre Gedanken wanderten zurück zu der Zeit vor und nach dem Großen Krieg, als der junge, immer ein wenig derangiert wirkende Adelige Eduard von Weidenthal regelmäßig ins Gutshaus gekommen war, um sie im Querflötenspiel zu unterrichten. Hals über Kopf hatten sie sich ineinander verliebt, auch wenn ihre Eltern Hermann und Adelheid die Verbindung nicht guthießen, denn Eduard war mittellos. Doch dann hatte sich alles zum Guten gefügt, Emilie war unterwegs gewesen, sodass ihre Eltern einer Ehe nicht mehr im Weg stehen konnten, und Eduard hatte eine gut dotierte Dozentenstelle am Hamburger Musikkonservatorium erhalten.

Hamburg … Nach Eduards Tod hatte sie keinen Fuß mehr in ihr elegantes Stadthaus gesetzt, sondern war mit ihrer Tochter in ihr altes Mädchenzimmer auf Gut Erlensee zurückgekehrt, um den Trost der Familie aufzusaugen wie ein ausgetrockneter Schwamm. Ihr Bruder Gregor und ihre Schwager Konrad und Jakob hatten den Haushalt in Hamburg aufgelöst, ohne dass sie sich darum kümmern musste, aber dafür war Familie schließlich da. Sie hatten sie in ihrer schlimmsten Stunde aufgefangen wie ein Sicherheitsnetz.

Emilie zog ungeduldig an ihrem Ärmel, und sie kehrte schlagartig in die Gegenwart zurück. Seufzend verstaute sie die Querflöte wieder hinter den Hutschachteln und nahm ihr schwarzes Kleid vom Bügel, um sich anzuziehen. Seit Eduards Tod war die düstere Farbe ihr ständiger Begleiter, denn alles in ihr drängte danach, ihrer Trauer Ausdruck zu verleihen. »Ja, schon gut, du Quälgeist, wir gehen zu den Pferden.«

Sie warf einen flüchtigen Blick in den Spiegel, kämmte sich mit allen zehn Fingern durch ihre formlose Frisur und ignorierte die feinen Linien in ihrem blassen Gesicht. Niemals hätte sie geahnt, dass sie mit vierundzwanzig bereits Witwe sein würde.

Emilie legte ihre Hand vertrauensvoll in ihre und sie verließen den Raum. Von der unteren Etage erklangen geschäftige Geräusche, das Rascheln von Papier, das Klirren von Glöckchen, verstohlenes Gekicher, zudem stieg ihr der würzige Duft von Tannenzweigen in die Nase.

»Schööön!« Emilie blieb auf der unteren Treppenstufe stehen und schwelgte im Anblick des riesigen Weihnachtsbaumes, den Marillas Schwestern Margareta und Carla gerade mühsam in die Senkrechte zu bringen versuchten, während Mutter Adelheid mit Anweisungen um sich warf, jedoch keinen Finger rührte. Marillas Großmutter Ilsegard, die auch mit Mitte achtzig noch so agil und rührig war wie eh und je, packte derweil Dutzende von purpurroten Glöckchen und vergoldeten Nüssen aus, die den Baum wie jedes Jahr schmücken sollten. Minna, das Dienstmädchen, wuselte mit zerknitterter Schürze und aufgelösten Haaren herum und spannte Papiergirlanden von Wand zu Wand.

»Marilla.« Ilsegard hatte sie entdeckt und winkte sie lächelnd herbei. »Schau nur, haben wir dieses Jahr nicht ein besonders prächtiges Exemplar von Baum ergattert? Die Gäste werden staunen, wenn wir morgen den Ball eröffnen und die ganzen Kerzen strahlen.«

Marilla konnte sich gerade noch beherrschen, um nicht die Augen zu verdrehen. Großmutter meinte es nur gut, doch der Gedanke an den Weihnachtsball bereitete ihr solches Unbehagen, dass sich ihr Magen schmerzhaft verknotete, sobald die Rede darauf kam. »Ich möchte keinen Ball, Großmutter, und das weißt du.«

Ilsegard sah sie mit ihren eisblauen Augen liebevoll an. »Ich weiß, Kind, aber es wird dir guttun, auf andere Gedanken zu kommen. Seit August igelst du dich in deinem alten Kinderzimmer ein und nimmst kaum noch am Leben teil.«

»Ohne Eduard …«, begann Marilla, doch ihre Stimme brach und sie verstummte. Ilsegard wusste auch so, was sie meinte, und strich ihr tröstend über den Arm.

»Ich weiß«, wiederholte die alte Dame. »Doch das Leben geht weiter.«

Marilla schürzte die Lippen. Auf derlei abgedroschene Phrasen konnte sie gut und gerne verzichten. »Ich bin wirklich nicht in der Stimmung für einen Ball.«

Mittlerweile stand der Baum fest und sicher. Margareta und Carla betrachteten zufrieden ihr Werk, dann wandten sie sich ebenfalls Marilla zu.

»Ist er nicht zauberhaft?« Margareta bog einen Zweig zurecht, der widerspenstig abstand. »Marilla, möchtest du uns helfen, den Stern auf die Spitze zu setzen?«

»Nein, ich möchte euch nicht helfen, den Stern auf die Spitze zu setzen.« Marilla verabscheute sich selbst für ihren schnippischen Tonfall, doch zuweilen schien ihr die nagende Trauer eine andere Persönlichkeit überzustülpen, eine dunklere, missmutigere Schablone ihrer selbst.

»Die Pferde.« Emilie riss an ihrem Arm, und sie war froh, eine Ausrede zu haben, aus dem Gutshaus flüchten zu können.

»Natürlich, wir gehen zu den Pferden.«

Doch sie hatte nicht mit ihrer Mutter gerechnet, die sie nun auch noch mit Beschlag belegte. Nervös nestelte Adelheid an der Brosche herum, die den Kragen ihres hochgeschlossenen, altbackenen Kleides zierte.

»Ich möchte nicht, dass du morgen mit dieser liederlichen Frisur beim Ball aufschlägst. Und bitte zieh dir wenigstens für diesen einen Abend ein anderes Kleid an, das Schwarz würde nur die Gäste erschrecken.« Sie ließ ihren missbilligenden Blick über ihre mittlere Tochter schweifen. »Du weißt, wir haben illustre Gäste, Doktor Uhlen wird da sein, der Tierarzt Doktor Moser, Geschäftsfreunde von der Druckerei, die Verwandtschaft aus Kiel … und natürlich die von Köckritz.«

»Die von Köckritz?« Ilsegard schien entgeistert. »Die sauertöpfische Gräfin mit ihrer spitzen Zunge, und der alte Graf, der gerne mal einen über den Durst trinkt?«

Adelheid presste die Lippen zusammen, pikiert über Großmutters Kritik. »Und der junge Erbgraf Leonhard, der ja kürzlich einen ähnlichen Verlust erlitten hat wie du, Marilla. Auch ihm wird es guttun, etwas Ablenkung zu...

Erscheint lt. Verlag 25.7.2023
Reihe/Serie Das Gut am Erlensee
Das Gut am Erlensee
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Historische Romane
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Anwesen • Druckfabrik • Familienbande • Familiendynastie • Familiensaga • familiensaga 20.jahrhundert • Familiensaga Deutschland • familiensaga trilogie • Gestüt • Große Liebe • Historische Liebesromane • nach dem Krieg • Ostsee • Pferde • Reiten • Starke Frauen • Wahlrecht
ISBN-10 3-7499-0469-3 / 3749904693
ISBN-13 978-3-7499-0469-3 / 9783749904693
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