London Rules (eBook)

Ein Fall für Jackson Lamb

(Autor)

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2022 | 2. Auflage
496 Seiten
Diogenes (Verlag)
978-3-257-61316-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

London Rules -  Mick Herron
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Eine Söldnertruppe radiert ein Dorf in Derbyshire aus. Kurz darauf wird ein Pinguingehege im Londoner Zoo in die Luft gesprengt - beim Inlandsgeheimdienst MI5 herrscht Alarmstufe Rot. In Slough House dagegen gähnende Langeweile, bis Roderick Ho, Ober-Nerd der abservierten Agententruppe, nur knapp einem stümperhaft ausgeführten Attentat entgeht. Seine Kollegen eilen ihm (widerwillig) zu Hilfe und machen aus einer schwierigen Situation - das Schlimmste.

Mick Herron, geboren 1963 in Newcastle-upon-Tyne, studierte Englische Literatur in Oxford, wo er auch lebt. Seine in London spielende ?Slow Horses?-Serie wurde vielfach ausgezeichnet, u.a. mit dem CWA Gold Dagger for Best Crime Novel, dem Steel Dagger for Best Thriller und dem Ellery Queen Readers Award, und mit Starbesetzung von Apple TV+ verfilmt.


In manchen Gegenden der Welt kommt die Morgendämmerung mit rosigen Fingern, um die Falten zu glätten, die die Nacht hinterlassen hat. In der Aldersgate Street jedoch, im Londoner Stadtteil Finsbury, kommt sie mit Panzerknackerhandschuhen, um keine Abdrücke auf Fensterbänken und Türklinken zu hinterlassen; sie linst durch Schlüssellöcher, testet Schlösser aus und checkt ganz allgemein die Lage vor Tagesanbruch. Die Morgendämmerung ist auf ungefegte Ecken und staubige Oberflächen spezialisiert, auf die Winkel und Kammern, die der Tag nur selten zu Gesicht bekommt, denn dieser ist vollauf mit Geschäftsterminen und Organisatorischem beschäftigt, während die Rolle seiner jüngeren Schwester darin besteht, im anbrechenden Zwielicht umherzuschleichen, nie sicher, was sie dort findet. Es ist eine Sache, Licht auf etwas zu werfen. Man kann nur nicht unbedingt erwarten, dass es auch glänzt.

Als die Morgendämmerung Slough House erreicht – ein schäbiges Gebäude, dessen Erdgeschoss ein schmieriges chinesisches Restaurant auf der einen und einen darbenden Zeitungskiosk auf der anderen Seite beherbergt und dessen Eingangstür, von Zeit und Witterung verdreckt, nie geöffnet wird –, schleicht sie auf Einbrecherpfaden hinein, über die gegenüberliegenden Dächer, und ihr erster Anlaufpunkt ist das Büro von Jackson Lamb, das im obersten Stockwerk liegt. Hier findet sie ihre einzige tätige Konkurrentin vor, eine Schreibtischlampe auf einem Stapel von Telefonbüchern, die schon so lange ihren Zweck als Stütze erfüllen, dass ihre verblichenen Umschläge eine unfreiwillige Verbindung eingegangen und die Bände miteinander verklebt sind. Der Raum ist beengt und unheimlich, wie ein Zwinger, doch am meisten fällt sein Zustand der Verwahrlosung ins Auge. Es heißt, Psychopathen verzierten ihre Wände gern mit verrückten Schriftzügen, Schleifen und Wirbeln unendlicher Gleichungen, in dem Versuch, den Code zu knacken, dem ihr Leben unterworfen ist. Lamb lässt lieber die Wände für sich sprechen, und sie haben insofern kooperiert, dass die Risse in ihrem Verputz und ihre Schimmelflecken hier und da etwas hervorgebracht haben, das fast einer echten Schrift gleichkommt – eine hingekritzelte Bemerkung vielleicht –, aber allzu schnell verschwimmt und verblasst jeglicher Sinn, den diese Zeichen enthalten könnten, als hätte sie eine Hand wie von selbst geschrieben und dann entgegen der Weisheit der Jahrhunderte beschlossen, sie wieder wegzuradieren.

Lambs Zimmer lädt nicht zum Verweilen ein, und die Morgendämmerung hält sich ohnehin nirgendwo lange auf. Im Büro gegenüber findet sie weniger Verstörendes. Hier herrscht Ordnung, und es liegt eine ruhige Effizienz in der Art und Weise, wie die Ordner gestapelt sind – ihre Kanten in einer Linie mit dem Schreibtisch, und von gleich langen, zu Schleifen gebundenen Bändern gehalten –, im geleerten Papierkorb und den staubfreien Oberflächen der gepflegten Regale. Das Zimmer strahlt eine Ruhe aus, die nicht zu Slough House passt, und wenn man zwischen diesen beiden Räumen, der Höhle des Chefs und dem Schlupfwinkel Catherine Standishs, hin und her pendeln würde, könnte sich ein Gleichgewicht einstellen, das dem Haus Frieden bringen könnte, auch wenn dieser vermutlich nur von kurzer Dauer wäre.

Ebenso wie die Anwesenheit der Morgendämmerung in Catherines Zimmer, denn die Zeit fliegt. Eine Etage tiefer befindet sich eine Küche. Die Lieblingsmahlzeit der Morgendämmerung ist das Frühstück, das manchmal nur aus Gin besteht, aber so oder so würde sie hier wenig Nahrung finden, da die Schränke selbst eine Kirchenmaus enttäuschen würden. Es gibt weder Keksdosen noch Konservengläser, weder Notfallschokolade noch Obstschalen oder Knäckebrotpackungen, die die Oberfläche der Anrichte verschandeln; lediglich vereinzelte Teile Plastikbesteck, einige angeschlagene Tassen und einen erstaunlich neuen Wasserkocher. Ein Kühlschrank ist zwar vorhanden, aber er enthält nichts außer zwei Dosen Energydrink, beide mit der Aufschrift »Roddy Ho«, und dahinter in unterschiedlicher Schrift die Ergänzung »ist ein Idiot«, sowie einen Becher Hummus, der entweder mit Minzgeschmack oder aus einem anderen Grund grün ist. Rings um das Gerät hängt ein Geruch, der entfernt an Verwesung erinnert. Glücklicherweise besitzt die Morgendämmerung keinen Geruchssinn.

Nachdem sie kurz die beiden Büros auf dieser Etage durchstreift hat – unscheinbare Räume, deren Farbgebung nur noch in alten Musterbüchern mit gelbgrau verblassten Seiten existiert – und die dunkle Stelle unter dem Heizkörper umgangen hat, wo scheinbar ein Leck eine Art Rostfleck hinterlassen hat, findet sie sich auf der alten, klapprigen Treppe wieder, die nur von der Morgendämmerung geräuschlos benutzt werden kann – und auch, nicht zu vergessen, von Jackson Lamb, der, sofern ihm danach ist, so leise wie ein frisch heraufbeschworenes Gespenst durch Slough House zu wandern vermag, wenn auch etwas korpulenter. Zu anderen Zeiten zieht Lamb die direkte Annäherung vor und nimmt die Treppe in Angriff wie ein Bär, der eine Schubkarre schiebt, falls die Schubkarre voller Blechdosen und der Bär betrunken wäre.

Mehr wachsames Gespenst als betrunkener Bär, erreicht die Morgendämmerung die letzten beiden Büros und findet wenig, was sie von denen im Stockwerk darüber unterscheidet, abgesehen vielleicht von der leicht strukturierten Beschaffenheit des Anstrichs hinter einem Schreibtisch, als hätte man dort frische Farbe aufgetragen, ohne vorher die Wand richtig zu reinigen, und als wäre irgendeine klumpige Substanz auf dem Putz zurückgeblieben: Am besten, man hinterfragt nicht lange, was das sein könnte. Ansonsten strahlt dieses Büro die gleiche Atmosphäre von frustriertem Ehrgeiz aus wie die übrigen, und für etwas so sensibles wie die leichtfüßige Morgendämmerung enthält es zudem eine Erinnerung an Gewalt und womöglich das Versprechen von weiterer Aggression, die noch folgen würde. Doch die Morgendämmerung weiß, dass Versprechen leicht gebrochen werden, und die Aussicht hält sie keinen Moment lang auf. Sie wandert weiter, die letzte Treppe hinunter und irgendwie durch die Hintertür, ohne sie anstoßen zu müssen, obwohl sie sich bekanntlich normalem Gebrauch widersetzt. In dem feuchten kleinen Hof hinter Slough House hält die Morgendämmerung inne, wohl wissend, dass ihre Zeit fast abgelaufen ist, und genießt diese letzten kühlen Momente. Früher hätte sie vielleicht ein Pferd gehört, das die Straße hinaufschritt; in jüngerer Zeit hätte das fröhliche Brummen eines Milchwagens ihr die letzte Minute vertrieben. Doch heute ertönt nur das Heulen eines Krankenwagens, der spät dran ist, und als das Echo seines durchdringenden Wehklagens zwischen Mauern und Gebäuden verhallt, ist die Morgendämmerung verschwunden und dem Tag gewichen, der, kaum in den Sog von Slough House geraten, keineswegs mehr jene Verkörperung von Fleiß und Geschäftigkeit darstellt, die er zu sein drohte. Stattdessen ist er – wie der Tag vor ihm und der Tag davor – nur ein weiteres träges Zwischenspiel, dessen Sekunden bis zu seinem Verschwinden gezählt werden, aber da er genau weiß, dass keiner der Bewohner etwas tun kann, um sein Ende herbeizuführen, lässt er sich Zeit damit, seine Zelte aufzuschlagen. Lässig, selbstgefällig, unbehelligt von Zweifeln oder Pflichten, verteilt er sich auf die Büros von Slough House und lässt sich dann, wie eine faule Katze, in den wärmsten Ecken zum Dösen nieder, während um ihn herum nicht viel passiert.

 

Roddy Ho, Roddy Ho, reitet durch die Lande.

(Ein echter Ohrwurm!)

Voller Stolz und Wagemut folgt ihm seine Bande.

Manche halten Roderick Ho für einen Fachidioten, einen lupenreinen Computernerd, dafür aber weniger bewandert in anderen Bereichen des Lebens, etwa wenn es darum geht, Freunde zu finden, vernünftig zu sein und T-Shirts zu bügeln. Aber wer so denkt, hat ihn noch nicht in Aktion gesehen. Hat ihn noch nicht auf Streifzug erlebt.

Mittagszeit in der Nähe der Aldersgate Street. Rechts die hässlichen Betontürme des Barbican Centres, links eine kaum ansehnlichere Wohnsiedlung. Aber es ist ein tödliches Pflaster, dieser wenig beachtete Teil Londons, ein Schlachtfeld, auf dem einem ein falscher Schritt zum Verhängnis werden kann. Man hat nur eine Chance, einen Skalp zu erbeuten, und Roddy Hos Beute könnte überall sein.

Er wusste verdammt genau, dass er nahe dran war.

Also bewegte er sich panthergleich zwischen geparkten Autos hindurch und hielt neben einem Plakat inne, das irgendeine städtische Attraktion verkündete. In sein Ohr, auf das die Beats aus seinem iPod einhämmerten wie auf einen Zaunpfahl, kreischte ein überdrehter Mittvierziger zärtlich von seinem Plan, seine Freundin zu töten und zu essen. An Roddys Kinn war der Bart, den er sich im letzten Winter hatte wachsen lassen, inzwischen etwas fachmännischer gestutzt, weil er auf die harte Tour gelernt hatte, dass Küchenscheren dazu nicht taugen. Auf dem Kopf trug Roddy neuerdings eine Basecap. Image ist wichtig, das wusste Roddy. Die Marke zählt. Wenn du willst, dass die Öffentlichkeit deinen Avatar erkennt, muss dein Avatar ein Statement setzen. Seiner persönlichen Meinung nach hatte er diesen Aspekt perfekt getroffen. Ein gepflegter kleiner Ziegenbart und eine Baseballkappe: Originalität und Stil. Roderick Ho verkörperte das Gesamtpaket, so wie Brad Pitt früher, vor dem...

Erscheint lt. Verlag 24.8.2022
Reihe/Serie Slow Horses
Slow Horses
Übersetzer Stefanie Schäfer
Verlagsort Zürich
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Schlagworte Agententhriller • Apple TV • Attentat • Gary Oldman • Geheimdienst • Humor • Jack Lowden • jackson lamb • jonathan pryce • Kirstin Scott Thomas • Krimiserie • London • MI5 • Nordkorea • Olivia Cooke • Slow Horses • Spionagethriller • TV-Serie
ISBN-10 3-257-61316-4 / 3257613164
ISBN-13 978-3-257-61316-2 / 9783257613162
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