Lallende Tanten überall (eBook)

So viel Weihnachten mit der buckligen Verwandtschaft war noch nie

Dietmar Bittrich (Herausgeber)

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2022 | 1. Auflage
240 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-01448-0 (ISBN)

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Lallende Tanten überall -
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Weihnachten bleibt das Fest des Jahres: Familien, die schon Wochen vorher am Rande des Nervenzusammenbruchs balancieren; Pastoren, die alles versuchen, die Weihnachtsgeschichte in die Gegenwart zu retten; aufgedrehte Schwiegereltern, die überraschend zu Besuch kommen - und die geliebten Tanten, die höchst verdient den Spitznamen trio terrible tragen. Sie singen unverwüstlich. Ihre Gläser klingen. Glücklich, wer so viel bucklige Verwandtschaft hat!

Dietmar Bittrich, Jahrgang 1958, lebt in Hamburg. Er gewann den Hamburger Satirerpreis und den Preis des Hamburger Senats. Im Rowohlt Taschenbuch Verlag erschienen von ihm u.a. der Bestseller 'Alle Orte, die man knicken kann'. Seit 2012 gibt er die erfolgreiche Weihnachtsanthologie mit Geschichten rund um die bucklige Verwandtschaft heraus. Mehr erfahren Sie unter: www.dietmar-bittrich.de

Dietmar Bittrich, Jahrgang 1958, lebt in Hamburg. Er gewann den Hamburger Satirerpreis und den Preis des Hamburger Senats. Im Rowohlt Taschenbuch Verlag erschienen von ihm u.a. der Bestseller "Alle Orte, die man knicken kann". Seit 2012 gibt er die erfolgreiche Weihnachtsanthologie mit Geschichten rund um die bucklige Verwandtschaft heraus. Mehr erfahren Sie unter: www.dietmar-bittrich.de

Claudia Brendler Das Jubiläumskonzert


Erster Advent. Auf Facebook ist die Stimmung schon vormittags weihnachtlich; die üblichen Verdächtigen posten Kerzen statt Katzen oder Katzen mit Kerzen. Eine Musikschulkollegin weist auf ihr heutiges Adventskonzert hin. Blockflöten in einer zugigen Kirche. Und über dem Kling, Glöckchen, klingelingeling an der Seitenleiste, das meine Benachrichtigungen anzeigt, leuchtet eine rote Ziffer.

AlexWPunkt und 92 weiteren Personen gefällt ein Foto, auf dem du markiert wurdest. Darunter: Die Danny hat ein Foto, auf dem du markiert wurdest, kommentiert.

Darunter: Lou van Dark hat dich auf einem Foto markiert.

Ein Bühnenfoto. Unscharf, in Grautönen, betitelt mit: Aaawh! Mädels! Erkennt ihr euch noch?

Einigermaßen zu erkennen ist nur Lou, am Mikro, sie fährt sich beim Singen durch die Haare, die damals grün oder blau gewesen sein müssen, ihre Gitarre hängt an ihr und slidet vermutlich am Mikroständer entlang und verursacht wilde Rückkopplungen. Von Alex ahnt man die Umrisse eines Mondgesichts zwischen Hi-Hat und Crash-Becken. Dany und ich liegen auf dem Rücken in unserer Spezialpose, die wir immer gegen Ende des Gigs eingenommen haben: Mit der Gitarre und dem Bass erst auf die Knie fallen und dann den Rücken ganz nach hinten biegen, bis du auf dem Boden liegst, den Arm mit dem steilen Mittelfinger nach oben ausgestreckt, während die Gitarre wimmert und kreischt und der Bass dröhnt und alles nur noch Lärm ist – was man auf einem Foto selbstverständlich nicht hören kann, aber man spürt es.

Die Danny: Heute müsste der orthopädische Notdienst kommen.

Ich: In welchem Club war das denn? Etwa der verranzte Laden, wo mir die Kakerlake über das Stimmgerät gelaufen ist?

AlexWPunkt gefällt das.

Erst am Nachmittag, während ich für den morgigen Unterricht an der Musikschule unter den Notenbergen im Regal das Gitarren-Weihnachtsbuch von Heinz Teuchert raussuche, dämmert mir, dass ich auch mit den Eltern einiger Schülerinnen auf Facebook befreundet bin und das mit der Kakerlake – obwohl es stimmt – vielleicht meine Seriosität als Gitarrenlehrerin ein wenig beeinträchtigt.

Lou van Dark hat inzwischen geantwortet: Heiligabend 1996, Frauenkulturhaus. Jubiläum!

Keine Ahnung, was sie mit Jubiläum meint.

Das Foto gefällt inzwischen 208 Personen. Auch der Blockflötenkollegin.

 

Abend. Rotwein und Fassungslosigkeit. Habe das mit dem Jubiläum verstanden: Wir schreiben 2021. Also ist es ein verdammtes Vierteljahrhundert her, dass wir uns aufgelöst haben. An den Gig selbst keine Erinnerung, nur an ein Gefühl der Erleichterung, weil Punkband und klassisches Gitarrenstudium so schwer zu vereinbaren waren. Nachts alle Lautstärkeregler auf Zehn und morgens verorgelt meinem Gitarrenprof an der Hochschule gegenübersitzen. Mit einem Pfeifen im Ohr daran arbeiten, das zweite Thema der a-Moll-Fuge von Bach hervorzuheben und im Zwischenspiel die Achtel schwingen zu lassen. Ständige Angst, bei der nächsten Jahresprüfung zu fliegen, weil ich zu wenig übe.

Plötzlicher Erinnerungsflash: Einmal die Konzertgitarre mit auf Tour genommen, um morgens im Hotelzimmer zu üben, wozu es, glaube ich, nie gekommen ist, dafür nach dem Gig bekifft in einer Kneipe die a-Moll-Fuge gespielt. Lou fand, dass man so eine verklemmte Musik nur mit zusammengekniffenen Arschbacken spielen könne. Mach das doch mal auf der E-Gitarre mit verzerrtem Sound.

 

Montag. Musikschule. Regen klatscht an die Fensterscheibe. Lasst uns froh und munter sein. Weihnachtsbäckerei. Holder Knabe im lockigen Haar. Wobei mich wie jedes Jahr das «im» stört, eine grammatikalische Wendung, die man aufgeweckten Kindern von heute ebenso wenig erklären kann wie Tannenbäume mit brennenden Kerzen statt LED-Beleuchtung. Oder warum es in so vielen Weihnachtsliedern ständig schneit.

Zwischen Leise rieselt der Schnee und dem gemobbten Rednosed Reindeer Rudolph schaue ich kurz auf Facebook nach. Das Foto ist mehrfach geteilt worden. Vor allem von Leuten, die ein Motorrad als Profilbild haben. So wie Die Danny. Mit Unterschriften wie: Yo, Mädels, Yo! Da freut sich Santa Claus! Erst jetzt fällt mir auf, dass neben der Bühne im Frauenkulturhaus ein geschmückter Weihnachtsbaum steht. Irgendwer will wissen, wie die Band heißt.

Tippe rasch eine Nachricht an Lou in den Messenger, es bitte nicht zu verraten, dann schließe ich Facebook und komme mir dabei vor wie ein Kind, das sich die Augen zuhält.

 

Dienstag. Schreibtag. Kein Internet. Nur kurz auf den Messenger geschaut. Lou versteht das mit dem Namen. Hatte eigentlich erwartet, dass sie wissen will, warum ich so verklemmt bin. Keine Ahnung, was Lou heute macht. Damals war sie uns immer ein bisschen voraus. Sie war diejenige, die angekündigt hat, dass Punk tot sei und wir uns auflösen müssten. Passenderweise am Tag der traditionellen Sonnenwendfeier. Bikini Kill, unsere Vorbilder aus Washington, haben erst ein Jahr später den Punk für tot erklärt und sich aufgelöst. Vermutlich weiß die Welt nicht, dass wir die Ersten waren. Der Artikel über unser letztes Konzert in der Frankfurter Neuen Presse, Stadtteilausgabe Rödelheim, war ziemlich kurz.

 

Mittwoch. Heute schon frühmorgens das Schulprojekt: Musik ist eine Sprache für alle. Mit Erstklässlern wenigstens den Anfang von Jingle Bells auf dem Glockenspiel klöppeln.

E E E, E E E, schau mal, es ist immer derselbe Ton, nein, nicht so fest, nein, Oscar, du sollst Mohammed nicht den Schlägel über den Kopf hauen. Mia, Lia oder Dia, hab ich dir erlaubt, dass du alle Töne aus dem Glockenspiel rausnehmen darfst? Setz sie sofort wieder ein!

Kurze Pause vor der nächsten Gruppe. Lou hat mich auf WhatsApp gefunden. Ihre Nachricht: Sorry, konnte es nicht verhindern.

Kann erst nach der Schule nachsehen, was sie meint: Dany – oder viel mehr Die Danny – hat den Bandnamen ausposaunt. 22 Personen gefällt das. Auch ein paar Lachsmileys sind dabei. Ein Herzchen. Von einem Typen, der sich Born Tobi Wild nennt. Und mehrere Kommentare. Bin zu erschöpft, um sie zu lesen. Habe die zweite Gruppe nicht nur Glockenspiel, sondern auch Schlaginstrumente spielen lassen. Glaube, das war die Wiedergeburt des Punk.

 

Zweiter Advent. Regen. Die Katzenkerzenbloggerinnen posten ihre gesamte Weihnachtsdeko. Unseren Bandnamen liken inzwischen 111 Personen. 18 Lachsmileys. 15 Herzchen. Überlege, ob ich die Eltern meiner Schülerinnen entfreunden kann, ohne dass sie es merken. Beruhige mich damit, dass mir auch meine Existenz als Schriftstellerin manchmal in der Musikschule unangenehm ist, wenn ich weiß, dass Kollegen oder Eltern eins meiner Bücher lesen. Wobei das mit dem Bandnamen eine Nummer härter ist.

Liebe Güte, warum eigentlich? Damals orientierten sich alle weiblichen Punkbands an Körperöffnungen. The Slits zum Beispiel. Irgendwas mit Cunt oder Pussy kam auch immer gut. Bikini Kill hat sich elegant aus der Affäre gezogen und nur auf die Intimzone angespielt. Sozusagen metaphorisch. Was blieb uns, als uns knallhart an den Oberbegriff zu halten? Außerdem war Alex als Mann mit dem Namen in gewisser Weise mitgemeint. Allerdings war Körperöffnungen ein ziemlich langes Wort für ein Plakat, aber das merkten wir erst später.

 

Donnerstag. Schreibtag. Kein Internet. Oder doch. Nur kurz. Auf Facebook will Born Tobi Wild wissen, wann «die Mädels von Körperkult» das nächste Mal auftreten.

Lou van Dark hat einen Kotzsmiley daruntergesetzt.

Die Danny korrigiert den Namen. Bin versucht zu schreiben, dass derjenige hinter dem Schlagzeug zwar übergewichtsbedingt Brüste hat, aber dennoch kein Mädel ist. Eine Tatsache, die uns bei feministischen Unifeten oder Auftritten im lesbischen Aktionszentrum immer angekreidet wurde. Schlimm genug, dass Dany und ich Heten waren, aber ein Mann, das ging gar nicht. Irgendwann hat Alex sich die Antwort auf ein T-Shirt drucken lassen: Ihr müsst mich ja nicht lieben, ich will nur hier arbeiten.

Alex hat als Profilbild einen Komodowaran. Erinnere mich nicht, wann wir uns das letzte Mal gesehen haben. Nach der Auflösung sind wir uns manchmal noch in diversen Bands begegnet, später stellten wir verwackelte Filmchen von Auftritten ins Netz, um zu zeigen, dass wir noch in der Szene waren. Wobei die Kamera selten ins Publikum des jeweiligen KOZ JUZ, LAZ oder wie immer die soziokulturellen Zentren hießen, schwenkte, wo ungefähr neun Leute Pogo tanzten. Dann hörte auch das auf.

 

Dritter Advent. Das Foto wird weiter geteilt und verdrängt Kerzen, Katzen und Weihnachtsplätzchen. Anscheinend ist die Verbindung von Punk und den kommenden saisonbedingten Feierlichkeiten kultig. Zumal pandemiebedingt die meisten Weihnachtsmärkte ausfallen, auch die Shoppingmalls soll man meiden, man hat also Zeit. 98 Personen haben sich der Frage von Born Tobi Wild angeschlossen, wann und wo Körperöffnungen denn auftreten.

Die Danny: Spontanes Open-Air-Konzert? Darunter ein Smiley mit Weihnachtsmütze und Schal.

 

Montag. Immer mehr Kolleginnen und Kollegen schauen mich irgendwie belustigt an. Vermutlich bin ich mit mehr Leuten auf Facebook befreundet, als ich ahne. Sage mir, dass Körperöffnungen, von heute aus gesehen, ein eher harmloser Name ist und vermutlich noch nicht mal den Neunjährigen schockiert, der mir gerade Oh Tannenbaum vorspielt.

Kurzer Facebook-Check: Alex W...

Erscheint lt. Verlag 18.10.2022
Reihe/Serie Weihnachten mit der buckligen Verwandtschaft
Weihnachten mit der buckligen Verwandtschaft
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Comic / Humor / Manga
Schlagworte Advent • Adventszeit • Familie • Geschenk • Humor • Lustige Bücher • lustige Weihnachtsgeschichten • lustige wichtelgeschenke • Weihnachten • Weihnachten Roman • Weihnachtsbuch • Weihnachtsbücher • Weihnachtsbücher erwachsene • Weihnachtsbücher für Erwachsene • Weihnachtsgeschenk • Weihnachtsgeschichte • Weihnachtsgeschichten • Weihnachtsromane 2022 • Weihnachtsromane Neuerscheinungen • Wichtelgeschenk • witzige Bücher
ISBN-10 3-644-01448-5 / 3644014485
ISBN-13 978-3-644-01448-0 / 9783644014480
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