Die Köchin oder Das Feuer im Moor (eBook)
400 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7562-7802-2 (ISBN)
Ingrid Pfeiffer, geboren 1950 in Lehnstedt/Hagen im Bremischen, aufgewachsen in Bremen-Blumenthal, wohnt inzwischen in Lilienthal. Sie ist auf Wunsch immer noch gern als Trauerrednerin in Bremen, Worpswede und im regionalen Umkreis tätig. Schon seit ihrer Kindheit interessiert sie sich für Geschichte und Archäologie. Besonders die Küche und die Historie Norddeutschlands haben es ihr angetan. Einen Roman zu schreiben, in dem sich ihre Interessen unterbringen lassen, war darum reizvoll und naheliegend. Und lässt sie bis heute nicht los! Denn mit diesem Buch liegt der 4. Teil der Geschichte einer Köchin eines reichen Bremer Kaufmanns, die ins Teufelsmoor in eine ärmliche Hütte heiratete, vor.
Äpfel und Kartoffeln
Line drehte auch diesen Apfel begutachtend in der Hand, er hatte noch keine faulen Stellen. Sie legte ihn aufatmend zurück aufs fast leere Bord. Es waren die letzten und sehr schrumpeligen Äpfel.
Wenige waren stark angefault und darum in ihrem Korb gelandet. Nur wenn sie regelmäßig alle Früchte untersuchte und die schlechten aussortierte, reichten sie lange. Seit sie im Winter vor sechs Jahren so sehr krank gewesen war, achtete Line darauf, jeden Tag mindestens einen Apfel zu essen. Stille-Catharine hatte ihr dazu geraten. Und einen Spruch dazu aufgesagt: »Eet sachts ’n Appel ann Daach, denn liggt elkeen Pien bi di brach!« Die alte Frau war ehrlich genug zuzugeben, dass sie nicht wusste, warum das half, verglich es jedoch mit Sauerkraut und Hagebuttentee.
Seit die weise Frau Line gesund gepflegt hatte, nutzte die Jüngere jeden Hinweis, befolgte ihn akribisch. Und war seitdem immer gesund. Außerdem mochte sie den fruchtigen Geschmack gerade dieser Äpfel. Hasenköpfe wurden sie genannt. Sie schmeckten saftig süß mit feiner säuerlicher Würze. Die Früchte passten gut ins Moor, ins Kühle und Feuchte. Wenn sie richtig gelagert wurden, schrumpelten sie nicht so rasch. Jetzt jedoch war ihre Zeit lange vorbei. Die Reste waren geschält in den Mündern der Familie verschwunden.
Früllerk hatte, auf Stille-Catharines Anraten hin, noch eine zweite Sorte gepflanzt. Den Roten Eiserapfel. Er lachte oft über den Namen und meinte: »Wenn wir den Eiserapfel ins Eiserkucheneisen pressen, kommen dann Neejohrskoken mit Apfelgeschmack raus?«
Line liebte die Sorte, da sie sich den ganzen Sommer über, bis in den Herbst und noch darüber hinaus hielt. So hatte sie das ganze Jahr über Äpfel im Vorrat.
Sie strich zärtlich über ihren stetig wachsenden Bauch, hob den Korb in die Armbeuge, drückte den Rücken ein wenig durch und trat aus der niedrigen Tür ins Freie. Die Sonne blendete nach der Dunkelheit in der alten Hütte.
Damals, als Line im Sommer als junge Ehefrau hierher ins Moor gezogen war, hatte das Feuer im Innenraum Helligkeit und Wärme gegeben. Seit Früllerk und sie in der Hütte nur noch das Schwein, einen Ziegenbock und zwei Zicken hielten, brauchte dieser Raum keine Feuerstelle mehr.
Sie beschritt den Holzsteg, der als schmale Brücke über dem Scheeden lag. Wie hatte Piss-Jule damals über so ’n neemoodschen Krom geschimpft. Ein Graben rund um die Hütte, der den kleinen Hofplatz in eine Insel verwandelte. Inzwischen besaßen viele Günnemoorer einen solchen Graben. Falls eine Hütte oder Kate Feuer fing, wurde das Land rundum vor einem unkontrollierten Moorbrand geschützt. Auch um die neue Kate hatten Grapenthiens einen Scheeden gegraben.
Line genoss immer noch ihr geräumiges Zuhause und schaute auch jetzt mit Wohlgefallen über den Hofplatz zum kleinen Fachwerkhaus. Sie erinnerte sich, wie sehr sie sich im ersten Jahr ihrer Ehe ein größeres Haus gewünscht hatte. Dank Jakob Sandvoss hatten sie es bekommen. Anna Sandvoss war damals natürlich wütend gewesen auf ihren Sohn. Der aber wehrte sich, indem er ihr entgegenschleuderte: »Seit mehreren Jahren schon wartet das zurechtgesägte Eichenholz. Irgendwann beginnt es zu modern. Denn du brauchst kein Holz für ein Altenteilerhaus, niemals!« Da schwieg sie.
Line bekam sogar ihr ovales Fenster, Früllerk hatte ihren Wunsch nicht vergessen, so sehr liebte er sie. Obwohl, es waren zwei Fenster geworden, oben links und rechts nahe am Bogen der Grootdöör. »Dat shall liek utseen!«, hatte er gemeint.
Außerhalb der Gräben standen die Obstbäume. Die wilde Kirsche war am weitesten entwickelt, sah Line. Früllerk hatte den Baum veredelt, indem er einen kurzen Zweig von Sasses Kirsche an einen Ast seiner wilden Sorte gepfropft hatte. Deren Äste waren mit lindgrünen kleinen Knospen bedeckt. Ein kleiner Teil der Blütenknospen war schon geöffnet, schaumig weiß leuchteten sie in der Frühlingssonne. Sie freute sich über die zwar sauren, aber trotzdem köstlichen Früchte, die sie über die Bookweeten-pannkoken streute. Früllerk und beide Söhne liebten dieses Gericht.
Da im letzten Sommer reichlich Früchte gewachsen waren, hatte Line so viele wie möglich getrocknet, damit Früllerk sie während des Torfverkaufs im Herbst ebenfalls anbieten konnte. Er sagte später: »Die Kirschen wurden mir förmlich aus den Händen gerissen. Wir müssen noch mehr Obstbäume pflanzen!« Line überlegte sofort, weitere Produkte für die Bremer Torfkunden anzubieten. Ihren so leckeren selbstgemachten Quark und den daraus hergestellten Kochkäse. Früllerk jedoch bremste ihre Ideen: »Line, wie viele Kühe haben wir? Sollen deine Kinder ganz ohne Milch groß werden, nur damit du Quark herstellen kannst? Du träumst wohl von vielen Kühen, die wir eines Tages besitzen werden? Aber glaub mir, dann schaffst selbst du es nicht, alle zu melken und die große Menge Milch zu verarbeiten. Deine nächste Idee wird wohl ein Haus sein, in das alle Kolonisten und auch die Bauern ihre Milch bringen, und dort stellen Fachleute daraus in großer Menge Butter und Quark her?« Line verstand die Kritik, denn ihre Kinder sollten natürlich nicht ohne Milch aufwachsen. Das Ehepaar hatte aber trotzdem später gemeinsam und friedlich über Kartoffeln zum Verkauf nachgedacht, denn davon hatten sie im Überfluss.
Nach einer Rückkehr jedoch meinte Früllerk: »Mit den Tartuffels, Line, das klappt nicht. Ich bin ja wieder einmal an die Aue-Brücke in Blomendal gefahren. So wie wir es im Sommer absprachen. Ich traf dort zufällig den Oberamtmann aus dem Schloss.« Er grinste schief: »Na ja, also es war eher so, dass der Mann alle Kähne kontrollierte. Natürlich nicht selber, das tat sein Amtsschreiber.
Aber wir kamen ins Gespräch. Er stellte sich mir sogar vor. ›Ich bin Oberamtmann Johann August Hintze und leite den Bezirk!‹ Von ihm weiß ich, dass mehrere Kolonisten in den Dörfern an der Lesum und die Weser entlang regelmäßige und feste Abnehmer haben. Da will ich niemandem den Verdienst wegnehmen.
Rechtschaffen müssen wir bleiben! Das sagte ich auch dem Oberamtmann. Das schien ihm zu gefallen, darum erhielt ich die Erlaubnis, auch in Zukunft dort an der Brücke meinen Torf zu verkaufen. Leutselig nickend und grüßend ging der ›hohe Herr‹ danach weiter.
Line, es war dort, wie du vermutet hast: Überall gibt es Hausfrauen, die genau wie Fidi Frickes Bertha haushalten. Sie können nicht vorausschauen, geschweige denn planen.« Früllerk wurde ironisch: »Und auf einmal, ganz plötzlich – als totale Überraschung – haben sie kein Brennmaterial mehr! Du kannst es dir nicht vorstellen, die Frauen kamen mit Schubkarren, nachdem sie vom Torfverkauf erfahren hatten. Ich wurde ihn so schnell los wie nie! Aber als ich zusätzlich unsere Tartuffels anbot, da guckten die nur skeptisch, fast wie hier im Günnemoor! Keine einzige Kartoffel habe ich verkauft! Gib mir lieber noch viel mehr Kirschen mit!« Und er ergänzte mit einem schiefen Grinsen: »Lass für uns aber auch noch welche übrig!«
Line lächelte bei der Erinnerung: Als Früllerk damals eine Grube auskofferte, in die er den schon ziemlich großen Kirschbaum, den er im Moor gefunden hatte, pflanzen wollte, halfen ihm natürlich seine damals erst zwei Jahre alten Söhne. Er hatte ihnen ganz kleine Holzschippen geschnitzt. Sie imitierten ihren Vater, schoben die Schaufelblätter unter die Wurzeln der Heide und trugen tatsächlich winzig kleine Stückchen Heidesoden ab.
Früllerk musste jedoch sehr darauf achten, die beiden mit seinem großen Spaten nicht zu treffen.
Obwohl sie erst zwei Jahre alt waren, erklärte er ihnen, dass der Herr Moorcommissarius Jürgen Christian Findorff ausprobiert hatte, welche Behandlung des Moorbodens am besten geeignet war, Bäume zu pflanzen und vor allem zu erhalten. »Das beachten wir! Zuerst müssen wir die Heidesoden entfernen, das tun wir ja gerade! Und ihr helft wunderbar. Ihr seid kräftige und fleißige Arbeiter«, lobte er seine beiden. »Das nennt man abplaggen«, dozierte er und fragte nach: »Wozu brauchen wir die Plaggen?«
Berend und Arend antworteten natürlich nicht. Sie hatten keine Zeit, so heftig bearbeiteten sie die Heide. Die kleinen Stücke flogen in alle Richtungen.
Also beantwortete Früllerk die Frage selber. Seine Jungs konnten nicht früh genug verstehen, wie das Land reichen Ertrag brachte.
»Plaggen brauchen wir für vieles: Trina und Emma stehen im Stall darauf, auch die Ziegen und unser Schwein. Gut zerkleinert streue ich davon ein wenig hier in die Kuhle, als Dünger. Hört ihr?«
Aber seine Söhne waren immer noch schwer beschäftigt und achteten nicht auf das, was ihr Vater erklärte. »Ihr habt mich doch vor Kurzem gefragt,...
Erscheint lt. Verlag | 15.3.2022 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Historische Romane |
ISBN-10 | 3-7562-7802-6 / 3756278026 |
ISBN-13 | 978-3-7562-7802-2 / 9783756278022 |
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