Dramatische Rundschau 04 (eBook)
416 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-491656-9 (ISBN)
Wolfram Lotz, geboren 1981 in Hamburg, wuchs im Schwarzwald auf. Er studierte Literatur-, Kunst- und Medienwissenschaft in Konstanz und Literarisches Schreiben am Deutschen Literaturinstitut Leipzig. 2011 gewann er mit DER GROSSE MARSCH u.a. den Kleistförderpreis und den Publikumspreis des Berliner Stückemarktes. In der Kritikerumfrage von Theater heute wurde er zum Nachwuchsdramatiker des Jahres gewählt. Nach dem Erfolg von EINIGE NACHRICHTEN AN DAS ALL erhielt er 2012 den Dramatikerpreis des Kulturkreises der Deutschen Wirtschaft und 2013 den Kasseler Förderpreis für Komische Literatur. DIE LÄCHERLICHE FINSTERNIS wurde 2015 zum Berliner Theatertreffen und zu den Mülheimer Theatertagen eingeladen. Im selben Jahr erhielt Wolfram Lotz den Nestroypreis für das Beste Stück und wurde in der Kritikerumfrage von Theater heute zum Dramatiker des Jahres gewählt.
Wolfram Lotz, geboren 1981 in Hamburg, wuchs im Schwarzwald auf. Er studierte Literatur-, Kunst- und Medienwissenschaft in Konstanz und Literarisches Schreiben am Deutschen Literaturinstitut Leipzig. 2011 gewann er mit DER GROSSE MARSCH u.a. den Kleistförderpreis und den Publikumspreis des Berliner Stückemarktes. In der Kritikerumfrage von Theater heute wurde er zum Nachwuchsdramatiker des Jahres gewählt. Nach dem Erfolg von EINIGE NACHRICHTEN AN DAS ALL erhielt er 2012 den Dramatikerpreis des Kulturkreises der Deutschen Wirtschaft und 2013 den Kasseler Förderpreis für Komische Literatur. DIE LÄCHERLICHE FINSTERNIS wurde 2015 zum Berliner Theatertreffen und zu den Mülheimer Theatertagen eingeladen. Im selben Jahr erhielt Wolfram Lotz den Nestroypreis für das Beste Stück und wurde in der Kritikerumfrage von Theater heute zum Dramatiker des Jahres gewählt. Ferdinand Schmalz, geboren 1985 in Graz, aufgewachsen in Admont in der Obersteiermark, erhielt gleich mit seinem ersten Theaterstück »am beispiel der butter« 2013 den Retzhofer Dramapreis und wurde zum Nachwuchsdramatiker des Jahres gewählt. Sein Stück »jedermann (stirbt)« wurde am Burgtheater uraufgeführt und mit dem Nestroy-Theaterpreis ausgezeichnet. 2017 nahm er an den Tagen der deutschsprachigen Literatur teil und gewann mit einem Auszug aus »Mein Lieblingstier heißt Winter« den Ingeborg-Bachmann-Preis. 2021 erschien sein gleichnamiger Debütroman, der auf der Longlist des Deutschen Buchpreises sowie auf der Shortlist des Österreichischen Buchpreises 2021 stand. Ferdinand Schmalz lebt in Wien. Auszeichnungen: 2020 Peter-Rosegger-Literaturpreis 2018 Nestroy-Theaterpreis in der Kategorie Bestes Stück für jedermann (stirbt) 2018 Ludwig-Mülheims-Theaterpreis 2017 Ingeborg-Bachmann-Preisträger mit dem Text MEIN LIEBLINGSTIER HEISST WINTER 2017 Kasseler Förderpreis Komische Literatur 2014/2016/2017 Nominiert für den Mülheimer Dramatikpreis 2015 Eröffnung der Autorentheatertage am Deutschen Theater in Berlin in einer Inszenierung des Wiener Burgtheaters mit DOSENFLEISCH 2014 Dramatik Stipendium der Stadt Wien 2014 Nachwuchsdramatiker in der Kritikerumfrage des Jahrbuchs von "Theater heute" 2013 2. Platz beim MDR-Literaturpreis für die Kurzprosa SCHLAMMLAND.GEWALT 2013 Retzhofer Dramapreis für AM BEISPIEL DER BUTTER
B
Also. Jetzt. Anfangen.
C
Anfangen, oder?
A
Puhhhh,
aiaiaiaiai,
B
Okay …
Los,
los jetzt.
A
Warum muss das so schwer sein?
Warum muss das immer wieder so schwer sein?
Warum muss sich das immer wieder so schwer anfühlen?
C
Ist doch einfach jetzt.
Ist doch jetzt der Raum da, hier wurde doch der Raum gegeben. Jetzt sind auch schon die Lichter an, verdammt.
B
Also los!
Los jetzt! Es muss doch hier jetzt losgehen.
A
Warum kann es sich nicht leicht anfühlen?
Warum kann es sich, verdammt nochmal, nicht leicht anfühlen, es zu sprechen, es auszusprechen, das Wort, das erste Wort. Das erste Wort, das Gewicht hat, das eine Rolle spielt, diese Worte, um die es hier doch gehen soll.
C
O Gott, was?
Ja, was, wenn es nicht kommt?
Was, wenn es wieder und wieder nicht kommt? Das Wort.
A
Das erste Wort ist das Wichtigste, oder? Ist doch so.
B
Was, wenn es nicht durchkommt, das Wort, was, wenn das erste Wort schon nicht durchkommt,
C
Ja, wenn das erste Wort schon so gar nicht einschlägt,
B
dann hast du doch eh schon verloren, oder?
A
Ja, aber wie? Wie kann es kommen? Wie kann das Erste von einer kommen, die als Letzte gekommen ist? Wie kann es von einer kommen, nach der keine mehr gekommen ist und nach der wohl keine mehr kommen wird?
B
Ja, da wird wohl keine mehr kommen. Schade.
A
Ja, schade, genau. Das tut weh, das tut so verdammt weh, ich weiß gar nicht, ob ihr euch das vorstellen könnt. Aber da ist halt keine mehr drin, weil es nicht drin ist, weil es für eine wie mich einfach nicht drin ist. Ich weiß, ich weiß, an der Oberfläche sieht es so aus, als wäre hier noch eine drin gewesen. Ich hätte es auch gewollt, aber ist einfach nicht drin, da ist einfach keine mehr drin, weil es unter diesen ganzen Bedingungen einfach nicht drin ist, für so eine wie mich, wenn ich mich nicht nur abschuften will die ganze Zeit. Also bin ich es. Bin ich es? Bin ich hier das Ende? Immer und immer wieder, immer und immer wieder, die Letzte? Muss es denn so sein? Ist es denn so? Warum muss ich es sein, die es machen muss,
B
die hier immer und immer wieder den Anfang machen muss.
A
Eine muss es ja tun.
C
Eine muss ja damit anfangen.
A
Wieder und wieder
B
Immer wieder,
immer wieder dasselbe Ritual. Wenn sie sagt:
»Wiesz co, wiesz, w tedy, w tedy bylo cos takiego cos to sie nazywalo Ausweis. Wiesz Ausweis, to sie tak nazywalo.«
Ich stehe vor der Tür, und ich gehe hinein, und ich stehe vor der nächsten Tür, vor der Tür zu ihrer Wohnung, die mal die Wohnung war, in der ich gelebt habe,
mit ihr,
in dieser Wohnung da, die da auf dem Dorf ist,
in dem heute fünfzig Menschen leben,
in dieser Gegend da, dieser bergigen,
tam gdzie jest snieszka,
in diesem Dorf da,
als ich mit ihr dort lebte,
mit dir,
bis wir,
nicht du und ich,
sondern wir,
ich und sie,
ich und die Eltern,
meine Eltern,
bis wir dann eines Tages gegangen sind,
na ja, eigentlich sind wir gefahren, mit dem Auto, eines Tages, von dort weggefahren, über zwei Grenzübergänge gefahren, an denen beide Male zwei Männer in Uniform »die Ausweise« gesagt haben, ohne ein verdammtes »Bitte« hinterher. Das »Bitte« war nicht drin, das »Bitte«, das konnte man sich damals bei solchen wie uns sparen, damals, als wir rübergefahren sind, mit dem Auto, es war Nacht, und es gab da so ein Zittern, das im ganzen Auto vibrierte, bei jedem Grenzübergang,
jetzt,
ich reise ein,
mit so einem Pass,
reise wieder ein,
oder reise ich zurück?
Ich weiß es nicht mehr,
reise jetzt ein,
mit einem anderen Pass,
mit dem Pass aller Pässe,
mit dem allerbesten Pass,
jahhh,
jahh,
mit so einem weinroten Luxuspass,
mit so einem Pass, mit dem man fast überall hinreisen kann, aber nur die, die ihn haben, die anderen, tja, die haben Pech gehabt,
ja dieser Pass, dieser weinrote Luxuspass, der jetzt da ist,
der lange hat auf sich warten lassen, der ein Jahrzehnt hat auf sich warten lassen, dieser schöne Pass, der uns, um an ihn zu kommen, ein Jahrzehnt durch die Flure der Behörde geschlurft hat, dieser Pass,
auf den wir, also auf den ich und meine Eltern, also nein, anders, auf den doch eher meine Eltern so lange gewartet haben, oder?
A
Zumindest habe ich immer gedacht, dass sie tiefst sehnsüchtig auf ihn gewartet haben, auch wenn ich eigentlich nicht weiß, wie es für sie war, was weiß ich schon, wie sich das Warten für sie angefühlt hat.
Immer dasselbe,
immer wieder dasselbe Ritual.
Ich bin zu Besuch und denke:
Ja, na toll, bin ich jetzt auch so eine von denen geworden? So eine deutsche Touristin? Weil den passenden Pass habe ich ja, so einen deutschsprachigen, obwohl Pässe nicht sprechen können, oder doch? Na ja, wenn er sprechen könnte, dieser schöne Weinrote, dann würde er sagen: Blink! Blink! Tatatat! Congrats, jetzt hast du ihn! Den besten Pass, den Pass aller Pässe,
aber sorry,
soll ich mir jetzt auf die Schulter klopfen, oder was?
Was hat das mit mir zu tun, ich habe mir doch nichts von dem Ganzen ausgesucht, und wenn sich schon jemand auf die Schultern klopfen kann, dann meine Eltern.
B
Das ist aber auch Bullshit,
weil das alles willkürlich ist,
weil das nichts mit Menschen zu tun hat,
weil das nichts damit zu tun hat, wie gut du bist, oder wie viel du geleistet hast,
so ein Pass, so ein schöner weinroter, mit dem du jetzt einreist, in dieses Land, in dieses Land, von dem man sagt, es sei vom Kapitalismus aufgefressen worden, von der neuen Rechten dort aufgefressen worden, dieses Land, das sich an den Westen verkauft hat, das sich bloß nicht wieder an Russland verkaufen wollte, sagen meine Eltern.
A
Heute,
immer wieder,
immer wieder einmal im Jahr,
fahre ich ein,
ich fahre ein und werde abgeholt,
mein Onkel,
er steht am Bahnsteig und hat eine Cappi auf und grinst,
grinst unter seinem Schnäuzer, den er da schon seit dreißig Jahren auf seiner Oberlippe hat,
das ist ein echtes Style Statement, denke ich immer wieder,
dieser Schnäuzer,
diese Schnäuzer,
die sie da damals alle hatten und heute noch haben.
Diese Männer,
und die Schnäuzer über ihren Mündern,
aus denen mir seit dreißig Jahren,
aus denen mir seit fucking dreißig Jahren
chauvinistische Kackscheiße entgegenkommt,
diese Männer,
die auch Onkels sind,
diese Onkels,
die dir auf der Familienfeier ein Bier organisieren oder auch zwei, und eine Kippe,
die sie dann heimlich mit dir hinter der Garage rauchen,
damit deine Eltern das nicht mitbekommen,
diese Männer,
und ihre Chauvi-Schnäuzer,
die du trotzdem doch irgendwie liebst.
C
Immer wieder dasselbe Ritual,
immer dasselbe Ritual,
ein Ritual aus der Zeit, als sie noch lebte.
Ich gehe den Dorfberg zu ihrer Wohnung hoch.
Ich gehe durch die erste Tür und stehe vor der zweiten Tür und klopfe:
»Prosze.«
Ich trete ein, und sie sitzt da, auf ihrem Stuhl am Ofen in der Küche, weil der Kohleeimer neben dem Ofen steht und die Kohle in den Ofen geschüttet werden muss, mit einer Schaufel. »Babcia, jestem tutaj, przyjechalam.«
»Jestes moja«, sagt sie sanft.
Immer wieder dasselbe Ritual. Ich mache Schwarztee. Ich hole die Venensalbe aus dem Schrank, um ihre Beine einzucremen. Sie wehrt sich. Aber ich creme die Beine trotzdem ein. Wir schweigen, weil wir beide wissen, dass es doch schön ist, und dann:
»Masz kogos? Masz kogs w zyciu?«
B
Und ich will sagen:
»Nie mam.«
Ich will sagen, es ist anders, anders da in diesem Land, in dem ich jetzt lebe, da ist es anders, babcia, weißt du, da ist es ganz, ganz anders, weil da brauchen wir Frauen keinen Mann und keinen Ehering und keine Kinder, will ich sagen. Ich sitze vor ihr, vor dieser Frau, vor dieser alten Frau, vor dieser Mutter, vor meiner Großmutter: »Wiesz, ja, ja jestem inna generacia.«
A
Eine andere Generation,
a different generation.
We are a different generation,
a different generation,
in a country,
in diesem Land,
in dem man zum Identifikationspapier »Ausweis« sagt,
in diesem Land da, in dem ich lebe,
da ist es anders, will ich zu ihr sagen.
In diesem Land da,
ist es halt liberaler
und die Frau halt freier,
sage ich zu ihr,
und während ich das sage,
während ich das zu ihr sage,
merke ich schon,
B
dass ich,
dass ich selbst so überhaupt keinen Bock hab,
keinen Bock auf dieses Narrativ,
auf dieses Narrativ vom goldenen Westen,
das vielleicht das Narrativ meiner Eltern ist oder war,
aber das ich nicht unterschreiben kann,
was weiß ich schon, ich weiß es auch nicht,
wie es denn eigentlich...
Erscheint lt. Verlag | 26.10.2022 |
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Reihe/Serie | Dramatische Rundschau | Dramatische Rundschau |
Zusatzinfo | 17 s/w Abbildungen |
Verlagsort | Frankfurt am Main |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Lyrik / Dramatik ► Dramatik / Theater |
Schlagworte | Aktuelle Stücke • Anthologie • Bühne • das drama lebt • Die Politiker • Drama • Drama Literatur • Dramatik • Dramaturgie • Ewe Benbenek • Ferdinand Schmalz • hildensaga • im wald (da sind) • Leo Meier • Milena Michalek • moderne Dramatik • Ruth Johanna Benrath • spectaculum • Stücke • Theaterpraxis • Theaterstücke • Theater Theater • Tragödienbastard • Wolfram Lotz • zwei herren von real madrid |
ISBN-10 | 3-10-491656-X / 310491656X |
ISBN-13 | 978-3-10-491656-9 / 9783104916569 |
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