Homer. 100 Seiten (eBook)

Reclam 100 Seiten
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2022 | 1. Auflage
100 Seiten
Reclam Verlag
978-3-15-961980-4 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Homer. 100 Seiten -  Melanie Möller
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»Homer ist im besten Sinne des Wortes divers. Er war schon so vieles im Laufe der Literaturgeschichte - Grieche, Syrer, Blinder, Eunuch, eine Gruppe von Menschen gar. Auf die erzählerische Wucht seiner beiden Epen hat das keinerlei Einfluss.«Hat es Homer gegeben? Sind die berühmten Epen Ilias und Odyssee nur Niederschriften von oft Gehörtem - oder seine eigenen Dichtungen? Melanie Möller begibt sich auf Spurensuche. Sie beleuchtet die Lebenswelt des Dichters, führt in seine Werke ein und fördert so manches Überraschende zutage. Der Leser begegnet Achill, Helena und Odysseus, heftet sich an die Fersen der Rhapsoden, schaut Forschern über die Schulter - und kommt dem wohl berühmtesten Dichter der Antike ein großes Stück näher.

Melanie Möller, geb. 1972, ist Professorin für Klassische Philologie an der FU Berlin. Für verschiedene Tageszeitungen schreibt sie zu aktuellen Themen ihres Fachs. Zuletzt erschien von ihr bei Reclam »Ovid. 100 Seiten«.

Melanie Möller, geb. 1972, ist Professorin für Klassische Philologie an der FU Berlin. Für verschiedene Tageszeitungen schreibt sie zu aktuellen Themen ihres Fachs. Zuletzt erschien von ihr bei Reclam »Ovid. 100 Seiten«.

»1000 gute Gründe«: Prolog
»All die ganzen Jahre«: Eine erstaunliche Karriere
»Wir sind bereit«: Die Plattenfirma
»Das Wort zum Sonntag«: Die soziale Komponente
»Auswärtsspiel«: Der Sport
»Kauf mich!«: Die Diskographie
»Tage wie diese«: Das Live-Spektakel – mit einem Ausflug nach Südamerika
»Nichts bleibt für die Ewigkeit«: Gegenwart und Zukunft
Zeittafel: 40 Jahre Die Toten Hosen

Im Anhang Lektüretipps

Der blinde Sänger aus Chios


Es gab von jeher verschiedene Beweggründe, Homer zu vereinnahmen – dazu gehört neben kulturnationalen Bestrebungen auch die menschliche Sehnsucht nach einem protos heuretes, einer universalen Gründerfigur sozusagen. Auf Homer trifft das in besonderer Weise zu: Er fungiert als Fluchtpunkt so mancher auch wider besseres Wissen ausgelebten Urszenen-Phantasie. Einen literaturgeschichtlichen Höhepunkt stellt in dieser Hinsicht die (nicht nur deutsche) Romantik um Johann Jakob Winckelmann und andere Griechenbegeisterte im 18. Jahrhundert dar, die in Homer ein so unverbildetes wie begnadetes Naturgenie sahen, einen vom Olymp gefallenen Meister. Doch auch in antiken Literaturarrangements thronte Homer bereits einsam an allen denkbaren schöpferischen Spitzen. Man denke vor allem an Aristoteles, der in dem eher nüchternen Vorlesungsskript, welches später als Poetik in die Annalen eingehen sollte, Homer als den »Erfinder« verschiedener Gattungen pries, nicht nur des Epos und der Tragödie, sondern auch der Komödie, indem er ihn als Verfasser einer Parodie über einen Tölpel namens »Margites« anführt, der als ein antiepischer Gegenheros konzipiert ist.

Das ist nun keineswegs unrühmlich für den Verfasser, dass er nicht nur erhabene Stoffe, sondern auch ›Schmierenkomödien‹ produziert haben könnte; vielmehr wurde es als Ausweis seiner Vielseitigkeit betrachtet. Von den Homer zugeschriebenen Texten wurden aber vor allem die beiden Epen, Ilias und Odyssee, schon früh zu universalen Lehr- und Lerngegenständen auch außerhalb der Rhapsoden-Welt. Die Popularität der Texte führte alsbald zu einer intensiveren Beschäftigung mit dem Leben eben jenes »Homer«. Es ist nämlich durchaus nicht so, dass »die« Antike wenig Interesse am Leben ihrer Autoren aufgebracht hätte; dieses Klischee, das unter anderem von Jacob Burckhardt im 19. Jahrhundert forciert wurde, hat sich jedoch hartnäckig gehalten und lebt in Teilen bis heute fort. Seit es Literatur gab, haben sich Leser auch für das Leben der Autoren interessiert. Über Homer wollte man sogleich alles Mögliche wissen oder gab etwas zu wissen vor, obwohl so vieles im Dunkeln lag – oder eben gerade deshalb. Das begann wohl schon im 6. Jahrhundert v. Chr. mit dem Dichter Theagenes aus dem süditalischen Rhegion, der der allegorischen Homer-Deutung zuneigte, erreichte eine nennenswerte – und nachweisbare – Intensität allerdings erst mit den großangelegten Recherchen in hellenistischer Zeit (also rund 300 Jahre später), wie sie z. B. auch die verlorene Schrift De poetis des Aristoteles prägten. Eifrig suchte man nach einer adäquaten Familie für Homer – und wurde u. a. im Mythos fündig, bei berühmten Sängern wie Orpheus oder Musaios.

Das biographische Material ist vor allem in den Homer-Viten versammelt, von denen sich neun erhalten haben unter den Namen Vita Herodotea, Pseudo-Plutarch-Vita I und II, Vita Romana, Vita Scorialensis I und II, Vita Procli; hinzu kommen das anonyme Certamen Homeri et Hesiodi (als deutscher Titel hat sich »Über Homer und Hesiod, ihre Abkunft und ihren Wettstreit« eingebürgert) aus dem 3. Jahrhundert n. Chr. und der Eintrag »Homeros« im Autorenlexikon Suda. Sie alle sind lange nach Homers Lebens- und Schaffenszeit entstanden, und auch zwischen ihnen sind erhebliche zeitliche Distanzen zu verzeichnen: Die Suda datiert aus dem 10. nachchristlichen Jahrhundert und ist damit rund 1700 Jahre jünger als Homer: eine kleine Ewigkeit. Wie bei Biographien üblich, wurde einiges Material mehrfach verwendet und vieles wiederholt; gleichwohl wurde im Laufe der Zeit an kleineren und größeren Stellschrauben gedreht.

Bei vergleichender Betrachtung kristallisieren sich sechs Themenkomplexe heraus, die zu den typischen Merkmalen antiker Biographie gehören: Zunächst werden Herkunft und Geburtsort dargelegt, wobei mitunter allgemeinere topo- oder geographische Informationen ausgebreitet werden. Die Namen werden gerne mit etymologischen Hintergründen angereichert (was oftmals spekulativ gerät: sogenannte Volksetymologie). Es folgt die Vorstellung des ausgeübten Berufs und der unternommenen Reisen; schließlich werden Tod und Todesumstände geschildert. Eine Werkaufzählung kommt meistens am Ende. Um die Glaubwürdigkeit zu verbürgen, werden die Informationen dezidiert als Referate kundiger Dritter präsentiert und mit – angeblichen – Originalzitaten abgesichert. Mehrheitlich haben wir in den Homer-Viten also Collagen vor uns; individueller ausgestaltet sind lediglich die Vita Herodotea und das Certamen. Dem Suda-Eintrag liegt offenbar eine Quelle aus Sammlungen de viris illustribus, »über berühmte Männer«, zugrunde. Widmen wir uns im Folgenden den Details, wobei wir uns weitgehend das Schema der antiken Viten zunutze machen.

 

Zunächst einmal: Wann lebte er eigentlich? In heroischer Zeit? Vor, nach, zeitgleich mit Hesiod, der sich eher auf didaktische Dichtung kaprizierte? Schon das weiß man nicht, wenn auch Homers Lebenszeit mit einiger Plausibilität irgendwann zwischen 750 und 650 v. Chr. anzusetzen ist. Dies vor allem wird im Certamen verhandelt; der Kontrahent Hesiod wird mit der Wende vom 8. ins 7. Jahrhundert v. Chr. assoziiert, was für einen Teil der Forschung zugleich den terminus ante quem für Homer ergibt, soll heißen: Die (erste) schriftliche Fassung der Ilias muss vorher entstanden sein. Wie in den anderen Viten werden auch im Certamen einige mögliche Herkunftsorte Homers angeführt: Am häufigsten werden im Ringen der sprichwörtlichen sieben Städte Chios und Smyrna in Mäonien (Lydien in der heutigen Türkei) genannt. Manch einem galt er als Ägypter wegen seiner Götterkenntnis, als Babylonier wegen seiner astrologischen Expertise oder als Syrer, da er keinen Fisch esse bzw. in seinen Epen keiner verzehrt werde. Waren Chios oder Smyrna sein Geburtsort, könnte er in Ios im Süden der Insel Naxos gestorben sein. Seinen engeren Wirkkreis bildete wohl die westkleinasiatische Küste (mit den vorgelagerten Inseln Chios, Samos, Ikaria), v. a. die Region von Phokaia bis Ephesos. Reisen brachten ihn über Kyme in die Troas, im Süden über Lydien nach Karien (und ggf. Lykien). Erfreuliche Bilanz dieser Vermutungen: Wir haben es mit einem grenzüberschreitenden Phänomen zu tun.

Noch größer ist die Unklarheit bezüglich seiner Familie. Mal gilt Homer als uneheliches Kind von niedriger Abkunft; daran hängt die Legende, er habe zeit seines Lebens vor allem mit einfachen Leuten verkehrt (was wiederum den aus dem Werk abgeleiteten Affinitäten zur Lebenswelt des Adels widerstreitet, in welcher er aufgewachsen sein soll). Manche halten ihn für einen Bettler, weil homeros eigentlich »die Geisel« bedeutet. Wieder andere versichern, er sei ein Sohn des lydischen Flussgottes Mäon und der Melanope oder einer Baumnymphe. Im Certamen wird ein Stammbaum geboten, in welchem Homer als Sohn des Telemach und der Epikaste, einer Tochter des weisen Nestor, bezeichnet wird, mit möglichem Bezug auf die aus den Ödipus-Dramen bekannten Figuren. Während Homer hier, wie meistens, als Verfasser beider Groß-Epen – Ilias und Odyssee – gilt, soll sein angeblicher Schwiegersohn Stasinos die Kyprien verfasst haben; so bliebe immerhin alles rund um den Troja-Mythos Gewobene doch wenigstens in einer Familie.

Von Beruf soll Homer Volksschulleiter gewesen sein und grammata, also die basalen Tätigkeiten des Lesens und Schreibens, unterrichtet haben – wie sein Stiefvater. Irgendwann aber wurde er, so die Erzählung, von einem Reeder namens Mentes (eine der Figuren, in deren Rolle die Göttin Athene in der Odyssee schlüpft) angeheuert; mit ihm fuhr er zur See, um verschiedene Länder und Städte zu besuchen, einen Großteil der Orte, die seine Epen bevölkern – eine typische »Autopsie«-Legende, wie sie auch von anderen Epikern, etwa Vergil, kolportiert wird (»Ich habe das alles mit meinen eigenen Augen gesehen, es ist also wahr!«). Unter diese Aufenthaltsorte zählen u. a. Kyme, Smyrna, Etrurien, Spanien, Ithaka, Kolophon, Neon Teichos, Phokaia, Erythrai, Chios, Samos, Athen, Korinth, Argos, Delos und Ios.

Zur Vertiefung der Unsicherheit über Zeiten und Räume trägt der Name des Dichters bei. Ja, wie heißt er denn überhaupt? »Homeros« und »Melesigenes« werden in acht von neun Viten alternativ als Namen gegeben. Daneben ist aus Aristoteles De poetis noch »Meles« überliefert. Der Name »Homer« hat sich schließlich durchgesetzt; er wiederum hat einen bunten Reigen an etymologischen Erklärungsversuchen hervorgebracht. Von einiger Durchschlagskraft war die Deutung Friedrich Gottlieb Welckers im Jahr 1835, derzufolge dem Namen das Verb homourarisko mit der Bedeutung »zusammenfügen« zugrunde liegt. Den Namen übersetzte Aristoteles mit »Gefolgsmann«, der Lexikograph Hesychios mit »Bürge«, daneben gibt es die »Geisel«; in diesen Deutungsversuchen schwingt einige gesellschaftlich-soziale Semantik mit. Damit konkurrieren recht hand- bzw. beinfeste physiologische Erklärungen: So könnte sein Name auch auf sein pelziges Bein (meros) zurückzuführen sein. Haarige Angelegenheit! Oder war Homer doch »der Blinde« (ho me horon, »der...

Erscheint lt. Verlag 18.3.2022
Reihe/Serie Reclam 100 Seiten
Zusatzinfo 9 s/w-Abbildungen und 2 Illustrationen
Verlagsort Ditzingen
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Biografien / Erfahrungsberichte
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ISBN-10 3-15-961980-X / 315961980X
ISBN-13 978-3-15-961980-4 / 9783159619804
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