Salz und Schokolade (eBook)
512 Seiten
Ullstein (Verlag)
978-3-8437-2835-5 (ISBN)
Amelia Martin ist das Pseudonym einer Bestsellerautorin. Sie hat jahrelang als Sachverständige für ein weltweit handelndes Auktionshaus gearbeitet, die Provenienz von Möbeln und Kunstgegenständen geprüft und Ausstellungen organisiert. Nach Jahren in England und im europäischen Ausland unternimmt die Autorin heute ausgedehnte Recherchereisen an die Schauplätze ihrer Romane.
Amelia Martin ist das Pseudonym einer Bestsellerautorin. Nach Jahren in England und im europäischen Ausland unternimmt die Autorin heute ausgedehnte Recherchereisen an die Schauplätze ihrer Romane. Sie isst für ihr Leben gern Schokolade.
2
August 1949
Paul Thulke ließ den schweren Eisenhammer sinken, mit dem er seit zwei Stunden den Pfannenstein klopfte. Sein Oberkörper war schweißüberströmt, genau wie sein Gesicht, das er sich mit einem Taschentuch abwischte. Er stopfte das feuchte Tuch zurück in die Hosentasche und stützte sich auf den Hammer. Überall schmeckte man das Salz. Es hing in der Luft, klebte am Körper und auf den Lippen. Das Salz, auf das sie alle angewiesen waren, das ihnen seit Jahrhunderten Brot und Arbeit gab.
Genau wie sein Vater, seine Brüder, sein Großvater und alle Thulkes vor ihnen arbeitete er in der Saline unterhalb des Hallmarktes. Man fragte nicht, sondern wuchs in die Arbeit hinein, genau wie man schon als Kind verstand, dass es Ehre und Privileg war, der Brüderschaft der Salzwirker anzugehören. Paul starrte in das Halbdunkel des Siedehauses, vor sich die große Pfanne, aus der er einen Berg Pfannenstein und Bordsalz geschlagen hatte. Sein Rücken schmerzte, wie es öfters vorkam, seit er bei der Reparatur eines morschen Balkens im Gebälk des Siedehauses abgestürzt war. Er fuhr sich durch das dunkle Haar und rieb sich den Nacken dort, wo die Muskeln verspannt waren.
»Na, Paule, alles in Ordnung?«, rief Werner vom anderen Ende der Siedepfanne.
Werner war kleiner und muskulöser als er. Mit seinen fünfunddreißig Jahren hatte er mehr Erfahrung und schien die schwere Arbeit besser wegzustecken.
»Ja, geht schon. Der Rücken zwickt«, meinte Paul mit schiefem Grinsen.
»Wenn’s weiter nichts ist«, sagte Werner und stützte sich ebenfalls auf seinen Hammer. »Du bist doch jung und voll im Saft. Was soll ich denn sagen. Verdammtes Bein«, fluchte Werner und schaute kurz nach unten.
Genau wie Paul war er im vorletzten Kriegsjahr in Frankreich gewesen. Als Wehrmachtssoldaten hatten sie irgendwann in derselben Kompanie gekämpft und waren gemeinsam in britische Gefangenschaft geraten, was sich als Glücksfall herausgestellt hatte. Von Kameraden, die als russische Kriegsgefangene nach Sibirien transportiert worden waren, hörte man nichts, und die Hoffnung auf deren Rückkehr sank mit jedem verstreichenden Jahr.
Ein Oberschenkeldurchschuss hatte Werner kampfuntauglich gemacht, und obwohl er noch unter Schmerzen litt, machte er kein Aufhebens von seiner Verletzung. Man machte einfach weiter. Der Krieg war vorbei. Dieser verfluchte Krieg, der die Welt und jeden Einzelnen verändert hatte. Wenn man anfing, nachzudenken, machte man sich kaputt.
»Komm, wir machen jetzt unsere Frühstückspause, Werner«, schlug Paul vor, und sein Freund ging erleichtert darauf ein.
Sie stellten ihre Hämmer in eine Ecke und gingen nach draußen. Gleißendes Sonnenlicht blendete sie, aber es war weniger heiß unter der mittäglichen Augustsonne als drinnen im Siedehaus. Ein Pferdefuhrwerk holperte mit einem Tankwagen Sole über den steinigen Untergrund zu einer Brauerei. Die Solezapfanlage befand sich vor dem Uhrenhaus. Das alte Fachwerkgebäude verdankte seinen Namen dem hohen Turm mit der Uhr, die weithin sichtbar war.
Paul und Werner liefen einen schmalen Weg um das Siedehaus herum zu den ehemaligen Salzmagazinen, in denen seit vielen Generationen Hallorenfamilien wohnten. Auch Werner und seine Familie wohnten dort, weshalb sie von seiner Frau zum Frühstück erwartet wurden.
»Was für eine Hitze!«, stöhnte Paul und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Sein nackter Oberkörper glänzte und war gebräunt, denn jede freie Minute verbrachten die Salzwirker draußen. Am liebsten erholten sie sich im Gras am Saaleufer, denn die Pfännerschaftliche Saline befand sich auf einer Insel inmitten des Flusses.
Werner zog an seinem Unterhemd, das ihm am Körper klebte. »Wir könnten kurz ins Wasser springen.«
Paul grinste. »Gute Idee, aber ich fürchte, daraus wird nichts. Sieh mal, wer sich die Ehre gibt.«
Die beiden Männer blieben stehen und sahen zwischen den Bäumen hindurch zum Verwaltungsgebäude hinüber, wo sich eine Gruppe von Herren in Anzügen versammelt hatte und im Begriff schien, die Saline zu besichtigen.
Werner spuckte aus. »Die Genossen. Na los, komm schon, bevor sie uns erwischen. Agnes hat Eier und Brot versprochen.«
Seit die Sozialisten die Regierung übernommen hatten, wehte ein neuer Wind durch die Sowjetische Besatzungszone. Einen Tag nach Gründung der Bundesrepublik, am 23. Mai, hatte die SED-Führung den Entwurf einer Verfassung für die Deutsche Demokratische Republik verkündet. Die Russen waren noch immer die Herren, darüber machte sich niemand Illusionen, und die Umstrukturierung der Gesellschaft durch die SED geschah ganz im Einvernehmen mit Moskau. Viele begrüßten die neuen Ideen, doch Paul hatte seine eigene Meinung zur sogenannten Neugeburt des Volkes durch die antifaschistischen Bestrebungen der Genossen.
»Mensch, halt dich zurück, Werner. Sonst geht es dir wie dem Helmut«, sagte Paul mit gesenkter Stimme, obwohl sie allein auf dem Weg standen.
Zügig gingen sie weiter. Helmut war ein gemeinsamer Freund, der auf der anderen Seite der Brücke auf dem Holzplatz der Pfännerschaft gearbeitet hatte. Helmut hatte sich öffentlich kritisch über Stalin und die Enteignungen geäußert und war mitten beim Essen im »Goldenen Herz« verhaftet und in den Roten Ochsen gebracht worden. Das berüchtigte Gefängnis war ein roter Backsteinbau und setzte seine Schreckenstradition aus der Zeit des Nationalsozialismus fort. Wer dorthin gebracht wurde, kam gebrochen wieder heraus oder verschwand für immer.
Werner brummte: »Führen sich hier auf! Gar nichts haben die uns vorzuschreiben. Mir muss niemand sagen, wie ich meine Arbeit zu machen habe.«
»Nein, Werner, bei Gott nicht. Aber jetzt lass uns einfach essen gehen. Und morgen wird gefeiert!« Paul klopfte seinem Freund auf die Schulter.
»Unser Pfingstbier! Weißt du, Paule, da kommt wenigstens mal Freude auf in all dem Elend. Bringst du ein Mädchen mit? Wird langsam Zeit, dass du eine Braut findest«, meinte Werner.
Paul lachte. »Kann ja nicht jeder so viel Glück haben wie du mit deiner Agnes! Morgen wird gefeiert und getanzt, aber nicht auf Brautschau gegangen.«
Werner und Agnes waren seit elf Jahren ein Paar. Sie war eine geborene Kullick mit Wurzeln in Masuren. Noch immer war ein Teil ihrer Familie vermisst, und Agnes sprach wöchentlich bei den Ämtern vor und hängte Zettel mit den Namen ihrer Angehörigen an die Litfaßsäulen. Es ging ihr wie vielen, doch niemand wollte die Hoffnung aufgeben. Je näher sie der Wohnung kamen, desto deutlicher vernahmen sie Kindergeschrei, das sich mit einer energischen Frauenstimme mischte und verstummte.
»Braves Weib, hat die Bande im Griff«, meinte Werner stolz und nahm die Stufen zur Haustür mit einem Satz. Kaum hatte er die Tür aufgestoßen, wurden sie von fünf Kindern im Alter von eins bis zehn Jahren umringt.
»Paul, guck mal, was wir genäht haben!«, rief Werners älteste Tochter, Grete, nahm Pauls Hand, und zog ihn in die Ecke der kleinen Stube, wo eine Nähmaschine auf einem Tisch stand.
Agnes kam aus der Küche, wischte sich die Hände in der Schürze ab und begrüßte ihren Mann mit einem Kuss. »Wasser und Seife stehen hinten. Wenn ihr fertig seid, kommt in die Küche. Und ihr Kinder macht nicht solchen Lärm. Was soll denn der Paul von euch denken. Grete, nun lass den armen Mann doch mal in Ruh!«
Doch Paul lobte das bunte Kleid, das Agnes für ihre Tochter aus Stoffresten genäht hatte. »Darin wirst du morgen beim Fest sehr hübsch aussehen, Grete.«
Das Mädchen strahlte. Es hatte dünnes braunrotes Haar, Sommersprossen und dunkle Ringe unter den Augen, denn Grete war lange krank gewesen. »Nicht wahr? Und du tanzt mit mir, ja? Versprichst du’s mir?«
Paul nickte. »Ehrenwort.«
»Gretchen, jetzt wollen wir uns waschen«, sagte ihr Vater und nahm Paul mit nach hinten, wo sie durch die Hintertür in einen kleinen Garten traten. Hier stand eine Regentonne, auf einem Stuhl lagen ein Leinentuch und ein Stück Seife.
»Wie geht es deiner Tochter?«, fragte Paul, während sich Werner Wasser ins Gesicht und über den Oberkörper spritzte.
»Der Husten wird besser. Aber wir brauchen Medizin, die es hier nicht gibt. Vielleicht im Westen, aber ich habe keine Zeit, nach drüben zu fahren.« Werner trat zur Seite, sodass Paul sich waschen konnte.
»Meine Schwester ist vielleicht bald wieder in Berlin. Schreib mir auf, was ihr braucht, und sie wird versuchen, es zu bekommen«, schlug Paul vor.
Petra, Pauls jüngere Schwester, war die einzige Thulke, die nicht in der Saline arbeitete. Sie hatte sich schon als kleines Mädchen in den Kopf gesetzt, Schauspielerin zu werden. Und dieses Ziel verfolgte sie mit großer Hartnäckigkeit. Weder die Eltern noch die schwierigen Umstände konnten sie von ihrem Traum abbringen. Zurzeit spielte sie in »Ein Sommernachtstraum«, einer Produktion des Halleschen Stadttheaters, mit.
Werner strich sich die nassen Haare nach hinten. »Ich dachte, sie spielt hier Theater? Will sie doch fort aus Halle?«
Paul trocknete...
Erscheint lt. Verlag | 29.9.2022 |
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Reihe/Serie | Die Halloren-Saga | Die Halloren-Saga |
Verlagsort | Berlin |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Historische Romane |
Literatur ► Romane / Erzählungen | |
Schlagworte | 1950er Jahre • Anne Jacobs • Bergbau • Dallmayr • DDR • Drama • Erbe • Familie • Familiensaga • Frau • Frauenroman • Geheimnis • Geschenk • Geschichte • Halle • Halloren • historisch • Kleo • Liebe • Liebesgeschichte • Liebesroman • Maria Nikolai • Pralinen • romantisch • Saga • Saline • Salz • Schmöker • Schokolade • Schokoladenfabrik • Schokoladenmanufaktur • Sozialismus |
ISBN-10 | 3-8437-2835-6 / 3843728356 |
ISBN-13 | 978-3-8437-2835-5 / 9783843728355 |
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