Aufgetischt und abserviert -  Kerstin Lange

Aufgetischt und abserviert (eBook)

Krimi-Kochbuch
eBook Download: EPUB
2022 | 1. Auflage
230 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7562-8753-6 (ISBN)
Systemvoraussetzungen
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Essen und Trinken hält Leib und Seele zusammen, sagt eine volkstümliche Redensart. Doch was passiert zu Hause hinter geschlossenen Türen? Wer ahnt, dass hinter der idyllischen Fassade manchmal auch das Grauen steckt. In AUFGETISCHT UND ABSERVIERT erfahren Sie, dass Sie nicht jedem Fremden trauen sollten, der schöne Schein oft Makulatur ist, Geschenke mit Vorsicht zu genießen sind und nicht jede herzliche Einladung tatsächlich so gemeint ist. Lassen Sie sich von den kulinarischen Kurzkrimis unterhalten, kochen Sie die Rezepte im Kreis Ihrer Familie oder mit Freunden nach und genießen Sie die Gerichte. Gänzlich ohne tödliche Nebenwirkung. Versprochen!

Kerstin Lange, geboren 1966 in Bergneustadt, wohnt und arbeitet - nach Aufenthalten im Sauerland, am Niederrhein und in der Pfalz - in Düsseldorf. Sie ist als Autorin, Hörbuchsprecherin, Dozentin, Schreibgruppenleiterin und Herausgeberin tätig. Neben ihren zehn Büchern, meist Kriminalromane, hat sie auch über 70 Kurzgeschichten geschrieben, von denen einige ausgezeichnet wurden. Ehrenamtlich engagiert sie sich für den Blinden- und Sehbehindertenverein Düsseldorf e.V. und gehört zum festen Sprecherteam, das die Hörzeitung Düsseljournal einspricht. Sie ist Mitglied im Bundesverband junger Autoren e.V. (BvjA), dem Syndikat e.V. und den Mörderischen Schwestern e.V. www.kerstinlange.com

Holunder tut Wunder


Die Vase schmiss ich mit aller Kraft, die ich aufbringen konnte, an die Wand. Sah zu, wie sich die Scherben auf dem Boden verteilten. Dem vorausgegangen war eine Flasche Wein, Grauburgunder, Pfalz, mein Lieblingswein.

Der Grund für meine Wut lag jedoch weder am Wein noch an der Hässlichkeit der Vase.

Seit zwei Jahren lebe ich allein und habe mich damit gut arrangiert. Natürlich war in mir die Sehnsucht nach einer Beziehung, einem Partner für romantische Stunden. Ein verlässlicher Gegenpol, eine starke Schulter zum Anlehnen.

Den Mann schien ich gefunden zu haben. Lars, fünfundvierzig, seit drei Jahren Single. Die gleichen Hobbys, die gleichen Wünsche und Träume. Zu schön, um wahr zu sein. Sechs Wochen lang schwebte ich auf Wolke sieben. Und vor einer Stunde las ich die SMS, dass er keine gemeinsame Zukunft für uns sah. Goodbye. Adios. Auf Wiedersehen. Danke für die Zeit.

Ich fiel aus allen Wolken. Rief ihn sofort an, doch er war nicht zu erreichen. Hatte ich mich verwählt? Ich versuchte es erneut, wieder ohne Erfolg. Ich schrieb eine E-Mail: Die Adresse gab es nicht mehr.

Ich kannte keine Anschrift, wir hatten uns meist in der Stadt zum Essen getroffen, ein paar Mal in einem Hotel (wie romantisch, hatte ich noch gedacht) oder bei mir. Am Wochenende gab es Ausflüge an die Mosel, den Rhein oder die Nahe.

Lars trank gern Wein, so wie ich. Darin liegt Wahrheit, wie mir klar wurde, als ich die zweite Flasche öffnete, und mir bei einem großen Schluck bewusst wurde, dass ich betrogen worden war. Ich hatte alle Reisen bezahlt, ich hatte ihm Geld geliehen, als er sein Portmonee vergessen hatte. Ich hatte den Wein, den er so gerne trank, gekauft, selbst die Hotelrechnungen hatte ich beglichen. Verblendet und verblödet, wie ich war. Die Wut kochte erneut hoch, die nächste Vase musste daran glauben.

Ich hatte seit heute eine Woche Urlaub und wäre eigentlich mit ihm auf dem Weg nach Sylt. Vor einer Woche saßen wir beim Italiener und waren beim Dessert angelangt, als er plötzlich freudig aufschrie. Er hatte eine E-Mail bekommen, in der ihm ein Pauschalangebot in einem Vier-Sterne-Hotel auf Sylt angeboten wurde. Eine einmalige Chance, wie er mir versicherte. »Sollen wir?«, hatte er mich gefragt und charmant gelächelt.

»Das ist ein unschlagbares Angebot«, fügte er an und zeigte mir Fotos des Hotels auf seinem Smartphone. Großer Wellnessbereich, Schwimmbad, Saunalandschaft. Es sah fantastisch aus. »Es gilt nur jetzt! Soll ich buchen?«

Seine Frage hallte noch immer in meinen Ohren nach.

Er begann wild auf seinem Handy zu tippen und zuckte dann entschuldigend mit seinen Schultern. »Mein Internetbanking scheint nicht zu funktionieren. Schade, das wäre es gewesen.« Natürlich hatte ich blöde Kuh gefragt, ob ich ihm aushelfen könnte. Er hatte mir eine Bankverbindung genannt, ich hatte überwiesen.

Auf die Weiterleitung der Hotelunterlagen wartete ich vergeblich. Und in diesem weinseligen Moment wusste ich, dass ich von vorne bis hinten ausgenutzt worden war.

Statt nach Sylt fuhr ich am nächsten Tag zu meinem Vater. Die ländliche Umgebung zwischen Bremen und Hannover hatte auch ihre Reize.

Mein Vater wusste in dem Moment, als ich aus dem Auto stieg, dass ich wieder Single war. Er war sehr skeptisch gewesen, als ich ihm von Lars erzählte.

Dass Väter immer recht haben müssen.

Vater ist schon seit Jahren alleine. Mutter hatte sich scheiden lassen und war mit ihrem Neuen in die USA ausgewandert. Ich habe sie in den letzten drei Jahren nur zwei Mal über Skype gesehen. Sie erträgt das Altern nicht mit Würde und verfügt jetzt über Apfelbäckchen, voluminöse Lippen und eine starre Mimik.

Ich hoffe sehr, dass ich mehr nach meinem Vater komme.

Er sieht noch immer gut aus, ein bisschen wie Cary Grant, und die älteren Damen der Nachbarschaft haben alle ein Auge auf ihn geworfen. Sie stehen Schlange und verwöhnen ihn nach Strich und Faden mit Selbstgebackenem oder –gekochtem. Über Mangel an Kuchen muss er sich nicht sorgen.

Ich auch nicht für die nächste Woche.

Im Haus meiner Kindheit wollte ich ein wenig zur Ruhe kommen. Es war klein, der riesige Garten eine Wohltat für Auge und Seele. Zu jeder Jahreszeit blühte etwas, aber noch viel mehr erfreute ich mich an Kirschen, Erdbeeren, Stachelbeeren und Rhabarber. Vater war clever, er stellte den Nachbarinnen die Früchte und das Gemüse zur Verfügung und hatte somit selbst keine Arbeit.

Die erledigten die Frauen in seiner Nachbarschaft und versorgten ihn mit Gelees, Marmeladen und leckeren Kuchen. Der Blechkuchen mit Stachelbeerbaiser von Helga war göttlich. Direkt danach folgte Sabines Pflaumenkuchen, Gittes Kirschtorte mit Kirschwasser lag auf Platz drei.

Allerdings stimmte es nicht so ganz, dass Vater nicht einkochte. Es gab eine Ausnahme: Holunder.

Auf der Rückseite des Hauses, kurz vor der Grundstücksgrenze, hatten sich zwei Holundersträuche, groß wie Bäume, wild ausgesät. Die Holzbank darunter war sein und mein Lieblingsplatz.

Holunder, so erklärte mir mein Vater als Kind, hilft nicht nur bei Erkältungen, er ist auch der Erdgöttin Frau Holle geweiht. Er kann Negatives von außen fernhalten und vor bösen Geistern und Dämonen schützen.

Ich mochte diese mystischen Geschichten. Vielleicht ist das die Erklärung für das Wohlfühlgefühl im Schatten der Bäume.

Während die Damen der Nachbarschaft sich von allen Früchten und Gemüsesorten in seinem Garten bedienen durften, waren die Holunderbäume tabu. Die erntete er selbst. Der Ertrag war nicht üppig, dafür waren die Bäume zu alt. Aber für zwei, drei Gläser Gelee reichte es und er hatte Spaß, sie selbst zu verarbeiten, immer mit einer besonderen Zutat. Weiß- oder Portwein, einmal sogar Sherry. Ich probierte alle und fand eins besser als das andere. Für den täglichen Bedarf kaufte er die Holunder-Produkte auf dem benachbarten Hof Bockhop. Dort gab es alles aus den dunklen Beeren. Der Familienbetrieb besaß ein ganzes Feld mit Zuchtholunder und verkaufte im Hofladen Saft und Gelee, verfeinert mit anderen Früchten, sogar Senf, den ich so gerne mit einem Stück Ziegenkäse mochte.

Doch Vater war sein eigenes Gelee so heilig, dass er es nur zu besonderen Gelegenheiten mit anderen teilte. Zum Beispiel, wenn ich zu Besuch kam.

Holunder tut Wunder, sagte Papa immer. Und ich war überzeugt, dass er so strahlend gut aussah, weil die Beeren reine Vitamin-C-Bomben waren.

Endlich saßen wir gemeinsam auf der Bank unter den Holunderbüschen und ich hörte mir an, was Vater bewegte.

Wenn ich dachte, mein Leben sei kompliziert, was Beziehungen anging, wurde ich eines Besseren belehrt. Vater hatte stets alle Avancen der Damen um ihn herum ignoriert, wollte es sich jedoch mit keiner verscherzen, aber auch keine Frau in seinem Haus haben.

Dann kam Olga. Und mit ihr wurde alles anders.

Olga war energisch, sah fantastisch aus für ihr Alter, alles ohne Botox oder andere Mittel, die es gab.

»Sie hat stets gute Laune und zieht mich mit. Sie ist wie ein Jungbrunnen«, erklärte er mir. »Ich glaube, ich habe mich verliebt.«

Am nächsten Morgen stand ich mit offenem Mund in der Küche und sah, dass Papa Sneaker trug. Sneaker! Und ein Poloshirt. Er, der stets korrekt gebügelte Hemden zeit seines Lebens getragen hatte.

Der Beweis, dass Olga tatsächlich aus anderem Holz geschnitzt war als Sabine, Gitte und Helga.

Jeden Morgen brachte ihm Olga zum Frühstück selbstgebackene Brötchen oder Croissants. »Kochen und backen kann sie fantastisch«, sagte er. »Ich habe schon drei Kilo zugenommen. Mittags kocht sie Suppe, abends eine Quiche oder Tarte. Ich habe mir schon eine dieser Freizeithosen mit Gummizug gekauft. Olga sagt, dass trägt Mann von Welt heute.«

Ich grinste. Und dachte an Lars. Wie auch er anfangs mich mit Nettigkeiten überhäuft hatte. »Hat sie schon Geld von dir verlangt?«

»Nein, wie kommst du denn da drauf?«

Gebranntes Kind, aber davon wollte ich nicht reden. Wir gingen in den Garten und ich erschrak. »Was ist denn hier passiert?«

Papa verlegen zu sehen ist selten. Er wand sich, begann sogar zu stottern. »Naja, Olgas Kochkünste sind grandios, einen grünen Daumen hat sie nicht. Noch nicht. Aber sie ist bemüht.«

Das war die Übertreibung des Jahrhunderts. Papas Garten war immer top gepflegt. Zu keiner Zeit im Jahr sah es unordentlich aus. Jetzt im Juni sollte es überall blühen und duften. Schmetterlinge, Bienen und Hummel durch die Luft fliegen. Doch es sah eher nach Ödland aus.

»Ich lerne sie an. Wir waren im Umland, haben uns Bauergärten abgeschaut. Ich habe ihr erklärt, worauf es ankommt, um Blumen von Unkraut zu unterscheiden.«

Das Ergebnis sah ich. Als Kind durfte ich nie wieder im Garten Hand anlegen, als ich gutgemeint die Möhren und die Radieschen für Unkraut gehalten und entsorgt hatte.

»Es dauert halt«, sagte er. Es musste schlimm um ihn stehen, wenn er...

Erscheint lt. Verlag 7.6.2022
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror
ISBN-10 3-7562-8753-X / 375628753X
ISBN-13 978-3-7562-8753-6 / 9783756287536
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