Glutnacht -  Michael Connelly

Glutnacht (eBook)

Ein Fall für Renée Ballard und Harry Bosch
eBook Download: EPUB
2022 | 1. Auflage
464 Seiten
Kampa Verlag
978-3-311-70348-8 (ISBN)
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Seit vier Jahren ist Harry Bosch im Ruhestand. Nun muss der ehemalige Detective des LAPD seinen einstigen Mentor John Jack Thompson zu Grabe tragen. Von ihm hat Bosch zu Beginn seiner Karriere gelernt, dass jedes Leben zählt, dass es keine Toten erster und zweiter Klasse gibt. Ein Credo, das Bosch immer beherzigt hat. Thompsons Witwe übergibt Bosch eine Akte, die ihr Mann offensichtlich entwendet und zwanzig Jahre unter Verschluss gehalten hat: Sie dokumentiert die Ermittlungen im Mordfall eines schwulen Junkies, der als Polizeispitzel tätig war. Warum hat Thompson die Akte an sich genommen, als er das LAPD verließ? Da Bosch offiziell nicht mehr selbst ermitteln darf, bittet er Detective Renée Ballard um Hilfe. Gemeinsam machen sich der pensionierte Cop und die junge ehrgeizige Polizistin an die Arbeit, und zum ersten Mal kommen Bosch Zweifel an der Integrität seines verstorbenen Mentors: Hat Thompson die Akte gestohlen, um im Ruhestand an dem Fall weiterzuarbeiten? Oder im Gegenteil: Wollte er, dass der Mord niemals aufgeklärt wird?

MICHAEL CONNELLY ist mit über 80 Millionen verkauften Büchern in 45 Sprachen ein Krimi-Superstar. 1956 in Philadelphia geboren, entdeckte er während seiner Studienzeit Raymond Chandlers Romane und beschloss, Schriftsteller zu werden. Er arbeitete zunächst für verschiedene Zeitungen in Florida, bis er 1986 zusammen mit zwei Kollegen eine Reportage über ein großes Flugzeugunglück in Fort Lauderdale schrieb und für den Pulitzer-Preis nominiert wurde. Danach wechselte er zur Los Angeles Times und arbeitete auf dem Gebiet der Kriminalreportage. Für seinen ersten Roman Schwarzes Echo (1992) wurde Connelly mit dem Edgar Award ausgezeichnet, dem renommiertesten amerikanischen Krimipreis. Seine Romane Das zweite Herz und Der Mandant wurden mit Clint Eastwood und Matthew McConaughey in den Hauptrollen verfilmt. Von 2014 bis 2021 produzierte Amazon die Serie Bosch, die auf den Fällen seines legendären Ermittlers Harry Bosch basiert.

MICHAEL CONNELLY ist mit über 80 Millionen verkauften Büchern in 45 Sprachen ein Krimi-Superstar. 1956 in Philadelphia geboren, entdeckte er während seiner Studienzeit Raymond Chandlers Romane und beschloss, Schriftsteller zu werden. Er arbeitete zunächst für verschiedene Zeitungen in Florida, bis er 1986 zusammen mit zwei Kollegen eine Reportage über ein großes Flugzeugunglück in Fort Lauderdale schrieb und für den Pulitzer-Preis nominiert wurde. Danach wechselte er zur Los Angeles Times und arbeitete auf dem Gebiet der Kriminalreportage. Für seinen ersten Roman Schwarzes Echo (1992) wurde Connelly mit dem Edgar Award ausgezeichnet, dem renommiertesten amerikanischen Krimipreis. Seine Romane Das zweite Herz und Der Mandant wurden mit Clint Eastwood und Matthew McConaughey in den Hauptrollen verfilmt. Von 2014 bis 2021 produzierte Amazon die Serie Bosch, die auf den Fällen seines legendären Ermittlers Harry Bosch basiert.

BALLARD


3


Ungerührt betrachtete Ballard, was von den Überresten noch zu sehen war. Aus dieser Nähe war der Geruch von Petroleum und verbranntem Fleisch kaum auszuhalten, aber das schreckte sie nicht ab. Bis zum Eintreffen der Brandermittler war sie für den Tatort verantwortlich. Die Nylonplane des Zelts war von der Hitze geschmolzen und dann auf das Opfer gefallen. An den Stellen, wo sich die Flammen nicht ganz durchgefressen hatten, umhüllte die Plane die Leiche. Der Tote wirkte vollkommen ruhig und gelöst, und Ballard fragte sich, wie er unter diesen Umständen hatte weiterschlafen können. Aber sie wusste, dass bei der Obduktion der Alkohol- und Drogengehalt in seinem Blut bestimmt würde. Vielleicht hatte er nicht das Geringste gespürt.

Obwohl sie wusste, dass nicht sie für die weiteren Ermittlungen zuständig sein würde, holte sie ihr Handy heraus und machte Fotos von der Leiche und vom Tatort, einschließlich mehrerer Nahaufnahmen des umgekippten Campingheizstrahlers, des mutmaßlichen Brandauslösers. Dann öffnete sie die Wetter-App ihres Handys und stellte fest, dass für Hollywood 11 Grad Celsius als aktuelle Außentemperatur angegeben waren. Das würde sie in ihrem Bericht vermerken und an die Brandermittler des Fire Department weiterleiten.

Sie machte einen Schritt zurück und blickte sich um. Es war 3:15 Uhr morgens, und die Cole Avenue war wie ausgestorben, sah man von den Obdachlosen ab, die aus den Zelten und Pappkartonhütten gekommen waren, die den Gehsteig entlang dem Hollywood Recreation Center säumten. Mit großen Augen verfolgten sie die Ermittlungen, die über den Tod eines der Ihren angestellt wurden.

»Wieso ist das bei uns gelandet?«, fragte Ballard.

Stan Dvorek, der Sergeant der Streifenpolizei, der sie angefordert hatte, kam zu ihr. Er war schon länger bei der Late Show, der Nachtschicht, als sonst jemand in der Hollywood Division – über zehn Jahre. Andere in der Schicht nannten ihn deshalb »The Relic«, das Relikt, allerdings nie in seinem Beisein.

»Das FD hat uns angerufen«, sagte er. »Sie hatten es von ihrer Notrufzentrale. Ein Autofahrer hat das Feuer gesehen und bei ihnen gemeldet.«

»Haben sie den Namen des Anrufers?«, fragte Ballard.

»Hat er nicht angegeben. Er hat es nur gemeldet und ist einfach weitergefahren.«

»Na, super.«

Zwei Feuerwehrautos waren noch da. Sie waren aus der nur drei Straßen entfernten Station 27 angerückt, um das brennende Zelt zu löschen. Die Löschteams warteten darauf, zu dem Vorfall befragt zu werden.

»Die Feuerwehrleute übernehme ich«, sagte Ballard. »Kannst du mit deinen Leuten vielleicht mit einigen der anderen Leute hier reden, fragen, ob jemand was gesehen hat?«

»Ist das nicht Sache der Brandermittler?«, fragte Dvorek. »Wenn wir jemanden finden, der was Brauchbares beizusteuern hat, müssen die doch nur noch mal mit ihm reden.«

»Wir waren als Erste am Tatort, Devo. Wir müssen es korrekt durchziehen.«

Ballard ging einfach weg und beendete damit die Debatte. Dvorek war zwar der Leiter der Streife, aber für den Tatort war sie verantwortlich. Solange nicht feststand, dass es sich bei dem tödlichen Brand um einen Unfall handelte, war die Brandstelle für sie ein Tatort.

Sie ging zu den wartenden Feuerwehrmännern und fragte, welches der beiden Teams zuerst eingetroffen war. Dann fragte sie die sechsköpfige Besatzung des ersten Feuerwehrautos, was sie gesehen hatten. Sie hatten wenig brauchbare Informationen für sie. Das Feuer, das das Zelt zerstört hatte, war bei ihrer Ankunft schon fast von selbst ausgegangen. Niemand hatte in der Umgebung des brennenden Zelts oder im angrenzenden Park jemanden gesehen. Keine Zeugen, keine Verdächtigen. Um die letzten Flammen zu löschen, hatte ein Feuerlöscher aus dem Einsatzfahrzeug genügt, und da das Opfer eindeutig tot gewesen war, wurde es nicht mehr ins Krankenhaus gebracht.

Danach ging Ballard ein Stück die Straße hinauf und hinunter und hielt nach Überwachungskameras Ausschau. Das Obdachlosenlager verlief entlang der Basketballplätze des öffentlichen Parks, auf denen es keine Kameras gab. Auf der Westseite der Cole Avenue standen einstöckige Lagerhallen von Firmen, die Requisiten und Kameraequipment an Film- und Fernsehstudios verliehen. Ballard sah zwar ein paar Überwachungskameras, aber die waren entweder Attrappen, oder sie waren so angebracht, dass die von ihnen erfassten Bereiche für die Ermittlungen nicht hilfreich waren.

Als sie an die Brandstelle zurückkehrte, sah sie Dvorek mit zwei seiner Streifenpolizisten reden. Ballard kannte sie vom Morgenappell in der Hollywood Division.

»Irgendwas Brauchbares?«, fragte sie.

»Das Übliche«, sagte Dvorek. »›Nichts gesehen‹, ›Nichts gehört‹, ›Ich weiß von nichts‹. Reine Zeitverschwendung.«

Ballard nickte. »Es musste trotzdem sein.«

»Wo bleiben eigentlich die Brandermittler?«, maulte Dvorek. »Wir haben auch noch anderes zu tun.«

»Letzter Stand ist, dass sie unterwegs sind. Sie sind nicht rund um die Uhr besetzt. Deshalb mussten sie erst ein Team aus den Betten holen.«

»Na, super. Sollen wir etwa die ganze Nacht hier rumstehen? Hast du den Rechtsmediziner schon rausgetrommelt?«

»Ebenfalls schon unterwegs. Wahrscheinlich kannst du mit der Hälfte deiner Leute schon mal abziehen. Aber lass einen Wagen hier.«

»Alles klar.«

Dvorek entfernte sich, um seinen Leuten neue Anweisungen zu erteilen. Ballard ging zur Brandstelle zurück und betrachtete das Zelt, das wie ein Leichentuch über den Toten geschmolzen war. Dabei bemerkte sie aus dem Augenwinkel, wie eine Frau und ein Mädchen aus einem Unterschlupf krochen, der aus einer an der Umzäunung eines Basketballplatzes befestigten blauen Plastikplane bestand. Ballard ging rasch auf sie zu und lotste sie von der Leiche fort.

»Das willst du sicher nicht sehen«, sagte sie zu dem Mädchen. »Komm lieber hier rüber.«

Sie führte die beiden auf dem Gehsteig ans Ende des Lagers.

»Wieso? Was ist passiert?«, fragte die Frau.

Ballard behielt das Mädchen im Auge, als sie antwortete.

»Jemand ist in seinem Zelt verbrannt«, sagte sie. »Haben Sie was gesehen? Es ist vor etwa einer Stunde passiert.«

»Wir haben geschlafen«, sagte die Frau und deutete auf das Mädchen. »Sie muss am Morgen in die Schule.«

Das Mädchen sagte noch immmer nichts.

»Warum sind Sie nicht in einem Heim?«, fragte Ballard. »Hier ist es doch nicht sicher. Das Feuer hätte sich ausbreiten können.«

Sie schaute von der Mutter zur Tochter.

»Wie alt bist du?«

Das Mädchen hatte große braune Augen und braunes Haar und war leicht übergewichtig. Die Frau stellte sich vor das Mädchen und antwortete an seiner Stelle.

»Bitte, nehmen Sie sie mir nicht weg.«

Ballard sah den flehentlichen Blick in den braunen Augen der Frau.

»Das ist nicht der Grund, warum ich hier bin. Ich will nur, dass ihr nichts passiert. Sind Sie ihre Mutter?«

»Ja. Sie ist meine Tochter.«

»Wie heißt sie?«

»Amanda – Mandy.«

»Wie alt?«

»Vierzehn.«

Ballard beugte sich zu dem Mädchen hinab, um mit ihm zu reden. Es hatte den Blick gesenkt.

»Mandy? Bei dir alles okay?«

Das Mädchen nickte.

»Möchtest du, dass ich versuche, für dich und deine Mutter einen Platz in einem Heim für Frauen und Kinder zu bekommen? Dort hättet ihr es besser als hier.«

Mandy blickte zu ihrer Mutter hoch, als sie antwortete.

»Nein. Ich will mit meiner Mutter hierbleiben.«

»Ich werde euch nicht trennen. Ich würde dich und deine Mutter dort unterbringen, wenn du möchtest.«

Das Mädchen schaute Rat suchend zu seiner Mutter hoch.

»Wenn Sie mich da reinstecken, nehmen sie sie mir weg«, sagte die Mutter. »Das weiß ich ganz genau.«

»Nein, ich will hierbleiben«, sagte das Mädchen rasch.

»Na schön«, sagte Ballard. »Dann werde ich nichts unternehmen, aber ich finde nicht, dass Sie hier leben sollten. Das ist für Sie beide nicht sicher.«

»In den Heimen ist man auch nicht sicher«, sagte die Mutter. »Dort stehlen sie einem alles.«

Ballard zog eine Visitenkarte heraus und gab sie ihr.

»Rufen Sie mich einfach an, wenn Sie Hilfe brauchen«, sagte sie. »Ich habe die Schicht nach Mitternacht. Ich bin hier, wenn Sie mich brauchen.«

Die Mutter nahm die Karte und nickte. Ballards Gedanken kehrten zu dem Fall zurück. Sie drehte sich um und deutete auf die Brandstelle.

»Haben Sie ihn gekannt?«, fragte sie.

»Flüchtig«, sagte die Mutter. »Er war die meiste Zeit für sich.«

»Wissen Sie, wie er heißt?«

»Ed, glaube ich. Eddie, hat er gesagt.«

»Okay. War er schon lange hier?«

»Ein paar Monate. Er hat gesagt, vorher war er drüben in der Blessed Sacrament Church, aber dann ist es ihm dort zu voll geworden.«

Ballard wusste, dass die Blessed Sacrament Church am Sunset Boulevard die Obdachlosen in der Säulenhalle vor dem Eingang campieren ließ. Sie fuhr oft daran vorbei und wusste, dass es dort nachts immer sehr voll war. Aber nach Tagesanbruch, bevor die Gottesdienste begannen, waren alle Zelte und provisorischen Unterschlüpfe wieder verschwunden.

Nachts, wenn die Neonreklamen und der Glitter erloschen, war Hollywood ein anderer Ort. Diese Veränderung konnte Ballard jeden Abend beobachten. Dann wurde es ein Ort für Raubtiere und ihre Beute und nichts dazwischen, ein Ort, wo die Besitzenden hinter ihren verriegelten Türen in Sicherheit waren...

Erscheint lt. Verlag 28.7.2022
Reihe/Serie Ein Fall für Harry Bosch
Ein Fall für Harry Bosch
Red Eye
Übersetzer Sepp Leeb
Verlagsort Zürich
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Schlagworte Akte • Cold Case • detective • Drogendelikt • Ermittler • Ermittlerin • Feuer • Gerichtsprozess • Harry Bosch • Hollywood • LAPD • Los Angeles • Mord • Nachtschicht • Polizei • Polizeispitzel • Renée Ballard • Sexuelle Belästigung • Team • Untergrund
ISBN-10 3-311-70348-0 / 3311703480
ISBN-13 978-3-311-70348-8 / 9783311703488
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