Wilder Girls (eBook)

Roman

(Autor)

eBook Download: EPUB
2022 | 1. Auflage
352 Seiten
Piper Verlag
978-3-492-60270-9 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Wilder Girls -  Rory Power
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Seit achtzehn Monaten steht das Mädcheninternat von Raxter Island unter Quarantäne, denn eine gefährliche Seuche hat sich ausgebreitet: Bei den Schülerinnen löst sie grausige Mutationen aus, die Lehrerinnen starben eine nach der anderen. Die Natur auf der Insel ist wild und unberechenbar geworden. Zum Überleben braucht man Freundinnen, die alles für einen tun würden - so wie Hetty und Reese für Byatt. Denn als Byatt verschwindet, beginnen die beiden eine verbotene Suche, bei der sie auf grausamere Wahrheiten stoßen, als sie es sich je hätten ausmalen können ...

Rory Power stammt aus Neuengland und lebt dort heute noch. Sie absolvierte ihren Master in Prose Fiction an der University of East Anglia, woran sie gerne zurückdenkt - zum einen, weil sie dort viel gelernt hat, vor allem aber, weil es auf dem Campus so viele Kaninchen gab. Heute arbeitet sie als Krimilektorin und Beraterin für TV-Adaptionen.

Kapitel 2


Wir nennen es Tox, und während der ersten paar Monate haben sie versucht, Unterricht daraus zu machen. Virusausbrüche in der westlichen Welt: Eine Geschichte. »Tox« als Wurzel in romanischen Sprachen. Arzneimittel-Regularien im Staat Maine. Schule wie immer. Lehrerinnen, die mit Blut an der Kleidung vor der Tafel standen, Tests vorbereiteten, als wären wir eine Woche später alle noch am Leben. Die Welt endet nicht, sagten sie, und genauso wenig sollte es eure Ausbildung.

Frühstück im Speisesaal. Mathe, Englisch, Französisch. Mittagessen, Schießtraining. Sport und Erste Hilfe. Ms Welch verband Wunden, während die Schulleiterin uns mit Nadeln pikte. Gemeinsames Abendessen, und dann wurden wir eingeschlossen, damit wir die Nacht überstanden. Nein, ich weiß nicht, was euch krank macht, sagte uns Welch. Ja, es wird alles gut werden. Ja, ihr könnt bald nach Hause.

Das hörte schnell auf. Eine Unterrichtsstunde nach der anderen fiel aus, als die Tox eine Lehrerin nach der anderen erwischte. Regeln lösten sich auf und verschwanden, bis nur noch das Grundgerüst übrig war. Aber wir zählen noch immer die Tage, und das Erste, was wir morgens nach dem Aufwachen machen, ist, den Himmel nach Kameras oder Lichtern abzusuchen. Die Leute auf dem Festland sorgen sich um uns, das ist, was Welch immer sagt. Sie haben sich der Sache angenommen, von der Sekunde an, als die Schulleiterin Camp Nash angerufen und um Hilfe gebeten hat. Und sie suchen nach einem Heilmittel. Mit der ersten Vorratslieferung, die der Bootsdienst zurückbrachte, kam eine Nachricht. Unterschrieben und gedruckt auf Papier mit dem Briefkopf der Navy.

 

VON: Marineminister, Verteidigungsministerium

Kommandierender Offizier Chemical/Biological Incident Response Force (CBIRF), Direktor von Camp Nash, Centers for Disease Control and Prevention (CDC)

AN: Raxter Mädchenschule, Raxter Island

BETREFF: Vom CDC empfohlene Quarantänemaßnahmen

Vollständige Isolation und Quarantäne wird mit sofortiger Wirkung verhängt. Personen haben sich zu ihrer eigenen Sicherheit und zur Eindämmung der Ansteckungsgefahr zu jeder Zeit auf dem Schulgelände aufzuhalten. Der Aufenthalt jenseits des Zauns der Schule verstößt gegen die Quarantäneregeln. Ausnahme: autorisiertes Team zur Abholung von Versorgungslieferungen (siehe unten).

Telefon- und Internetverbindung werden in Kürze abgeschaltet. Jegliche Kommunikation hat über offizielle Funkkanäle zu erfolgen. Alle Informationen fallen unter die Geheimhaltung.

Versorgungslieferungen werden an westlicher Anlegestelle deponiert. Datum und Uhrzeiten werden über den Camp-Nash-Leuchtturm festgelegt.

Diagnostik und Behandlungsmöglichkeiten in Entwicklung. Das CDC arbeitet mit örtlichen Einrichtungen zwecks Heilmittel zusammen. Erwarten Sie Lieferung.

 

 

Warten und am Leben bleiben, und wir dachten, das würde einfach werden – gemeinsam hinter dem Zaun, sicher vor dem Wald und den Tieren, die hungrig und fremdartig geworden waren. Aber es starben immer mehr Mädchen. Krankheitsschübe zerstörten ihre Körper so sehr, dass sie nicht mehr atmen konnten, ließen Wunden zurück, die nicht mehr heilten. Manchmal überkam es sie auch wie ein Fieber, und sie richteten gewalttätige Ausbrüche gegen sich selbst. Es geschieht immer noch. Aber inzwischen haben wir gelernt, dass alles, was wir tun können, ist, auf uns und die unseren aufzupassen.

Reese und Byatt, sie gehören zu mir, und ich gehöre zu ihnen. Wenn ich am Schwarzen Brett vorbeigehe und mit den Fingern die vergilbte Nachricht der Navy streife, die dort immer noch hängt, dann sind sie es, für die ich bete. Die Nachricht ist ein Talisman, eine Erinnerung an das Versprechen, das sie uns gegeben haben. Es wird ein Heilmittel geben, wenn wir nur am Leben bleiben.

Reese gräbt einen silbernen Fingernagel in die Orange und beginnt, sie zu schälen. Ich zwinge mich wegzuschauen. Wenn es frisches Essen gibt, dann kämpfen wir darum. Sie sagt, es ist die einzig faire Art, es aufzuteilen. Keine Almosen, kein Mitleid. Sie würde nie etwas nehmen, wenn es sich nicht anfühlte, als hätte sie es verdient.

Ringsum versammeln sich die anderen Mädchen unter hellem Gelächter und durchwühlen die Kleidung, die aus jeder Tasche quillt. Die Navy schickt genug für die volle Anzahl an Schülerinnen. Blusen und winzige Schuhe, zu klein für irgendjemanden von uns.

Und Jacken. Sie hören nie auf, Jacken zu schicken. Nicht, seit der Frost das Gras überzieht. Es war gerade erst Frühling, als die Tox ausgebrochen ist, und über den Sommer ging es uns gut in unseren Schuluniformröcken und Blusen. Aber der Winter brach an, wie er es immer tut in Maine, lang und bitterkalt. Feuer brannten bei Tageslicht, und die Generatoren der Navy liefen bei Nacht, bis ein Sturm sie zerstört hat.

»Du hast da Blut«, sagt Byatt zu mir.

Reese schneidet ein Stück aus dem Saum ihrer Bluse und wirft es in Richtung meines Gesichts. Ich drücke es drauf. Meine Nase macht ein schmatzendes Geräusch.

Ein Kratzen ertönt über uns, es kommt aus dem offenen Zwischengeschoss über der Haupthalle. Wir schauen hinauf. Es ist Mona aus der Klassenstufe über uns, rotes Haar und herzförmiges Gesicht. Sie ist zurück aus der Krankenstation im zweiten Stock. Seit dem letzten Ausbruch war sie ewig dort oben, und ich glaube nicht, dass irgendwer damit gerechnet hat, dass sie je wieder herunterkommt. Ich erinnere mich, wie ihr Gesicht an diesem Tag dampfte und aufplatzte, wie sie unter einem Tuch hinaufgetragen wurde, als wäre sie bereits tot.

Jetzt verläuft ein Geflecht aus Narben über ihre Wangen, und ihre Haare haben einen leichten Schimmer, als würde eine Aura sie umgeben. Reese hat das auch – dieses Leuchten, das die Tox ihrem Haar gegeben hat. Es ist so sehr zu ihrem Erkennungszeichen geworden, dass es seltsam ist, es bei Mona zu sehen.

»Hey«, sagt sie, unsicher auf den Beinen.

Ihre Freundinnen rennen zu ihr, lächeln und gestikulieren aufgeregt, halten aber Abstand. Wir fürchten uns nicht vor Ansteckung – was auch immer es ist, wir haben es alle. Es ist das Auseinanderbrechen, das wir fürchten. Das Wissen, dass es irgendwann uns allen passiert. Das Wissen, dass wir nicht mehr tun können als hoffen, es zu überstehen.

»Mona! Gott sei Dank geht es dir gut«, rufen ihre Freundinnen, aber ich sehe, wie sie das Gespräch schnell versanden lassen, sehe dabei zu, wie sie nach und nach ins letzte Tageslicht hinauswandern und Mona allein auf der Couch zurücklassen, wo sie auf ihre Knie starrt. Mona hat keinen Platz mehr unter ihnen. Sie haben sich daran gewöhnt, dass sie nicht da ist.

Ich schaue zu Byatt und Reese hinüber, die nach demselben Splitter in der Treppe treten. Ich glaube nicht, dass ich mich je daran gewöhnen könnte, ohne sie zu sein.

Byatt steht auf, die Stirn gerunzelt. »Wartet hier«, sagt sie und geht zu Mona hinüber.

Die beiden reden einen Moment lang, Byatt beugt sich vor, damit ihre Stimme direkt Monas Ohr erreicht, der Schein von Monas Haar badet Byatts Haut in rotem Licht. Und dann richtet sich Byatt auf, und Mona drückt den Daumen gegen die Innenseite von Byatts Unterarm. Sie sehen beide verunsichert aus. Nur ein bisschen, aber ich bemerke es.

»Guten Abend, Hetty!«

Ich drehe mich um. Es ist die Schulleiterin, ihr Gesicht noch kantiger als früher. Graues Haar ist in einem festen Dutt hochgesteckt, ihre Bluse bis zum Kinn zugeknöpft. Und da ist ein Fleck um ihren Mund, leicht pink von dem Blut, das ständig zwischen ihren Lippen hervorquillt. Die Tox wirkt anders auf sie. Und auf Welch. Sie bringt sie nicht um wie die anderen Lehrerinnen, sie verändert nicht ihre Körper wie bei uns. Stattdessen öffnet sie nässende Wunden auf ihren Zungen und lässt ihre Glieder ohne Unterlass zittern.

»Guten Abend«, grüße ich die Schulleiterin. Sie drückt bei vielem ein Auge zu, aber nicht bei schlechten Manieren.

Sie deutet mit dem Kopf zur anderen Seite des Raums, wo sich Byatt immer noch über Mona beugt. »Wie geht es ihr?«

»Mona?«, frage ich.

»Nein, Byatt.«

...

Erscheint lt. Verlag 1.9.2022
Übersetzer Andrea Bottlinger
Sprache deutsch
Original-Titel Wilder Girls
Themenwelt Literatur Fantasy / Science Fiction
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Body Horror • dark academia • Diversität • Diversity • Dystopie • E. Lockhart • Feministische Fantasy • Freundschaft • Horror • Internat • LGBTQ+ • Mystery Thriller • New York Times Bestseller • Öko-Thriller • Queer • Sapphic • Spannung • survival thriller
ISBN-10 3-492-60270-3 / 3492602703
ISBN-13 978-3-492-60270-9 / 9783492602709
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