Der Ruf des Nachtvogels (eBook)
384 Seiten
Verlagsgruppe Droemer Knaur
978-3-426-45579-1 (ISBN)
Di Morrissey ist die erfolgreichste Autorin Australiens. Als Journalistin arbeitete sie für Frauenmagazine, Radio und Fernsehen, schrieb Drehbücher und Theaterstücke und wirkte an zahlreichen TV-Produktionen mit. Sie lebt heute auf einer Farm in Byron Bay, New South Wales. Di Morrissey wurde im Zuge der Australien Book Industry Awards für ihr Verdienst in der australischen Buchbranche der Lloyd O'Neil Award verliehen und damit für ihr Lebenswerk geehrt.
Di Morrissey ist die erfolgreichste Autorin Australiens. Als Journalistin arbeitete sie für Frauenmagazine, Radio und Fernsehen, schrieb Drehbücher und Theaterstücke und wirkte an zahlreichen TV-Produktionen mit. Sie lebt heute auf einer Farm in Byron Bay, New South Wales. Di Morrissey wurde im Zuge der Australien Book Industry Awards für ihr Verdienst in der australischen Buchbranche der Lloyd O'Neil Award verliehen und damit für ihr Lebenswerk geehrt.
1
Sally saß auf dem völlig überfüllten Flughafen dicht neben Jessica; beide Mädchen baumelten mit den Beinen und blickten zu Boden.
»Ich bin so sauer. Das ist nicht fair. Warum muss dein Dad denn umziehen?« Sally wand sich ein paar Haarsträhnen um den Finger und zwirbelte die Enden.
»Sal, hör auf, deine Haarspitzen zu ruinieren. Du weißt doch, dass es wegen seinem Job ist«, antwortete Jessica. »Wir werden immer Freundinnen bleiben. Du kommst mich besuchen, und Mum sagt, dass wir ab und zu herkommen, um uns mit unserer Familie zu treffen. Was meinst du denn, wie’s mir geht?«, setzte sie ärgerlich hinzu. »Ich muss ganz von vorn anfangen! Eine neue Schule, keine Freunde. Das stinkt mir ganz schön. Und ich werde nie wieder eine allerbeste Freundin haben wie dich. Du stehst mir näher als irgendwer sonst. Mehr als eine Schwester.«
»Na, zumindest hast du einen Bruder, auch wenn er erst sieben ist. Ich habe niemanden außer Mum und Dad. Himmel, wir sind Teenager, Jess, jeder sagt, dass das die härteste Zeit in unserem Leben ist. Und da ziehst du weg.« Sally schmollte.
»Ich weiß, aber was soll ich machen? Es ist schrecklich. Gib nicht mir die Schuld, Sal.«
Die beiden Teenie-Freundinnen blickten hinüber zu einem Tisch in der Nähe, wo Jessicas Eltern, ihr Bruder Anthony und Sallys Mutter Mollie saßen.
»Und denk daran, mich anzurufen und mir zu schreiben. Du hast es versprochen.«
»Klar doch. Du auch.«
»Für mich ist es schlimmer, ich sitze hier fest«, maulte Sally. »Auf dich warten Abenteuer oder zumindest neue Erfahrungen.«
»Aber sicher doch! Als ob ich in einer Großstadt viel Spaß hätte! Mir fehlt unsere Farm schon jetzt.«
»Sydney ist garantiert interessanter als das hier … oh, da kommt deine Mum«, sagte Sally.
»Tut mir leid, Mädchen, aber es ist Zeit, au revoir zu sagen. Nicht adieu. Zu Weihnachten sind wir bestimmt wieder hier. Und ich habe mit deiner Mutter besprochen, dass du uns gerne nächstes Jahr während der Olympischen Spiele besuchen kannst, Sal. Wäre das nicht toll?« Mrs Foster beugte sich zu Sally hinunter und gab ihr einen Kuss, dann musterte sie die beiden. »Ihr werdet immer Freundinnen bleiben. Ihr seid zusammen aufgewachsen, das schweißt auf ganz besondere Art zusammen. Und jetzt stellt euch mal hierher, damit wir ein Foto machen können.«
Brav standen die Mädchen nebeneinander, sie hatten sich die Arme um die Schultern gelegt und ein starres Lächeln im Gesicht. Als sich dann die beiden Mütter umarmten und Jessicas Vater und Bruder zum Abschied winkten und zur Boarding-Schranke gingen, umklammerten sich die beiden Mädchen, und Tränen liefen über ihre Wangen. Mit ihren vierzehn Jahren hatte jede der beiden das Gefühl, dass sie nie, nie wieder eine so gute Freundin haben würde.
Dann stand Sally neben ihrer Mutter, und beide sahen zu, wie das Flugzeug langsam davonrollte.
»Ich werde schrecklich einsam sein«, jammerte Sally.
»Sal, du hast jede Menge Freundinnen und Freunde«, erwiderte ihre Mutter. »Für Jess wird es viel härter werden, sie kennt niemanden in Sydney. Komm jetzt, wir müssen heim zu Dad.«
Die Zeit verstrich, doch die beiden Mädchen blieben beste Freundinnen, auch als sie unterschiedliche Wege einschlugen und sich nur noch alle paar Jahre sahen. Sie wussten, dass ihre Freundschaft unverbrüchlich war und stets Bestand haben würde.
Und wie Jessicas Mutter gesagt hatte: Die gemeinsame Kindheit hatte ein besonderes Band zwischen den beiden geschmiedet, vielleicht auch durch die Abgeschiedenheit des kleinen tasmanischen Ortes, in dem sie aufgewachsen waren. Damals hatten sie ihre Heimat an der Südostküste der Insel als nichts Besonderes betrachtet, doch als Erwachsene erkannten sie, dass sie in einem magischen Abenteuerland aufgewachsen waren. Hier waren sie durch Wald und Flur geritten und geradelt, hatten Obst gepflückt und mit Hunden gespielt, Bäche und Klippen erkundet. Sie hatten vom Ruderboot aus in Flüssen geangelt, waren in Buchten gesegelt, hatten an einsamen, wilden Stränden und in Höhlen gepicknickt und manchmal im Meer gebadet.
Und sie hatten Geheimnisse, Gefahren und Träume miteinander geteilt. Dabei waren sie so verschieden, wie man nur sein konnte.
Sally Adamson mit ihren lockigen blonden Haaren und den graublauen Augen war eine Träumerin. Zwar schien sie die Stillere der beiden zu sein, doch die extrovertiertere blauäugige Jessica mit den dunkelbraunen Locken, die gern laut lachte, schätzte ihren drolligen Humor.
Oft sagten ihre Eltern, sie seien so verschieden wie Tag und Nacht, und lachten darüber, wie eindeutig sie bewiesen, dass Gegensätze sich anzogen. Im Lauf der Zeit hatten sie akzeptiert, dass das Paar nur während der Schulwoche zu trennen war, wenn beide nachts zu Hause schliefen. An den Wochenenden übernachteten sie abwechselnd beieinander, und in den Ferien zelteten sie entweder mit der einen oder mit der anderen Familie.
Als Jessicas Vater nach Sydney versetzt wurde, um dort ein wissenschaftliches Labor an der Universität zu leiten, tat der Abschied daher unendlich weh. Doch die Freundschaft der Mädchen wurde noch inniger. Sooft sie konnten, trafen sie sich, und in den Schulzeiten schütteten sie einander in langen Briefen ihr Herz aus, denn Telefonieren, um lediglich zu schwatzen, wurde von den Eltern als zu teuer erachtet.
Als sie Anfang zwanzig waren, gingen sie gemeinsam für ein Jahr nach Übersee. Und obwohl sie einander geschworen hatten, Singles zu bleiben und so lange wie möglich Freiheit und Abenteuer zu genießen, verliebte sich Sally Hals über Kopf und brachte einen Verlobten mit nach Hause – Toby Sandford, einen tasmanischen Burschen vom Land, der eine Rucksacktour machte, bevor er zu Hause seinen Eltern auf der Farm helfen sollte.
Sie hatten so vieles gemeinsam. Sally, die auf Arcadia, dem Anwesen ihres Großvaters im Südosten der Insel, groß geworden war, wollte sich nur zu gern auf dem Land niederlassen. Ihre Hochzeit fand im Garten des Gutes statt, das ihre Mutter geerbt hatte und das das junge Paar bewirtschaften wollte. Jessica, Brautjungfer ihrer Freundin, reiste anschließend wieder nach Sydney, wo sie in die Fußstapfen ihres Vaters trat und an der Universität eine akademische Laufbahn einschlug.
Nur kurze Zeit nach Sallys Hochzeit eroberte Harden Blake, ein Werbefachmann, Jessicas Herz im Sturm. Sie zogen zusammen in eine schicke Wohnung in Mosman mit Blick auf Sydney Harbour. Achtzehn Monate später heirateten sie in kleinem Kreise, wie es gerade angesagt war, im Garten eines vornehmen Hauses in Bellevue Hill, das einem Freund von Hardy gehörte.
Toby verließ die Farm seiner Eltern und zog mit Sally nach Arcadia, um dort die Farm zu bewirtschaften. Die ersten glücklichen Jahre wohnten sie in einem kleinen Cottage auf dem Anwesen, doch dann starb Sallys Vater an einem Herzinfarkt, und wenig später wurde Sally schwanger. Daher bestand Mollie darauf, dass das junge Paar ins Haupthaus übersiedelte und stattdessen sie im Cottage lebte.
Während ihrer Schwangerschaft fuhr Sally zusammen mit Mollie nach Sydney und besuchte Jessica. »Ich bin Hausfrau, schwanger und glücklich. Wir kaufen Babysachen fürs Kinderzimmer, und ich lass mich verwöhnen.« Sie grinste. »Wann kriegst du ein Baby und wirst sesshaft?«
»Ich bin sesshaft!«, protestierte Jessica. »Ich bin verheiratet, wir haben beide gute Jobs und eine hinreißende Wohnung. Warum sollte mir das nicht genügen? Kinder sind noch kein Thema. Vorher will Hardy das große Haus mit Garten und Swimmingpool und den Direktorenposten in der Werbeagentur.«
Sally musterte ihre älteste und beste Freundin. Offenbar lebten sie mittlerweile in völlig verschiedenen Welten. »Und was möchtest du, Jess? Es sieht so aus, als wäre dir das ländliche Tasmanien zu popelig geworden, dabei dachte ich, na ja, ich hab geglaubt, dass wir dieselben Dinge wollen.«
»Das ist doch auch so!« Jessica umarmte sie. »Im Grunde hat sich nichts geändert. Ich sehe mich nur einfach noch nicht als Mutter, das ist alles.«
Sally erwiderte die Umarmung, doch sie vermutete, dass mehr dahintersteckte.
Aber sie hatten beide so viel um die Ohren, dass sie einander nur noch sporadisch besuchten. Und da der ruhige, gelassene Farmer Toby und der gewiefte, ehrgeizige Werbefachmann Hardy nicht viel miteinander anzufangen wussten, trafen sich die Freundinnen meist ohne ihre Partner. Bei einer ihrer Reisen nahm Sally die kleine Katie mit nach Sydney, und sie aßen alle zusammen bei Jessicas Eltern zu Mittag. Sally erzählte ihnen, dass sie und Toby die alten Pferdekoppeln und Weiden von Arcadia zu Ackerland umwidmeten und dort neue Produkte anbauten. Jessica hingegen war gerade dabei, ihren Doktor zu machen und die Karriereleiter emporzuklettern; sie übernahm eine verantwortungsvollere Stellung als Leiterin eines Forschungslabors an der Universität, an der sie auch studiert hatte.
Ein, zwei Jahre später rief Sally über Skype Jessica an, um ihr nachträglich zum Geburtstag zu gratulieren, und sie überlegten eine Weile, wann sie sich zuletzt gesehen hatten. Überrascht und ein bisschen traurig stellten sie fest, dass das schon sehr lange her war.
Nun ja, so ist der Lauf des Lebens, dachte Sally. Sie hatten alle Hände voll zu tun, waren ausgefüllt, glücklich und erfolgreich und wussten dabei doch, dass sie einander jederzeit anrufen konnten.
Und eines Tages kam der Anruf.
»Sal, ich bin’s. Ich muss dich sehen. Ich komm zurück nach Hause. Allein.«
Sally war sehr beunruhigt, doch sie sagte lediglich: »Klar doch, Jess. Wann und wo? Ich hole dich...
Erscheint lt. Verlag | 1.11.2022 |
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Übersetzer | Gerlinde Schermer-Rauwolf, Heide Horn |
Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
Schlagworte | 1920er Jahre • 1930er Jahre • Australien • Australien Liebesroman • Australien-Roman • australien romane • Familie • Familiengeheimnis • Familiengeschichten Romane • Familienleben • Familiensaga • Frau • Frauenfreundschaft • Frauenfreundschaft Roman • Frauen-Roman • Frauenromane • Freundschaft • Kunst • Liebe • Liebes-Geschichte • Malerei • Mental Health • Pflanzen • Pilze • Romane Australien • Romane Familiengeheimnisse • Romane für Frauen • Romane Liebe • Roman Freundinnen • Sehnsuchtsorte • Sehnsuchts-Roman • Tasmanien • Tasmanien-Roman • Tropen • Trüffel • Umwelt • Urwald |
ISBN-10 | 3-426-45579-X / 342645579X |
ISBN-13 | 978-3-426-45579-1 / 9783426455791 |
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