Mord unter dem Drachenfels (eBook)
446 Seiten
Aufbau digital (Verlag)
978-3-8412-2794-2 (ISBN)
Der Sänger Georg Arden wird brutal hinter der Kölner Oper zusammen-geschlagen. Georg verliert seine Stimme und flieht in panischem Schrecken nach Königswinter. Dort lernt er Nora, eine junge Klavierlehrerin, kennen. Doch Nora trägt ein dunkles Geheimnis mit sich, das sie sehr belastet und Georg ahnt nicht, wie sehr Noras Schicksal mit dem seinen verknüpft ist und wie bedrohlich ihrer beider Lage ist ...
Reinhard Rohn wurde 1959 in Osnabrück geboren und ist Schriftsteller, Übersetzer, Lektor und Verlagsleiter. Seit 1999 ist er auch schriftstellerisch tätig und veröffentlichte seinen Debütroman 'Rote Frauen', der ebenfalls bei Aufbau Digital erhältlich ist.
Die Liebe zu seiner Heimatstadt Köln inspirierte ihn zur seiner spannenden Kriminalroman-Reihe über 'Matthias Brasch'. Reinhard Rohn lebt in Berlin und Köln und geht in seiner Freizeit gerne mit seinen beiden Hunden am Rhein spazieren.
Prolog
Stella liebte den Zufall. Sie wusste, dass der Zufall sie früher oder später zu Philipp führen würde. Sie musste nichts anderes tun, als sich durch die Stadt treiben zu lassen und irgendwann einen Platz zum Schlafen zu suchen. Um sich in einem Hinterhof in einer ruhigen Ecke zusammenzurollen, war es allerdings noch zu kalt. Am liebsten hätte sie sich in den Dom geschlichen und da übernachtet. Faszinierende Vorstellung – eine Nacht neben dem Schrein der Heiligen Drei Könige oder in dem Gestühl der Domherren. Brannten auch nachts Kerzen im Dom, oder lag man dann in völliger Dunkelheit da, als sei man an einem fernen Ort jenseits von Raum und Zeit gelandet? Sie hatte jedoch gleich vermutet, dass es mit der Nacht im Dom nicht klappen würde. Ihr Zahlentick hatte es ihr verraten. Wenn sie es vom Ausgang des Hauptbahnhofs bis zum Domportal, ohne zu betrügen, in genau hundertfünfzig Schritten schaffte, wäre der Weg frei für sie, hatte sie sich gesagt. Leider hatte sie neunundachtzig Schritte gebraucht, eine ungerade Zahl, zu allem Überfluss auch noch eine Primzahl. Das brachte Unglück. Kein Wunder, dass die rotgewandeten Aufpasser im Dom sie mit ihrem Rucksack nicht hereingelassen hatten. Immerhin hatten sie nicht die Polizei gerufen. Als Ausreißerin hätte Stella sonst wohl die Nacht auf einem Polizeirevier verbringen müssen – bis ihr Stiefvater sie abgeholt hätte.
Sie sah, wie der Mond sich in einem Baugerüst spiegelte. In einer dunkleren Seitengasse abseits vom hell erleuchteten Dom wurde anscheinend eine alte Kirche oder ein Kloster renoviert. Sie rüttelte an einer Holztür, die in einen Bretterzaun eingelassen war, aber die Tür war fest verschlossen. Ein altes, baufälliges Kloster wäre ihr als Schlafplatz auch eine Spur zu unheimlich gewesen. Allerdings hätte sie Philipp am nächsten Morgen, wenn sie ihn dann gefunden hätte, wirklich beeindrucken können. Was tat sie nicht alles, um ihm zu beweisen, dass sie ihn liebte. Ihm zuliebe war sie ohne ein Wort aus Hameln verschwunden. Sie würde zum ersten Mal nicht die beste Mathematikarbeit ihrer Schule schreiben.
Ein alter Mann schlich mit einem Hund, der sich genauso schwerfällig bewegte wie er selbst, die düstere Gasse entlang. Wie zwei Geisterwesen sahen sie aus, die sich gleich wieder in Luft auflösen oder gar in furchtbare dämonische Kreaturen verwandeln würden. Vor Stella blitzten die Scheinwerfer der Autos auf, die ein Stück weiter auf einer Schnellstraße vorbeijagten.
Wenn sie es mit zwanzig Schritten bis zu dieser Straße schaffte, würde sie einen Hinweis finden, wo Philipp steckte, sagte sie sich. Sie versuchte die Strecke abzuschätzen, machte mit ihren abgelaufenen Turnschuhen große, raumgreifende Schritte. Trotzdem reichte es nicht. Obwohl sie sich zu ihren Gunsten mehrmals verzählte, brauchte sie dreiundzwanzig Schritte bis zu der vierspurigen Straße. Schon wieder eine ungerade Zahl!
An einer Ampel, an der sie auf das grüne Signal für Fußgänger warten musste, entdeckte sie keinen Hinweis auf eine Bar oder einen Club, wo eine Band mit Namen »Luxusliner« spielte. Lediglich ein orangefarbener Automat mit den Morgenzeitungen stand da. Die Schlagzeile handelte von einem grausamen Mädchenmord auf einem Parkplatz hinter dem Hauptbahnhof. Vielleicht hätte sie doch eine Kerze im Dom anzünden sollen. Auch ein Gebet hätte nichts schaden können! Was würde sie tun, wenn sie Philipp nun wider Erwarten nicht fände? Er hatte ihr nicht einmal seine Telefonnummer gegeben. Vermutlich passierte es ihm ständig, dass ihm irgendwelche Mädchen nachreisten, die sich in seine langen schwarzen Haare und in sein scheues Lächeln verliebt hatten. Nein, er hatte ihr eine Kette geschenkt und sie mit auf sein Hotelzimmer genommen, und er hatte ihr zugeflüstert, sein nächster Song werde den Titel »Stella sings« tragen.
Mit dreißig Schritten hatte sie die Straße überquert. Immerhin, die Zahlen waren wieder auf ihrer Seite. Sie spürte jedoch, wie sie allmählich müde wurde. Auch der Hunger kehrte zurück. Wenn ihr der Zufall doch nicht zu Hilfe käme, würde sie sich auf die Kreditkarte ihrer Mutter besinnen müssen, die sie zur Sicherheit eingesteckt hatte. Damit würde sie zwar eine Spur hinterlassen, aber dieses Risiko musste sie zur Not eingehen.
Sie hatte immer gewusst, dass ihr mit siebzehn ein großes, einzigartiges Abenteuer widerfahren würde. Eine Wahrsagerin hatte es ihrer Mutter vor ein paar Jahren prophezeit. »Passen Sie auf Ihre Tochter auf! Noch während ihrer Schulzeit wird sie ein einschneidendes Erlebnis haben!« Wie ihre Mutter glaubte Stella an solche Weissagungen, auch wenn sie es vor all ihren Freundinnen abgestritten hätte.
Als sie Philipp an seiner Bassgitarre gesehen hatte, waren ihr die Knie weich geworden. So einem Jungen war sie noch nie begegnet. Mit abwesendem, beinahe leerem Gesichtsausdruck beugte Philipp sich über sein Instrument, als halte er ein lebendiges Wesen in seinen Händen, mit dem er eine Art geheimen Tanz aufführen musste. Pulsierend dröhnte der Bass aus den Lautsprechern und ließ sie regelrecht erzittern. Der Boden unter ihr begann zu schwanken, und für einen Moment fürchtete sie, ohnmächtig zu werden. Dann schaute Philipp sie an; ein großer, heiliger Zufall, dass ihre Blicke sich trafen und seine schwarzen, geheimnisvollen Augen sie förmlich aus einer groben, wogenden Menschenmenge herausschnitten. So fängt die Liebe an, hatte Stella gedacht. Ihr Glück hatte begonnen. Der Tag war der siebte April, und die Sieben war immer ihre Lieblingszahl gewesen.
Nachdem sie die Straße überquert hatte, schritt Stella auf ein hässliches graues Gebäude zu, das auf den ersten Blick wie eine Behörde aussah, dann entdeckte sie die Schilder »Opernhaus Köln – Heute wegen Generalprobe keine Vorstellung – morgen: ›Fidelio‹.«
Spielte Philipp mit seiner Band vielleicht in der Oper? Nein, undenkbar. In so einen spießigen Kulturtempel würden ihn keine zehn Pferde hineinbekommen. Auch in den Programmankündigungen in einem Schaukasten fand sich kein Hinweis auf das Konzert einer Band namens »Luxusliner«.
Erneut spürte Stella, wie sie unsicher wurde, und diesmal verflog diese Unsicherheit nicht sogleich wieder. Vielmehr kam ihr der unliebsame Gedanke, dass der Zufall ihr nicht helfen würde, weil Philipp sie angelogen hatte. Er war mit den anderen Musikern gar nicht nach Köln weitergereist, sondern hatte sich nur einen Spass daraus gemacht, ihr falsche Geschichten zu erzählen und sie mit auf sein enges, schmutziges Hotelzimmer zu nehmen. Sein Körper war viel älter gewesen als sein Gesicht, mit Narben an den Unterarmen und zwei riesigen Tätowierungen auf seiner Brust, die wie giftige Kraken ausgesehen hatten.
Stella schritt um das Opernhaus herum und geriet in eine Straße, die voller Schatten war. Ja, es sah so aus, als bewegten sich in einem feinen silbrigen Licht Gebilde aus Dunkelheit. Sie ließ den schweren Rucksack von ihrer Schulter gleiten und lehnte sich an die Hauswand. Dann schloss sie die Augen. Ich werde bis sechzig zählen, und wenn ich dann die Augen wieder öffne, wird sich alles verändert haben, redete sie sich ein.
Mit gesenktem Kopf zählte sie flüsternd vor sich hin, fast wie als kleines Kind, wenn sie mit den anderen Mädchen in ihrer Straße Verstecken gespielt hatte. Damals war ihr Vater bei ihnen gewesen und hatte sich noch nicht nach Spanien auf eine Sonneninsel abgesetzt, um Tauchlehrer oder Fremdenführer zu sein. Es tat ihr gut, die Zahlen auszusprechen. Sie fühlte sich wohl, wenn sie mit Zahlen zu tun hatte. Auf Zahlen war Verlass. Sie hatte nie verstanden, dass ihre Freundinnen Mathematik hassten. Eine Zeitlang hatte sie nichts lieber getan, als allein in ihrem Zimmer Mathematikaufgaben durchzuspielen. Sie hatte sogar eine Geheimsprache erfunden, die auf Zahlen beruhte. Leider hatte sie niemanden gekannt, dem sie diese Sprache beibringen konnte.
Als sie bei der spröden, durch und durch langweiligen Zahl Einundvierzig angekommen war, glaubte sie, ein Geräusch vor sich wahrzunehmen, hastige, zielstrebige Schritte, die dennoch eine gewisse Wankelmütigkeit verrieten. Dann bei Siebenundvierzig, viel zu früh und gegen jede Abmachung, die sie mit sich selbst getroffen hatte, sprangen ihre Augen auf, als habe ein schmerzhafter elektrischer Impuls sie getroffen.
Die Szenerie vor ihr hatte sich tatsächlich verändert. Eine Gestalt näherte sich einem Mann, der offensichtlich aus einem Seitenausgang der Oper auf die Straße getreten war. Nichts Bedrohliches lag in dieser Annäherung, eher wirkte es, als schiebe sich ein später, eiliger Passant an einem anderen vorbei. Trotzdem ahnte Stella, dass der Schein trog. Sie lief los, ohne selbst zu ahnen, warum sie lief. Kaum hatte die erste Gestalt sich der zweiten genähert, zog sie unter ihrem langen Mantel einen länglichen Gegenstand hervor.
Stella öffnete ihren Mund zu einem Schrei, aber vor Erstaunen drang ihr kein Laut über die Lippen. Sie wurde Zeugin eines kaltblütigen Überfalls. Der Angreifer schlug zweimal kurz und routiniert zu. Eine seltsame, fließende Eleganz lag in seinen Schlägen. Wie in einem Film, schoss es Stella durch den Kopf, als habe er diese Szene schon oft geprobt, und für einen Moment kam ihr der Gedanke, sie könnte tatsächlich mitten in nächtliche Filmaufnahmen geraten sein. Man hörte gelegentlich davon, dass unbedarfte Passanten ahnungslos in eine Filmszene hineinliefen und dann in vollkommenem Ernst einen Schauspieler jagten, der einen flüchtenden Mörder mimte. Doch die zweite Gestalt schrie mit einer Heftigkeit auf, die nicht gespielt sein konnte. Während sie ins Taumeln geriet, riss sie die Hände in die Höhe, nicht um...
Erscheint lt. Verlag | 25.4.2022 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Schlagworte | Andreas Franz • Christoph Gottwald • Ermittlungen • Köln • Köln Krimi • Krimi • Kriminalroman • Mord • Polizei • Regionalkrimi • Rheinland • Rheinland Krimi • Roman • Salim Güler • Sören Martens • Tod • Verbrechen |
ISBN-10 | 3-8412-2794-5 / 3841227945 |
ISBN-13 | 978-3-8412-2794-2 / 9783841227942 |
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Größe: 2,3 MB
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