Der ganze Himmel (eBook)

Roman | Vom australischen Bestsellerautor von »Der Junge, der das Universum verschlang« | »Herzzerreißend schön.« Danny Marques Marcalo, NDR Kultur

(Autor)

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2022 | 1. Auflage
512 Seiten
HarperCollins eBook (Verlag)
978-3-7499-0511-9 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Der ganze Himmel - Trent Dalton
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Eine Geschichte über verborgene Geheimnisse und wahre Schätze

Darwin, Australien, 1942: Als ein japanischer Bombenangriff die Stadt Darwin trifft, macht sich die 12-jährige Waise Molly Hook auf den Weg in den australischen Outback, um »Longcoat Bob« zu finden. Er hat ihre Familie, so glaubt sie, mit einem Fluch belegt, und sie will ihn bitten, den Fluch aufzuheben. An ihrer Seite sind Greta, eine deutsche Schauspielerin, und Yukio, ein japanischer Kriegspilot, der das Kämpfen leid ist. Und über ihnen stets der Himmel, der Molly lenkt und leitet. Eine Reise, auf der die größten Gefahren warten und die unglaublichsten Wunder geschehen, beginnt.

»Ein Werk von glänzender Originalität und Energie mit unglaublichen Charakteren und einem cleveren, spannenden Plot. Man kann es nicht aus der Hand legen.« Sydney Morning Herald



Trent Dalton wuchs in einem Vorort von Brisbane, Australien, auf und ist vielfach ausgezeichneter Journalist. Er gewann zweimal den »Walkley Award for Excellence in Journalism«, viermal den »Kennedy Award for Excellence in NSW Journalism« und wurde viermal als australischer »Journalist des Jahres« geehrt. Sein Debütroman »Der Junge, der das Universum verschlang« war ein australischer Bestseller, wurde u. a. mit dem Indie Book of the Year Award 2019 ausgezeichnet und in 34 Ländern veröffentlicht. Mit »Der ganze Himmel« hat er nun seinen zweiten Roman vorgelegt.

MOLLY UND DIE GRABINSCHRIFT


Eine Bulldoggenameise krabbelt über einen Fluch. Der Kopf der Ameise ist blutrot, und sie hält an, läuft weiter, hält wieder an, läuft weiter und krabbelt durch das gemeißelte F einer Grabinschrift. Die siebenjährige Molly Hook fragt sich, ob die Bulldoggenameise wohl jemals den ganzen Himmel gesehen hat, bei all den verrückten Winkeln, in denen Bulldoggenameisen so laufen, und wenn die Ameise keinen Himmel sehen kann, dann wird Molly ihr eben einen machen. Die Bulldoggenameise folgt einem schnurgeraden L, dann dem runden Unterschwung des Us, kriecht hinüber zu einem gewundenen C und hinaus aus den langen Furchen eines Hs. Molly ist das Totengräbermädchen. Sie hat gehört, wie die Leute in der Stadt sie so nennen. Armes kleines Totengräbermädchen. Irres kleines Totengräbermädchen. Sie lehnt auf ihrer Schaufel. Die Schaufel hat einen Holzstiel, der so lang ist wie sie selbst, und ein breites dreckverkrustetes Stahlblechblatt mit gezahnten Kanten, um Wurzeln zu zerhacken. Molly hat der Schaufel einen Namen gegeben, weil sie ihre Schaufel gernhat. Sie nennt sie Bert, weil die Zacken an der Seite sie an die fauligen, eiszapfenförmigen Eckzähne von Bert Green erinnern, dem der Sugar-Lane-Süßigkeitenladen in der Shepherd Street gehört. Bert die Schaufel hat ihr dieses Jahr schon geholfen, sechsundzwanzig Gräber auszuheben, das erste Jahr, in dem sie mit ihrer Mutter, ihrem Vater und ihrem Onkel Gräber schaufelt. Bert hat für sie eine Schwarzpeitschenschlange erschlagen. Mollys Mutter Violet sagt, Bert ist Mollys zweitbester Freund. Mollys Mutter sagt, ihr bester Freund ist der Himmel. Denn der Himmel ist der beste Freund eines Mädchens. Es gibt Dinge, die der Himmel einem Mädchen über sich selbst erzählt, die niemand anders ihm je erzählen könnte. Mollys Mutter sagt, dass der Himmel nicht ohne Grund auf Molly achtgibt. Alles, was sie je über sich selbst zu lernen hat, sagt ihre Mutter, steht da oben geschrieben. Sie muss einfach nur hochgucken.

Mollys nackte Füße sind so dreckverkrustet wie Berts Schaufelblatt, und über Knie und Ellbogen ziehen sich kupferbraune Streifen tönerner Friedhofserde. Molly, die den weitläufigen, runtergekommenen, halb toten Friedhof völlig zu Recht als ihr Königreich betrachtet, hüpft auf eine alte schwarze Steinplatte und kniet nieder, um ihren großen blauen Augapfel ganz dicht über die krabbelnde Bulldoggenameise zu halten. Sie fragt sich, ob die Ameise das tiefe Blau in ihren Augen sehen kann, und denkt, wenn die Ameise dieses Blau in ihren Augen sieht, dann wird sie vielleicht eine Ahnung davon bekommen, wie es sich anfühlt, den gewaltigen blauen Himmel über Darwin zu sehen.

»Runter von dem Grab, Molly.«

»Sorry, Mum.«

Der Himmel hat die Farbe von 1936, und der Himmel hat die Farbe von Oktober. Wenn man aus dem blauen Himmel auf sie herabblickt und immer näher hinschaut, sieht man eine Mutter und eine Tochter vor einem Goldschürfergrab stehen, an der abgelegensten Grabstelle im abgelegensten Winkel des Hollow Wood Cemetery, am weitesten von der Kieseinfahrt entfernt. Sie sind ältere und jüngere Versionen ihrer selbst. Molly Hook, braun gelocktes Haar, knochendürr und unbeschwert. Violet Hook, braun gelocktes Haar, knochendürr und bekümmert. Sie hält etwas hinter ihrem Rücken, doch ihre Tochter ist mal wieder zu beschäftigt, zu sehr Molly, um es zu bemerken. Violet Hook, die Totengräbermutter, die stets etwas verbirgt. Ihre zittrigen Finger. Ihre Gedanken. Die Totengräbermutter, die Menschen tot im Dreck vergräbt und ihre Geheimnisse lebendig in sich selbst. Die Totengräbermutter, die aufrecht geht, doch immer in Gedanken ist. Sie steht am Fuß eines alten Kalksteingrabs aus grauem Stein, schon so verwittert, dass er schwarz wirkt; zerfressen, marode und gebrochen wie die Leute, die für die billigen Gräber auf diesem billigen Friedhof gezahlt haben; gebrochen wie Aubrey Hook und sein jüngerer Bruder Horace Hook – Mollys Vater, Violets Ehemann –, die ständig abgebrannten Säufer, groß gewachsen, mit schwarzen Hüten und verschwitzten Gesichtern und selten mal zu Hause. Die dunkeläugigen Brüder, die diesen Friedhof geerbt haben, widerwillig dessen verzogene und verrostete Tore offen halten und ihre Friedhofsgeschäfte von den Pubs und Gin Bars in Darwin aus erledigen – und aus einem schummrigen und zerschlissenen, in rotem Samt möblierten Hinterzimmer im unterirdischen Opium-Bordell unter Eddie Loongs weitläufigem Schuppen in der Gardens Road, wo er seine nordaustralischen Meeräschen trocknet und einsalzt, um sie nach Hongkong zu verschiffen.

Molly stemmt die Rechte auf die Grabplatte, stößt sich, allein weil sie es kann und will, von der Platte ab und schnellt in einer raschen Folge wilder Drehungen vom Grab, so frei und ungestüm, dass ihr ganz schwindelig wird und sie hoch zum Himmel blicken muss, um das Gleichgewicht wiederzufinden. Und dort entdeckt sie etwas.

»Schwimmender Delfin«, sagt Molly, so beiläufig, wie sie eine Stechmücke auf dem Ellbogen bemerken würde. Violet schaut hoch, um Mollys Delfin zu finden, der aus einer Wolke besteht, die gerade eine dickere Wolke anstupst, in der Violet erst ein Iglu erkennt, bevor sie ihre Meinung ändert. »Dicke fette Ratte, die sich den Hintern leckt«, sagt sie.

Molly nickt und kringelt sich vor Lachen.

Violet trägt ein altes weißes Leinenkleid, und ihre Haut ist gerötet von der Sonne Darwins, heiß von Darwins Hitze. Sie hält noch immer etwas hinter ihrem Rücken, verbirgt dieses Etwas vor ihrer Tochter.

»Stell dich neben mich, Molly«, sagt Violet.

Molly und Bert, die treue und robuste Schaufel, nehmen ihre Plätze neben Violet ein. Molly folgt dem Blick der Mutter, sieht, was ihre Aufmerksamkeit erregt. Ein Name auf einem Grabstein.

»Wer war Tom Berry?«, fragt Molly.

»Tom Berry war ein Schatzsucher«, sagt Violet.

»Ein Schatzsucher?«, keucht Molly.

»Tom Berry hat in jedem Winkel dieses Landes Gold gesucht«, sagt Violet.

Molly findet Zahlen unter dem Namen auf dem Grabstein: 18681929.

»Tom Berry war dein Großvater, Molly.«

Unter den Zahlen stehen so viele Wörter: Gedrängt und überladen und zu klein füllen sie den ganzen Grabstein. Es ist weniger eine Inschrift als eine Warnung oder eine Art öffentliche Bekanntmachung für die Bewohner Darwins, und Molly müht sich, ihre Bedeutung zu verstehen.

HIERMIT SEI KUNDGETAN, DASS ICH VERFLUCHT VON EINEM HEXENMEISTER STARB. ICH NAHM ROHGOLD VOM LAND DES SCHWARZEN NAMENS LONGCOAT BOB, UND ICH SCHWÖRE BEI GOTT: ER HAT MICH UND MEINE ANVERWANDTEN FÜR DIE SÜNDE MEINER GIER MIT EINEM FLUCH BELEGT. LONGCOAT BOB HAT UNSERE GUTEN HERZEN ZU STEIN WERDEN LASSEN. ICH TRUG DAS GOLD ZURÜCK, DOCH LONGCOAT BOB NAHM DEN FLUCH NICHT VON MIR, UND SO RUHE ICH HIER UND BEREUE NUR EINES: DASS ICH LONGCOAT BOB NICHT UMGEBRACHT HABE, ALS ICH ES KONNTE. SEI’S DRUM, SO VERSUCHE ICH MEIN GLÜCK HALT IN DER HÖLLE.

»Wozu sind all die Wörter gut, Mum?«

»So etwas nennt man eine Grabinschrift, Molly.«

»Was ist eine Grabinschrift, Mum?«

»Es ist die Geschichte eines Lebens.«

Molly studiert die Wörter. Zeigt mit dem Finger auf ein Wort in der zweiten Zeile.

»Ein Mann, der zaubern kann«, sagt Violet.

Molly deutet auf ein anderes Wort.

»Ein böser Zauber für jemanden, der es vielleicht verdient hat«, sagt Violet.

Der Kinderfinger huscht zu einem anderen Wort.

»Anverwandte«, sagt Violet. »Das bedeutet Familie, Molly.«

»Väter?«

»Ja, Molly.«

»Mütter?«

»Ja, Molly.«

»Töchter?«

»Ja, Molly.«

Molly schabt mit dem Nagel ihres rechten Zeigefingers über Berts Griff.

»Hat Longcoat Bob dein Herz zu Stein werden lassen, Mum?«

Langes Schweigen. Violet Hook mit ihren Zitterhänden. Eine lange braun gelockte Strähne weht ihr über die Augen.

»Diese Inschrift ist scheußlich, Molly«, sagt Violet. »Dein Großvater hat die Geschichte seines Lebens mit Zorn und Rachsucht verschandelt. Eine Grabinschrift sollte anmutig und wahr sein. Diese Inschrift hier ist nur eines von beidem. Eine Inschrift sollte poetisch sein.«

Molly dreht sich zu ihrer Mutter. »So wie das Gedicht auf Mrs. Salmons Grab, Mum?«

HIER LIEGT PEGGY SALMON,

SIE LIEBTE FISCH UND WEIN

KANNT’ WEDER PRUNK NOCH HUNGER

GOSS GERN EIN GLÄSCHEN EIN

»Versprichst du mir etwas, Molly?«

»Ja.«

»Versprich mir, dass du alle Gedichtbände liest, die im Regal neben der Haustür stehen.«

»Das verspreche ich, Mum.«

»Versprichst du mir noch etwas, Molly?«

»Ja, Mum.«

»Versprich mir, dass du ein würdevolles Leben führen wirst, Molly. Versprich mir, dass du ein großartiges, wunderschönes und poetisches Leben haben wirst, und selbst wenn es nicht poetisch wird, sollst du darüber schreiben, als wär es so gewesen. Du schreibst darüber, Molly, verstehst du? Versprich mir, dass deine Grabinschrift nicht so hässlich wird wie diese hier. Und wenn jemand anders deinen Grabspruch schreibt, dann sorge dafür, dass er keine Mühe damit hat. Du musst ein so erfülltes Leben leben, dass sich deine Inschrift wie von selbst schreibt, verstehst du? Versprichst du mir das?«

»Das verspreche ich, Mum.«

Molly wackelt mit den Knien. Molly ist zappelig. Weil sie es will und kann, schmeißt sie Bert einfach in den Dreck...

Erscheint lt. Verlag 27.12.2022
Übersetzer Alexander Weber
Sprache deutsch
Original-Titel All our shimmering Skies
Themenwelt Literatur Historische Romane
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Australien • Coming of Age • Darwin • Der Gesang der Flusskrebse • Fluch • Freundschaft • Gold • Goldsucher • Himmel • Japan • Liebe • Literatur • Mädchen • Magie • Mutter • Mutterliebe • Reise • Schatz • Schatzsuche • Schauspielerin • Totengräber • Trent Dalton • Wunder • Zweiter Weltkrieg
ISBN-10 3-7499-0511-8 / 3749905118
ISBN-13 978-3-7499-0511-9 / 9783749905119
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