Wiedersehen am Potsdamer Platz (eBook)

Roman
eBook Download: EPUB
2022 | 1. Auflage
304 Seiten
HarperCollins eBook (Verlag)
978-3-7499-0521-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Wiedersehen am Potsdamer Platz - Alexandra Cedrino
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Alice und John haben den Krieg in England überdauert. Doch die Sehnsucht nach der alten Heimat lässt Alice auch nach Jahren nicht los. Als sie 1945 das Angebot erhalten, nach Berlin zurückzureisen, um dort eine amerikanische Sondereinheit, die sogenannten »Monuments Men«, bei der Suche nach geraubten Kunstwerken zu unterstützen, sagen sie zu. Bei ihrer Ankunft wird Alice schmerzlich bewusst, was der Krieg zerstört hat: nicht nur Gebäude und Straßen, sondern auch Vertrauen, Würde und Menschlichkeit. Doch ihre Liebsten sind noch am Leben, und das ist alles, was für Alice zählt. Bis sie erfährt, was die vergangenen Jahre ihrer Familie tatsächlich abverlangt haben - und welch hohen Preis sie zu zahlen bereit waren, um durchzukommen.

»familiäre Dramen sind [...] die Würze in ihrem Debütroman, der trotzdem noch mehr zu bieten hat. [...] Der Leser erhält Einblicke in die Kunstszene und die Gesellschaft der frühen 1930er-Jahre.«Süddeutsche Zeitung

»Aufregende Familienchronik um eine junge Berlinerin.«Grazia

»Alexandra Cedrino zeichnet ein fiktives, aber dennoch authentisches Bild einer Elitenfamilie der Jahre 1930 bis 1933 in Berlin. Und einer jungen Frau, die ihren eigenen Weg sucht und findet, auch wenn er hin und wieder in Sackgassen führt.«Wiener Zeitung



Alexandra Cedrino, geboren 1966 in München, stammt aus der Kunsthändlerfamilie Gurlitt. Sie wuchs zwischen Bildern und Büchern auf und lebt heute in Berlin.

The Blitz

Juni 1945

Ein weiterer Tag, an dem nichts auf mich wartet außer Hausarbeit, dachte Alice verzweifelt, als sie mit leerem Blick auf ihren Frühstücksteller starrte. Nachdem John zur BBC gefahren war, wo er seit Kurzem als Hörfunkredakteur arbeitete, war sie erschöpft vom vielen Lächeln auf den Stuhl gesunken. Sie wollte nicht, dass er merkte, wie schlecht sie sich fühlte. Zornig wischte sie mit dem Handrücken die Träne weg, die sich aus ihrem Auge gestohlen hatte. John hatte gefragt, ob sie heute Vorstellungsgespräche habe, und ohne nachzudenken hatte sie Ja gesagt und den Blick gesenkt. Dabei gab es nur noch ein einziges nächste Woche. Vorausgesetzt, der Job wäre bis dahin nicht vergeben. Sie fischte ein Taschentuch aus ihrer Hosentasche und schnäuzte sich. Verflixt. Normalerweise war sie nicht so nah am Wasser gebaut. Sie brauchte einen Job. Aber nicht als Sekretärin, Schreibkraft oder Hausfrau, sondern als Fotografin. Je länger sich die Jobsuche jedoch hinzog, desto unsicherer wurde sie. War sie nicht gut genug? Aber das hätte ihr doch irgendjemand gesagt. Oder lag es daran, dass sie Deutsche war? Sie hatte durch ihre Heirat mit John die englische Staatsbürgerschaft angenommen und sich mittlerweile daran gewöhnt, Stevens – und nicht Waldmann – als Nachnamen zu führen. Dabei hatte sie damals so sehr um den Namen Waldmann gekämpft, darum, zu dieser Familie zu gehören. Und dann waren Görings Luftwaffenboys über das Land hergefallen, in das sie und John vor den Nazis geflohen waren, und hatten versucht, London und Dutzende andere Städte mit ihren Tod und Zerstörung bringenden Bomben in Schutt und Asche zu legen. England hatte schon vor dem Ausbruch des Krieges begonnen, sich auf eine mögliche deutsche Invasion und Angriffe der Luftwaffe vorzubereiten. In den Parks waren Schützengräben ausgehoben worden. Sperrballons, die feindlichen Kampfflugzeugen den Anflug auf Bodenziele erschweren sollten, hatten den Himmel verdunkelt, und Bahnhöfe, Bushaltestellen und U-Bahn-Stationen sowie Regierungs- und andere wichtige Gebäude waren mit Sandsäcken geschützt worden. Verdunkelungsvorhänge waren vorgeschrieben, und Gasmasken wurden zum ständigen Begleiter. Lebensmittel waren rationiert worden, und jeder, der auch nur ein kleines Stückchen Garten hinter dem Haus besaß, hatte begonnen, Gemüsebeete anzulegen. Auf den Straßen hatte man fast keine Kinder mehr gesehen, da die meisten – wenn überhaupt möglich – aufs Land evakuiert worden waren, in der Hoffnung, dass es dort sicherer wäre als in den großen Städten. John, der zu alt für die Armee war, hatte sich zum Luftschutzdienst beim Raid Wardens’ Service gemeldet und abends in der Nachbarschaft kontrolliert, dass alle Verdunkelungsvorhänge zugezogen waren, damit die Luftwaffe keine Hinweise auf mögliche Ziele bekam, Erste Hilfe geleistet, wenn es nötig gewesen war, und bei Alarm dafür gesorgt, dass alle in die Luftschutzkeller gingen. Auch Alice hätte sich gerne gemeldet, aber man hatte sehr schnell herausgefunden, dass sie gebürtige Deutsche war, und sie abgewiesen. Verständlicherweise war niemand besonders angetan von den Deutschen, und das Misstrauen ihnen gegenüber war noch immer enorm hoch. Alice hatte Glück, dass sie nicht als verdächtige Person gemeldet worden war. Wäre sie nicht mit Max Prendergast befreundet, der sich vehement für sie eingesetzt und seine Kontakte genutzt hatte, wäre sie – wie viele andere – in einem Internierungslager für Deutsche, Österreicher und Italiener, die als »enemy aliens« bezeichnet wurden, gelandet.

Während Alice das Frühstücksgeschirr zusammenräumte und abzuspülen begann, kehrten ihre Gedanken zurück zu ihrer Arbeit. Selbst John Heartfield, der Grafiker und Collagist, hatte ihre Fotografien ausdrücklich gelobt. Sicherlich würde er ihr nichts vorschwindeln? Wenn es um seine Arbeit ging, legte er größten Wert auf Qualität und verwendete nur wirklich gute Fotos für seine Collagen und Layouts. Als er sie um drei ihrer Aufnahmen gebeten hatte, wäre sie vor Stolz fast geplatzt. Und dennoch wollte niemand sie einstellen. Sie sehnte sich so sehr nach dem, was sie verloren hatte. Berlin. Ihr eigenes Fotostudio. Ihre Arbeit. Vor allem aber vermisste sie ihre Familie – Ludwig, Rosa und Johann – und die gemeinsame Arbeit in der Galerie. Würde sie sie jemals wiedersehen? Ärgerlich schüttelte sie den Kopf. Nein, sie sollte sich nicht einmal vorstellen, wie es sein könnte, wieder in der Galerie zu arbeiten.

Ich muss mich langsam daran gewöhnen, nie wieder mit den Menschen, die mir wichtig sind, das zu tun, was ich liebe, dachte sie, während sie die gespülten Teller und Tassen einräumte und die Schranktür zuknallte. Am liebsten hätte sie sich für diesen Gedanken geohrfeigt. Jetzt klang sie tatsächlich wie eine dieser traurigen alten Frauen, die ihrer Jugend nachweinten. Missmutig lehnte sie sich gegen die Anrichte und tappte ungehalten mit dem Fuß. Nein. So wollte sie nicht sein. Ich muss mich auf das konzentrieren, was ich tun kann, dachte sie, fuhr sich mit den Fingern durch die Haare und ging in die Dunkelkammer, um einen neuen Film in die Kamera einzulegen. Dann zog sie ihre Jacke an. Irgendwo in dieser riesigen Stadt musste es eine Aufgabe für sie geben.

*

Wieder einmal hatte ihr Weg Alice in die Nähe der Blackfriars Bridge geführt. Egal in welchen Bus sie einstieg, immer landete sie in dieser Gegend. Könnte es damit zu tun haben, dass meine und Max’ Galerie auf der anderen Seite der Themse gewesen ist?, fragte sie sich, als sie zum Tower Beach hinunterging, um die vielen Kinder und Frauen zu beobachten, die hier ein paar ausgelassene Stunden verbrachten. Ihr Blick wanderte zur Waterloo Bridge. Sie nahm die Kappe vom Objektiv, spannte den Hahn und blickte durch den Sucher. Ladys’ Bridge, so sollte man sie nennen, dachte sie. Schließlich waren es hauptsächlich Frauen gewesen, die sie gebaut hatten, während die Männer im Krieg gewesen waren. Doch nun, wo sie heimgekehrt waren, sollten die Frauen klaglos zurück in die zweite Reihe. Alice schnaubte ärgerlich.

Sie fand einen Bildausschnitt, der ihr gefiel, stellte Blende und Schärfe ein und drückte ab. Dann wandte sie sich nach rechts, überquerte die Blackfriars Bridge und ließ ihren Blick auf der Suche nach weiteren Motiven schweifen. Dort drüben war die Redaktion des Workers’ News, wo John seinen ersten Job gehabt hatte. Während sie im Vorbeigehen zum Fenster hochblickte, lächelte sie, als sie daran dachte, wie sie die Besprechung der 20th German Art Exhibition in seinem kleinen, überfüllten Büro geschrieben hatte. Und da drüben: das Ye Holy Lamb, in dem sie sich so oft zum Mittagessen getroffen hatten. John hatte sich aus Redaktionssitzungen, sie sich aus Besprechungen mit Exilkünstlern geschlichen. Immer war ihre Kamera dabei gewesen, um Bilder für das Buch aufzunehmen, das sie gemeinsam machen wollten. Alice liebte es, John dabei zuzusehen, wie er vor seiner Schreibmaschine und dem ordentlich gestapelten Papier saß. Wie er mit seinen Zeigefingern auf die Tasten hackte, in einem Tempo, das jede Sekretärin neidisch gemacht hätte. Und wenn er merkte, dass sie ihn von der Tür ihrer Dunkelkammer aus beobachtete, hob er den Blick und sah sie an.

Aber auch aus diesem Plan war nichts geworden. Jetzt waren die Fotos fein säuberlich in schwarzen Kartons verstaut, und niemand – außer ihr selbst – interessierte sich noch für sie. Sie schüttelte energisch den Kopf. Sie sollte sich lieber an die Freude erinnern, die sie bei der gemeinsamen Arbeit gespürt hatte, und nicht an die Tatsache, dass jeder Verlag das Manuskript abgelehnt hatte. Von einer gebürtigen Deutschen? Misstrauische Blicke. Schwierig. Haben Sie nichts Heiteres? Irgendwann hatten sie es aufgegeben und das Manuskript und die Fotografien weggeräumt.

Alice beschleunigte ihre Schritte und bog rechts ab. Als sie an einem hoch aufgetürmten Trümmerhaufen vorbeikam, der von einer Gruppe Arbeiter abgetragen wurde, blieb sie stehen. Einer der Männer blickte neugierig zu ihr herab. Fragend hielt sie die Kamera hoch, und als er ihre stumme Bitte verstand, grinste er und nickte. Schnell machte sie einige Aufnahmen. Als sich eine Wolke vor die Sonne schob, blickte sie zum Himmel empor und kniff die Augen zusammen, schätzte die Belichtungszeit und verstellte sie an der Kamera. Die Silhouetten der Arbeiter hoben sich als scharfe Umrisse gegen den Himmel ab. Es war ihr nicht entgangen, dass die Männer posierten, ihre Muskeln anspannten, sobald sie das Objektiv auf sie richtete. Sie ließ die Kamera sinken, kramte in ihrer Tasche nach ihren Zigaretten und zündete sich eine an, bevor sie den Arbeitern zum Abschied winkte und weiterging.

Gerade wollte Alice die Fahrbahn überqueren, als ihr Blick an einer Backsteinmauer hängen blieb, auf der sie mit Kreide geschriebene verwischte Buchstaben erkennen konnte. We – Barington Family – are now living here – 54 Basil Street – Thank you, kind sir, konnte sie entziffern. Dafür liebte Alice die Briten: ihren unerschütterlichen Glauben, dass es weiterging. Dass sie es schaffen würden, wenn sie nur zusammenhielten. Sie legte ihre Handfläche auf die Ziegelsteine. Dann machte sie eine Aufnahme, bevor sie weiterging und ein paar Minuten später vor dem stand, was von der Prendergast & Waldmann Gallery übrig geblieben war.

Wie aufgeregt sie alle gewesen waren, als endlich die Kiste aus Berlin angekommen war. Gott sei Dank hatten Max und Alice es rechtzeitig geschafft, die Bilder in sein Landhaus zu bringen, wo sie immer noch waren....

Erscheint lt. Verlag 21.7.2022
Reihe/Serie Die Galeristinnen-Trilogie
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Historische Romane
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Berlin • bücher für frauen • Café Engel • Carmen Korn • Die Schokoladenvilla • Die Schwestern vom Ku'damm • Dreißigerjahre • Dreißiger Jahre • Entartete Kunst • Familiensaga • familiensaga 20.jahrhundert • Familiensaga Deutschland • familiensaga trilogie • Fotografie • Fotografin • Frauen Roman • Galerie • Galeristinnen-Trilogie • Gemälde • Gurlitt • Historischer Liebesroman • Krieg • Kunst • Kunstgalerie • Künstler • Liebe • Liebesroman • Maler • Monuments Men • Nachkriegszeit • Seidenstadt Saga • Tuchvilla • Vierzigerjahre • Vierziger Jahre • Zweiter Weltkrieg
ISBN-10 3-7499-0521-5 / 3749905215
ISBN-13 978-3-7499-0521-8 / 9783749905218
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