An den Ufern von Stellata (eBook)

Roman | Die Geschichte einer Familie, deren Geschicke so verschlungen sind wie der Lauf des Flusses
eBook Download: EPUB
2022 | 1. Auflage
512 Seiten
Ullstein (Verlag)
978-3-8437-2776-1 (ISBN)

Lese- und Medienproben

An den Ufern von Stellata -  Daniela Raimondi
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»Ein Epos voller Drama, Leidenschaft und Liebe.« Freundin Ein Dorf in der Lombardei zu Beginn des neunzehnten Jahrhunderts: Als ein Wagenzug des fahrenden Volkes nach sintflutartigen Regenfällen gezwungen ist, in Stellata zu überwintern, nimmt das Schicksal seinen Lauf. Der schwermütige Giacomo Casadio verliert sein Herz an Viollca, eine Frau mit rabenschwarzer Mähne und Federn im Haar. Die beiden bekommen einen Sohn, der sich am Grab seines Vaters weiter lebhaft mit ihm - und mit anderen Toten - unterhält. Doch damit nicht genug. Für ihren Enkel Achill, der das Gewicht eines Atemzugs messen will, und Neve, die mitten im Sommer in einem Schneesturm zur Welt kommt, und auch für die kühne Donata, die über ihren Idealen sich selbst vergisst, hält das Leben die Herausforderung bereit, weder den Kopf in den Wolken zu verlieren noch in den Fluten unterzugehen. »So klingen spannende Familiengeschichten und An den Ufern von Stellata ist voll von ihnen.« Stern

Daniela Raimondi wurde in der Lombardei geboren und verbrachte den größten Teil ihres Lebens in England. Sie hat zehn Gedichtbände veröffentlicht, die mit wichtigen nationalen Literaturpreisen ausgezeichnet wurden. Ihr Romandebüt An den Ufern von Stellata hat es auf Anhieb auf die italienische Bestsellerliste geschafft und wird in zahlreiche Sprachen übersetzt.

Daniela Raimondi wurde in der Lombardei geboren und verbrachte den größten Teil ihres Lebens in England. Sie hat zehn Gedichtbände veröffentlicht, die mit wichtigen nationalen Literaturpreisen ausgezeichnet wurden. Ihr Romandebüt An den Ufern von Stellata hat es auf Anhieb auf die italienische Bestsellerliste geschafft und wird in zahlreiche Sprachen übersetzt.

Prolog
~


»Die Fremde aus dem Wohnwagen war schuld daran, dass wir zu einer Familie von Bastarden wurden.« Das sagte mir oft meine Großmutter, wenn sie in weißer Schürze und mit aufgekrempelten Ärmeln am Küchentisch stand, um den Nudelteig auszurollen. Dann begann sie, unsere Geschichte zu erzählen, und ließ dabei die Eier in den Mehlkrater fallen. Eine kleine Bewegung aus dem Handgelenk, kricks, ein Ei; noch eine, kracks, wieder ein Ei. Sie knetete den Teig und erzählte und weinte und lachte. Sie war sich sicher, es sei die Schuld eines unserer Vorfahren, der vor zwei Jahrhunderten jene Frau geheiratet hatte, dass die eine Hälfte unserer Verwandtschaft eine helle Haut und himmelblaue Augen hatte und die andere mit rabenschwarzem Haar und dunklen Augen auf die Welt kam.

Doch ihre Erzählungen waren nicht das Gefasel einer alten Frau, die in Erinnerungen schwelgt. Die Ankunft der zingari, wie man sie damals nannte, in Stellata, dem kleinen Ort, in dem meine Familie ihren Ursprung hat, ist in einem jahrhundertealten Dokument verzeichnet, das bis zum heutigen Tage in den historischen Archiven der Biblioteca Ariostea in Ferrara verwahrt wird.

An dem Tag, als der Wagenzug des fahrenden Volkes im Dorf eintraf, goss es in Strömen, als hätte der Himmel all seine Schleusen geöffnet. Es war November, und die sintflutartigen Regenfälle dauerten bereits Wochen an. Die Felder standen unter Wasser, und auch die Wege, die Straßen, die Gehöfte und sogar die Piazza waren verschwunden. Die Leute schipperten auf Booten umher, und Stellata hatte sich in eine Art kleines Venedig verwandelt, allerdings in eine elende Ausgabe der Serenissima, die statt Palazzi und Gondeln nur mit heruntergekommenen Häusern und verfaulten Booten aufwarten konnte, die im brackigen Wasser des Flusses dümpelten.

Quietschend hatten sich die Wohnwagen auf den Steg gequält, der wie eine Brücke über den Fluss Po reichte, und waren dann auf dem Dammweg weitergezogen. Von oben prasselte der Regen, und die Pferde sanken mit ihren Hufen tief in den Morast ein. Die Räder blockierten, das Holz knirschte, und am Ende blieben die Wagen im Schlamm stecken. Bis spät in die Nacht hinein ackerten die Männer, um sie zu befreien, doch bei fünf der Gefährte war nichts zu machen, und die Landfahrer mussten im Dorf bleiben, um auf bessere Zeiten zu warten.

Als der Regen endlich nachließ, kamen die Wohnwagen frei, die Räder wurden gewechselt, doch eine Reihe von Vorkommnissen führte dazu, dass sich die Abfahrt der Fremden immer wieder verzögerte: Zuerst musste man den Ausgang einer schwierigen Geburt abwarten, dann erkrankte jemand an der Ruhr, und am Ende verendete auch noch eines der Pferde. Als die zingari endlich bereit waren, ihren Weg fortzusetzen, kam der härteste Winter des Jahrhunderts, und das Dorf war im Eis versunken. Sich bei solchen Widrigkeiten auf den Weg zu machen, schien allen ein sinnloses Unterfangen zu sein.

Um sich in der Eintönigkeit des langen Winters Abwechslung zu verschaffen, verdingten sich einige der Landfahrer als Hufschmiede; andere begannen, auf dem Markt Binsenkörbe, Zaumzeug, Siebe und Tamburine feilzubieten; wieder andere spielten als Musikanten bei Taufen und Hochzeiten auf. Der Frühling kam und ging; im Sommer brach das Fleckfieber aus und schnitt das Dorf von der Außenwelt ab. So gingen die Jahreszeiten ins Land, und im Leben der Landfahrer schlich sich unwiderruflich der Alltag ein.

Fast ohne dass die Bewohner von Stellata sich dessen bewusst waren, wandelte sich der anfängliche Groll gegenüber den Neuankömmlingen, und ihre Anwesenheit wurde zur Gewohnheit. Die Alten starben, Kinder wurden geboren, und die jungen Leute verliebten sich, ohne sich um die Unterschiede zu scheren. Und so kam es, dass im Laufe weniger Generationen bei einem Drittel der Bewohner Stellatas fremdes Blut durch die Adern floss.

Genau hier betritt mein Ururgroßvater Giacomo Casadio die Bühne. In Stellata war er als Einzelgänger bekannt, ein Mann von schwerem Gemüt. Doch die Natur hatte ihn auch mit einer großen Vorstellungskraft gesegnet, und schon bald hatte sich sein Ruf als ein Mann gefestigt, der in die Zukunft sehen konnte. Sein Traum war es, Boote zu bauen, doch nicht etwa die gewohnten schlichten Nussschalen, die man entlang der Ufer des Flusses Po sehen konnte. Giacomo hatte gewaltige Schiffe im Sinn, mit Laderäumen, in denen man nicht nur Korn, Holz, Hanf und kleineres Hofvieh transportieren konnte, sondern auch Kühe und Pferde. Kurz gesagt: Giacomo Casadio schwebte etwas vor, das der Arche Noah sehr nahekam.

Die Idee war ihm schon als kleiner Junge gekommen, als er im Pfarrhaus in einer Bibel blätterte und auf das Bild der sagenumwobenen Arche stieß, die zum Auslaufen bereit war. Es war ein wunderschönes Schiff mit einem gewaltigen runden Bauch, die Köpfe von Löwen und Giraffen spähten aus den Fensterluken, weiter unten, noch an Land, warteten geduldig die Enten, die Hähne und Hühner, dann paarweise die Ziegen, Dromedare, Schafe und Esel. Ein Schiff, das der großen Sintflut die Stirn bieten und alle Lebewesen der Erde retten konnte! Genau dieses Bild aus der Bibel hatte seine Wurzeln in Giacomos Vorstellungskraft geschlagen, und kaum war er zum Jüngling herangewachsen, begann er, im Hof Archen zu bauen. Er hatte lange darüber nachgedacht: Schon immer war der Fluss das schnellste Transportmittel für das rege Hin und Her von Menschen, Karren und Vieh gewesen; und dann waren da auch noch die Fischer, die Froschfänger, die Sandgräber … In Stellata, an einer Stelle, wo der Po breit und tief war, könnte ein großer Flusshafen entstehen …

Drei Jahre hatte es gedauert, um sein Projekt zu vollenden. Als die Arche fertig war, wartete Giacomo auf den 4. Dezember, den Tag der heiligen Barbara, der Beschützerin der Seeleute, um das Schiff zu Wasser zu lassen.

An jenem Morgen herrschte große Aufregung in Stellata. Das gesamte Dorf stand auf dem Damm, um sich das Spektakel nicht entgehen zu lassen. Selbst der Priester samt Kruzifix, Messdienern und Weihwasser war angerückt. Ein gewaltiger Karren, von zwölf Ochsen gezogen, schleppte das Schiff zum Fluss. Kaum war sein morastiges Ufer erreicht, traten die stärksten Männer des Dorfes auf den Plan und ließen die Arche auf Baumstämmen, die immer wieder von hinten nach vorne gerollt wurden, zuerst vom Karren und dann am Ufer entlanggleiten. Es wurde gestaunt und geschrien und angefeuert, es gab bange Momente des Wankens und des Zitterns, doch am Ende glitt die Arche gemächlich in die Fluten des Po. Applaus und Jubelrufe brandeten am Ufer auf.

Mit dem schlenkernden Gang, der ihm eigen war, und siegesgewisser Miene ging Giacomo an Bord. Seine himmelblauen Augen funkelten, als er die am Ufer versammelte Menge mit stolzgeschwellter Brust grüßte. Niemals in seinem Leben hatte er ein solches Glück empfunden.

Doch leider kam die Arche nicht weit; in weniger als einer Stunde war sie bereits auf Grund gelaufen.

Der Mann verfiel in einen Zustand tiefer Niedergeschlagenheit, der den gesamten Winter anhielt. Seine Familie war so beunruhigt, dass der Vater ihn am Ende dazu ermutigte, Giacomo solle seinen Grips anstrengen und es noch einmal versuchen. Das nächste Mal würde er seine Arche bis zum Meer bringen. »At ghè ’na testa fina. La prósima volta la to barca at’ la porti fin al mar!«, sagte er im Brustton der Überzeugung.

Angetrieben von dieser Ermunterung, überwand Giacomo seine Enttäuschung und begann mit dem Bau einer zweiten Arche, doch auch damit hatte er kein Glück. Am Ende zimmerte er ein halbes Dutzend dieser Schiffe, doch sie alle erlitten das gleiche Schicksal und sanken. Um der Wahrheit die Ehre zu geben, hielten sich immerhin zwei tagelang über Wasser, und mit der sechsten Arche erreichte Giacomo sogar Comacchio und das Delta des Flusses Po, doch genau in dem Moment, als er glaubte, sein Vorhaben sei geglückt, begann das Schiff, mit Wasser vollzulaufen, und sank innerhalb weniger Stunden. An jener Stelle war das Wasser des Flusses so seicht, dass sich noch Generationen später die Nachkommen der Aalfischer, die Zeugen der Havarie wurden, erzählten, ihre Vorfahren hätten den Großmast des Schiffes aus dem Wasser ragen sehen.

Zwischen einem Scheitern und dem nächsten erlebte Giacomo Monate der Erschöpfung, die so sehr an seinen Kräften zehrten, dass er nicht einmal in der Lage war, Feldarbeit zu verrichten, bis urplötzlich wieder eine Zeit der Begeisterung kam, der Traum vom Bau einer Arche ihn erneut verfolgte und zum Besessenen machte. Irgendwann kam der Moment, an dem auch der Vater die Geduld verlor. »Adès basta! At zsé sta bon ad fundáran sié. Tuti zo in d’al Po com ad li predi!«

Doch auch wenn alle sechs Schiffe, wie sein Vater sagte, wie Steine im Flusse Po ersoffen waren – Giacomos Traum war groß, und seine Eltern wussten, dass der Bau von Archen das Einzige war, das ein wenig Glück ins Leben ihres Sohnes bringen konnte, so schwermütig, wie er schon im Bauch seiner Mutter gewesen war. Und so kam es, dass sich der Hof erneut innerhalb weniger Monate in eine Schiffswerft mitsamt Gerüsten, Bretterstapeln, ganzen Eimern voller Nägel, Seilen, Zangen, Sägen und kunterbunten Taurollen verwandelte. Und mitten in diesem Tohuwabohu aus Holzteilen und...

Erscheint lt. Verlag 28.7.2022
Übersetzer Judith Schwaab
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Historische Romane
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Allende • Armut • Bestseller • Familiendrama • Familiengeschichte • Familienleben • Familienroman • Frau • Frauenschicksal • früher • Gegenwartsliteratur • Herkunft • international • Naturverbundenheit • Schicksal • starke • Strand • Strandlektüre • Urlaub • Vergangenheit • Zusammenhalt
ISBN-10 3-8437-2776-7 / 3843727767
ISBN-13 978-3-8437-2776-1 / 9783843727761
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