Fräulein vom Amt - Der Tote im Kurhaus (eBook)
350 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-491510-4 (ISBN)
Ein Foto von ihrer mit Kopfhörern vor einem Schaltschrank sitzenden Großmutter hatte es Regine Bott schon als Kind angetan. Dem Begriff des »Fräulein vom Amt« begegnete sie damals zum ersten Mal, und der Beruf der Telefonistin ließ sie nicht mehr los. Dorothea Böhme begegnete Regine Bott hingegen erst Jahrzehnte später. Und siehe da: Auch das Leben von Dorotheas Großmutter bot so einiges an Romanstoff, stellte sie doch die damaligen Geschlechterrollen auf den Kopf. Die Idee, gemeinsam als Charlotte Blum eine Serie um das Fräulein vom Amt Alma Täuber und ihre unkonventionelle Freundin Emmi zu schreiben, war geboren. Die beiden Autorinnen sind gemeinsam nicht nur schreibend unterwegs, sondern treten auch regelmäßig im Rahmen einer Lesebühne zusammen auf. Sie leben mit ihren Familien in Stuttgart und Kornwestheim.
Ein Foto von ihrer mit Kopfhörern vor einem Schaltschrank sitzenden Großmutter hatte es Regine Bott schon als Kind angetan. Dem Begriff des »Fräulein vom Amt« begegnete sie damals zum ersten Mal, und der Beruf der Telefonistin ließ sie nicht mehr los. Dorothea Böhme begegnete Regine Bott hingegen erst Jahrzehnte später. Und siehe da: Auch das Leben von Dorotheas Großmutter bot so einiges an Romanstoff, stellte sie doch die damaligen Geschlechterrollen auf den Kopf. Die Idee, gemeinsam als Charlotte Blum eine Serie um das Fräulein vom Amt Alma Täuber und ihre unkonventionelle Freundin Emmi zu schreiben, war geboren. Die beiden Autorinnen sind gemeinsam nicht nur schreibend unterwegs, sondern treten auch regelmäßig im Rahmen einer Lesebühne zusammen auf. Sie leben mit ihren Familien in Stuttgart und Kornwestheim.
netter Krimischmöker
Eine unkonventionelle Mördersuche mit viel ›Golden-Twenties-Flair‹,
Klug, spannend und amüsant [...].
Sympathisch, diese ›Charlotte Blum‹. Und überhaupt der ganze Abend.
1924
1
Er würde nicht schreien. Kräftige Hände packten ihn, stießen ihn, vorwärts, hinab, hinein in sein Grab.
Dunkelheit. Der Geruch von Lehm umfing ihn. Staub reizte seine Lungen. Wie betrunken stolperte er die Stufen hinunter, stürzte, schlug hart auf dem festgetretenen Erdboden auf.
Eine Fackel hatte man ihm gelassen; sie warf ein schwaches Licht auf die Mauern um ihn. Eine einzige Fackel. Und es würde nicht lange dauern, bis sie herunterbrennen, nur noch glimmen würde. Er hörte, wie oben der letzte Gesteinsbrocken vor sein Gefängnis geschoben wurde, tief grollend wie eine wilde Kreatur, unüberwindbar. So unnachgiebig wie die Mauern. Es gab keine Möglichkeit zu entrinnen, keine Möglichkeit zur Flucht. Lebendig begraben. Wie lange würde es dauern, bis er dem Wahnsinn anheimfiel? Bis ihn die Dunkelheit des Todes gnädig empfangen würde?
Er hatte sich freiwillig dem Urteil gebeugt, der Liebe wegen, hatte sie schützen wollen, und so nahm er sein Schicksal in Kauf. Lange würde er nicht mehr warten müssen.
Trotzdem: Beinahe gierig nach Licht schob er sich in den feinen, flackernden Streifen am Boden, harrte dort aus, bis dieser völlig verschwunden war. Er kauerte sich auf dem kalten Boden zusammen, den leeren Blick auf die noch zart glimmende Fackel geheftet. Bald vorbei. Es war bald vorbei.
Plötzlich ein Seufzen. Ein Rascheln. Ein Schaben an der Wand. Ein Tier? Dann leise Schritte, kaum zu hören und doch zu erkennen. Was …? Trogen ihn seine Augen? Er zuckte zurück, sein Atem ging schneller. Langsam schälte sich eine Gestalt aus dem Schatten …
»Was für ein Ende!« Tosender Applaus brandete auf, Emmi griff nach Almas Arm und drückte zu. Im Schein der allmählich heller werdenden Saalbeleuchtung wandte sie ihrer Freundin das tränenüberströmte Gesicht zu und schluchzte über die Bravo-Rufe des Publikums hinweg: »Sie haben ihn eingemauert, sie haben ihn tatsächlich lebendig eingemauert!«
Alma, die selbst noch ganz im Gefühl des eben erlebten Schauspiels stand, konnte nur schwach nicken. Dann erhob sie sich und stimmte lauthals in die »Zugabe!«-Forderungen mit ein. Das eigens für diesen Anlass auf achtzig Musiker verstärkte Orchester verbeugte sich, und als der Musikdirektor die Bühne betrat, schwoll der Applaus noch einmal an.
»Eingemauert«, wiederholte Emmi. »Gemeinsam mit Aida. Sie ist ihm in den Tod gefolgt! Sein Gesichtsausdruck, als er sie im Halbdunkel gesehen hat!« Sie tat es Alma gleich, stand auf und warf Kusshände gen Ensemble, das jetzt gemeinsam die Bühne betrat und sich verneigte.
Alma stieß einen Seufzer aus, der dem der äthiopischen Königstochter zuvor auf der Bühne in nichts nachstand. »Romeo und Julia. Wie bei Romeo und Julia.«
Einige Minuten später eilte Emmi voraus und drängte sich zwischen dem Publikum hindurch Richtung Ausgang. Wie ein durch Wolken verschleierter Sternenhimmel erstrahlte das Licht der Kristalllüster an der gewölbten und mit goldenen Ornamenten verzierten Kassettendecke des Großen Bühnensaals. Den schimmernden Pailletten von Emmis Kleid mit den Augen zu folgen, glich dem schlafwandlerischen Streifzug durch einen orientalischen Traum. Nur kurze Zeit später verlor Alma den skandalös tiefen Rückenausschnitt ihrer Freundin – goldene Glasperlen und Pailletten glitzerten auf dem Stoff, blassgrüne und blaue Fransenschnüre an Taille und Saum schaukelten bei jeder Bewegung – im Gewimmel aus den Augen und machte sich dann selbst auf den Weg zum Ausgang. Vor dem Großen Bühnensaal angekommen, hielt sie erneut mit gerecktem Hals Ausschau nach »Wölkchen«, wie Emmi auch genannt wurde. Dabei blieb ihr Blick an einigen jungen, schlanken Männern hängen, jedoch ein bestimmter mit einer feinen Narbe im Gesicht war nicht unter ihnen. Kriminalkommissar Ludwig Schiller war offenbar nicht gekommen, um dem Ereignis des Kursommers beizuwohnen. Alma schalt sich, dass sie immer noch nach ihm suchte, ihn immer noch sehen wollte, war sie es doch gewesen, die …
Statt Ludwig hielt jedoch plötzlich Emmi von der einen und Almas Familie von der anderen Seite auf sie zu. Froh über die Ablenkung atmete Alma auf: Während ihre Freundin und Mitbewohnerin sich zwischen elegant gekleideten Grüppchen hindurchschob, die angeregt die letzten musikalischen Stunden Revue passieren ließen, schien sich die Masse vor Großmaman zu teilen wie das Rote Meer vor Moses. Emmi gab handwedelnd ein Erkennungszeichen und kam schließlich leicht außer Atem bei Alma an.
»Der von Lindner will mich anscheinend sprechen, deswegen muss ich mich jetzt eine Weile bei dir verstecken«, keuchte sie und drückte sich an Almas Rücken. »Menschenskind, der ist unglaublich angespannt wegen des Balls morgen Abend. Hat einen Spleen nach dem anderen.« Sie warf Almas Vater eine Kusshand zu und deutete vor seiner noch einige Meter entfernten Schwiegermutter einen Knicks an. »Es ist doch immer wieder eine Freude, Sie zu sehen«, tirilierte sie laut.
Almas Großmutter tat, als habe sie nichts gehört, und näherte sich majestätischen Schrittes. »Ist dem Modehaus der Stoff ausgegangen?«, war alles, was sie dann nach einem empörten Blick auf Emmis tief ausgeschnittenes, ärmelloses Chiffonkleid zu sagen hatte.
»Es ist wunderschön, wunderschön!«, entfuhr es Almas Mutter begeistert. Wie entschuldigend strich sie dabei über den dezent geblümten Stoff ihres schlicht geschnittenen Rocks. »Wie schade, dass wir nicht zusammensitzen konnten. War es nicht traumhaft?«
Ernst von Lindner, der Künstlerische Leiter des Baden-Badener Kurhauses, hatte nicht nur Verdis Oper in die Stadt geholt, sondern darüber hinaus ein Opernensemble gefunden, das seinesgleichen suchte.
»In ganz Europa werden sie herumkommen«, prophezeite Almas Vater schwärmerisch. »Und diese Sopranistin …«
»Es war wirklich traumhaft, Mama«, bestätigte Alma die zuvor gemachte Feststellung ihrer Mutter.
»Und so romantisch«, fügte Emmi hinzu.
»Großmutter hatte Pferde und eine Balletteinlage erwartet«, scherzte Almas Vater. »Ihr wisst schon. Wie in Verona. Vor dem Großen Krieg. Womöglich ist sie enttäuscht, dass kein Kamel auf der Bühne stand.«
Die alte Dame stieß entrüstet Luft aus. »Ich muss schon bitten, Egon!«
»Nein, nein, liebe Schwiegermama.« Vater Täuber hob übertrieben dramatisch die Hände. »Leugne es nicht.« Verschwörerisch beugte er sich zu Alma und Emmi. »Wir haben seit Tagen nichts anderes gehört. Außer Verdi natürlich. Verdi. Verdi. Verdi. Auf dem Plattenteller. Ohne Unterlass.« Er seufzte vielsagend.
Alma konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. »Du armer Mann, du. Siehst aber gut aus trotz zerrütteter Nerven. Neuer Anzug?«
»Mon Dieu, diese Sonderausgaben«, murmelte ihr Vater seine Schwiegermutter imitierend, dabei überzog ein schelmisches Lächeln sein Gesicht.
»Hat es dir denn trotzdem gefallen, Großmutter?«, erkundigte sich Alma laut. »Auch ohne Kamele, Palmen und eine mit Sand aufgeschüttete Bühne?«
»Ihr macht euch über mich lustig. Ihr alle!« Die Lippen der alten Dame wurden schmal. »Das Wetter könnte allerdings schon ägyptischer sein. Dieser Regen!«
»Ja, es ist furchtbar«, stimmte Almas Mutter, sichtlich erleichtert über den Themenwechsel, schnell zu. »Und wie läuft es denn mit den Vorbereitungen zu den Feierlichkeiten, Emmi? Die Legenden des Nil?«, erkundigte sie sich.
Auf Anregung von Ernst von Lindner sollte ein rauschendes Fest unter diesem Motto vonstattengehen. Und Emmi, die beim Blumenhändler Albert Baer als Dekorateurin arbeitete und deren Phantasie keine Grenzen kannte, war als Ausstatterin engagiert worden. Nachdem man von Lindner vor einigen Monaten in der Presse zitiert hatte, er würde die aktuellen Ausgrabungen Howard Carters im Tal der Könige zum Anlass nehmen, Verdis Aida dem Sommerprogramm hinzuzufügen, hatte es in Baden-Baden kein anderes Thema mehr gegeben. Aida! Die ganze Stadt befand sich seit von Lindners Äußerung im Ägypten-Rausch. Und Alma war ihm ebenfalls erlegen. Geschäfte verkauften exotische Fächer, Stoffe waren mit Hieroglyphen oder schillernden Skarabäen bedruckt. »Nilgrün« war die Farbe der Saison. Schaufenster zeigten Fotografien von Touristen in Reisekleidung auf Kamelen oder Männer, die mit Hilfe von Einheimischen auf Pyramiden kletterten. Eine der Fotografien hatte es Alma besonders angetan: Sie lag in der Auslage des Warenhauses Knopf und zeigte zwei junge Frauen mit Bubikopf, Spangenschuhen und gerade geschnittenen Kleidern auf der Spitze einer Pyramide. Neben den modisch gekleideten Frauen hockte ein Mann mit weißem Turban und in traditioneller Tracht im Schneidersitz. Im Hintergrund erstreckte sich unendlich weit die Wüste, im Sand verlief undeutlich ein geschlängelter Weg gen Horizont, und die Sonne ging in der rechten Ecke des Bildes unter. An diesem Foto konnte Alma niemals vorbeigehen. Jedes Mal verharrte sie, betrachtete es lange und wünschte sich, eine dieser Frauen zu sein.
»Die Vorbereitungen laufen gut, Frau Täuber.« Emmi nestelte in ihrer Handtasche, förderte einen Fächer zutage und entfaltete ihn mit einem Schlenker ihres Handgelenks derart ruckartig, dass Almas Großmutter aufgeschreckt zurückzuckte. »Alles wird fristgerecht geliefert, die Kapelle wird ein phantastisches Programm gestalten, die Dekorationen laufen auf Hochtouren. Der...
Erscheint lt. Verlag | 25.12.2022 |
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Reihe/Serie | Alma Täuber ermittelt | Alma Täuber ermittelt |
Verlagsort | Frankfurt am Main |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Schlagworte | 1920er Jahre • 20er Jahre • Ägypten • Aida • Anne Stern • Artefakt • Ausgrabung • Babylon Berlin • Baden-Baden • Bäderstadt • Bücher Bestseller 2023 • bücher für frauen • Buchgeschenk für Frauen • Casino • Die Telefonistinnen • Emanzipation der Frau • Entspannung • Entspannung Geschenk für Frauen • Frauenschicksal • Fräulein Gold • Geschenk für Frauen • Glücksspiel • Goldene Zwanziger • Helene Sommerfeld • Historischer Kriminalroman • Historischer Roman • Krimi Bestseller 2023 • Krimi neuerscheinung 2023 • Kurstadt • Nofretete • Pferdewetten • Polizeiärztin Magda Fuchs • Telefonistin • Volker Kutscher • Weihnachtsgeschenk • Weimarer Republik |
ISBN-10 | 3-10-491510-5 / 3104915105 |
ISBN-13 | 978-3-10-491510-4 / 9783104915104 |
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