Wolken über Gut Eichenwalde -  Nora Berger

Wolken über Gut Eichenwalde (eBook)

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2022 | 1. Auflage
188 Seiten
BC Publications (Verlag)
978-3-941717-64-0 (ISBN)
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Sommer 1926. Nach dem plötzlichen Tod beider Eltern beginnt für Antonia ein neues Leben in Mecklenburg, unweit der Ostsee. Im Gegensatz zu ihrer Heimat Berlin scheint das Gut Eichenwalde zwar über genug Geld, jedoch nur über wenige glückliche Momente zu verfügen. Unter der strengen Hand ihres Großvaters wird Antonia in dessen Familie und das Gestüt eingeführt. Ihr einziger Lichtblick sind die Pferde, zu denen sie sofort eine große Zuneigung fasst. Doch auch der attraktive Maximilian, polobegeisterter Stiefsohn ihres Großvaters, lässt Antonia nicht kalt. Und dann wäre da noch Simon, der Sohn des hiesigen Tierarztes, der ebenfalls ein Auge auf Antonia geworfen hat. Als der Großvater verstirbt, wird die junge Berlinerin mit einem Mal Haupterbin des Guts. Etwas, das ihrer neuen Stiefmutter und Stiefschwester ein Dorn im Auge ist... Liebe, Intrigen und eine malerische Landschaft - Nora Berger gelingt es in diesem historischen Roman das Leben Ende 1920er gefühlvoll einzufangen.

Nora Berger ist nicht nur leidenschaftlich frankophil veranlagt, sondern auch eine Liebhaberin der schönen Künste. Ihre besondere Vorliebe gilt von jeher den französischen Schriftstellern von Racine über Zola, Balzac und Proust bis Sartre. Einige Jahre lebte sie in Paris und studierte an der Sorbonne Literatur und Philosophie. Fasziniert von der Zeit der französischen Revolution nutzte sie die Jahre in Frankreich, um an den Originalschauplätzen zu recherchieren und in französischen Archiven Material zu sichten. Nach Deutschland zurückgekehrt verpackte sie ihre aufwändigen Recherchen im Roman 'Im Schatten der Revolution', der 2005 unter dem Titel 'Amélie und die Sturmzeit von Valfleur' bei BASTEI LÜBBE erschien und 2008 bei Weltbild erneut aufgelegt wurde. In diesem spannend geschriebenen Buch entführt Nora Berger ihre Leser in eine der aufregendsten Epochen Frankreichs, in der Schönheit und Glanz von Gräuel und Schrecken abgelöst werden. Mit viel Feingefühl und fast fotografisch beschreibend schildert sie die Schicksale von drei Frauen, die aus ihrer friedlichen Existenz auf Schloss Valfleur in den Strudel der revolutionären Ereignisse in Paris gezogen werden. Die grosse schiftstellerische Ausdruckskraft von Nora Berger zeigt sich auch im Roman 'Bratkartoffeln und Rote Beete'. Basierend auf Familienaufzeichnungen entstand ein hoch dramatischer Roman über die letzten Tage des Dritten Reichs, der die innere und äußere Situation der Vertriebenen und der Soldaten hautnah und einfühlsam vor Augen führt.

 

2. Kapitel


 

Die Morgendämmerung war noch nicht hereingebrochen, da hörte Antonia vom Hof her schon Stimmen und Pferdegewieher. Auch im Haus regte sich einiges. Der Duft von frisch gebackenem Brot stieg ihr in die Nase. Sie schlug die Decken beiseite, sprang aus dem Bett und öffnete das Fenster. Würzige, kühle Luft wehte ihr entgegen. Es roch nach Wald, Moos und Erde, nach der herben Frische eines Frühsommermorgens. Man hörte das Schnauben und das Getrappel von Hufen, denn die ersten Pferde wurden schon auf dem Sandplatz geritten. Die dumpfe Stimmung, das Gefühl von gestern, auf dem Gut nicht willkommen zu sein, all das war in der Morgenfrühe verweht wie die luftigen Nebelschwaden, die flüchtig über die Landschaft zogen. Jetzt durfte sie keine unnötigen Empfindlichkeiten zeigen – sie wollte um ihren Platz kämpfen, sich nicht verdrängen lassen. Sie wusch sich, bürstete ihr weizenblondes Haar, bis es glänzte, und flocht es im Nacken sorgsam zu einem Zopf. Da klopfte es auch schon an die Tür. »Fräulein«, hörte sie Minnas Stimme. »Es ist Zeit. Kommen Sie hinunter in die Waschküche, der Badezuber steht schon bereit. Beeilen Sie sich, damit das heiße Wasser nicht kalt wird.«

Antonia schlüpfte rasch in ihren Pullover und Faltenrock von gestern und öffnete die Tür. »Ich bin schon gewaschen«, sagt sie in zurückhaltendem Ton.

»Das macht nichts. Ein Bad wird Ihnen bestimmt guttun«, beharrte Minna resolut.

»Muss das wirklich gerade jetzt sein?«, versuchte Antonia auszuweichen.

»Sie haben doch gehört, was der Herr Baron gestern angeordnet hat.« Minna sah an ihr herab. »Haben Sie wirklich nichts anderes anzuziehen? Der Pullover hat ja ein Loch. Da waren wohl die Motten drin.«

»Ach, das kann man doch leicht stopfen!«, sagte Antonia beschämt und deckte das Loch mit der Hand zu. »Ich dachte, man sieht es nicht so. Ich kann ja meine Strickjacke darüber anziehen.«

»Strickjacke? Lassen Sie mal sehen«, Minna trat ins Zimmer und schüttelte missbilligend den Kopf, als sie den Schrank öffnete. »Armes Kind. Das da ist nicht gerade das Passende für die Tochter eines Barons und Gutsbesitzers.« Sie musterte Antonia erneut. »Ihr Faltenrock hat übrigens Flecken – außerdem ist der Stoff schon ganz abgeschabt. Und die Wäsche«, mit einem empörten Ausruf legte sie ein Hemd zurück, »die ist ja so oft geflickt, dass sie von selbst auseinanderfällt! Da werden die Leute reden, wenn Sie so daherkommen. Ich werde sehen, ob ich von den abgelegten Sachen aus der Kleiderkammer der Gnädigen etwas für Sie heraussuchen kann.«

»Nein, nein, das ist wirklich nicht nötig«, wehrte Antonia trotzig ab.

»Keine Widerrede«, bestimmte Minna. »Und jetzt kommen Sie erst mal mit hinunter.« Antonia blieb nichts anderes übrig, als ihr in die von Dampfschwaden erfüllte Waschküche zu folgen, in deren Mitte hinter einem Paravent eine graue Zinkwanne stand. Daneben lag ein Stück Seife und über einem Holzständer hing ein Badetuch. Zögernd zog Antonia sich aus und huschte in die Wanne. Das Wasser war angenehm warm, sie streckte sich wohlig darin aus und schloss die Augen. Wie lange hatte sie schon kein Bad mehr genommen? Minna goss heißes Wasser nach und begann, ihr den Rücken mit dem nach Lavendel duftenden Seifenstück und einer Bürste abzureiben. Als sie nach einer Weile aus der Wanne stieg, spürte sie eine wohlige Gelassenheit und Frische. Sie trocknete sich ab und suchte nach ihren Sachen. Doch diese waren verschwunden. In das große Frotteetuch gehüllt, setzte sie sich auf einen parat stehenden Hocker und wartete ab. Minna war bald zurück, über dem Arm einen Stapel sauberer Wäsche und ein gefüttertes, taubenblaues Baumwollkleid mit dazu gehörigem Unterrock. Sie half ihr, hineinzuschlüpfen und die vielen kleinen Knöpfe des Stehkragens im Nacken und am Rücken zu schließen. Das Kleid hatte lange Ärmel, Rüschen im Vorderteil und am Saum. Es war ihr etwas zu groß, doch ein Gürtel schuf Abhilfe. Ein gleichfarbiges, wollenes Schultertuch war die passende Ergänzung dazu.

»So, jetzt sehen Sie doch gleich ganz anders aus«, sagte Minna zufrieden. »Wirklich passabel!« Sie stemmte die Arme in die Hüften und trat ein wenig zurück. Stolz betrachtete sie Antonia. »Da sieht man es wieder: Kleider machen Leute! Das hat meine Mutter selig auch immer gesagt. Es fehlen nur noch die Schuhe. Die von der Gnädigen werden Ihnen sicher nicht passen«, abschätzend betrachtete sie die schmalen Füße des Mädchens. »Da müssen wir uns leider noch mit Ihren klobigen Tretern begnügen.« Sie schleppte einen großen Standspiegel herbei und Antonia drehte und wendete sich davor. Sie erkannte sich kaum wieder. Was für ein hübsches Kleid! Die weißen Spitzen im Brustbereich und am Kragen wirkten schmeichelnd und frisch, der Rock bauschte sich glockig um ihre schmalen Hüften. Sie strich über den weichen, angerauten Stoff und hielt das schmeichelnde Schultertuch, das nach einem fremden Parfum roch, an ihre Wange.

Minna reichte ihr noch ein letztes Kleidungsstück, eine an den Schenkel leicht gebauschte Reithose. »Die ziehen Sie einfach unter den Rock, wenn Herr Maximilian Ihnen Unterricht gibt.«

»Und das Kleid?«, fragte Antonia ratlos. »Wenn ich es anbehalte, werde ich es schmutzig machen. Kann ich denn nicht nur in Hosen reiten?«

Minna schüttelte den Kopf. »Wo denken Sie hin? Das wird der Herr Baron nicht erlauben. Die Gnädigste reitet immer so – und sogar im Damensattel.«

»Verstehe!« Antonia dachte mit Schaudern an die bevorstehenden Reitstunden. Der einzige Lichtblick war, dass sie mit Maximilian zusammen sein würde! Ein Glücksgefühl durchzog sie, wenn sie nur an ihn dachte, an seine blauen Augen und an die Art, wie er ihr gestern zugelächelt hatte.

Im Speisezimmer war der Tisch zum Frühstück gedeckt und auf der Anrichte stand alles, was das Herz begehrte. Butter und Konfitüre, pochierte Eier, Schinken, knuspriges, frisches Brot und Gebäck. Der Duft von echtem Bohnenkaffee lag in der Luft – aber der war wohl nur für den Großvater reserviert. Von der Familie war weit und breit niemand zu sehen. War sie etwa zu früh dran? Das Dienstmädchen erkundigte sich danach, ob sie Tee, Zichorien-Kaffee oder Kakao wünschte. Antonia hatte eigentlich vorher wenig Hunger verspürt – sie war zu aufgeregt über das, was dieser Tag alles bringen würde. Das Angebot auf dem Büfett war jedoch zu verlockend und nachdem sie eine Tasse Milchkaffee zu sich genommen hatte, bestrich sie eine Brotscheibe dick mit der rahmgelben Butter, mit der man zu Hause immer sparsam umgegangen war. Nach dem zweiten Bissen fuhr sie vom Geräusch einer zuschlagenden Tür zusammen. Maximilian trat atemlos ein und brachte frischen Wind mit sich. In seiner Reitkleidung, den beigen Breeches, einer dunklen Jacke mit Krawatte, tipptopp blank geputzten Stiefeln, die Gerte in der Hand, sah er aus wie aus einem Modejournal entsprungen. Er legte seine Lederhandschuhe auf den Tisch, murmelte ein undeutliches »Morgen« und schüttete hastig eine Tasse Kaffee hinunter. Anscheinend schien er nichts von einem guten Frühstück zu halten. »Bist du schon so weit?«, fragte er Antonia ungeduldig.

»Ja, sicher, ich komme sofort«, erwiderte sie und schluckte hastig ihr Brötchen hinunter. »Haben … Sie schon im Stall auf mich gewartet?«

Maximilian musste lachen. »Gewartet? Was denkst du denn? Ich habe schon zwei von den jungen Pferden zugeritten – die anderen kommen auch noch dran. Beeil dich, ich hab nicht viel Zeit. Eine der Stuten ist schon für dich gesattelt.«

»Ja, ja, ich beeile mich.« Antonias Kehle war wie zugeschnürt und sie musste sich mehrfach räuspern. In diesem Moment erschienen Theresa und Margarete. Die Dame des Hauses war noch nicht frisiert und hatte ihre roten, von einem Seidenband gehaltenen Haare im Nacken nachlässig mit einer Schleife zusammengebunden. Sie trug ein langes Hauskleid aus lilafarbenem Samt mit bestickten Einsätzen und darüber eine Pelzpelerine. Margarete, etwas unbeholfen neben ihr herhumpelnd, trug ein weißes Kleid mit Spitzen an Hals- und Handgelenken. »Sieh einer an«, ließ Margarete sehr von oben herab hören, als sie Antonia erblickte, die sich mit einem flüchtigen »Guten Morgen« schnell an den beiden vorbeidrücken wollte. »Meine neue Schwester ist auch schon auf! Na ja, vom Heim her bist du das frühe Aufstehen sicher gewohnt.« Sie kicherte leise. Antonia schoss das Blut ins Gesicht, sie blieb stehen und wusste nicht, was sie darauf sagen sollte.

Theresa gähnte diskret hinter vorgehaltener Hand und warf Antonia grußlos einen flüchtigen Blick zu. Dann beschäftigte sich mit der Auswahl auf der Anrichte und nahm einen Teller zur Hand und legte ein Brötchen darauf. Unvermittelt wandte sie sich jedoch um. »Was stehst du da so dumm herum, Antonia? Du könntest auf dem Hof helfen, da gibt es genug Arbeit. Geh in den Stall und frag, was du tun kannst. Die Pferde müssen auf die Weide, Schweine und Gänse gefüttert werden – da findet sich sicher was für dich. Wir haben schließlich nicht genug Knechte und Mägde – der Krieg hat sie uns genommen.«

»Ich … Maximilian wartet auf mich«, erwiderte Antonia mit stockender Stimme. »Er will mir Reitunterricht geben. Aber sonst helfe ich sehr gerne bei der Arbeit«, setzte sie rasch hinzu, um ihren guten Willen zu zeigen.

»Reitunterricht? Den sollen die Gäste nehmen und dafür...

Erscheint lt. Verlag 31.5.2022
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Historische Romane
ISBN-10 3-941717-64-2 / 3941717642
ISBN-13 978-3-941717-64-0 / 9783941717640
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