Die Sekretärinnen - Elin Wägner

Die Sekretärinnen (eBook)

Roman

(Autor)

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2022 | 1. Auflage
160 Seiten
Ecco Verlag
978-3-7530-0061-9 (ISBN)
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Wiederentdeckung eines schwedischen Klassikers: das 1908 erschienene Debüt der Feministin Elin Wägner

Stockholm, Anfang des 20. Jahrhunderts. Vier junge Frauen haben es sich in den Kopf gesetzt, eigenständig in der Großstadt zu leben, was zu dieser Zeit unerhört ist. Ihr Gehalt reicht kaum zum Überleben, sie teilen sich eine kleine Wohnung und leben an vielen Tagen von kaum mehr als trockenem Brot. Jeder Versuch, dieses Unrecht zu ändern, stößt auf Unverständnis, immer wieder wird ihnen nahegelegt, sich einfach einen Mann zu suchen und zu heiraten. Aber gemeinsam setzen die vier ihren Traum um.

Mit viel Witz und auch heute noch moderner Sprache wird vom Leben junger Frauen in der Großstadt erzählt, die sich auch durch Widerstände nicht einschüchtern lassen.


»Tolle Wiederentdeckung der schwedischen Feministin Elin Wägner und nach wie vor hochaktuell.« hygge

»Was und wie Elin Wägner bereits 1908 schrieb, ist noch heute ein Vergnügen.« Barbara

»Ein hundert Jahre alter Roman mit großem Identifikationspotenzial.« Buchkultur

»Ein kämpferisches, berührendes Buch.« NDR Kultur



Elin Wägner, geboren 1882 in Lund, war eine schwedische Autorin, Journalistin und Feministin, die sich unter anderem für das Frauenwahlrecht, für soziale Themen und die Umwelt engagierte und 1919 mit zu den Gründern von »Save the Children« gehörte. Ab 1944 war sie Mitglied der Schwedischen Akademie. Sie starb 1949 in Rösås. Ihr 1908 erschienener Roman »Die Sekretärinnen« war ihr Debüt und großer Durchbruch, er erschien vorab in Abschnitten in der Dagens Nyheter und wurde verfilmt.

1

STOCKHOLM, 29. SEPTEMBER

Nichts kommt so, wie man es sich gedacht hat!

Das war nicht das, was ich mir vor zehn Jahren vorgestellt hatte, als ich den Konfirmandenunterricht besuchte, mein erstes langes Kleid bekam und meine erste Packung Haarnadeln kaufte, die mir übrigens sofort wieder aus den Haaren rutschten.

Es war noch weniger als das, was ich mir vor fünf Jahren vorgestellt hatte, als ich zwanzig Jahre alt wurde und zum ersten Mal flammend verliebt war. Ich weiß noch, wie es war, als ich mich eines Abends genauso glücklich wie verstohlen durch die Seitenstraßen zu unserem ersten Rendezvous schlich und an unserem Laternenpfahl stehen blieb, um auf die Uhr zu schauen, während er in einem Park auf mich wartete. Nie wieder würde es in meinem Leben einen Alltag geben, das schwor ich mir. Entweder Himmel oder Hölle, vor allem Himmel, rauf und wieder runter, eine ständige Berg- und Talbahn. Und das funktionierte auch eine Weile, aber dann war es auch schon wieder vorbei, bevor ich michs recht versah, und da saß ich dann, im tiefsten Tal. Nicht auszudenken, wenn jemand damals gewagt hätte, mir zu sagen, dass ich Sekretärin werden würde, ich, die doch immer so lebte, als würde sie Mitte nächster Woche sterben! Aber jetzt bin ich es doch.

Es ließ sich nicht vermeiden. Das heißt, es hätte sich wohl schon vermeiden lassen, aber es war das Nächstliegende. Und manchmal, wenn man sehr müde ist, greift man nach dem Nächstliegenden.

Ich meine, vor meinen Augen justament eine riesige Armee von Twillblusen und mich selbst als neueste Zwangsrekrutierte zu sehen. Am ersten Oktober beginnt das Exerzieren.

Ein Schriftsteller hat über uns arbeitende Frauen mal gesagt, dass man uns Gerechtigkeit angedeihen lassen muss, dass es nicht die Liebe zur Arbeit ist, sondern die reine Not, die uns in die Arbeitswelt des Mannes zwingt. Das ist sehr wahr und klug gesagt, denn es ist die Not, die Not, und ich bin sicher, dass ich diese Arbeit hassen werde, die ich jetzt antreten soll. Meine Seele zuckt instinktiv zurück vor Kassenbuch und Schreibmaschine, aber wir müssen vielleicht doch irgendwie leben, Putte und ich, besonders Putte, und obwohl Putte ja, wie er es selbst ausdrückt, Witwer und Waise ist, reicht es nicht, sein Schulbesuch ist so unglaublich teuer und Untermieten hier in Stockholm auch. So hab ich also aus Pflichtgefühl eine Stelle in einer Anwaltskanzlei angenommen, Buchhaltung und Korrespondenz, und alle sagen, ich kann mich glücklich schätzen, dass ich die so schnell bekommen habe, ohne Zeugnis, weder von Schartaus noch von Påhlmans Handelsinstitut, und das in meinem Alter. Ich bin nicht älter als fünfundzwanzig, aber ich habe gehört, dass sie gerade so junge Mädchen suchen, die noch im Elternhaus wohnen, das ist billiger. Ich glaube ja in meiner Unschuld, dass ich billig genug bin: achtzig Kronen für sieben Stunden pro Tag und fünfzig Öre für jede Überstunde. Ich werde wohl welche machen, und das Geld soll für Putte sein. Ich selbst muss mit meinen achtzig zurande kommen.

Ich kam um sieben Uhr morgens in die Stadt wie irgendein armes Möbelstück, aber andererseits hatten es die Möbel besser, denn die waren gut verpackt und wurden ins Haus getragen. Ich nicht, nicht eine Menschenseele war da, um mich in Empfang zu nehmen, aber es wäre falsch gewesen, deswegen den Mut zu verlieren. Ich kämpfte den Impuls nieder, eine Droschke zu nehmen, und setzte mich in die Straßenbahn, wobei ich mir versprach, dass das nicht zu oft vorkommen würde, denn eine Fahrkarte kostet so viel wie Brot für einen ganzen Tag, Morgen- und Abend- und Vormittagsbrote, wenn man sie nicht zu groß und nicht zu viele macht.

Die Straßenbahn war voller morgendlich blasser und fröstelnder Arbeiter. Als ich sie sah, versuchte ich meine Stimmung durch ein »Denk an die ganzen Leute, denen es schlechter geht als dir« zu heben. Da ich nicht vor neun Uhr im Büro sein muss, hätte es unglaublich guttun müssen, an die zu denken, die schon um sieben in die Tretmühle müssen, aber das ist wohl nur eine Legende, die sich alte Leute ausgedacht haben, denn der Gedanke an die Sieben-Uhr-Menschen hob meine Stimmung nur unwesentlich.

Und der rote Wagen ratterte die Upplandsgatan hoch, vorbei an Häusern, Häusern und noch mehr Häusern, und als ich mir schon dachte, dass wir jetzt sicher gleich in Uppsala sein müssten, waren wir erst am Odenplan. Die ganze Norrtullsgatan ähnelte bereits einem Möbellager und bot intimste Einblicke in die Lebensumstände der umziehenden Familien. Ich hatte fast Schwierigkeiten, durch die Tür zu kommen. Das Haus, in dem ich wohne, ist ziemlich neu, groß wie eine Burg und dürfte ungefähr Platz für eine kleinere Kirchengemeinde bieten. Man betritt es durch einen Bogengang, der auf den zementierten, von einer Mauer umgebenen Hof mit Aufgängen von A bis F führt. Wenn man sich streckt, sieht man vielleicht ein viereckiges Stück Himmel, so groß wie ein Stück Stoff für ein schmales, ärmelloses Leibchen, aber der Himmel schien nicht weiter weg zu sein als normal. Das Ganze ähnelt einem Brunnen, und ich muss manchmal an Josef und seine unfreundlichen Brüder denken.

Wir wohnen im vierten Stock, aber es gibt keinen Aufzug, denn es ist ein Haus für die Mittelklasse. Die Leute sagen ja, dass Treppensteigen gesund ist, und das sorgt wohl dafür, dass man nie unnötig heimgeht.

Nachdem ich zu guter Letzt mich selbst samt Gepäck alle vier Treppen hinaufbugsiert hatte, ließ ich mich atemlos auf die unterste Stufe der Treppe zum Dachboden fallen. Niemand hörte mich, als ich an die Küchentür klopfte, deswegen hämmerte ich in einem Wutanfall drauflos, dass das ganze Haus aufwachte.

»Bist du das, Elisabeth?«, hörte ich aus dem Inneren der Wohnung.

»Ja, das liegt wohl nahe, denn anständige Menschen würden wohl nicht solch einen Lärm machen oder um so eine Uhrzeit aufschlagen.«

»Ja, natürlich bin ich Elisabeth«, sagte ich. »Macht die Tür auf!«

Das taten sie am Ende auch, und in dem Moment wurde mir klar, was der Grund für ihr Zögern war – sie trugen alle mehr oder weniger schon ihre Nachthemden und hatten Papilloten in den Haaren. Ich musste lachen: Das war also die Norrtullstruppe, der Vorposten der Zivilisation in Vasastan! Aber ich spürte, dass ich mich bei ihnen wohlfühlen würde. Glücklicherweise hatte ein Mitglied dieser fröhlichen und berühmten Truppe geheiratet und lebte jetzt glücklich auf dem Lande, sodass ein Platz für mich frei geworden war. Wir mieten zwei Zimmer von einer älteren Frau, die angeblich einen Sohn hat, der Assessor ist. Wir dürfen ihre Küche mitbenutzen, und ich vermute, das bedeutet, dass wir uns ausschließlich von Brot ernähren sollen, das wir mit Tee und Kaffee ohne Sahne herunterspülen. Mittags essen die anderen Mädchen auswärts, je nachdem, wann und wo und ob es sich ergibt. Ich gehöre jetzt auch zu dieser Kaste von Menschen, die vom sogenannten trauten Heim nur das mitbekommen, was sie erspähen können, wenn die Nachbarn auf der anderen Straßenseite vergessen haben, die Jalousien runterzulassen. Wenn wir Männer wären, dann wären wir »ausschließlich auf Restaurants angewiesen«. Das könnte ich mir ganz lustig vorstellen, nachdem man von Geburt an als Mädchen im Haus der Eltern (oder anderer Leute) gewohnt hat.

Eva, die Einzige, die ich schon von früher kenne und die auch meine Zimmergenossin werden soll, stellte vor:

»Hier habt ihr das gläubige Frauenzimmer mit eigenem Bettzeug, das wir per Annonce gesucht haben. Ich hoffe, dass der Gepäckträger gleich mit dem Bettzeug kommt.«

Alle nahmen mich in den Arm und küssten mich zur Begrüßung und halfen mir aus Mantel und Jacke, und es war ein einziges lautes Gelächter und Geplauder, bis Eva schließlich einen schrillen Schrei ausstieß, von dem Tote aufgewacht wären.

»Was um Himmels willen ist denn passiert, Eva?«, fragte ich.

»Der Assessor!«

Im Flur hatte eine Tür geknarrt, und im Nu waren alle Mädchen aus der Küche und dem Flur wie weggeblasen, außer Baby, die fast bekleidet war und den Kaffeekessel bewachte, während sie sich die Stiefeletten schnürte. Natürlich war es nicht der Assessor, obwohl es einem Mann ähnlich gesehen hätte, um diese Tageszeit Unruhe im Hühnerstall zu stiften.

Kurz darauf zuckte ich zusammen von einem anderen grellen Notruf:

»Mädels, es ist zwanzig nach acht!«

Ich war sprachlos, als ich die Hektik beobachtete, die daraufhin ausbrach. Es war, als fegte ein Orkan durchs Zimmer. Kaffeetassen und Zuckerdosen kamen aus einer Schublade zum Vorschein, Butter und Brot wurden aus einem Eckschrank in der Küche gerissen, Baby kam mit dem Kaffee angeschwappt, und alle schmierten sich in rasendem Tempo ihre Brote fürs Büro und verbrühten sich am Kaffee, während sie es gleichzeitig unbegreiflicherweise schafften, den Sitz ihrer Hüte vor den Spiegeln zu kontrollieren. Kurz nach halb neun eilten sie hinaus, die zusammengelegten Mäntel über dem Arm und Handschuhe, Taschen und rosarote Pausenbrottüten in den Händen. Es war auf einmal so still, dass ich aufmerkte.

Während ich nun auf den Gepäckträger wartete, machte ich Wasser in einem Kessel heiß und stellte mich in die Küche, um die Frühstückstassen abzuwaschen. Es war das erste Mal und wird wohl nicht das letzte bleiben – mein Schicksal war immer eng mit der Abwaschschüssel verbunden.

Jetzt kam tatsächlich der Assessor. Ich schoss zur Küchentür und sprang auf die Kiste mit dem Feuerholz, damit ich durch die Fensterscheibe in der Tür kontrollieren konnte, was er tat. Wie ich schon geahnt hatte, ging er nicht direkt in den Flur, sondern...

Erscheint lt. Verlag 24.5.2022
Übersetzer Wibke Kuhn
Sprache deutsch
Original-Titel Norrtullsligan
Themenwelt Literatur Klassiker / Moderne Klassiker
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte bücher feminismus • bücher für frauen • Emanzipation • Feminismus • feminismus buch • feminismus bücher • feminismus geschenk • Freundinnen • good girls revolt • Roman • roman 20 jahrhundert • Schweden • Starke Frauen
ISBN-10 3-7530-0061-2 / 3753000612
ISBN-13 978-3-7530-0061-9 / 9783753000619
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