Drei Tage im August (eBook)

Roman

***

(Autor)

eBook Download: EPUB
2022 | 1. Auflage
352 Seiten
Aufbau Verlag
978-3-8412-3018-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Drei Tage im August -  Anne Stern
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Eine Chocolaterie als Zuflucht in dunklen Zeiten.

Berlin, 5. August 1936: Die Schwermut ist Elfies steter Begleiter, Zuversicht findet sie in ihrer Arbeit in der Chocolaterie Sawade, einem Hort zarter Zaubereien aus Nougat und Schokolade, feinstem Marzipan und edlen Aromen. Hier gelingt es Elfie und ihren Nachbarn, sich ihre Menschlichkeit in unmenschlichen Zeiten zu erhalten. Dann kommt Elfie dem Geheimnis einer besonderen Praline und der Geschichte einer verbotenen Liebe auf die Spur. Doch wird sie es wagen, auch ihrer eigenen Sehnsucht zu folgen? 

Bestsellerautorin Anne Stern erzählt die berührende Geschichte einer besonderen Frau, die nicht wie andere ist - ein ausnehmend schöner Roman, voll zarter Sinnlichkeit und außergewöhnlicher Figuren.


 



Anne Stern, geboren 1982, ist Historikerin und promovierte Germanistin. Mit ihrem Mann und ihren drei Kindern lebt sie in Berlin. Sie arbeitete als Lehrerin und in der Lehrerbildung und schrieb zunächst erfolgreich als Selfpublisherin. Ihre Romane um die Hebamme 'Fräulein Gold' wurden zu Spiegel-Bestsellern. Während ihrer Recherchen stieß Anne Stern auf die Berliner Pralinenmanufaktur 'Sawade' und die bewegte Historie der Prachtallee Unter den Linden, und schon bald ging es für sie nicht mehr nur um einen Konfektladen, sondern um eine Geschichte von der Kraft der Phantasie und der Schönheit in dunklen Zeiten - und um eine außergewöhnliche Frau. 'Drei Tage im August' ist Anne Sterns erster Roman bei Aufbau.

1.


Berlin, 5. August 1936, Dienstagmorgen, acht Uhr

Elfie steht vor der Tür der Chocolaterie und sucht den Schlüssel. Es ist immer dasselbe – in die Rocktasche greifen, das Schlüsselbund fassen, jedoch nicht herausholen, noch nicht. Erst blind mit den Fingern unter den vielen Schlüsseln am Ring den einen finden, der ins Türschloss gehört. Den Schlüssel hervorziehen und nicht hinsehen, wenn sie ihn ins Schloss steckt. Furchtsam wartet sie auf die nächste Sekunde – passt er? Wenn ja, wird heute ein guter Tag. Wenn nicht … Elfies Leben ist voller Omen, voller gleichmäßiger, sich immer von Neuem wiederholender Rituale. Doch heute hakt es sofort, als sie den Schlüssel herumdrehen will, und obwohl sie es noch einen Moment lang, mit letzter Hoffnung, weiterversucht, ahnt sie schon, dass sie gescheitert ist.

Dann also alles von vorn. Elfie kennt die Widrigkeiten ihrer eigenen kleinen Welt und weiß, dass es kein anderes Mittel gegen sie gibt als weitermachen, von vorn anfangen. Den Schlüsselbund zurück in die Tasche, die Hand hineinschieben, die Schlüssel anhand des Barts abtasten, mit den Fingerspitzen sortieren. Da ist der kleine Silberschlüssel für die Kassenlade drinnen, daneben der klobige, knochenartige für die Kellertür, da, endlich, der kühle, besonders Gezackte mit dem kurzen Querschnitt, der sich so leicht mit ihrem eigenen Hausschlüssel am Ring verwechseln lässt. Elfie greift zu, zieht den Schlüssel wie ein unwilliges Tierchen aus seiner Höhle, schiebt ihn ins Schloss und atmet auf, als sie spürt, wie er diesmal hineingleitet, widerstandslos wie ein Messer in Butter, und sich ohne Mühe drehen lässt.

Zweiter Versuch, denkt Elfie und wagt weiterzuatmen, das geht gerade noch, ist nur in wenigen Fällen ein schlechtes Zeichen. Zweiter Versuch, das heißt, es kann trotzdem noch ein normaler Tag werden. Ein Tag, den man nicht lieben muss, von dem man nichts erwarten darf, aber den man auch nicht zu fürchten braucht – vorerst. Es gab andere Tage, ja, es gibt sie immer wieder, auch jetzt noch. Tage, an denen sie morgens nicht aufstehen kann, sosehr der Wecker auch zetert und schrillt, Tage, deren schwarzer Schlund sie schon vor Sonnenaufgang zu verschlingen droht. Doch sie sind selten geworden, Elfie hält sie in Schach. Sie hat im Laufe der Zeit die Fähigkeit erlernt, ihren Gedankenstrom zu unterbrechen, wann immer er sie niederzureißen droht, hält sie ihn auch jetzt einfach an und verbietet den unheilvollen Stimmen in ihr, ihre Macht zu entfalten.

Das Glöckchen bimmelt sein Willkommen, die Scheibe klirrt leise, als sie hineinschlüpft und die Tür sogleich von innen schließt und verriegelt. Elfie ist jeden Morgen die Erste im Laden. Das ist beinahe ein Wunder. Oft liegt sie nachts wach, kämpft sich durch die Minuten und Stunden, in denen die Zeit bis zum Morgengrauen zäh verrinnt, ehe sie erst mit den frühen, noch schüchternen Lichtstrahlen einschläft, die durch die Wolkendecke dieser wechselhaften Augusttage in ihr Zimmer fallen. Dennoch schafft sie es, pünktlich zu sein, sie hat ein System, das ihr gute Dienste leistet – wenn nur die Müdigkeit nicht wäre. Elfie wünscht sich oft, einschlafen zu können wie ein müdes Kind, behaglich und geborgen von der Wärme der Bettdecke und dem schummrigen Abendlicht. Doch sie war niemals dieses Kind, sie hat schon immer mit der Rastlosigkeit gekämpft, die abends an sie heranschleicht und sie packt, und eine ihrer frühesten Erinnerungen ist das verzweifelte Herumwälzen im Bett und die Furcht, von Großmama erwischt und gerügt zu werden. Immer waren sie beide allein, seit ihre Mutter auf und davon ging und Elfie zurückließ. Seitdem hat Großmama Elfie aufgezogen. Und alles, was sie tat, konnte Großmamas Zorn auf sich ziehen, der schnell kam wie ein Unwetter, fast immer zu schnell für Elfie, um ihn kommen zu sehen und in Deckung zu gehen. Manchmal versuchte sie es dennoch, kniff fest die Augen zu und schlüpfte unter das Bett, um dort für einen Moment Zuflucht zu suchen. Doch geholfen hat es meistens nichts.

Manchmal hat Elfie Angst, ihr schlechter Schlaf sei vielleicht eines der vielen Zeichen dafür, dass sie seltsam ist – ein böses Wort, das von ihrer Großmutter stammt und das Elfie auch nach dem Tod der alten Frau mit sich herumträgt wie einen Feldstein, der an ihre Knöchel gebunden ist. Ihre Merkwürdigkeit, zusammen mit ihrer verdammten Träumerei, waren der Hauptvorwurf unter vielen kleinen Spitzen, die ihre Großmutter ständig vorbrachte. Seltsam, das bedeutete eigentlich verkehrt, und verträumt hieß, nicht lebenstüchtig zu sein, nicht patent – ein schreckliches Urteil für ein Mädchen, besonders für eines wie Elfie, der man ihre Verdrehtheit schon drei Meilen gegen den Wind ansah, sagte Großmama.

Heute ist Elfie fast vierzig Jahre alt, sie hat ein paar kleine Falten um die Augen, die nicht mehr mit dem Lachen verschwinden, breite Hüften, die den alten schwarzen Rock spannen lassen, und sie trägt Verantwortung als Prokuristin des Pralinengeschäfts Unter den Linden. Aber die Stimme ihrer Großmutter, wenn sie schimpft, die hört sie noch immer, als würde die alte Frau direkt neben ihr stehen und nicht in einem Grab auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof liegen. Dann ist Elfie wieder klein, trägt Zöpfe und fürchtet sich vor der Panik, die sie ihr Leben lang jäh überfällt und zu lähmen droht. Doch Elfie ist nicht mehr das Kind von damals. Sie hat heute ihre Mittel, gegen solche Heimsuchungen anzugehen, und sie lässt die Dumpfheit nie die Oberhand gewinnen.

Im Laden ist es schummrig, ein müdes, gemütliches Licht, das warm auf dem dunkel glänzenden Holztresen liegt. Durch einen Spalt in den Läden dringt ein Lichtschimmer, und Elfie sieht darin die Staubkörner tanzen. Manchmal denkt sie, dass die Wände des Ladens nur durch die Pralinenschachteln aufrecht gehalten werden, ein Mauerwerk aus Pappmaché und Schokolade. Fein säuberlich aufgereiht und gestapelt, stehen sie überall mit ihren zarten Mustern und breiten Schärpen, den Seidenschleifen und ordentlich beschrifteten Schildern aus Büttenpapier. Es ist, als habe die Schönheit der Welt, nach der sich Elfie sehnt, die sie überall sucht, hier im Laden alle Kraft zusammengenommen, nur um ihr zu gefallen. Alles glänzt hoffnungsvoll, eine tröstliche Symmetrie, von der man niemals die Augen abwenden möchte. Und diese ganze Pracht ist ihr Werk!

Elfie nimmt eine der Schachteln zur Hand, sie ist oval, die Pappe mit Seidenpapier bespannt. Zartrosa Nelken auf grünschwarzem Grund, ein feiner goldener Rand zieht sich um den Deckel. Sie klappt die Schachtel auf, betrachtet zärtlich die Trüffel, die darin auf raschelndem Papier liegen wie kleine Vogeleier in einem Nest. Das Innere des Deckels ziert Goldschrift. Elfie weiß genau, was dort steht, vor diesen bekannten Buchstaben fürchtet sie sich nicht. Und sie sieht die Worte so gern an. Der Name des Pralinengeschäfts bedeutet für viele eine Verheißung, für sie selbst aber ist er ein Zuhause.

Über allem hier drinnen liegt der Duft nach Schokolade, wie feiner Puder hängt er in der Luft. Er tränkt den Raum, schaukelt über dem Parkett, legt sich weich in Elfies Nase. Süß und herb, ein Versprechen, ein Aufruf zur Zuversicht, und ja, zum kleinen Ungehorsam, weil die Versuchung in jeder Lade lauert.

Sie schnuppert, während sie ihre Kostümjacke auszieht und den Sitz ihrer geblümten Bluse im Spiegel hinter dem Tresen prüft. Der Stoff ist ein wenig zerknittert, und ihr Haar – nun, sie kann es noch so oft hochbinden, immer hängt doch eine Strähne heraus und verrät die morgendliche Eile. Kurz ist sie in Versuchung, ihre Hand in die Kiste mit den Pralinen zweiter Wahl zu stecken, die für eben diesen Zweck unter dem Holztresen versteckt steht. Doch sie entscheidet sich dagegen. Es bringt Glück, die erste Praline des Tages so lange wie möglich hinauszuzögern. So greift sie stattdessen nach einer weißen Trägerschürze und bindet sie um. Etwas zu eng in der Taille, gerüscht an den Schultern. Mit beiden Händen streicht sie ihr Haar zurecht, dicht ist es und wellig. Die silbernen Fäden sieht man im Dunkelblond noch kaum. Elfie findet trotz allem, dass ihr Haar das Beste an ihr ist, obwohl Großmama sich schon damals, vor vielen Jahren, jeden Morgen beklagte, kein noch so grobzinkiger Kamm könne den Kampf mit Elfies Borsten aufnehmen.

...

Erscheint lt. Verlag 5.8.2022
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Historische Romane
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 1936 • Alena Schröder • Anne Stern • Berlin • besondere Frauen • carsten henn • Chocolatier • Der Buchspazierer • Die Frauen vom Karlsplatz • Die Frauen vom Pariser Platz • Die Hebamme von Berlin • Drittes Reich • Dunkel der Himmel, goldhell die Melodie • Elfie • Ewald Arenz • Familiensaga • Fräulein Gold • Jude • Kaiserzeit • Nachbarschaft • Olympia • Patiserie • Pralinen • Sawade • Schokolade • Stay away from Gretchen • Susanne Abel • Unter den Linden • Verbotene Liebe
ISBN-10 3-8412-3018-0 / 3841230180
ISBN-13 978-3-8412-3018-8 / 9783841230188
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