Das Rosen-Experiment (eBook)

Roman

(Autor)

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2022 | 1. Auflage
352 Seiten
Aufbau digital (Verlag)
978-3-8412-3037-9 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Das Rosen-Experiment - Jan Böttcher
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Ein fabelhafter historischer Stoff aus dem Berlin der 1920er Jahre, furios erzählt

Berlin, 1928. Im Stadtschloss an der Psychologischen Fakultät widmet sich die hochbegabte Doktorandin Zenia gemeinsam mit ihrem Professor Zadek und der Kellnerin der Erforschung der Seele. In ihrem bahnbrechenden Rosen-Experiment untersucht sie Affekte wie Wut und Ärger und revolutioniert ihr Fach. Doch je tiefer Zenia forscht, desto stärker sind auch die Gefühle, die sie als Wissenschaftlerin und Jüdin auf sich zieht. Wohin mit der Liebe, wenn man gleichzeitig ausgegrenzt wird? Ein glänzender Roman, der eine flirrende Zeit spiegelt - ganz nah am Seelenzustand der Gegenwart. 

»Klug aufgebaut, hochoriginell und voll neuer Einsichten.« Wolfram Eilenberger.

»>Das Rosen-Experiment< ist Sittengemälde, Psychogramm einer Zeit, Sprachkunstwerk - ein tiefenscharfer Blick in die Vergangenheit, der die Gegenwart erhellt.« Katerina Poladjan.



1973 in Lüneburg geboren, war Jan Böttcher zunächst Songtexter und Sänger der Berliner Band 'Herr Nilsson'. Seit 2003 hat er fünf Romane veröffentlicht. Mit 'Nachglühen' gewann er den Ernst-Willner-Preis beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb. Jan Böttcher lebt in Berlin.

Im Aufbau Taschenbuch sind seine Romane 'Das Kaff' und 'Am Anfang war der Krieg zuende' lieferbar.

Mehr Informationen zum Autor unter www.janboettcher.com.

1


Zenia grüßte nickend den Brunnen, doch sie meinte das Abendlicht, das auf den Brunnen fiel. Den weichen Schatten unter Neptuns Muschelschale und wie die Wasserspeier, ja sogar die Wasserfontänen, ihr ein Stück entgegenrückten! Sie atmete tief ein, tief aus, entzog Neptun den Blick und nahm schließlich vom Hauptportal den geraden Weg über den Schlossplatz. Zügig, den Schritt noch beschleunigend, wo Passanten und Passantinnen ihren pfeilengen Korridor zu gefährden drohten. Zwei Hüpfer über die Tramschienen, endlich wurde es Frühling.

Sie ließ das kurze vertraute Klingeln in ihr Herz, als sie die Tür zum Schwedischen Café aufzog; nur ein paar weitere Schritte und man war am Tresen angelangt. Unter der Glasglocke ruhten die letzten Zimtschnecken des Tages, einige Narzissen im Glas wachten über eine Gruppe Zuckerstreuer. Im Vorbeigehen strich Zenia mit der Hand über den Tresen. Der Abstand zwischen den Deckenlampen wurde größer, auch passten die Stühle nicht mehr einheitlich zueinander, dafür drangen Stimmen aus der Tiefe des Cafés, aus der Wand, und die Wand wich, ein letzter Schritt, um zwei Meter zurück.

In der Nische bekam sie die Stimmen zu Gesicht. Vera, Karl, Lisabet, all die anderen begrüßten die Freundin lächelnd, winkend, Emiljana führte sogar eine kleine Tanzeinlage auf und nahm ihr die Mütze vom Kopf, um sie sich selbst aufzusetzen. Zenia mimte nach dem langen Studientag die Erschöpfte, sie ließ sich tief in einen Sessel fallen, seufzte.

Um sich gleich wieder aufzubäumen. Nur ein Spaß, natürlich. Man war ja nicht erschöpft, bevor das Kolloquium überhaupt angefangen hatte.

Die Kellnerin nahm erste Bestellungen auf, reihum mit den Augen, jede Einheit verarbeitete sie per Lidschluss. Dreimal Berliner Weiße, zweimal Pils, ansonsten Sodawasser. Zenia nahm einen Tee, für den Professor bestellte sie Schwarzbier und dazu den Rübeneintopf. Dienstags blieb Leonard Zadek zum Mittag mit einer Stulle in seinem Büro und las, abends war er dann hungrig, man kannte seine Marotten. Es war auch nicht außergewöhnlich, dass er auf sich warten ließ; Zadek hatte seine Sprechstunde vor das Kolloquium gelegt und vergaß oft die Zeit.

Es war Zenia nur recht. Sie brauchten schließlich eine Weile, um die jeweils letzte Unterredung oder Lektüre zu verdrängen und Platz zu schaffen im Kopf. Und dies war die einzige Vorbereitung, die der Professor von ihnen erwartete: Platz schaffen, in Bereitschaft sein. Was auf sie zukam, welchen Weg die Unterhaltung einschlagen würde, das wusste niemand.

Die Kommilitonen waren alle da, alle neun, mit ihr zehn. Konnte gar nicht anders sein. Wer fehlte, lag womöglich im Sterben, war aber mindestens ernsthaft krank. Wohlgefühl und Pflichtgefühl, dachte Zenia, waren auch durch einen geheimen Gang verbunden. Sie streckte sich, um von der Nische aus in den vorderen Teil des Cafés zu spähen, dort hing die große Uhr.

Schon zwanzig nach sieben. Plötzlich stand Emiljana vor ihr, sie war um den halben Tisch herumgekommen und flüsterte Zenia ins Ohr. Stimmt. Das war ihr entfallen. Schon vor Wochen hatten sie für den Fall einer so argen Zadek’schen Verspätung gemeinsam eine Übung vorbereitet, die Emiljana bei ihren Forschungen helfen konnte.

»Wir möchten euch bitten«, hob Emiljana an, während sie noch zu ihrem Platz zurückkehrte, »Bleistift und Papier herauszuholen. Schreibt einen Brief an eure Liebste oder euren Liebsten. Wer nicht liiert ist, schreibt an die Mutter. Bleistift heißt: Korrekturen sind erlaubt. Sonst keine weiteren Vorgaben. Die Versuchsleitung liegt bei Zenia und mir.«

Zenia musste lächeln über Emiljanas Strenge. Jetzt fielen einige flapsige Sprüche, ob dies mit Zadek abgesprochen oder ob das Matriarchat ausgebrochen sei etc., aber schnell kehrte Ruhe ein, bückten sich alle nach der Ausrüstung in ihren Taschen. Weiterführende Fragen zu einer Aufgabenstellung waren in ihrer psychologischen Fakultät ohnehin strengstens verboten. Nebenbei kamen die ersten Bestellungen.

Dass sie Bleistifte nahmen, erleichterte den Schreibprozess. Anrede und einleitende Sätze waren schnell geschrieben. Danach wuchs die Intimität; Augenpaare suchten Stellen an der Decke oder an der Wand, an denen sie ganz für sich waren. Stifte wurden hinters Ohr gesteckt, ins Haar, zwischen die Zähne. Zenia beobachtete, machte sich Notizen.

Nach etwa zehn Minuten unterbrach Emiljana:

»Danke. Das war’s schon. Wir wollten nur sehen, ob sich jemand vor den anderen geniert. Keine Angst, niemand muss vorlesen. Es folgt nun die eigentliche Übung. Alle drehen dafür bitte ihr Blatt auf die leere Seite. Ich habe hier einen Würfelbecher mit fünf Würfeln.«

Sie schüttelte die Würfel im Becher, auch um die allgemeine Unruhe zu übertönen.

»Es geht reihum. Man würfelt auf einen Schlag. Ein Wurf zählt, wenn er 22 Augen oder mehr in der Summe ergibt.«

»Wem hier zuerst drei so hohe Würfe gelingen«, ergänzte Zenia, »bekommt von uns ein Getränk spendiert.«

»Aaah, wo gespielt wird, da lass dich ruhig nieder.«

Professor Zadek war aus dem Nichts aufgetaucht, lautlos, er hatte sein Jackett an den Garderobenständer gehängt und mit der anderen Hand bereits den freien Stuhl gegriffen, um nah an den Tisch heranzurücken. Er huscht, er bewegt sich wie eine Katze, dachte Zenia.

Zadek hob die Untertasse von einer Schale, die auf dem Tisch stand. »Sehr gut, Sie denken immer mit«, sagte er. »Eintopf und Schwarzbier gehen doch an mich?«

Zenia nickte, hoffentlich war die Suppe noch heiß genug.

»Wir beginnen. Bitte notiert jede Summe, die ihr erwürfelt«, sagte Emiljana, und schon wanderte der Würfelbecher.

Ärmel wurden hochgekrempelt. Hände gerieben. Mancher äffte die dramatische Mimik aus Filmen nach. Ohne Erfolg. In der ersten Runde gelang überhaupt nur Lisabet eine Wertung mit 23 Punkten. Emiljana und Zenia taten weiterhin so, als müssten sie sich wichtige Notizen machen.

Schon kamen weitere Bestellungen. Zenia sah zu, wie das Fräulein die Getränke zielsicher bei den Bestellgebern ablieferte und wieder verschwand. Zwei weitere Männer bestellten den duftenden Eintopf, es war ausdrücklich erwünscht, den Professor beim Essen zu unterstützen. Zenia hatte sich schon manchmal gefragt, ob es in Berlin noch ein zweites Kolloquium gab, bei dem Suppen gelöffelt wurden. Der Professor tupfte sich den Mund ab, würfelte 22 Punkte und riss beide Arme hoch, womit er seinen mangelnden sportlichen Ehrgeiz zu verspotten suchte, aber vor allem zwei Schweißflecke unter den Achseln zeigte. Gleich nach ihm gelangen auch Karl 22 Punkte, und das Spiel nahm sofort Fahrt auf, die Gruppe fühlte sich angestachelt. Benno setzte ein Bein auf den Stuhl, führte den Würfelbecher unter dem Hosenbein hindurch und übernahm ihn mit der anderen Hand. Dazu imitierte seine Stimme einen Trommelwirbel, damit der Ulk wie eine Zauberei wirkte. Herr Claus wollte ihm nicht nachstehen. Auch er sprang aus dem Stuhl, schüttelte den Becher über dem Kopf, schwang die Hüfte im Takt dazu und drehte sich einmal um die eigene Achse. Jemand rief dazu Oh lala, jemand rief Café Rio, es wurde in die Hände geklatscht – der Wurf nach der Showeinlage hatte keinen Erfolg. Das Spiel war so einfach, dachte Zenia, es handelte nur vom Glück, und doch wollte jede Person zeigen, dass sie es besser konnte, dass sich die Würfel becircen ließen, und wer jetzt noch immer ein Ergebnis von nur 13 oder 14 Punkten würfelte, war ehrlich von sich enttäuscht.

Zenia und Emiljana nickten einander zu.

Die Sache lief. Auch die Länge des Versuchs schien Zenia stimmig zu sein, sie waren schon in der siebten oder achten Runde.

Die Kellnerin brachte die zwei weiteren Schalen Eintopf, und wieder konnte Zenia nicht umhin, ihren flinken Handbewegungen zu folgen. Sein blondes Haar hatte das Fräulein zum Zopf zurückgebunden, doch eine einzelne Strähne löste sich. Die...

Erscheint lt. Verlag 16.8.2022
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Historische Romane
Literatur Krimi / Thriller / Horror
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Affäre • Affekte • Berlin • Café • Doktorandin • Emotionen • Forschung • Gefühle • Historischer Roman • Iowa • Jan Böttcher • Jüdisch • Kellnerin • Kurt Lewin • Liebe • Liebesgeschichte • Professor • Psychologie • Roman • Stadtschloss • Universität • Unter den Linden • USA • Zwanziger Jahre
ISBN-10 3-8412-3037-7 / 3841230377
ISBN-13 978-3-8412-3037-9 / 9783841230379
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