Gegen alle Regeln (eBook)
576 Seiten
Goldmann (Verlag)
978-3-641-30062-3 (ISBN)
Sein Klient ist unschuldig. Seine Frau nicht. Für wen soll er kämpfen?
Als David Child wegen Mordes verhaftet wird, wendet sich das FBI an Strafverteidiger Eddie Flynn: Er soll Child vertreten und dazu bringen, als Zeuge gegen eine skrupellose Anwaltskanzlei auszusagen, die im Verdacht steht, an einem globalen Betrug beteiligt zu sein. Eddie bleibt keine Wahl, denn das FBI erpresst ihn mit belastenden Unterlagen über seine Ehefrau Christine, die ihre Unterschrift ahnungslos unter ein brisantes Dokument gesetzt hatte. Als er Child zum ersten Mal trifft, weiß er, dass der Mann unschuldig ist, auch wenn die Beweise gegen ihn überwältigend scheinen. Er muss einen Weg finden, Childs Unschuld zu beweisen und gleichzeitig seine Frau zu schützen - nicht nur vor dem FBI, sondern auch vor der Firma.
Steve Cavanagh wuchs in Belfast auf und studierte in Dublin Jura. Er arbeitete in diversen Jobs, bevor er eine Stelle bei einer großen Anwaltskanzlei in Belfast ergatterte und als Bürgerrechtsanwalt bekannt wurde. Mittlerweile konzentriert er sich auf seine Arbeit als Autor. Seine Thrillerserie um Eddie Flynn machte ihn zu einem der erfolgreichsten Spannungsautoren in Großbritannien und den USA.
KAPITEL VIER
»Was zum Teufel soll das alles?«, fragte ich.
»Nur die Ruhe. Sie haben gerade zwei FBI-Agenten tätlich angegriffen. Herrgott noch mal, Eddie, das sind meine Leute.«
Der Agent, der die Taschenlampe gehalten hatte, rappelte sich langsam auf, sein Zeigefinger stand in einem unnatürlichen Winkel ab. Er fletschte die Zähne und renkte den Finger wieder ein. Er war nicht gebrochen, sondern nur ausgerenkt. Sein Kumpel sah sehr viel schlechter aus, war blass und verschwitzt. Beide Agenten schleppten sich zur Couch auf der anderen Seite des Raums.
»Die sind bald wieder okay«, sagte ich. »Sie werden sich vielleicht eine Woche lang den Arsch mit der falschen Hand abwischen müssen, aber sie werden es überleben. Dasselbe kann ich Ihnen nicht garantieren, wenn Sie mir nicht sofort erklären, wie Sie dazu kommen, in mein Büro einzubrechen. Ach ja, und übrigens ist es kein tätlicher Angriff, wenn man Leib und Leben oder sein Eigentum verteidigt. Ich dachte, das hätten sie euch in Quantico vielleicht beigebracht. Haben Sie einen Durchsuchungsbeschluss?« Ich streifte die Schlagringe ab und ließ sie auf einen Stapel Papiere auf meinem Schreibtisch fallen.
Kennedy stellte die Füße auf den Boden, hob einen Schlagring auf, streifte ihn sich über und wog sein tödliches Gewicht. Dann zog er ihn wieder von den Fingern und ließ ihn auf die Unterlagen auf dem Schreibtisch fallen. »Messingschlagringe, Eddie?«
»Briefbeschwerer«, sagte ich. »Wo ist Ihr Durchsuchungsbeschluss?«
Ehe er antwortete, kratzte er sich am Handrücken. Das verriet mir alles, was ich wissen musste. Kennedy machte sich immer viel Sorgen und reagierte seine Nervosität an seinem Körper ab. Die Haut um seine Daumennägel sah rot und geschwollen aus, weil er sie mit Zähnen bearbeitet hatte. Er war nicht rasiert und machte den Eindruck, als könnte er eine Dusche, einen Haarschnitt und eine Mütze Schlaf vertragen. Sein normalerweise strahlend weißes Hemd hatte dieselbe blasse Farbe wie die Tränensäcke unter seinen Augen angenommen, und die Haut auf seinem vierzigjährigen Gesicht wirkte schlaff. Aus den zwei Zentimetern Spielraum, den sein Kragen hatte, folgerte ich, dass er stark abgenommen hatte. Als ich Kennedy kennenlernte, vertrat ich gerade Olek Volchek, den Kopf der russischen Mafia. Das Verfahren ging gewaltig in die Hose. Volchek hatte meine zehnjährige Tochter Amy als Geisel genommen und damit gedroht, sie zu töten. In den gut fünf Monaten, die seit dem Prozess vergangen waren, hatte ich mich bemüht, diese verzweifelten Stunden zu vergessen. Aber ich konnte es nicht. Ich erinnerte mich an alles – an meine Seelenqualen bei der Vorstellung, jemand könnte meiner Tochter etwas antun, ihr das junge Leben nehmen, und es wäre alles meine Schuld. Bei dem bloßen Gedanken bekam ich klamme Hände.
Kennedy wäre fast gestorben, aber es war mir gelungen, dass er ärztlich versorgt wurde, ehe es zu spät war. Seine Wunden waren gut verheilt, und er hatte mir sogar geholfen, die ganze Geschichte zu bereinigen, nachdem sich der Staub gelegt hatte. Vieles von dem, was ich im Lauf dieser zwei Tage getan hatte, war in hohem Maß illegal gewesen. Kennedy hatte dafür gesorgt, dass alles unter den Teppich gekehrt wurde. Aber in Wahrheit wusste er nicht einmal die Hälfte von dem, was ich gemacht hatte, und ich hoffte, er würde es nie erfahren. Nachdem er sich von der Schießerei erholt hatte, hatte er meine Familie und mich zu einer Silvesterparty bei sich zu Hause eingeladen. Meine Frau Christine hatte nicht mitkommen wollen. Eine Weile war es ihr nicht gut gegangen. Ich war vor eineinhalb Jahren verdientermaßen aus der Wohnung geflogen, weil ich mehr Zeit am Night Court, in Kneipen und Ausnüchterungszellen verbracht hatte als zu Hause. Dann hatte ich mit dem Trinken aufgehört, und zwischen Christine und mir hatte sich alles beruhigt – bis zum Fall Volchek.
Christine glaubte, ich hätte unsere Tochter in Gefahr gebracht – sie dachte, Amy sei meinetwegen entführt worden. Damit hatte sie recht. In den letzten Wochen hatte ihr Zorn langsam nachgelassen. Ich hatte Amy häufiger sehen können, und als ich sie letzten Mittwoch daheim absetzte, hatte mich Christine hereingebeten. Wir tranken eine Flasche Wein und lachten sogar ein wenig. Natürlich verdarb ich alles, als ich versuchte, sie zum Abschied an der Tür zu küssen. Sie hatte sich zur Seite gedreht und mir eine Hand auf die Brust gelegt. Es war noch zu früh. Aber ich dachte auf der Rückfahrt zu meinem Büro, dass es eines Tages in Ordnung sein würde. Eines Tages würde ich meine beiden Mädchen vielleicht zurückbekommen. Ich dachte jede Stunde an sie.
Ich war allein zu Kennedys Party gegangen, hatte Limonade getrunken und Pökelfleisch gegessen und war früh gegangen. Strafverteidiger verkehren normalerweise nicht mit Strafverfolgern und Betrüger erst recht nicht. Aber ich mochte Kennedy tatsächlich irgendwie. Trotz seiner ständigen Besorgtheit und Sturheit war er ein aufrechter, gewissenhafter Agent mit einer guten Aufklärungsquote, und er hatte das alles für mich aufs Spiel gesetzt. Ich sah diese als Strenge getarnte Integrität in seinem Blick, als er an meinem Schreibtisch saß und über meine Frage nachdachte. Am Ende beschloss ich, sie selbst zu beantworten.
»Sie haben keinen Durchsuchungsbeschluss, richtig?«
»Fürs Erste kann ich nur sagen, dass diese kleine Party hier zu Ihrem Vorteil ist.«
Als ich den Blick durch mein Büro schweifen ließ, entdeckte ich vier schwer aussehende Metallkoffer in einer Ecke und daneben etwas, das wie die Ausrüstung eines Tonstudios aussah.
»Habe ich Sie bei einer Bandprobe unterbrochen?«, fragte ich.
»Wir haben Ihnen einen Gefallen getan und Ihr Büro auf Abhörgeräte untersucht.«
»Abhörgeräte? Tun Sie mir in Zukunft bitte keinen Gefallen mehr, ohne vorher zu fragen. Nur interessehalber – haben Sie etwas gefunden?«
»Nein. Sie sind sauber«, sagte er, stand auf und streckte sich. »Tragen Sie immer Briefbeschwerer mit sich herum?«
»Büromaterial erweist sich ab und an als ganz nützlich. Warum haben Sie nicht angerufen und gesagt, dass Sie kommen?«
»Dafür war keine Zeit, tut mir leid.«
»Was soll das heißen, es war keine Zeit? Ich habe gehört, wie Ihr Kumpel da drüben das Wort ›Zielperson‹ benutzt hat, deshalb würde ich gern wissen, was Sie in Wirklichkeit hier tun.«
Ehe Kennedy antworten konnte, hörte ich Schritte. Die Tür zu meinem Hinterzimmer ging auf, und ein kleiner Mann, der in den Fünfzigern zu sein schien, betrat den Raum. Er hatte einen grauen Bart und eine Brille mit schwarzer Fassung, und er trug einen langen schwarzen Mantel, der ihm bis zu den Fußknöcheln reichte. Blaues Hemd, dunkle Hose, ergrauendes, gewelltes Haar, das über einem schmalen, gebräunten Gesicht nach hinten gekämmt war.
»Schutz«, sagte der kleine Mann als Antwort auf die Frage, die ich an Kennedy gerichtet hatte.
Er stand mit den Händen in den Taschen da, selbstbewusst, eindeutig der Mann, der hier das Sagen hatte. Dann schlenderte er lässig an Kennedy vorbei und ließ sich mit dem Hintern auf meinem Schreibtisch nieder, ehe er mich anlächelte.
»Mr Flynn, mein Name ist Lester Dell. Ich bin nicht vom FBI. Ich gehöre zu einer anderen Bundesbehörde. Das FBI ist im Rahmen einer gemeinsamen Task Force hier, die ich leite. Wir haben einen Job für Sie«, sagte er und nickte.
»Na toll. Und wozu gehören Sie nun ? DEA, ATF?«
»Ach, ich arbeite für die Organisation, die offiziell keine Operationen auf amerikanischem Boden durchführt. Deshalb stellen FBI und Finanzministerium das gesamte Personal. Was das Außenministerium angeht, bin ich als Berater hier«, sagte er, und als er lächelte, legte sich die Haut oberhalb seines Barts in tiefe Falten, die Richtung Augen immer schmaler wurden. Es waren Falten, die nicht ganz zu einem Gesicht zu passen schienen, als wäre Lächeln etwas, was er nur selten tat. Er hatte einen Akzent, der ein wenig merkwürdig wirkte, weil seine Aussprache letztlich präzise und klar war.
Er brauchte mir nicht zu sagen, wohin ich ihn einzuordnen hatte – das Lächeln verriet alles. Er sagte es trotzdem: »Inoffiziell, Mr Flynn, ist das meine Operation. Und ich sehe Ihnen an, dass Sie bereits erraten haben, für wen ich tätig bin. Sie liegen richtig – ich arbeite für die CIA.«
Ich nickte. Warf Kennedy einen Blick zu. Er beobachtete mich aufmerksam, um meine Reaktion abzuschätzen.
»Wir haben wenig Zeit, deshalb werden Sie es mir verzeihen, wenn ich mich kurzfasse und gleich zur Sache komme. Wir sind hier, um Vorsichtsmaßnahmen zu treffen, um sicherzustellen, dass niemand außer uns diese Unterhaltung verfolgen kann. Ich habe Ihnen einen Vorschlag zu machen. Tatsächlich habe ich einen Fall für Sie.«
»Ich arbeite nicht für die Regierung. Und das gilt doppelt für Regierungsstellen, die in mein Büro einbrechen.«
»Ach ja? Ich dachte, Sie würden ein wenig bezahlte Beschäftigung begrüßen. Ich sehe, Sie haben dahinten eine Schlafcouch, Kleidung, einen Fernseher, eine Zahnbürste auf der Toilette und einen Stapel Taschenbücher. Aber ich muss daraus keine Schlüsse ziehen, denn ich weiß bereits alles über Sie. Jede Kleinigkeit. Sie sind pleite. Sie wohnen in Ihrem Büro. Tatsächlich haben Sie zwölfhundert Dollar auf Ihrem Girokonto, Ihr Geschäftskonto ist mit dreißigtausend in den Miesen, und es kommen kaum Aufträge herein.«
Ich sah Kennedy anklagend an. Er verschränkte die Arme und sah zu Dell, um mir zu verstehen zu...
Erscheint lt. Verlag | 30.11.2022 |
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Reihe/Serie | Eddie Flynn |
Eddie-Flynn-Reihe | Eddie-Flynn-Reihe |
Übersetzer | Fred Kinzel |
Sprache | deutsch |
Original-Titel | The Plea |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror |
Schlagworte | 2022 • Anwalt • eBooks • Eddie Flynn • Erpressung • Gericht • John Grisham • Justizthriller • Neuerscheinung • New York • Politthriller • Prozess • Strafverteidiger • thirteen • Thriller |
ISBN-10 | 3-641-30062-2 / 3641300622 |
ISBN-13 | 978-3-641-30062-3 / 9783641300623 |
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