Der Rabbi und der Kommissar: Du sollst nicht begehren (eBook)

Kriminalroman

(Autor)

eBook Download: EPUB
2022
288 Seiten
Heyne Verlag
978-3-641-27302-6 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Der Rabbi und der Kommissar: Du sollst nicht begehren - Michel Bergmann
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Wo steckt Galina Gurewitz?
Galina Gurewitz ist verschwunden. Seit drei Wochen ist die Weltklasse-Schwimmerin wie vom Erdboden verschluckt. Dennoch weigert sich ihre Mutter standhaft, eine Vermisstenanzeige aufzugeben. Genau wie Galinas Gatte, der zum Jähzorn neigende Geschäftsmann Semjon Gurewitz. Werden sie womöglich erpresst? Kommissar Berking von der Frankfurter Polizei hat leider keine Handhabe für offizielle Ermittlungen. Aber er hat seinen Freund, den kriminalistisch begabten Rabbi Henry Silberbaum, der sich einfach mal ganz informell in der russisch-jüdischen Gemeinde umhört. Dabei kommt er einer unglaublichen Geschichte auf die Spur ...

Michel Bergmann, geboren in Basel, Kinderjahre in Paris, Jugendjahre in Frankfurt am Main, lebt heute in Berlin. Nach Studium und Job bei der »Frankfurter Rundschau« landete er beim Film: zuerst als Producer, dann als Regisseur, zuletzt als Drehbuchautor u.a. »Otto -Der Katastrofenfilm«, »Es war einmal in Deutschland«. Seit 2010 ist er auch Romanautor: u.a. »Die Teilacher«, »Herr Klee und Herr Feld«, »Weinhebers Koffer«. Mit der Reihe um den ermittelnden Rabbi Henry Silberbaum tritt er erstmals als Krimiautor in Erscheinung.

1


»Wann haben Sie Ihre Frau das letzte Mal gesehen?«, fragt der Rabbi. Dabei schaut er dem missmutigen Mann in seinem teuren, aber etwas zu eng sitzenden Anzug freundlich ins Gesicht. Denn er weiß genau, wer ihm da gegenübersitzt. Semjon Gurewitz ist eine Zeitbombe! Ein falscher Ton, ja, bereits ein falscher Blick genügt, und er rastet aus. Es gibt einige Zeitgenossen im Großraum Frankfurt, die diese Erfahrung schon hinter sich haben. Oft waren es Belanglosigkeiten wie eine launige Bemerkung, eine missverstandene Ironie, die zu körperlichen Konsequenzen und nicht selten auch zu gerichtlichen Auseinandersetzungen führten. Nein, Humor ist seine Sache nicht. Die Schmerzensgeldzahlungen des Russen ergeben inzwischen eine beachtliche Summe, und so mancher nebbich denkt ernsthaft darüber nach, Semjon Gurewitz mal kurz zu beleidigen und einen Krankenhausaufenthalt in Kauf zu nehmen, um danach eine gute, wenn auch einmalige Nebeneinkunft zu verbuchen. Henry Silberbaum, Rabbiner der Liberalen Jüdischen Gemeinde zu Frankfurt am Main, hat als Mann des Wortes und der Schrift wenig Interesse an einer Konfrontation mit Semjon Gurewitz, dem Spezialisten für Kopfnüsse.

Der Rabbi betrachtet das Kraftpaket gegenüber – die stechenden Augen, die stets witternde spitze Nase, den immer kauenden schmallippigen Mund in diesem viereckigen Gesicht. Nein, einen Streit mit diesem Mann sollte er unbedingt vermeiden.

Semjon Gurewitz wirkt deutlich jünger als die sechzig Jahre, die in seinem Pass stehen. Der russische Geschäftsmann, der in den Neunzigern als besitzloser Kontingentflüchtling – wie so viele damals – im Zuge der Übersiedlung von Juden aus der ehemaligen Sowjetunion in die Bundesrepublik gekommen war, wurde auf wundersame Weise wohlhabend. Es gibt die abgründigsten Gerüchte über ihn. Über seine Herkunft, über zwielichtige Geschäfte, über Geldwäsche und Korruption. Er soll Verbindungen in die höchsten und die niedrigsten Kreise der Stadt haben. Wahrscheinlich stimmt nur die Hälfte davon, doch auch das wäre schon schlimm genug.

Aber es gibt noch eine andere Seite an diesem merkwürdigen Menschen. Er spendet nicht wenig für die Gemeinde und wohltätige Organisationen. Seine geschiedene Frau Rifka ist aktiv bei der WIZO engagiert. Er unterstützt die Fußballabteilung von Makkabi, bei der sein jüngster Sohn spielt. David ist zwar kein Ronaldo, aber für einen neuen Satz Trikots oder ein gesponsertes Turnier ist ihm ein Stammplatz sicher. Nicht nur deshalb hat der Vorsitzende der Gemeinde, Dr. Avram Friedländer, seinen Rabbiner ermahnt, sich nicht in »diese Sache« einzumischen, und wenn doch, bitte wenigstens Vorsicht und Feingefühl walten zu lassen.

»Der Mann ist sehr sensibel«, hat Friedländer gesagt, und der Rabbi hat darauf geantwortet: »Nein, sensibel bedeutet empfindsam. Dieser Mann ist empfindlich!«

»Müssen Sie immer das letzte Wort haben?«

»Was soll ich machen? Wenn Sie mich dazu zwingen.«

Die Stunde ist gekommen, in der sich Gurewitz mit dem Rabbi in dem namenlosen Restaurant im Erdgeschoss des Gemeindezentrums treffen wollte. Um die Mittagszeit dient es gleichzeitig als Kantine für das Personal der Jüdischen Gemeinde.

15:30 Uhr war vereinbart. Gurewitz ist allerdings, wenig überraschend, eine Viertelstunde später erschienen, selbstverständlich ohne sich dafür zu entschuldigen. Während der Rabbi allein an einem Tisch in dem menschenleeren Lokal saß, sprach Gurewitz am Tresen noch etwa fünf Minuten mit dem Wirt, seinem Landsmann Abramowitsch über das bisness, wie die Geschäfte auf Russisch heißen. Beruf: bisness. Dazu kippte jeder einen eisgekühlten Wodka.

»Ich mache in bisness«, ist ein feststehender Begriff unter russischen Geschäftsleuten und denen, die diese Karriere anstreben. Abramowitsch hat allerdings kein Händchen dafür. Der stets missgelaunte Wirt kommt in seinem koscheren Lokal lediglich mit Ach und Krach über die Runden.

Aber er kann gut jammern, und es sind bisness-Leute, die ihn so manches Mal unterstützen, indem sie Veranstaltungen finanzieren mit einem aufwendigen ketterink, wie sie das Anliefern von Speisen nennen.

Die Woche über ist das Restaurant nachmittags geschlossen, aber Gurewitz hat den Rabbi am Telefon beruhigt. »Kein Problem, für mich macht er auf«, hatte er gesagt, »also, halb vier, kommen Sie pünktlich, meine time ist mein money

Auch für den Rabbi ist Zeit Geld. Nachdem er anhand der Flecken auf der ehemals weißen Tischdecke die Speisefolge des Mittagsmenüs erraten hat, wird er ungeduldig.

Normalerweise wäre er jetzt aufgestanden und gegangen, während Gurewitz unverhohlen mit dem Wirt plauderte und dabei weder beruhigend zu ihm herüberwinkte, noch Anzeichen machte, gleich am Tisch zu erscheinen. Aber Henry hat gelernt, dass Semjon Gurewitz »sensibel« ist, und deshalb vermied er einen vorwurfsvollen Blick oder ein Tippen auf seine Armbanduhr.

Er atmete tief durch und ließ »sechse gerade sein«, wie sein Freund, der Buchhändler Jossi Singer, zu sagen pflegt. Dazu musste Henry die Augen schließen. Das Restaurant von Abramowitsch ist eine schmerzliche Mixtur von Geschmacklosigkeiten. Es tut dem Rabbi jedes Mal körperlich weh, wenn er sich länger hier unten aufhalten muss. Dieser Ort beleidigt seinen Sinn für Ästhetik.

Die Stühle passen nicht zu den Tischen, die Tischdecken und Servietten sind nicht einheitlich weiß, zum Teil sogar schreiend bunt oder kariert, an den Wänden hängen billige biblische Drucke oder russische Souvenirs. Da die Tür zur Küche immer offen steht, mischen sich Topfgeklapper und laute russische Wortfetzen mit der unerträglichen Musik, die aus den billigen Boxen quäkt.

Als Gurewitz endlich zum Tisch kam, stand sein Tee schon bereit. Der Koch hatte ihn beflissen serviert. Dazu ein Schälchen mit Kandiszucker, dem zubeiß, wie man das im Jiddischen nennt. In osteuropäischer proletarischer Tradition nimmt man ein Stück Zucker in den Mund, beißt knackig zu – daher der Name – und saugt, beziehungsweise schlürft gut hörbar den Tee lautstark zwischen den Zähnen ein.

So macht es auch Semjon Gurewitz, nachdem er sich auf den Stuhl gegenüber geworfen hat, ohne seine Verspätung auch nur zu erwähnen. Den Begriff zubeiß, so kommt dem Rabbi plötzlich in den Sinn, gibt es auch im einschlägigen Milieu: Es ist ein einkalkulierter menschlicher Kollateralschaden bei einer Auseinandersetzung. Ein Opfer, das man in Kauf nehmen muss. Henry ist gewarnt.

Das Reizvolle an Gesprächen mit Gurewitz und seinesgleichen ist, dass sie keinen Small Talk kennen. »Wie geht es Ihnen? Ihrer Frau?«, »Was machen die Kinder?«, »Die Gesundheit?« und »Was gibt es sonst so?« sind überflüssige Fragen, die in der Welt der starker und der macher keinen Platz haben. Man kommt ohne Umschweife zur Sache.

»Sie ist weggegangen«, knurrt Gurewitz, nachdem der zubeiß lautstark zerkaut ist. »Mehr braucht man nicht zu wissen. In Israel ist sie nicht, ich habe meine Informationen. Sie wird zurückkommen, oder ich werd’ sie finden, machen Sie sich nichts zu tun. Alles andere geht niemanden was an. Auch Sie nicht, Herr Rabbiner. Sie müssen sie nicht suchen, ich werde mich kümmern. Das wollte ich Ihnen persönlich sagen.«

»Warum sind Sie dann überhaupt zur Polizei gegangen?«, fragt der Rabbi.

»Ich bin zur Polizei gegangen? Ihre Mutter ist gegangen. Sie hat sich geängstigt, was kann man machen? Frauen!« Danach verzieht er keine Miene.

»Schade, ich hätte gern bei der Lösung dieses Mysteriums geholfen.« Der Rabbi lächelt freundlich.

»Okay, wenn es Ihnen so wichtig ist, Sonntag vor zwei Wochen habe ich sie zum letzten Mal gesehen.«

»Und wann? Um wie viel Uhr?«

»Was weiß ich? Gegen zwei, drei. Sie wollte zum Training.«

»Ins Seniorenstift?«

»Ach was! Zum Stadion.«

»Will sie denn noch mal zur Olympiade?«

»Sicher will sie das. Wenn sie die Quali schafft. Sie ist mit vierundzwanzig noch besser als viele Jüngere.«

»Das glaube ich«, sagt der Rabbi.

»Auch wenn Sie es nicht glauben, ist es so«, meint Gurewitz.

Der Rabbi wird langsam ungnädig. Kleinmachen wird er sich vor diesem neureichen Russen nicht. »Lassen Sie mich helfen, Ihre Frau zu finden.«

Er zeigt mit dem Finger frech auf den Rabbi. »Haben Sie nicht zu beten? Sind Sie auch noch Privatdetektiv, oder was? Wenn ich einen Schnüffler brauche, dann besorge ich mir einen. Einen richtigen.«

»Kommissar Berking bat mich …«

Gurewitz unterbricht und sagt angewidert: »Berking! Was geht das die Polizei an, wenn meine Frau mal verreist ist? Außerdem ist der Kerl bei der Mordkommission, hab ich gehört. Hat der nichts anderes zu tun? Was soll das?«

»Wir sind befreundet.«

»Schöne Freunde haben Sie. Hören Sie, Silberbaum, ich mag Sie. Noch! Und das soll viel heißen. Ich mag nicht viele Menschen. Lassen Sie sich nicht meschugge machen von meiner Schwiegermutter. Sie ist eine Hysterikerin.«

»Interessiert es Sie denn nicht, wo sich Ihre Frau aufhält?«

»Nein! Es interessiert mich nicht. Kapiert?« Gurewitz wirkt langsam aufgebracht. »Hören Sie, was ist daran ungewöhnlich, wenn jemand mal ein paar Tage wegfährt? Wellness, Shopping – was Frauen so machen.«

»Hat sie denn Gepäck mitgenommen?«

...

Erscheint lt. Verlag 13.10.2022
Reihe/Serie Die Rabbi-und-Kommissar-Reihe
Die Rabbi-und-Kommissar-Reihe
Überarbeitung Joscha Faralisch
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Schlagworte 2022 • eBooks • Ermittelnder Rabbi • Harry Kemelmann • Heimatkrimi • Israel • Jiddisch • Judentum • Jüdische Gemeinde • Krimi • krimi lustig • Kriminalromane • Krimis • Mord • Neuerscheinung • Seniorenstift
ISBN-10 3-641-27302-1 / 3641273021
ISBN-13 978-3-641-27302-6 / 9783641273026
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