Als das Lama zu uns kam und wie es unser Leben wunderbar durcheinanderbrachte (eBook)
285 Seiten
Insel Verlag
978-3-458-77334-4 (ISBN)
Schon als Kind hatte Ruth, die auf der Farm der Familie in den schroffen Bergen von Snowdonia in Wales aufwächst, ein Lama auf dem Wunschzettel. Als sie erwachsen ist und ihre Schwester schwer erkrankt, schenkt ihre Mutter ihr eins in der Überzeugung, dass das Tier ihnen Freude und Trost spenden wird. Mit Schafen, Rindern und Pferden kennt Ruth sich aus - doch Ñusta (Quechua für »Prinzessin«) wird zum Abenteuer für die ganze Familie: sie nippt gerne am Brandy, mampft am liebsten Zeitungen, springt beherzt in den Schwimmteich, schließt Vater Paul im Klo ein und befreit sämtliche Pullover akribisch von Wollknötchen. Fürs Spucken ist Ñusta zu vornehm - meistens jedenfalls. Und wenn sie in ihrer »Teehaubenposition« würdevoll auf dem Kaminvorleger kauert und Ruth ansieht, dann ist Ruth sich sicher, dass in diesen Augen »jemand wohnt« und dass Ñusta ihrer aller Leben schöner gemacht hat.
Eine südamerikanische Exotin auf einem walisischen Bergbauernhof - eine wunderbar warmherzige Geschichte, die ebenso von Humor und Resilienz zeugt wie von einer tiefen Verbundenheit mit der Natur.
Ruth Janette Ruck ist die Autorin dreier Memoirs – neben <em>Als das Lama zu uns kam</em> noch <em>Place of Stones</em> (1961) sowie <em>Hill Farm Story</em> (1966) –, die sämtlich von ihrem Leben auf der Farm Carneddi im walisischen Snowdonia erzählen. Ihre Bücher machten Carneddi zur Touristenattraktion, die es bis ins Fernsehen schaffte. Ruck verstarb 2006, ihre Familie betreibt bis heute die Farm – mittlerweile jedoch ohne Lamas.
1
Ab in die Hügel
»Oh nein!«, rief Paul. »Es ist wieder am Zucker!«
Alle stürzten zum Tier, das mit der Nase in der silbernen Zuckerdose steckte. Der Zucker verschwand derart rasant, als hätte jemand das Staubsaugerrohr an die Dose gehalten. Paul schnappte sich die Dose und gab sie hinter dem Rücken des Lamas an mich weiter, worauf ich sie hastig in den Vorratsschrank stellte und die Tür zudrückte. Das Lama legte die Ohren an, rollte mit den Augen und zog eine Fratze, als wollte es gleich spucken. Dann sah es den auf dem Boden verstreuten Zucker und saugte mit seinen flinken Oberlippen die letzten Körner ein. Darauf drehten sich die Ohren wieder nach vorn.
Bei drei Personen und einem Lama blieb nicht viel Platz in unserer kleinen Küche. Das Tier war inzwischen so groß, dass es mit dem Körper links und rechts gegen die Wand drückte. Mit seinem langen Hals reichte es an alle Regale bis auf die obersten, wo mittlerweile Zucker, Mehl, Haferflocken und Cornflakes Zuflucht genommen hatten.
Als das Lama mit dem Zucker fertig war, schaute es noch ein letztes Mal, ob es auch nichts übersehen hatte, was ihm gefallen könnte, dann hupte es leise wie zum Dank und trottete in die Wohnstube. Kurz herrschte Stille, gefolgt von Rascheln, dann wieder Stille und schließlich ein dumpfer Schlag. Ohne es gesehen zu haben, wusste ich, dass das Lama ins nächste Zimmer gegangen war und seine Spielzeugkiste umgeworfen hatte, um nach neuen Zeitungen oder Zeitschriften zu suchen. Dann hatte es sich, da es nicht in Papierfresslaune war, auf den Flickenteppich begeben und die kleinen Hinterfüße wie eine Ballerina nebeneinandergestellt, um erst aufs rechte, dann aufs linke Knie niederzusinken, dabei leicht in den Sprunggelenken nachzugeben und schließlich mit einem dumpfen Schlag zu Boden zu plumpsen. Jetzt saß es da, in all seiner Pracht, den weißen Hals gereckt, während seine fließenden Wollgewänder in Malvengrau, Goldbeige und Rotbraun bis zum Boden wallten. Von den Beinen keine Spur. Wir nannten das die »Teehaubenposition«. Jetzt hörten wir ein Flappen. Das Lama schüttelte so schnell den Kopf hin und her, dass die langen Ohren kreisende Flugbewegungen machten – »helikoptern« nannten wir das. Dann war es wieder still.
Nach dem Spülen ging ich hinüber in die Wohnstube. Ein Lama auf dem Kaminvorleger hat etwas Besänftigendes, Behagliches an sich. Das Tier strahlt Ruhe, Würde und Schönheit aus. Man kann gar nicht oft genug hinsehen, auf die langen Ohren, den kleinen Kopf, die riesigen Augen unter dem schwarzen Fransenpony, auf die Konturen des in Wolle gehüllten Körpers. Alle in der Familie fanden, dass uns das Lama noch mehr Freude bereitete, als wir es uns anfangs ausgemalt hatten.
Die Idee zu diesem Lama war schon vor langer Zeit in mir aufgekeimt. Als Kind interessierte ich mich sehr für Tiere. Wir wohnten damals in Nottingham, aber immer wenn wir aufs Land fuhren, starrte ich stundenlang auf die Kühe, Ackerpferde und Schafe. Bald hatte ich meinen eigenen Hund, ein Kaninchen, sechs Hühner und zwei Ziegen, die in unserem großen Stadtgarten lebten. Dieser Kleinbauernhof machte mir große Freude, war mir aber längst nicht genug. Ich habe noch ein Notizbuch mit einer von Kinderhand geschriebenen Liste:
Ich will ein Pony
Ich will eine Kuh
Ich will ein Schaf
Ich will einen Elefanten
Ich will ein Lama
Aus dem Elefanten wurde nichts, aber der Rest hat geklappt. Schon seltsam, wie viele Träume im Leben tatsächlich wahr werden.
Die Jahre vergingen. Schließlich wurde aus meinem Spielzeugbauernhof ein echter und aus Nottingham Nordwales. Dazu geführt hatte eine Reihe zufälliger Ereignisse. An meinem siebzehnten Geburtstag endete der Zweite Weltkrieg. Mein Vater, der im National Fire Service gedient hatte, verlor seine Stelle, ich wurde plötzlich schwer krank und wäre sogar fast gestorben. Deshalb fuhren meine Eltern zur Erholung mit mir in den Urlaub nach Nordwales. Dort hörten wir, dass ein kleiner Bergbauernhof günstig zu kaufen war. Mein Vater passte ohnehin nicht in die Gussform des vorstädtischen Brotverdieners, in die er umständehalber gepresst worden war. Meine Mutter hatte einen unstillbaren Abenteuerdurst und unser damaliges Kindermädchen Fred, das für meine Schwester und mich wie eine zweite Mutter war und die Familie zusammenhielt, war ein Landei. Und ich sehnte mich schon immer nach einem Leben auf dem Bauernhof.
Wir waren wie berauscht von der Idee, diesen kleinen Hof zu kaufen. Plötzlich war die Vorstellung, unserem bisherigen Leben ein Ende zu setzen und Bergbauern zu werden, nicht nur verlockend, sondern auch möglich – und bald sogar real. Wir verkauften unser Haus in Nottingham und zogen mit allem Krims und Krams, Ziegen, Hühnern und Bienen auf den Bergbauernhof in Carneddi an den Ausläufern des Snowdon, mit Blick auf das zehn Kilometer entfernte Meer. Das war im Dezember 1945.
Das Ganze war natürlich Wahnsinn. Was uns auch alle sagten. Wir hatten kaum Geld und keinerlei Erfahrung, aber wir stürzten uns mit Begeisterung in dieses grandiose Abenteuer. Damals war noch kaum die Rede von »Umwelt«, »Ökologie« oder »Naturschutz«, und Subsistenzwirtschaft galt allenthalben als Randphänomen. All das sollte erst zwanzig Jahre später in Mode kommen. Aber wir wollten 1945 einen echten Neuanfang machen und der schien uns eher in der klaren Luft der nordwalisischen Berge und ihrer alten Bergbauerntradition möglich.
Wie die ersten zwanzig Jahre in Carneddi für uns waren, habe ich schon in zwei früheren Büchern erzählt, Place of Stones (»Ort der Steine«) und Hill Farm Story (»Geschichte eines Bergbauernhofs«) – wie viel Lehrgeld wir bezahlen mussten, wie wir uns durch Versuch und Irrtum alles selbst beibrachten, dass wir ohne Strom und fließend Wasser auskommen mussten und dass der nächste (und einzige) Einkaufsladen einen Kilometer entfernt lag und nur über einen steilen Pfad und matschige Felder zu erreichen war. Doch das Glück war auf unserer Seite. Land konnte man damals billig kaufen und die Lebenshaltungskosten waren niedrig, während landwirtschaftliche Erzeugnisse einigermaßen ordentliche Einnahmen brachten. Wir hatten in allen Himmelsrichtungen die besten nur denkbaren Nachbarn. Bestimmt haben sie sich mehr als einmal auf unsere Kosten amüsiert, aber sie waren immer und ausnahmslos freundlich und großzügig, was gute Ratschläge und das Verleihen von Geräten und Maschinen betraf. Ohne sie wären wir ziemlich aufgeschmissen gewesen.
Wir schnappten einige Bauernregeln und -weisheiten auf, lernten Schafe hüten, Kühe melken, Heu machen und auf den paar Morgen kargen Ackers Getreide anbauen. Zu unserer eigenen Überraschung kamen wir damit über die Runden, auch wenn es immer knapp war. Ich konnte endlich meine Tierliebe ausleben und erwies mich, wie ich behaupten würde, als passable Viehzüchterin. Die umliegenden Hügel waren ein steter Quell der Inspiration, wie sie jahreszeitlich und nach Wetterlage ihr Gewand wechselten, und zumindest ich empfand das Leben von der Hand in den Mund als aufregende Herausforderung. Ich bekam Falten und graue Haare, aber ich führte meinen Überlebenskampf mit Wonne.
In meinen anderen beiden Büchern habe ich schon den schönen kleinen Bergbauernhof beschrieben, auf dem wir lebten und um den unsere Herde graste, wo wir einige reinrassige Rinder und Ponys züchteten, Hühner und Truthähne hielten und Getreide anbauten. Ich habe erzählt, wie Paul und ich 1960 heirateten und in das alte Cottage des »Tŷ Mawr«, des ehemaligen Haupthauses, einzogen, das nur ein paar hundert Meter von Carneddi entfernt liegt. 1966 kam unsere Tochter Ann zur Welt. Damit begann ein neues Kapitel in unserer Geschichte.
Es war wunderbar, eine kleine Tochter zu haben, aber leider war unser Glück von Krankheit bedroht. Ich litt unter einem gewissen Taubheitsgefühl und die Ärzte fanden heraus, dass ich Multiple Sklerose hatte. Eine niederschmetternde Nachricht, die mir wie ein schwer zu akzeptierendes Todesurteil vorkam. Zwanzig Jahre Arbeit und Träumereien für die Katz? Was sollten mein Mann und mein Kind mit einer kranken Frau? Außerdem lag Carneddi nicht gerade im Rollstuhlparadies. Wie sollte ich die Schafe hüten, wenn ...
Erscheint lt. Verlag | 16.5.2022 |
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Übersetzer | Frank Sievers |
Sprache | deutsch |
Original-Titel | Along Came a Llama |
Themenwelt | Literatur ► Biografien / Erfahrungsberichte |
Sonstiges ► Geschenkbücher | |
Schlagworte | Along Came a Llama deutsch • Gerald Durrell • Geschenk für Tierfreunde • John Lewis-Stempel • Lama • leben mit haustier • Nature writing • neues Buch • Pawlowa • Snowdonia/Wales • Wales |
ISBN-10 | 3-458-77334-7 / 3458773347 |
ISBN-13 | 978-3-458-77334-4 / 9783458773344 |
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