Das Publikum war Zeuge (eBook)

Ein Fall für Scotland Yard | Ein amüsanter englischer Krimi aus dem Goldenen Zeitalter der Detektivromane | Britischer Humor at its best!
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2022 | 1. Auflage
352 Seiten
Ullstein (Verlag)
978-3-8437-2783-9 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Das Publikum war Zeuge -  Alan Melville
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Ein wunderbar augenzwinkernder Krimi der alten Schule - 88 Jahre nach seinem Entstehen erstmals in deutscher Übersetzung Die Premiere im Londoner Grosvenor Theater nähert sich ihrem Höhepunkt und ein dramatischer Schusswechsel steht an. Doch die Szene entpuppt sich als realistischer als beabsichtigt, und der Star des Abends geht tatsächlich tot zu Boden. Wie es der Zufall will, sitzen Inspector Wilson von Scotland Yard und sein Sohn Derek, ein ambitionierter junger Reporter, im Publikum. Das Duo stürzt sich in die Ermittlungen, doch keiner von beiden weiß so richtig, was er tut. Bald stolpern sie über weitere Leichen - und immer wieder über die eigenen Füße. Treffen Sie Inspector Wilson und seinen Sohn Derek - ein herrlich inkompetentes Ermittlerduo, bei dem sich Miss Marple im Grab umdrehen würde. Ein köstliches Lesevergnügen. »Volle Punktzahl für Melvilles selbstbewussten, bissigen Witz, der perfekt zum Theatermilieu passt« Kirkus Reviews »Mr. Melville sprengt die ehrwürdige Struktur des Kriminalromans in die Luft ... Kurzweilige Unterhaltung ist sein Ziel.« Dorothy L. Sayers

ALAN MELVILLE (1910-1983) war ein bekannter Fernsehmoderator sowie Dramatiker, BBC-Radioproduzent und Drehbuchautor. Zu seinen Werken gehören mehrere Kriminalromane aus den 1930er Jahren, die oft in der populären Unterhaltungswelt spielen, weil er sie aus erster Hand kannte.

ALAN MELVILLE (1910-1983) war ein bekannter Fernsehmoderator sowie Dramatiker, BBC-Radioproduzent und Drehbuchautor. Zu seinen Werken gehören mehrere Kriminalromane aus den 1930er Jahren, die oft in der populären Unterhaltungswelt spielen, die er aus erster Hand kannte.

Kapitel eins


M. René Gasniers kahler Schädel tauchte oberhalb der Brüstung des Orchestergrabens auf. M. Gasnier lächelte einigen ihm gänzlich unbekannten Personen im Parkett zu, schlug seine Partitur auf, zog sich die Hemdmanschetten zurecht, tippte mit der Spitze seines Taktstocks auf das Dirigentenpult und erinnerte seine ersten Violinen daran, dass das Pianissimo eine gewisse Zurückhaltung im Spiel erforderte, ehe er die Ouvertüre zur Eröffnung des ersten Aktes anstimmte.

Blue Music war, wie Sie dem Programmheft entnommen haben werden, eine Produktion von Douglas B. Douglas. Nicht, dass man sechs Pence für ein Programmheft ausgeben musste, um dies in Erfahrung zu bringen. Ganz London, in der Tat das ganze Land, wusste zu diesem Zeitpunkt darüber Bescheid. Mr Douglas war ein Meister der Reklame.

Ich meine nicht die marktschreierische, plumpe Art von Reklame, die den Betrachter förmlich anspringt und die unberührte Schönheit grüner Wiesen verschandelt. Ich meine die andere, feinsinnigere Art, die dafür sorgte, dass lange bevor Blue Music überhaupt geschrieben worden war, in der Stadt bereits Gerüchte kursierten, dass das neueste Stück von D. B. D. ein absoluter Knüller werden würde. Die Art von Reklame, die die Neugierde der Menschen anstachelte. Die sie dazu verleitete, sich über Mr Douglas’ Produktion zu unterhalten, ihren Cousins in Kanada von Mr Douglas’ Produktion zu erzählen und auf den Jahresversammlungen ihrer Unternehmen und den Treffen ihrer Wohltätigkeitsgesellschaften über Mr Douglas’ Produktion zu diskutieren. Die Art von Reklame, bei der jeder Einzelne zum Werbeträger für und anstelle von Mr Douglas wurde, ohne sich dessen überhaupt bewusst zu sein.

Mr Douglas legte stets Wert darauf, vor der eigentlichen Premiere eines Stücks eine Proberunde in Manchester zu drehen. Dies war in mehrerer Hinsicht eine ausgezeichnete Idee. Nicht nur sorgte es für zusätzliche Werbung (die meisten Londoner Tageszeitungen entsandten Kritiker in die Provinz), darüber hinaus ließen sich so auch Kosten einsparen.

Jeder, der unnötiges Geld in endlose Proben vor einem leeren Haus investierte, war in Mr Douglas’ Augen ein hoffnungsloser Trottel, wenn doch die braven Bürger von Manchester bereit waren, acht Shilling und sechs Pence für einen Platz im Parkett auszugeben, um bei selbigen Proben zuschauen zu dürfen. Allein schon aus Angst, man könnte ihnen mangelnde kulturelle Wertschätzung vorwerfen, zahlten die Leute die geforderte Summe, ohne mit der Wimper zu zucken, und spendeten hinterher begeistert Applaus.

In London wiederum, wo man nicht riskieren wollte, für kulturell rückständiger als eine Stadt wie Manchester gehalten zu werden, zahlte man am Premierenabend zwei Pfund und zehn Shilling und applaudierte noch begeisterter. Auf diese Weise waren alle zufrieden. In Manchester freute man sich, weil man die Proben vor allen anderen sehen durfte – wobei Mr Douglas selbige natürlich nicht als »Proben«, sondern als »Weltpremiere« bezeichnete. In London freute man sich, weil man eine Douglas-B.-Douglas-Produktion geliefert bekam, die während ihres kleinen Abstechers in die Provinz in Form gebracht und auf Hochglanz poliert worden war.

Und am allermeisten freute sich Mr Douglas B. Douglas. Das einzige Haar in seiner ansonsten überaus schmackhaften Suppe war, dass er zweitausendachtundfünfzig Anfragen auf Premierenplätze zu je zwei Pfund und zehn Shilling hatte ablehnen müssen. Das war bedauerlich. Doch Mr Douglas war standhaft geblieben und hatte die Preise im Parkett für die ersten vierzehn Vorstellungstage auf dreißig Shilling begrenzt – freilich auch für Plätze in den hintersten Reihen.

Der große Tag, wie Sie zweifellos schon bemerkt haben, war Dienstag, der 18. Juni. Am Sonntag, dem 16. Juni, während ein Großteil des Ensembles von Blue Music noch in Manchester weilte und am eigenen Leib erfuhr, wie viel Wahrheit in den allseits bekannten Scherzen über provinzielle Wochenenden steckte, stellten sieben entschlossen dreinblickende Damen sieben wacklige Klappschemel vor dem Eingang zur Galerie des Grosvenor Theatre auf.

Später am Abend gesellten sich noch vier weitere Damen sowie ein einzelner Herr hinzu. Sie wickelten Butterbrote aus und begannen zu essen. Sie schraubten ihre Thermosflaschen auf und schlürften heißen Kaffee aus den Aluminiumdeckeln. Sie diskutierten untereinander über Mr Douglas, Miss Astle, Mr Baker, Mr Douglas’ frühere Erfolge, Miss Astles letzte Scheidung und Mr Bakers Profil – sowohl die Backbord- als auch die Steuerbordansicht. Sie dösten vor sich hin. Sie litten auf ihren unbequemen Schemeln endlose Qualen. Sie holten sich steife Hälse und stechende Schmerzen im Kreuz. Als Lohn für ihre Mühen wurden sie von einem Mann im schmutzigen Regenmantel fotografiert und erschienen auf der letzten Seite der Daily Post unter der Schlagzeile »Enthusiasten der Galerie warten drei Tage auf neue Douglas-Show«. Am Dienstagmorgen harrten sie immer noch dort aus, nunmehr ganz am Anfang einer beachtlich langen Warteschlange. Der einzelne Herr, der am späten Sonntagabend zu den Wartenden gestoßen war, strich sich über das Kinn und beschloss, sich rasieren zu gehen, nachdem er einen Straßenkünstler gegen ein Honorar von drei Pence dazu verpflichtet hatte, seinen kostbaren Platz solange für ihn freizuhalten.

Um neunzehn Uhr dreißig, als ein riesiger Pförtner in königsblauer Livree mit goldenen Zöpfen die Türen zur Galerie öffnete, wankten sie ins Theater, an der Kasse vorbei, einen Mount Everest von Stufen hinauf, und ließen sich erschöpft auf die harten Sitze des Olymps sinken. Übermüdet, schmutzig, mit schmerzenden Gliedern und übler Laune. Narren, denken Sie vielleicht, und Sie haben vollkommen recht. Jedoch vergessen Sie, dass wir es hier mit einer Douglas-B.-Douglas-Inszenierung zu tun haben.

Was, so fragen Sie sich, hat eine Show von Douglas B. Douglas an sich, das ansonsten intelligente und rational denkende Individuen zu solch außergewöhnlichem Handeln treibt? Was veranlasst sie dazu, den Wochenlohn eines Arbeiters für einen schlechten Platz in Reihe M zu bezahlen, nur um der Premiere beiwohnen zu dürfen, oder – sofern sie nicht über die entsprechenden Mittel verfügen – für drei Tage Heim, Mann und Kinder zu verlassen, damit sie in der ersten statt in der zweiten Reihe der Galerie sitzen können?

Nun, zunächst einmal gilt es zu bedenken, dass an einem Premierenabend niemand so richtig bei Verstand ist. Die Schauspieler überschütten einander mit Küssen und drohen im nächsten Moment mit einer Verleumdungsklage. Die Zuschauer auf der anderen Seite des schweren roten Vorhangs sind in ähnlicher Weise vom Wahnsinn befallen. Ihr Gespür dafür, was eine lange Zeitspanne oder eine große Summe Geld ist, wird, wie wir bereits beobachten konnten, durch die Wichtigkeit des Ereignisses stark verzerrt. Gleiches gilt für ihre Fähigkeit, gute von miserablen Leistungen zu unterscheiden.

Der Gott der Götter, der Held des Stücks, verpatzt gleich seinen ersten Auftritt und wird fünf Minuten lang frenetisch bejubelt. Die Hauptdarstellerin singt ihre wichtigste Nummer in einer Tonart, die nicht das Geringste mit dem zu tun hat, was das Orchester währenddessen spielt, und das gesamte Haus erhebt sich, um fünf Zugaben von ihr zu fordern. Der Komiker, dem bewusst wird, dass sein Material ziemlich dünn ist, kramt all die alten Witze hervor, die er bei seinem ersten großen Erfolg im Gaiety im Jahr 1909 zum Besten gegeben hat, und das Publikum hält es vor Gelächter kaum noch auf den Sitzen.

So kommt es, dass weise Theaterkritiker am darauffolgenden Morgen ihre Artikel mit Sätzen wie diesem beschließen: »Gleichwohl muss man hervorheben, dass das Programm trotz aller oben genannten Einschränkungen beim Premierenpublikum gut anzukommen schien.«

All das gilt für die Premiere eines Douglas-B.-Douglas-Stücks genauso wie für jede andere. Aber dann ist da ja noch Mr Douglas B. Douglas höchstselbst. Man sagt, nichts sei erfolgreicher als Erfolg, und auf die Erfolge von Mr Douglas B. Douglas trifft dies in ganz besonderer Weise zu. Selbst seine Reinfälle – und davon gab es einige – waren brillant. Mr Douglas war ein kleiner, untersetzter Mann, der zwar keine Haare, dafür aber ein ausgezeichnetes Händchen dafür hatte, schöne Beine zu erkennen, Persönlichkeiten einzuschätzen und die Öffentlichkeit davon zu überzeugen, dass etwas bestenfalls Mittelmäßiges in Wahrheit eine absolute Sensation war.

Im Laufe seines Lebens war er schon fast alles gewesen. Page mit neun, Kofferträger am Bahnhof mit zwanzig. Mit einundzwanzig hatte Mr Douglas seine wahre Berufung entdeckt und war den Henry Phillips West End Repertory Players beigetreten, als die Theatertruppe im alles andere als idyllischen Gateshead kurz vor dem Aus stand. Am Montag, Dienstag und Mittwoch gelang Mr Douglas ein Achtungserfolg in seiner allerersten Rolle als Sherry servierender Butler in dem Stück Interference, die er mit einer Sicherheit spielte, als hätte er nicht wenige Stunden, sondern Jahre auf der Bühne...

Erscheint lt. Verlag 29.9.2022
Übersetzer Sybille Uplegger
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Schlagworte Agatha Christie • Amateurdetektiv • Britisch • British • Bühne • Crime Classics • England • Ermittler • historisch • Humor • Klassiker • Krimi • London • Mystery • Pistole • Satire • Satirisch • Scotland Yard • Sherlock Holmes • Theater • Tod • very british • witzig • Wynne
ISBN-10 3-8437-2783-X / 384372783X
ISBN-13 978-3-8437-2783-9 / 9783843727839
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