Fallada zum Vergnügen (eBook)
167 Seiten
Reclam Verlag
978-3-15-962011-4 (ISBN)
Karl-Heinz Göttert , geb. 1943, ist emeritierter Professor für Ältere Deutsche Sprache und Literatur an der Universität Köln. Er ist Autor zahlreicher erfolgreicher Sachbücher, 'Mythos Redemacht' stand 2015 auf der Shortlist für den Preis der Leipziger Buchmesse. Bei Reclam erschienen zuletzt 'Weihnachten. Biographie eines Festes' (2020) und 'Der Rhein. Eine literarische Reise' (2021). Günter Wallraff , geb. 1942, ist Deutschlands berühmtester Enthüllungsjournalist und Autor zahlreicher Sachbuch-Bestseller. Seine Reportagen über Großunternehmen, prekäre Arbeitsverhältnisse und strukturellen Rassismus sorgen in Deutschland seit den 1960er Jahren immer wieder für großes Aufsehen.
Karl-Heinz Göttert , geb. 1943, ist emeritierter Professor für Ältere Deutsche Sprache und Literatur an der Universität Köln. Er ist Autor zahlreicher erfolgreicher Sachbücher, "Mythos Redemacht" stand 2015 auf der Shortlist für den Preis der Leipziger Buchmesse. Bei Reclam erschienen zuletzt "Weihnachten. Biographie eines Festes" (2020) und "Der Rhein. Eine literarische Reise" (2021). Günter Wallraff , geb. 1942, ist Deutschlands berühmtester Enthüllungsjournalist und Autor zahlreicher Sachbuch-Bestseller. Seine Reportagen über Großunternehmen, prekäre Arbeitsverhältnisse und strukturellen Rassismus sorgen in Deutschland seit den 1960er Jahren immer wieder für großes Aufsehen.
Vorwort
I Bewerbungen zwecklos – dank Lügen erfolgreich
II Das schwierige Leben in der Welt – und das bessere im Kittchen
III Milliarden auf den Geldscheinen – und nichts zu bekommen
IV Wettrennen mit Pferden – nie zu gewinnen
V Die Quangels machen sich frei – für den Untergang
VI Verliebt, verheiratet – und fast kein Zimmer
VII Ein Weihnachtsbaum für die Tiere – nicht nur von Kindern
VIII Glückliche Jugendzeit – direkt neben den Falladas
IV Versuche mit der Imkerei – nicht sehr erfolgreich
X Was Nationalsozialisten fürchten – und wie sie Erfolg suchen
XI Von Anfängen in der Schriftstellerei – und endlichem Können
XII Über die Liebe – und das Schreiben darüber
Zeittafel
Textnachweise
Verzeichnis der Abbildungen
Vorwort
Hans Fallada wurde 1893 als Rudolf Ditzen in Greifswald geboren.1 Man kann von großbürgerlichen Verhältnissen sprechen. Vater Wilhelm, selbst aus einer Juristenfamilie stammend, war Landgerichtsrat, schlug eine Professur für Strafrecht aus, wurde Kammergerichtsrat in Berlin, dann Reichsgerichtsrat in Leipzig. Der kleine Rudolf besuchte auf diesen Stationen beste Schulen, erlebte Demütigungen, musste wechseln, durchlief eine schwierige Pubertät, war kränklich, machte kein Abitur. Am Tiefpunkt verabredete er mit einem Freund einen Doppelselbstmord, ausgeführt als Duell. Den nur leicht Getroffenen erschoss er auf dessen Wunsch, richtete dann die Pistole auf die eigene Brust – und überlebte. Die Anklage wegen Totschlags endete mit einer Strafunmündigkeitserklärung und anschließender Einweisung in die Psychiatrie. Es sollte nicht die einzige bleiben. Falladas Leben entwickelte sich als eine Folge von Abstürzen. Alkohol, Nikotin (150 Zigaretten am Tag), Morphium, Kokain – anschließend die Berliner Charité oder die Privatklinik eines ehemaligen Schulkameraden.
Die Abstürze kamen nicht von ungefähr. Sie standen stets im Zusammenhang mit enormen Arbeitsleistungen, mit dem Leben als Schriftsteller. Als mit finanzieller Unterstützung der Familie der erste, noch rein expressionistische Roman entsteht, verlangt der Vater eine Veröffentlichung unter Pseudonym – wegen der freizügigen Darstellung von Erotik und Drogenkonsum. Da greift Rudolf auf sein Faible für Märchen zurück, entnimmt den neuen Vornamen »Hans im Glück«, den Nachnamen unter Hinzufügung eines zweiten l der »Gänsemagd« bzw. dem sprechenden Pferdekopf Falada, der die falsche Prinzessin entlarvt – »Hans Fallada« war geboren. Ein Entlarver im Glück oder einer, der nur glücklich sein kann, wenn er zeigt, wie das Leben wirklich ist?
Der junge Goedeschal, wie der Debütroman heißt, entsteht noch langsam, während des Ersten Weltkriegs, unterbrochen von gescheiterter Liebe, Depressionen, die wieder einmal zu einem Selbstmordversuch führen, ehe die Arbeit in der Landwirtschaft etwas Ruhe bringt. Verleger ist Ernst Rowohlt, der spätere Freund und Förderer. Die Auslieferung beginnt 1920, in mehr als schwierigen Zeiten, der Verkauf läuft mäßig. Auch ein zweiter Roman, Anton und Gerda (1923), wird kein wirklicher Erfolg. Über Wasser hält sich Fallada jetzt als Rendant auf einem Gut in Schlesien. Aber der Drogenabhängige braucht viel mehr Geld, als er verdient, unterschlägt hohe Summen, wird verurteilt, geht 1924 nach Greifswald ins Gefängnis, erhält danach wieder eine Stelle, nimmt abermals Geld aus der Kasse, muss dafür für fast zwei Jahre ins Gefängnis Neumünster. Fallada bekommt dort keine Schreiberlaubnis, prägt sich aber die Umstände seines Lebens im Arbeitsdienst genauestens ein, um es in Wer einmal aus dem Blechnapf frißt literarisch zu verarbeiten. Auch sonst besteht die Stärke seiner Erzählkunst in der Wiedergabe von Selbsterlebtem, so zum Beispiel seiner Kokainabhängigkeit in der Novelle Die Kuh, der Schuh, dann du.
Dann die Wende. In Hamburg, wo Fallada in einem Hilfsverein für entlassene Gefangene aufgenommen wird, tritt er dem Guttemplerorden bei, einer international engagierten Organisation, die Suchtkranken Hilfe bietet. Dort hält er Vorträge, lernt vor allem die Frau fürs Leben kennen, Anna Issel, seine »Suse«. Die Lageristin in einer Großhandlung für Putzmacherbedarf übernimmt die Führung in diesem ungleichen Duett, auch in schwierigsten Zeiten mit ständig neuen Klinikaufenthalten. Suse und »ihr Junge« schreiben sich fast täglich Liebesbriefe – einer der eindringlichsten Briefwechsel in der deutschen Literatur.
Vorläufig aber geht es nach oben, nicht gleich steil, dafür alsbald vielleicht zu steil. Nach der Hochzeit 1929 wird Fallada Abonnenten- und Annoncenwerber beim General-Anzeiger in Neumünster, betätigt sich als Lokalreporter. Zufällig begegnet er in Sylt erneut Ernst Rowohlt, der ihn zum Leiter der Rezensionsabteilung im Berliner Verlag macht, wohlweislich eine Halbtagsstelle, die zum Schreiben Zeit lässt. Falls es ein Kalkül war, geht es auf. 1931 erscheint Bauern, Bonzen und Bomben, ein Roman über den Protest der Landvolkbewegung mit brutaler Unterdrückung durch Politik und Polizei. Fallada selbst spricht in einem Beitrag über sein Idol Ernest Hemingway von »Details über Details«, vom »Weglassen aller Gefühle«, ja vom Fehlen eines Autors – die Wissenschaft wird dafür die Schublade »Neue Sachlichkeit« erfinden. Kurt Tucholsky, ebenfalls Rowohlt-Autor, nennt das Werk in seiner Rezension den »besten deutschen Kleinstadtroman«. Robert Musil lobt die Dialoge, Siegfried Kracauer die Tatsache, dass es »keine offenkundige Tendenz« gebe.
Ein großer Erfolg im Feuilleton, aber nicht beim Publikum. Noch dazu wird der Rowohlt-Verlag insolvent, Fallada erhält keine Honorare mehr, sitzt mittlerweile auf Schulden. Da kommt im nächsten Jahr der Erfolg als Lawine: mit Kleiner Mann – was nun? Im Mittelpunkt steht das Scheitern eines »Anständigen« in schwierigen Zeiten, aber auch das Hohelied auf »Lämmchen«, hinter dem sich niemand anderes als Suse verbirgt. Vorabdrucke in Zeitungen bereiten das Feld, die UFA meldet sich (und wird mit Theo Lingen und anderen damaligen Stars eine verkitschte Fassung bieten, deren Premiere Fallada enttäuscht fernbleibt), der mittlerweile gerettete Rowohlt bietet einen Generalvertrag. Hermann Hesse lobt die »Wahrhaftigkeit«, Robert Musil die »Natürlichkeit«, Thomas Mann wird treuer Fallada-Leser. Aber das äußerst rasche Schreiben, Schwerpunkt zwischen drei und sieben Uhr morgens, fordert seinen Tribut. Der bislang Sparsame mutiert mit dem wahren Geldsegen zum Verschwender, es folgen Depressionen und erneute Abstürze durch exzessiven Drogenkonsum.
Fallada und seine Frau »Suse« (Anna Ditzen), 1932
Mittlerweile hat sich in Deutschland die Politik dramatisch verändert. Nach Weimar folgt die Hitler-Diktatur. Der Kleine Mann verschwindet aus den öffentlichen Bibliotheken, Fallada wird denunziert, kommt in Haft. Aber daraus entsteht wieder Literatur, die auch die frühen Greifswalder Erfahrungen einbezieht: der Roman Wer einmal aus dem Blechnapf frißt, 600 Seiten in drei Monaten. Im Zentrum steht der Häftling Willi Kufalt, dessen Wiedereingliederung in die Gesellschaft dramatisch scheitert – die Haftanstalt wird ihm zum einzigen vertrauten Rettungsort. Die Veröffentlichung 1934 wird erst möglich, nachdem der Autor eine Einleitung hinzugefügt hat, die alles Unheil der »Systemzeit«, also der »überwundenen Demokratie«, zuweist – Thomas Mann wird von einer Verleugnung der »humanen Gesinnung« sprechen. Es ist nur der Anfang eines nicht endenden Kampfes, bizarr auch deshalb, weil Fallada in Goebbels einen Fürsprecher besitzt, der jedoch vom Amt Rosenberg, der Dienststelle für Kulturpolitik und Überwachungspolitik des NS-Chefideologen Alfred Rosenberg, ständig überspielt wird.
Zwischen 1933 und 1944 erscheinen insgesamt 20 weitere Romane, 15 zu Lebzeiten des Autors veröffentlicht. Sie sind sehr unterschiedlich. Wir hatten mal ein Kind (1934) schildert den Verlust einer Tochter, weicht von den sonst beherrschenden Dialogen ins Erzählerische ab, beschreibt die Landschaft in Rügen, wo ein dem Alkohol verfallener Held den Hof verkommen lässt – Autobiographisches liegt dem mittlerweile mit seiner Familie auf einem Gut im mecklenburgischen Carwitz Ansässigen nicht fern. Fallada, in Geldnöten nicht zuletzt aufgrund der teuren Klinikaufenthalte, versucht es mit Illustriertenromanen wie Altes Herz geht auf die Reise (1936), weiter mit Kinderbüchern à la Erich Kästner, mit Hoppelpoppel – wo bist du? 1937 kommt Wolf unter Wölfen heraus, mit über 600 Seiten in zwei Monaten geschrieben. Der Roman schildert Not und verzweifelten Überlebenskampf während der Inflationszeit in der Weimarer Republik. Er erhält wieder einmal das Lob von Goebbels und die Verurteilung des Amtes Rosenberg. Die für Kinder geschriebenen Geschichten aus der Murkelei (1938) vermeiden alles Politische, aber der Erfolg bleibt aus, ja wird verhindert.
Dann kommt ein neuer Bestseller trotz aller Widrigkeiten. Emil Jannings, damaliger Schauspielstar, schlägt einen Fall aus dem Jahre 1928 zur Verfilmung vor: die dank Unterstützung durch die Presse umjubelte Fahrt des Droschkenkutschers Gustav Hartmann mit Pferd Grasmus von Berlin nach Paris und zurück, um sich gegen die aufkommenden Automobile zu wehren. Fallada legt wieder einmal in weniger als drei Monaten 738 Seiten der Buchausgabe unter dem Titel Der eiserne Gustav vor, herausgekommen 1938. Goebbels ist begeistert, presst dem Autor aber einen neuen Schluss mit dem Eintritt von Hartmanns Sohn in die NSDAP ab – den »Nazi-Schwanz«. Und der Film, geplant unter dem Titel Der weite Weg, wird nach umfangreichen Vorarbeiten verhindert, weil das Amt Rosenberg erneut querschießt. So wie bei einer Reihe anderer Filmprojekte auch. Nur Kleiner Mann, großer Mann – alles vertauscht, als Roman 1940 erschienen, kommt unter dem Titel Himmel, wir erben ein Schloß 1943 in die Kinos.
Zwischenzeitlich ist Fallada zum »unerwünschten Autor« erklärt worden. Er macht sich Gedanken über seine Emigration, zumal ein Angebot zum Drehbuchschreiben in Hollywood vorliegt. Nach kurzem Schwanken bleibt er. Die Deutsche Verlagsanstalt, der er nach dem Verbot des Rowohlt-Verlags mittlerweile angehört, trägt ihm einen Stoff für einen Roman...
Erscheint lt. Verlag | 13.5.2022 |
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Reihe/Serie | Reclams Universal-Bibliothek | Reclams Universal-Bibliothek |
Zusatzinfo | 9 s/w-Abbildungen |
Verlagsort | Ditzingen |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Anthologien |
Literatur ► Romane / Erzählungen | |
Schlagworte | Carsten Gansel Fallada • Deutsch • Deutsch-Unterricht • gelb • gelbe bücher • Hans Fallada Anekdoten • Hans Fallada Aufsätze • Hans Fallada Berichte • Hans Fallada Erstveröffentlichung • Hans Fallada Erzählungen • Hans Fallada Essays • Hans Fallada Literatur • Hans Fallada Reden • Hans Fallada Texte Sammlung • Hans Fallada Textsammlung • Hans Fallada Wiederentdeckung • Klassenlektüre • Kleiner Mann was nun • Lektüre • Literatur Klassiker • Literatur Nachkriegsdeutschland • Literatur Nachkriegszeit • Literatur Neue Sachlichkeit • Literatur Stunde Null • Nachkriegsliteratur • Reclam Hefte • Reclams Universal Bibliothek • Rudolf Ditzen • Schullektüre • Trümmerliteratur • Weltliteratur |
ISBN-10 | 3-15-962011-5 / 3159620115 |
ISBN-13 | 978-3-15-962011-4 / 9783159620114 |
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