Die Radioschwestern (eBook)

Melodien einer neuen Welt - Roman

(Autor)

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2023
448 Seiten
Penguin Verlag
978-3-641-28155-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Radioschwestern - Eva Wagendorfer
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Frankfurt in den 50ern, amerikanische GIs und Rock'n'Roll - Deutschland tanzt in eine neue Zeit
Für die Freundinnen Gesa, Inge und Margot steht alles auf Neuanfang. Nach Kriegsende müssen sie versuchen, privat und auch beruflich wieder Fuß zu fassen und ihre Leidenschaft für das Radio neu zu entdecken. Radio Frankfurt steht nun unter amerikanischer Kontrolle - eine echte Chance für die drei Frauen, ihren Traum von der großen Karriere endlich wahr werden zu lassen! Aber auch die neue Generation drängt in die Unterhaltungsbranche und macht ihnen die Stellung streitig. Doch gemeinsam kämpfen die Radioschwestern um ihre Zukunft, die Liebe und ihr Glück ...

Drei Freundinnen, die trotz aller Widrigkeiten das Leben und die Liebe feiern - die Radiosaga geht weiter!

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Eva Wagendorfer ist das Pseudonym einer erfolgreichen Autorin. Sie wuchs in Passau auf und studierte in Regensburg. In ihren Romanen verarbeitet sie gern Stoffe mit historischem Hintergrund, die von starken Frauenfiguren getragen werden. Die »Radioschwestern-Saga« wurde inspiriert durch ein altes Rundfunkgerät, das sich seit vier Generationen im Familienbesitz befindet - und noch immer im Einsatz ist.

PROLOG


Frankfurt 1934


Radionachrichten 1934:

»Gertrud Scholtz-Klink wird zur Reichsfrauenführerin berufen.«

In der Zeit des Nationalsozialismus war dies das höchste politische Amt, das eine Frau bekleiden dufte. Gertrud Scholtz-Klink schwor die deutschen Frauen auf das vom Führer propagierte Weiblichkeitsbild ein: Mütter zu sein und die »Ruhe im Hinterland« zu garantieren. Sie war mitverantwortlich für die Ausgrenzung und Verfolgung von vielen als »nichtarisch« eingestuften Frauen.

Gesa saß im Garten unter dem Kastanienbaum. Seine Blätter spendeten ihr und den beiden Kindern Schatten. Dabei raschelten sie in der sanften Sommerbrise, als würden sie Geheimnisse flüstern. Ein vertrautes und zugleich immer wieder zauberhaftes Geräusch, das geradewegs zum Träumen einlud. Die zweijährige Christel spielte neben Gesa auf der Picknickdecke mit einer Puppe, ihr älterer Bruder Julius, bald fünf und unablässig voller Tatendrang, bugsierte eine verrostete Blechwanne übers Gras. Er zog und schob, bis sie schließlich dort stand, wo er sie haben wollte.

»Wo hast du die denn gefunden?«, fragte ihn seine Mutter.

»Im Schuppen. Darf ich sie mit Wasser vollmachen?«

»Warum?«

»Zum Planschen.«

Gesa lächelte und nickte. Den altgedienten Bottich hatten sie und ihre Freundin Inge zum Wäschewaschen verwendet, als sie zusammen in der Ziegelgasse gewohnt hatten. Sie konnte sich beim besten Willen nicht erklären, wie das olle Ding seinen Weg in den Gartenschuppen der Bronnens nach Sachsenhausen gefunden hatte. Vermutlich steckte dort auch irgendwo das zugehörige Waschbrett. Es war nur eine Frage der Zeit, bis er es hervorkramen würde. Julius entdeckte alles. Gesas Ehemann Albert war davon überzeugt, dass der Junge einen prima Detektiv abgeben würde, wenn er groß war. Oder einen rasenden Reporter, Stift und Notizblock immer griffbereit, der den Umständen gnadenlos auf den Grund ging. Aus halb geschlossenen Lidern gegen die Sonne blinzelnd beobachtete sie Julius, wie er eimerweise Wasser heranschleppte, das er in die Wanne kippte und dabei seine kurze Hose und das Hemdchen durchnässte. Zwangsläufig erregte dieses Geplätscher Christels Aufmerksamkeit und wurde sofort viel interessanter als die Puppe. Sich nass zu machen war immer gut, besonders an einem heißen Sommertag. Sie ging hinüber zu ihrem Bruder, und beide steckten die Arme in den Bottich, um die Höhe des Wasserstandes zu testen.

»Mehr rein«, verlangte Christel.

Gesa ließ ihre Kinder gewähren, streckte die Beine aus, lehnte sich mit dem Rücken an den Stamm der Kastanie und genoss den Anblick der Spielenden. Derartige Momente vollkommener Zufriedenheit kannte sie erst, seitdem sie Mutter war. Am liebsten würde sie die Zeit anhalten. So konnte es bleiben. Mit einem Seufzen schloss sie die Augen, sie wurde schläfrig. Ein Tag im Frühling vor acht Jahren schlich sich in ihre Gedanken. Damals hatte sie mit Inge und Margot im Café in der Hauptwache gesessen und sie hatten Zukunftsfantasien gesponnen. Unendlich weit entfernt schien jener Moment, und dennoch konnte sie sich so klar daran erinnern, als wäre es gestern gewesen. Finanziell klamm und wenig erfolgsverwöhnt, hatten die drei jungen Frauen sich damals ihre Träume offenbart. Inge wollte eine berühmte Sängerin werden, Margot sich als einzige weibliche Cellistin im von Männern dominierten Rundfunkorchester durchsetzen. Und Gesa selbst ersehnte sich eine Karriere bei Radio Frankfurt. Nichts reizte sie mehr, als die Hörer zu unterhalten und dabei ein selbstbestimmtes, unabhängiges Leben zu führen. In der Stadt am Main, in der ihr alles möglich schien. Mit einem Lächeln auf den Lippen durchströmte Gesa ein tiefes Gefühl der Dankbarkeit für das, was sie und ihre Freundinnen seitdem erreicht hatten. Bis zu dem Moment, als die Nationalsozialisten die Macht ergriffen und der freien Welt des Radios einen Maulkorb verpasst hatten. Die hart erarbeitete verheißungsvolle Zukunft war ihnen mit einem Schlag aus den Händen gerissen worden.

»Die Post ist gekommen.« Alberts Stimme riss Gesa aus ihren Gedanken. Sein Unterton verscheuchte unmittelbar auch noch den letzten Rest Wohlbefinden und ersetzte es durch Besorgnis.

Er stand ein paar Meter entfernt auf der Veranda des Hauses, das sich die Bronnens gleich nach ihrer Hochzeit vor sechs Jahren gekauft hatten, um darin eine glückliche Familie zu gründen. Am Rand von Sachsenhausen, Alberts Lieblingsviertel in Frankfurt. Die kleine Villa mit altem Baumbestand war taubenblau gestrichen und mit hübschen weißen Mauerblenden und einem halbrunden, von zierlichen Säulen getragenen Balkon verziert. Albert hielt einen Brief in der Hand, mit dem er Gesa winkte. Sie erhob sich, warf einen Blick zurück auf die Kinder und ging zu ihm.

Ihr Mann hatte die Hemdsärmel bis über die Ellenbogen hochgeschoben und ein paar Knöpfe am Kragen geöffnet. Eben hatte er noch vor dem offenen Fenster an seinem Schreibtisch gesessen und auf der Maschine getippt. Zwischendurch hatte er immer mal wieder zu ihnen herausgesehen. Sein schwarzes Haar war verstrubbelt, wenn er sich konzentrierte, fuhr er meist unbewusst mit beiden Händen hindurch. Eine Angewohnheit, die Gesa hinreißend fand. Wie alles an ihm. Albert war ihre große Liebe, der Mensch, der sie vervollständigte, forderte, neckte, ihr Kraft schenkte und auch nach acht Jahren noch weiche Knie bescherte, sobald er sie unter dunklen, dichten Brauen ansah.

Sie wagte nicht zu fragen, hielt stattdessen die Luft an und starrte auf das amtlich aussehende Kuvert, bis Albert es öffnete und das Schreiben auseinanderfaltete. Er überflog es, dann reichte er es ihr wortlos.

Es dauerte nicht lang, den kurzen Text zu lesen.

»Ein Prozess im November?«, hauchte Gesa. »Wieso? Sie haben euch doch freigelassen.«

»Aber nur auf Bewährung. Mir war schon klar, dass da noch was nachkommt. So gut kenne ich unseren Herrn Reichssendeleiter mittlerweile.«

Eugen Hadamovski, ein glühender Nationalsozialist, der medienwirksame Lobeshymnen voll schmachtender Inbrunst auf den Führer verfasste, hatte es sich zum Ziel erklärt, hart gegen den sogenannten Systemrundfunk vorzugehen. Und Albert, während der Weimarer Republik Intendant bei Radio Frankfurt, war Teil davon – ebenso wie zahlreiche seiner Kollegen aus Berlin.

Letzten Sommer war Gesas Mann überraschend verhaftet worden. Einfach so. Der Schock saß noch immer tief, führte ihr dieses schreckliche Ereignis doch deutlich vor Augen, welcher Willkür sie ausgesetzt waren. Niemand konnte sich mehr sicher fühlen. Albert hatte monatelang eingesessen, bis man ihn endlich auf Kaution entlassen hatte. Über die Zeit im Gefängnis sprach er nicht, obwohl er sonst alles mit Gesa teilte. Sie hatte ihn stiller gemacht. Der Umstand, dass Radio Frankfurt, sein Sender, für den er mit Herzblut tätig gewesen war, dem Reichsinnenministerium für Rundfunk und Propaganda unterstellt worden war, hatte Albert schwer getroffen. Ebenso wie seine darauf folgende Entlassung. Seit zwei Jahren schon war er arbeitslos, wie viele ehemalige Kollegen. Sogar Gesa hatte ihre Stelle als Hörspielsprecherin verloren, weil sie mit Albert verheiratet war. Alles, was als nicht regimekonform galt, wurde ersatzlos gestrichen. Ihre Freundin Margot wurde als Cellistin im Rundfunkorchester noch geduldet. Sie vermutete, das lag einzig daran, dass den jüdischen Musikerkollegen reihenweise gekündigt worden war und das Orchester zu stark schrumpfen würde, wenn sie auch noch die Frau hinauswarfen.

»Allerdings habe ich schon läuten hören, dass es früher oder später wieder eine reine Männersache werden soll. Ein Rückschritt in die Steinzeit. Ich als Frau soll mich dann wohl auf Mann und Kinder konzentrieren, wie es der Führer verlangt. Und jegliche darüber hinausgehende Gehirnaktivität einstellen«, hatte Margot bei ihrem letzten Treffen augenrollend geklagt.

Margots Ehemann immerhin, Radioreporter Friedrich Milanski, war gefragter denn je. Seine rasante Art der Sportberichterstattung sowie die Beliebtheit bei den Hörern hatten ihn zu Radio Frankfurts Aushängeschild werden lassen. Er war bisweilen prominenter als die Sportler, über die er berichtete.

Die Bronnens jedenfalls mussten sich nach anderen Einnahmequellen umsehen, um ihre Familie zu ernähren. Gesa erledigte von zu Hause Schreibarbeiten für Firmen, die sich trauten, ihr Aufträge zu geben. Eine Notwendigkeit, die ihr während Alberts Zeit im Gefängnis zumindest ein kleines Einkommen beschert hatte. Und Ablenkung von ihren Sorgen. Die Ankündigung des Prozesses rief nun erneut Panik in ihr hervor, auch wenn Albert versuchte abzuwiegeln.

Er nahm sie in die Arme und streichelte sanft ihr Haar.

»Das ist reine Propaganda, Liebes, darin sind die hervorragend. Meine Kollegen und ich waren so lange eingesperrt, obwohl wir nichts verbrochen haben, dass selbst der schärfste Richter keine weiteren Gefängnisstrafen wird verhängen können. Es wird eine aufgeblasene Schau werden, mit viel Geschrei und Fäusteschütteln, die der Hörfunk und alle Zeitungen hinterher ausschlachten. Man wird uns noch mehr diskreditieren, aber du wirst sehen, ansonsten passiert da nichts.«

Woher bloß nahm er seine Zuversicht? Mit seiner offiziellen Einstufung als Halbjude war schlagartig klar geworden, dass Albert keine Anstellung mehr erhalten würde, ganz egal in welchem Berufsfeld. Wollte er die Familie unterstützen, musste er Gelegenheitsarbeiten verrichten. Er, der ehemalige Rundfunkleiter. Was für eine Demütigung. Gesa machte sich keinerlei Illusionen darüber, dass nach dem Prozess sogar diese ohnehin schon beschränkten...

Erscheint lt. Verlag 15.3.2023
Reihe/Serie Die Radioschwestern-Saga
Die Radioschwestern-Saga
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 1950er Jahre • 2023 • Amerikanische Besatzung • Die Ruhrpott-Saga • Die Telefonistinnen • Die Wunderfrauen • eBooks • Familiensaga • Frankfurt am Main • Frauenromane • Freundschaft • GIS • Historische Romane • Hörspiel • Liebe • Liebesromane • Nachkriegszeit • Netflix • Neuerscheinung • Orchester • Rock'n'Roll • Rundfunk • Wirtschaft • Wirtschaftswunder
ISBN-10 3-641-28155-5 / 3641281555
ISBN-13 978-3-641-28155-7 / 9783641281557
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