Die versteckte Apotheke (eBook)
384 Seiten
HarperCollins eBook (Verlag)
978-3-7499-0525-6 (ISBN)
Gift, Rache und ein geheimer Frauenbund
Im London des 18. Jahrhunderts raunen sich Frauen hinter vorgehaltener Hand zu, dass es einen Ausweg aus besonders gewalttätigen Ehen gebe: Eine junge Apothekerin rettet sie mit tödlichen Arzneien aus der Not, eine versteckt übermittelte Nachricht genügt. Doch was, wenn aus der Retterin die Gejagte wird?
Knapp 200 Jahre später stößt die Historikerin Caroline Parcewell auf die außergewöhnliche Geschichte der giftmischenden Apothekerin und setzt damit unerwartete Ereignisse in Gang - nicht nur ihr eigenes Leben wird nicht mehr dasselbe sein ...
Sarah Penner ist Mitglied in der Historical Novel Society sowie der Women's Fiction Writers Association. Nach dreizehn Jahren im Finanzsektor arbeitet sie seit dem Erfolg ihres Debütromans als Vollzeit-Autorin. Sie lebt mit ihrem Mann und ihrer kleinen Dackeldame Zoe in St. Petersburg, Florida. Ihr Debüt »Die versteckte Apotheke« wurde weltweit in vierzig Sprachen übersetzt und zu einem internationalen Bestseller. Ende 2023 erscheint ihr zweiter Roman »Die geheime Gesellschaft«. Mehr Informationen zur Autorin gibt es unter slpenner.com
2
CAROLINE
Gegenwart, Montag
Ich sollte nicht allein in London sein.
Reisen anlässlich eines Hochzeitstags sind für zwei Personen ausgelegt, nicht für eine allein, doch als ich aus dem Hotel ins gleißende Sonnenlicht eines Londoner Sommernachmittags trat, war der Platz an meiner Seite leer. Heute, an unserem zehnten Hochzeitstag, sollten James und ich eigentlich zusammen hier sein, auf dem Weg zum London Eye, dem Aussichtsriesenrad, von dem man die Themse überblicken konnte. Wir hatten eine Abendfahrt in einer VIP-Kabine gebucht, einschließlich einer Flasche Sekt und privater Bewirtung. Seit Wochen hatte ich mir ausgemalt, wie die schummrig beleuchtete Kabine unterm Sternenhimmel schaukelte, wie unser Lachen nur vom Klirren unserer Champagnergläser und von der Berührung unserer Lippen unterbrochen wurde.
Doch James war einen Ozean weit entfernt. Ich war allein in London, traurig, wütend, vom Jetlag geplagt und musste eine Entscheidung treffen, die mein Leben verändern würde.
Statt den Weg nach Süden Richtung London Eye und Themse einzuschlagen, ging ich nördlich nach St. Paul’s und Ludgate Hill. Auf der Suche nach dem nächstgelegenen Pub kam ich mir mit meinen grauen Turnschuhen und der Schultertasche wie eine typische Touristin vor. In der Tasche befand sich mein Notizbuch, in Blau vollgeschriebene Seiten mit Herzchenkritzeleien und einer Übersicht über unsere Programmplanung für die nächsten zehn Tage. Ich war zwar gerade erst angekommen, doch ich ertrug es nicht, unsere Zweisamkeitspläne und die liebevollen Einträge zu lesen, die wir uns gegenseitig hineingeschrieben hatten. Southwark, Pärchengarten-Tour, hatte ich auf einer der Seiten notiert.
Hinter einem Baum Babymachen üben, hatte James danebengekritzelt. Ich hatte vorgehabt, ein Kleid zu tragen, nur für den Fall.
Nun brauchte ich das Notizbuch nicht mehr, und die Pläne darin hatte ich allesamt verworfen. Mein Hals fing an zu brennen, und mir kamen die Tränen, als ich mich fragte, was wohl bald noch alles verworfen werden würde. Unsere Ehe? James und ich waren seit dem College zusammen – ich kannte kein Leben ohne ihn. Ich wusste gar nicht, wer ich ohne ihn war. Würde ich auch meine Hoffnung auf ein Baby aufgeben müssen? Bei dieser Vorstellung fühlte ich ein Ziehen im Bauch, denn er verlangte nach mehr als einem anständigen Essen. Ich sehnte mich danach, Mutter zu sein: diese perfekten kleinen Zehen zu küssen und meinem Baby kitzelnd auf den runden Bauch zu prusten.
Ich war noch keinen Block weit gegangen, da entdeckte ich den Eingang zu einem Pub, der Old Fleet Tavern. Doch als ich auf die Tür zusteuerte, wurde ich von einem etwas zottelig aussehenden Kerl mit Clipboard und fleckigen Kakishorts abgefangen, der auf dem Bürgersteig stand. Er war etwa Mitte fünfzig und fragte mich mit breitem Grinsen: »Lust, uns auf eine Runde mudlarking zu begleiten? Eine Schatzsuche im Uferschlamm?«
Mudlarking? Schatzsuche? Uferschlamm? dachte ich. Soll das ein Witz sein? Ich rang mir ein Lächeln ab und schüttelte den Kopf. »Nein, vielen Dank.«
So leicht ließ er sich jedoch nicht abschütteln. »Haben Sie noch nie einen viktorianischen Roman gelesen?« Seine Stimme ging fast im Kreischen eines roten Touristentourbusses unter.
Ich blieb wie angewurzelt stehen. Vor einem Jahrzehnt hatte ich am College Britische Geschichte studiert. Ich hatte meine Kurse mit akzeptablen Noten abgeschlossen, aber am meisten hatte mich immer das interessiert, was nicht in den Lehrbüchern stand. Die trockenen formelhaften Kapitel fesselten mich längst nicht so wie moderige antiquarische Alben aus den Archiven alter Gebäude oder die digitalisierten Bilder verblichener Alltagsdokumente – Theaterkarten, Volkszählungsunterlagen, Passagierlisten –, die ich online fand. Stundenlang konnte ich mich in diesen scheinbar bedeutungslosen Dokumenten verlieren, während sich meine Kommilitonen zum Lernen in Coffeeshops trafen. Ich konnte mein unkonventionelles Interesse auf nichts Spezifisches zurückführen. Ich wusste nur, dass mich Hörsaaldiskussionen über Bürgerrevolution und machthungrige Politiker anödeten. Für mich lag der Reiz von Geschichte in den Details längst vergangener Leben, den wohlgehüteten Geheimnissen der normalen Leute.
»Ich habe ein bisschen was in diese Richtung gelesen, doch«, sagte ich. Natürlich liebte ich viele der britischen Klassiker und hatte während des Studiums stapelweise Romane verschlungen. Manchmal hatte ich mir sogar gewünscht, Literatur statt Geschichte gewählt zu haben, da es meinen Interessen eher zu entsprechen schien. Was ich ihm nicht erzählte, war, dass ich seit Jahren nichts dergleichen mehr gelesen hatte – keines meiner alten englischen Lieblingsbücher. Wenn diese Unterhaltung in einem Quiz enden sollte, würde ich kläglich versagen.
»Na, die haben doch alle dauernd von den Schatzsuchern im Flussbett der Themse geschrieben – diese vielen armen Seelen, die das Ufer nach etwas Altem, etwas Wertvollem abgesucht haben. Man kriegt vielleicht nasse Schuhe dabei, aber es gibt keinen besseren Weg, in die Vergangenheit einzutauchen. Die Flut kommt, die Flut geht, und sie fördert jedes Mal etwas Neues zutage. Sie dürfen sich gerne unserer Tour anschließen, wenn Sie Lust auf ein Abenteuer haben. Das erste Mal ist immer umsonst. Wir treffen uns auf der anderen Seite dieser Backsteingebäude, die Sie dort sehen …« Er zeigte in die entsprechende Richtung. »Halten Sie Ausschau nach der Treppe, die zum Fluss runterführt. Die Gruppe startet um halb drei, wenn bei Ebbe das Wasser zurückgeht.«
Ich lächelte ihn an. Er hatte eine etwas ungepflegte Erscheinung, doch seine haselnussbraunen Augen strahlten Wärme aus. Hinter ihm schwang das Schild der Old Fleet Tavern an einem quietschenden Scharnier hin und her. »Vielen Dank«, sagte ich, »aber ich bin auf dem Weg zu einem … einem anderen Termin.«
In Wahrheit brauchte ich einen Drink.
Er nickte langsam. »In Ordnung, aber falls Sie Ihre Meinung ändern, wir sind ungefähr bis halb sechs oder so auf Erkundungstour.«
»Viel Vergnügen«, murmelte ich, schob meine Tasche auf die andere Schulter und ging davon aus, dass ich diesem Mann nie wieder begegnen würde.
Ich betrat den halbdunklen, feuchten Schankraum und ließ mich auf einen hohen Lederstuhl an der Bar sinken. Als ich mich nach vorn beugte, um einen Blick auf die Biere vom Fass zu werfen, zuckte ich sofort wieder zurück, weil meine Arme in etwas Nassem landeten – wahrscheinlich eine Mischung aus Schweiß und Bier, die jemand auf dem Tresen hinterlassen hatte. Ich bestellte ein Boddingtons und wartete ungeduldig, bis der cremefarbene Schaum an die Oberfläche gestiegen war und sich gesetzt hatte. Endlich nahm ich einen tiefen Schluck, zu erschöpft, um dem beginnenden Kopfschmerz Beachtung zu schenken oder der Tatsache, dass das Bier lauwarm war und ein Krampf an der linken Seite meines Bauches zog.
Die Viktorianer. Ich dachte wieder an Charles Dickens, dessen Name in meinen Ohren klang wie der eines liebevoll vergessenen Exfreunds. Eines interessanten Kerls, der nicht vielversprechend genug gewesen war, um lange zu währen. Ich hatte viele seiner Werke gelesen – Oliver Twist war eines meiner Lieblingsbücher gewesen, dicht gefolgt von Große Erwartungen – und schämte mich nun fast ein wenig.
Laut dem Mann, den ich draußen getroffen hatte, schrieben die Autoren jener Zeit »alle dauernd« über mudlarking, und trotzdem hatte ich nicht einmal gewusst, was das Wort bedeutete. James hätte mich bestimmt mit diesem Fauxpas aufgezogen. Er scherzte immer, dass ich mich durchs College »gebuchclubt« hätte: bis spät in die Nacht Schauermärchen gelesen, statt, wie ich es seiner Meinung nach hätte tun sollen, mehr Zeit mit der Analyse akademischer Zeitschriften zu verbringen und meine eigenen Thesen über historische und politische Aufstände zu entwickeln. Recherche dieser Art, hatte er stets betont, war die einzige Art, wie ein Abschluss in Geschichte für irgendjemand von Nutzen sein konnte, weil sie eine akademische Laufbahn ermöglichte. Ich hätte promovieren und eine Professur anstreben können.
In gewisser Weise hatte James recht behalten. Nach meinem Abschluss vor zehn Jahren war mir schnell klar geworden, dass mein Bachelor in Geschichte nicht dieselben Karriereaussichten bot wie James’ BWL-Studium. Während sich meine ergebnislose Jobsuche in die Länge zog, bekam er ohne Probleme eine gut bezahlte Stelle als Wirtschaftsprüfer in Cincinnati. Ich bewarb mich auf mehrere Lehramtsposten an den Highschools und Community Colleges vor Ort, doch wie James es vorausgesagt hatte, bevorzugten sie allesamt höhere Abschlüsse.
Unbeirrt betrachtete ich dies als Chance, tiefer in meine Studien einzusteigen. Mit einer gewissen nervösen Begeisterung stürzte ich mich auf die Bewerbungsunterlagen für ein Aufbaustudium an der University of Cambridge, eine Stunde nördlich von London. James war entschieden dagegen, und ich erfuhr bald, warum: Nur wenige Monate nach unserem Collegeabschluss führte er mich ans Ende eines Piers mit Blick auf den Ohio River, sank auf ein Knie und hielt tränenreich um meine Hand an.
Cambridge hätte genauso gut von der Landkarte verschwinden können, wenn es nach mir ging – Cambridge und Aufbaustudiengänge und sämtliche Romane, die Charles Dickens je geschrieben hatte. Von dem Moment an, als ich am Ende dieses Piers James die Arme um den Hals schlang und Ja flüsterte,...
Erscheint lt. Verlag | 21.7.2022 |
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Übersetzer | Julia Walther |
Sprache | deutsch |
Original-Titel | The Lost Apothecary |
Themenwelt | Literatur ► Historische Romane |
Literatur ► Romane / Erzählungen | |
Schlagworte | Apothekerin • bücher für frauen • England • Gewalt gegen Frauen • Gewalttätige Ehen • Gift • Historischer Roman • historischer Roman England • London • Starke Frauen Buch • zwei Zeitebenen |
ISBN-10 | 3-7499-0525-8 / 3749905258 |
ISBN-13 | 978-3-7499-0525-6 / 9783749905256 |
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