Kreuzfahrt durch die Republik (eBook)
256 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-01433-6 (ISBN)
Lorenz Meyer ist Journalist und Medienkritiker (u.a. BILD-Blog) mit einem Herz für Satire. Er hat das Bullshit-Bingo bekannt gemacht (u.a. für den Spiegel) und bei der FAZ 'Meyers Berufs-Phrasomat' bespielt. Außerdem versorgt er namhafte Comedians mit Inhalten für ihre Bühnenprogramme und arbeitete unter anderem für Kurt Krömer, Jan Böhmermann und Extra3.
Lorenz Meyer ist Journalist und Medienkritiker (u.a. BILD-Blog) mit einem Herz für Satire. Er hat das Bullshit-Bingo bekannt gemacht (u.a. für den Spiegel) und bei der FAZ "Meyers Berufs-Phrasomat" bespielt. Außerdem versorgt er namhafte Comedians mit Inhalten für ihre Bühnenprogramme und arbeitete unter anderem für Kurt Krömer, Jan Böhmermann und Extra3.
Markus Lanz
Hamburg-Altona, mitten in einem unaufgeräumten Gewerbegebiet. Kaum vorstellbar, aber in diesem Durcheinander innerstädtischer Mischbebauung soll das ZDF ein Fernsehstudio haben. Das Studio, in dem Markus Lanz regelmäßig seine Sendung aufzeichnet. Mit ihm bin ich in wenigen Minuten zum Gespräch verabredet.
Es herrscht betriebsame Hektik. Autos konkurrieren um die wenigen Parkplätze, Lieferfahrzeuge stehen mit eingeschalteter Warnblinkanlage in zweiter Reihe, Anzugträger sausen auf ihren E-Rollern an mir vorbei.
Endlich erreiche ich das Areal, das aus alten Zeiten den Namen «Phönixhof» trägt. Hier sind Büros, Lofts, Ateliers untergebracht – und das Fernsehstudio von Markus Lanz. Die Produktionsfirma hat mir einen Besucherausweis zugeschickt, und so kann ich das Gelände ungehindert betreten.
Das weitläufige Gebäudeensemble umfasst ein ehemaliges Eisenwerk in dekorativer Ziegelsteinoptik und mehrere moderne Nebenbauten. Das Aufnahmestudio ist in einem schmucklosen Zweckbau mit Wellblechfassade untergebracht. An der Vorderseite hängen die Logos verschiedener Fernsehsendungen. Manche kommen mir bekannt vor, von anderen habe ich noch nie gehört.
Wie verabredet suche ich die Stahltür an der Gebäuderückseite und betätige die Klingel. Die Tür geht auf, und ich erschrecke. Ich hatte damit gerechnet, dass ein Mitarbeiter öffnen würde, doch es ist Lanz persönlich, der da vor mir steht und mich anstrahlt.
«Hab mich total auf diesen Moment gefreut. Warten Sie kurz, ich bin gleich so weit!»
«Stahltwiete» heißt die Adresse, und mir fallen sofort die stahlblauen Augen des Talkmasters auf. Doch ich habe keine Zeit, weiter nachzudenken. Lanz ist zurück. Er hat sich einen dünnen Mantel übergeworfen und schaut mich unternehmungslustig an.
«Haben Sie Ihr Diktiergerät dabei? Dann lassen Sie uns an die Elbe gehen. Das dauert vielleicht eine halbe Stunde, und wir können uns auf dem Weg dorthin schön unterhalten.»
Natürlich willige ich ein, und wir verlassen gemeinsam das Studiogelände. Verstohlen sehe ich zu Lanz hinüber. Er ist tatsächlich die Person, die ich aus dem Fernsehen kenne. Ein Meter achtzig groß, schlank und sportlich durchtrainiert. Leichte Bräune, die dunklen Haare mit etwas Gel nach hinten gekämmt, das schwarze Hemd weit geöffnet. Lanz könnte jederzeit als Fotomodell durchgehen. Die Jahrzehnte scheinen spurlos an ihm vorbeigegangen zu sein. Und überaus höflich und charmant ist er auch noch. Es stimmt, was man über ihn sagt: der perfekte Schwiegersohn.
Ehe ich das Gespräch eröffnen kann, beginnt Lanz: «Vielleicht muss man den Leuten erst mal erklären: Warum dieses Gespräch? Die Frage, die man einfach nur stellen muss, und so sollten wir dieses Gespräch beginnen: Was geht Ihnen gerade durch den Kopf?»
Ich blicke nach links und rechts. Welche Leute meint er? Schnell schalte ich mein Aufnahmegerät ein.
«Nun, das wollte ich Sie eigentlich fragen, Herr …»
Lanz unterbricht mich:
«Nun, sehen Sie, das ist doch eine hoch spannende Frage! Ich habe mich vor einiger Zeit mit Barack Obama beschäftigt diesbezüglich, und der hat, wie wir alle wissen, zwei Töchter. Wollen wir in das Café dort vorne?»
Lanz zeigt auf ein Café auf der gegenüberliegenden Straßenseite.
«Gerne», antworte ich, obwohl mir nicht der Sinn nach Kaffee und Kuchen steht.
Wir betreten das Café und suchen uns einen Tisch in einer ruhigen Ecke. Ich lege meine Jacke auf einen freien Stuhl. Lanz hängt seinen Mantel ordentlich an einen Haken. Die Bedienung erscheint. Augenscheinlich hat sie den prominenten Besucher erkannt und begrüßt uns aufgeregt.
Lanz nimmt meine Jacke vom leeren Stuhl, reicht sie mir und bietet der Kellnerin den Stuhl an.
«Nehmen Sie Platz!»
Die Kellnerin zögert und blickt sich unsicher um:
«Ja, aber nur kurz. Ich habe noch andere …»
«Natürlich, Frau …»
«Restemeier, Karina Restemeier.»
«Natürlich, Frau Restemeier. Aber ich habe das Gefühl, das wird ein Gespräch, das ein ganz besonderes Gespräch zu werden verspricht. Lassen Sie uns gleich einsteigen: Was macht das mit einem, diesen Moment zu erleben, in dem ein bekannter Fernsehstar das Café betritt? Das ist doch – Klammer auf, Klammer zu – hoch spannend.»
«Nun ja, das kommt schon mal vor, und dann …»
«Sehen Sie, und das will ich genauer wissen, Karina. Was genau geht in einem vor, wenn man das erste Mal realisiert, den kenne ich aus dem Fernsehen? Das ist ein Star, vielleicht sogar ein Star, der über die Grenzen des Landes bekannt ist.»
Für einen kurzen Moment schweigen alle, da unterbricht der Ruf eines Gastes die Stille: «Bitte zahlen!»
Unsere Bedienung zuckt zusammen, signalisiert dem Gast, dass sie seinen Ruf gehört hat, und nimmt hektisch unsere Bestellung auf.
Lanz ordert einen Kaffee und ein Stück Apfelkuchen, ich ein Mineralwasser.
«Sehr gut. Sehr gesund. Hätte ich sonst auch gemacht. Aber ich bin mitten in der Marathonvorbereitung. Da brauche ich die Kalorien.» Lanz lacht.
Wir überbrücken die Wartezeit mit einer Plauderei über Äpfel. Lanz ist Südtiroler und kennt sich mit Obstanbau aus: «Wussten Sie, dass Südtirol jährlich über eine Million Tonnen Äpfel produziert?»
Die Bedienung erscheint und stellt die Getränke und den Kuchen auf den Tisch.
Lanz legt seine Hand auf ihren Arm:
«Großartig und fantastisch, was Sie da vollbracht haben!»
«Aber ich habe doch nur …»
«Nein, nein. Keine falsche Bescheidenheit. Was Sie da getan haben, das hat uns alle hier sehr angefasst und, ich will ehrlich sein, auch mich zu Tränen gerührt.»
Lanz schaut ihr direkt ins Gesicht, seine Hand ruht immer noch auf ihrem Arm: «Eine Frage muss ich Ihnen noch stellen, bevor wir uns hier verabschieden. Stimmt es, dass Ihnen zunächst gar nicht klar war, dass ohne Sie kein einziger Mensch in diesem Raum etwas zu essen und zu trinken bekommen hätte?»
Die Kellnerin beginnt verlegen herumzudrucksen, und ich merke, wie ihre Nervosität auf mich überspringt.
Mit einer Souveränität, für die ich ihn nur bewundern kann, entschärft Lanz die Situation: «Nun, das Thema wird uns mit Sicherheit noch viel beschäftigen. Vielen Dank, dass Sie bei uns zu Gast waren!»
Lanz nestelt in der Innentasche seines Sakkos und zaubert eine Autogrammkarte hervor.
«Soll ich Für Karina schreiben?»
Ehe die Frau antworten kann, hat Lanz die Karte mit einem schwarzen Filzstift signiert. Wie bei einem japanischen Visitenkartenritual überreicht er ihr die Karte mit beiden Händen. «Keine Ursache und gern geschehen, Karina!»
Ich habe das Diktiergerät in der Mitte des Tisches platziert und überlege, mit welcher Frage ich in das Gespräch einsteigen soll.
Als ich ansetzen will, sehe ich, dass Lanz das Treiben am Nachbartisch beobachtet. Dort brüten zwei ältere Damen über einem Kreuzworträtsel.
«Der längste Fluss Albaniens?» Lanz blickt in die Ferne und fasst sich nachdenklich ans Ohr. «Lassen Sie mich da kurz einhaken, meine Damen. Wie viele Buchstaben haben Sie denn zur Verfügung?» Und etwas lauter werdend: «FÜR DEN LÄNGSTEN FLUSS ALBANIENS?»
Die Frauen kichern aufgeregt: «Vier.»
Lanz blickt nachdenklich in die Ferne und erklärt: «Dann kann es sich nur um den Drin handeln. Es gibt den weißen und den schwarzen Drin. In Nordostalbanien auf Höhe der Stadt Kukes vereinigen sich die beiden Flüsse zum Drin. Tragen Sie einfach Drin ein!»
Lanz wendet sich wieder mir zu: «Da, wo wir jetzt sitzen, habe ich vor wenigen Wochen mit Greta Thunberg gesessen. Beeindruckende Person, unglaublich schlaue Frau!»
Seine Hoffnung seien die jungen Leute: «Die sind so unglaublich engagiert, informiert, talentiert, haben einen klaren Blick auf die Welt, sind unkorrumpierbar …»
Ich ergreife die Chance und frage ihn nach seiner Ansicht zu der Klimaschutzbewegung und den regelmäßigen Demonstrationen von Fridays for Future.
Welchen Blick hat er auf die Klimakrise? Sollten wir uns einschränken, den Konsum herunterfahren, unser Verhalten ändern? Wie blickt Lanz auf die Erderwärmung?
«Sehen Sie, ich bin ja ein Berufsoptimist», lacht Lanz. «Wir Menschen sind ja anpassungsfähig. Das hab ich auf meinen vielen Reisen nach Grönland gelernt. Maximale Anpassungsfähigkeit – maximale zivilisatorische Leistung. Wenn wir schon keine Haare auf dem Körper haben, dann hole ich mir halt einen Eisbären, ziehe ihm das Fell über die Ohren und ziehe es mir selber über. Dann bin ich wieder ein felliges Wesen und kann überleben.»
Lanz erzählt begeistert von seiner Reportagereise nach Grönland. «Der Norden, der macht was mit einem», seufzt er.
In letzter Zeit gab es öfter Beschwerden, was die Gästeauswahl seiner Talkshow betrifft. Von Unausgewogenheit war die Rede. Lanz würde zu oft dieselben Experten einladen. Einige von ihnen würden wissenschaftliche Mindermeinungen vertreten. Das böse Wort von der «False Balance» machte die Runde.
Ich fasse mir ein Herz und spreche ihn auf die Vorwürfe an. Augenblicklich verfinstert sich seine Miene.
«Falsche Ausgewogenheit ist ein Vorwurf, auf den ich empfindlich reagiere! Lassen Sie uns das gleich aus der Welt schaffen! Ich habe da was vorbereitet.»
Lanz greift in sein Sakko und holt ein sperriges Bündel heraus, das sich als mehrere zusammengefaltete Flipchart-Bögen erweist.
«Fassen Sie mal kurz mit an!»
Wir räumen das Geschirr vom Tisch und stellen es auf den...
Erscheint lt. Verlag | 15.11.2022 |
---|---|
Zusatzinfo | Zahlr. s/w Ill. |
Verlagsort | Hamburg |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Comic / Humor / Manga ► Humor / Satire |
Schlagworte | Armin Laschet • Christian Lindner • erfundene Interviews • Extra 3 • Frauke Ludowig • Harald Martenstein • Heidi Klum • heute show • Humor • humorvolle Bücher • Ironie • Lustige Bücher • Markus Lanz • Mockumentary • Parodie • Populäres Sachbuch • Reinhold Messner • Richard David Precht • Satire • shengfui • Witz • witzige Bücher • ZDF Magazin Royal • Zeitgeschehen |
ISBN-10 | 3-644-01433-7 / 3644014337 |
ISBN-13 | 978-3-644-01433-6 / 9783644014336 |
Haben Sie eine Frage zum Produkt? |
Größe: 4,4 MB
DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasserzeichen und ist damit für Sie personalisiert. Bei einer missbräuchlichen Weitergabe des eBooks an Dritte ist eine Rückverfolgung an die Quelle möglich.
Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belletristik und Sachbüchern. Der Fließtext wird dynamisch an die Display- und Schriftgröße angepasst. Auch für mobile Lesegeräte ist EPUB daher gut geeignet.
Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise
Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.
aus dem Bereich