Labyrinth der Freiheit (eBook)

Roman
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2022 | 1. Auflage
500 Seiten
DuMont Buchverlag
978-3-8321-8255-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Labyrinth der Freiheit -  Andreas Izquierdo
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Berlin 1922: Die Weimarer Republik steuert auf die Inflation zu, die Nachwehen der Revolution haben sich noch nicht ganz gelegt - und die Feinde der Demokratie stehen längst in den Startlöchern. Artur, Isi und Carl entgehen nur knapp einem Mordanschlag. Eine Gruppe rechter Verschwörer will sie tot sehen. Der Feind scheint übermächtig, aber er hat sich mit dem Falschen angelegt: Artur schlägt gnadenlos zurück und treibt die Verschwörer vor sich her. Carl leidet derweil unter Regisseur Fritz Lang, für den er an Dr. Mabuse arbeitet, und trifft drei deutsche Ingenieure, die der UFA eine bahnbrechende Idee präsentieren: den Tonfilm. Doch die Widerstände gegen die neue Technik sind groß. Und dann ist da noch die Sorge um Isi, die seit dem Anschlag Streit mit jedem sucht, der sich ihr in den Weg stellt. Die Ereignisse überschlagen sich: Sie wird verhaftet und wegen Mordes angeklagt. Bei einer Verurteilung droht ihr die Todesstrafe ...

ANDREAS IZQUIERDO ist Schriftsteller und Drehbuchautor. Er veröffentlichte den mit dem Sir-Walter-Scott-Preis ausgezeichneten historischen Roman >König von Albanien< (Neuausgabe DuMont 2024) und zahlreiche weitere Romane, u. a. den SPIEGEL-Bestseller >Der Club der Traumtänzer< (2014) und >Fräulein Hedy träumt vom Fliegen< (2018). Zuletzt erschien die >Wege der Zeit<-Trilogie, die die Bände >Schatten der Welt< (2020), >Revolution der Träume< (2021) und >Labyrinth der Freiheit< (2022) umfasst. And

1

Noch Sekunden vor dem Anruf ist es, als hätte die Welt aufgehört zu sein.

Alles ist schwarz, alles ist still. Draußen strecken sich die Straßen leer und verlassen der gefrorenen Stadt entgegen. Kein Mensch geht, kein Wind weht, und in ihrem Zimmer verdichtet sich die Stille zu einer Finsternis, die alles auflöst: Da ist weder Stuhl noch Schrank noch Boden noch Wand.

Es ist drei Uhr in der Früh, als das Böse ins Haus schleicht und sich in ihrem Traum langsam aufrichtet: Es sucht das Zimmer ohne Licht, das Bett, das ihr endlich Bahre werden soll.

Sie träumt.

Sie träumt nicht.

Silberfunkelnd streichen ihre Fingerkuppen über die Grenze zum Bewusstsein.

Im Krieg überlebten meist die, deren Sinne unentwegt auf den Tod ausgerichtet waren. Die, die es schafften, sich ihn zum Verbündeten zu machen, dessen verborgene Zeichen sie im entscheidenden Moment einen Schritt zur Seite treten ließen, damit er einen anderen statt ihrer mit sich reißen konnte. Der Preis für das Überleben war ein Gefühl der Schuld. Man entkam dem Tod und landete zur Belohnung im Fegefeuer des Seins.

Plötzlich das Telefon.

Eigentlich schnurrt es, aber das Haus, in dem Isi lebt, ist recht groß. Sie hat das Klingeln so oft überhört, dass Artur chromblitzende Schellen hat anbringen lassen. Ein hartes, schmetterndes Geräusch ertönt, so laut, dass es sogar noch in den Pausen die Luft erzittern lässt und die heimlichen Schritte auf spitzen Zehen unhörbar macht.

Sie aber fährt auf in ihrem Bett, aus dem Traum gefallen wie durch dünnes Eis. Ihr Herz pocht hart, leise keuchend stößt sie Atem aus, während sie mit aufgerissenen Augen versucht, ruhig zu bleiben, klar zu denken.

Sie sind da!

Wie naiv anzunehmen, dass sie sie, bei allem, was in den letzten Monaten passiert ist, einfach übersehen würden. Ausgerechnet Isi, die keiner Konfrontation aus dem Weg geht – nicht einmal, wenn ihre Gegner übermächtig und kaltblütig sind.

Was soll sie tun?

Sie ist allein.

Sie hat keine Waffen.

Und die Zimmertür lässt sich nicht verschließen.

Vorsichtig setzt sie die nackten Füße auf den Boden und spürt, wie ihr Nachthemd an den Fesseln ausschwingt. Es ist eiskalt, das Zimmer unbeheizt, irgendwo vor ihr muss die Tür sein. Sie könnte einen Stuhl unter die Klinke klemmen und hoffen, dass das, was draußen ist, nicht hineinkommt. Sie könnte zum Fenster eilen und in die eisige Dezembernacht hinausklettern, ein Gedanke, der sie unwillkürlich ihren Arm schützend über ihren schwangeren Bauch legen lässt.

Tastend findet sie den Lichtschalter am Eingang und drückt ihn mit einem sanften Klicken herab: kein Strom mehr.

Da weiß sie, dass es nur einen Weg gibt.

Es hat für sie immer nur einen Weg gegeben.

Sie wird kämpfen.

Lautlos drückt sie die Klinke nach unten, die Tür springt auf, ein schwacher Luftzug weht hinein.

Vor ihr liegt die Treppe.

Und unten schrillt der Tod.

Doch nicht überall herrscht nachtschwarze Stille.

Im Arcasi toben der Polizeistunde zum Trotz die Ruchlosen, deren Gejohle dumpf bis auf den Bürgersteig zu hören ist, wo wie zum Hohn die Leuchtreklame blinkt, während das restliche Viertel der Sparzwänge wegen im Dunkeln liegt. Strom gibt es nur für Gewinner. Hier am Schlesischen gibt es davon nur wenige, dafür aber unendlich viele Verlierer.

Das Arcasi.

Tempel der Spaßgesellschaft.

Palast der Glücksritter, deren Amüsiersucht kein Morgen kennt. Die zum wilden Rhythmus der Kapelle tanzen, sich in den Armen liegen, wohl wissend, dass sie alles Geld verprasst haben und ab Tagesanbruch hungern werden.

Vor dem Arcasi schleichen die Huren herum, picken auf, was die Nacht ihnen an Resten lässt, und steuern unter den scharfen Pfiffen ihrer Zuhälter mit den armseligen Gestalten ins nächste Stundenhotel: zu sehen, was noch übrig ist.

Drinnen dagegen verlangen sie nach mehr: mehr Musik, mehr Alkohol, mehr Vergnügen. Bald wird Weihnachten sein, das vierte nach dem großen Krieg, und nichts hat sich gebessert. 1922 naht, und alle ahnen, dass es nur noch schlimmer wird. Was also könnte man anderes tun, als dieses Elend zu feiern?

Artur steht mit verschränkten Armen an einer Ecke des Tresens, blickt wie der Kapitän eines verrückt gewordenen Piratenschiffs über das Deck derer, die ihn, den Zeremonienmeister mit der Gesichtsmaske, ebenso verehren wie fürchten.

Auf der Bühne stampft die Kapelle Gassenhauer und neuerdings auch den neusten Jazz aus Übersee, den die Musiker von importierten Schallplatten dem Gehör nach für ihre Instrumente transkribiert haben.

Von den Spiegeln rollt der Schweiß, Pärchen knutschen, und Harry, unermüdlicher Conférencier, nutzt die Pausen des Orchesters für lockere Sprüche und derbe Witze, was die, die eigentlich müde sind, wieder munter macht. Und durstig.

Plötzlich das Telefon.

Es ist das gleiche, das auch Isi besitzt, genauso umgebaut, nur dass in diesem Lärm der Anruf zunächst ins Leere geht. Niemand hört das metallische Geschepper der Klingel, bis Artur zufällig das Hämmerchen wild auf die Schellen trommeln sieht.

Er geht ran und ruft: »JA?!«

Das Fräulein vom Amt antwortet wie durch ein tiefes Rohr: »Anruf von einer Frau von Torstayn. Soll ich durchstellen?«

»JA!«, ruft Artur gegen den Lärm zurück.

Er lauscht, aber die Leitung bleibt still.

»ISI?«

Schweigen.

Einige Sekunden lauscht Artur noch, hält sich dabei einen Finger gegen das freie Ohr. Dann ruft er: »IST NOCH JEMAND IN DER LEITUNG?«

Das Fräulein vom Amt meldet sich wieder: »Die Leitung ist frei, mein Herr.«

»ISI?«, ruft Artur wieder.

Wieder nur Schweigen.

»HALLO? SIND SIE SICHER, DASS FRAU VON TORSTAYN ANGERUFEN HAT?«

»Ja, mein Herr. Obwohl …«

»OBWOHL WAS?«

»Nun, sie klang seltsam, mein Herr. Irgendwie schwach, würde ich meinen …«

Artur ist augenblicklich alarmiert: »WAS HEISST DAS?!«

»Als ob sie sehr krank wäre. Ich konnte sie kaum verstehen.«

Artur legt auf.

In seinem Kopf platzen die Gedanken wie Regentropfen auf einen See: Ist etwas mit dem Kind? Aber würde sie dann nicht einen Arzt rufen? Oder ist eingetreten, womit zu rechnen war? Haben sie das Feuer eröffnet? Die Boysens? Die von Torstayns? O. C.? Das ganze rechte Pack?

Alle wissen, wie hart Artur zurückschlagen kann, wenn er muss. Jeder kennt die Geschichten von Silber-Kurt oder der Garde-Kavallerie-Schützen-Division. Haben sie es trotzdem gewagt? Haben sie ihn wirklich dort angegriffen, wo er am verletzlichsten ist?

Artur sucht Arnies Blick, winkt ihn rasch zu sich und setzt ihn in Kenntnis.

Dann stürzt er nach draußen und springt in seinen Wagen.

Bitte nicht, fleht er in Gedanken.

Bitte nicht.

Kurz vor drei Uhr in der Früh erwache ich aus einem Traum.

Es ist immer derselbe Traum, und er verfolgt mich seit dem Tag, an dem ich Ernst Lubitsch am Lehrter Bahnhof habe stehen lassen. Ausgerechnet ihn, meinen Förderer, den Mann, der mir das Tor zur Welt aufstoßen wollte.

In diesem Traum stehe ich auf einem Schlachtfeld hinter einer Kamera und sehe auf die bizarren Bombentrichter, auf die windschiefen Stacheldrahtverhaue und schnurgeraden Gräben, das zerschossene Material, die Pferdekadaver und Soldaten. Jemand hat ein Strohfeuer entzündet, sodass Rauchschwaden geheimnisvoll über die aufgeworfene Erde treiben, und überall eilen Schauspieler und Komparsen herum, um die Kriegsszenerie möglichst akkurat nachzustellen. Alles vor mir ist nur Staffage: eine Bühne für einen Film. Nur die Pferdekadaver sind echt, eigens vom Schlachthof für diese Aufnahmen eingekauft.

Lubitsch läuft zwischen Schauspielern und Komparsen hin und her, wie immer eine Zigarre im Mundwinkel, eine lustige kleine Lokomotive, die Rauch in Wolken auspafft, während er erklärt, gestikuliert, ja dirigiert, als hätte er die Berliner Philharmoniker vor sich.

Dann winkt er mir zu.

Durch das Objektiv visiere ich die Szenerie an, drehe die Kurbel meiner Kamera, aber statt des vertrauten Surrens spüre ich plötzlich Maschinengewehrfeuer und sehe bereits im nächsten Moment die Geschosse in die Gruppe einschlagen. Ich will die Kurbel loslassen, aber ich kann nicht, drehe nur umso schneller, wobei Salve um Salve die Menschen vor mir bestreut und sie in absurden Todestänzen zu Boden gehen lässt.

Lubitsch steht ganz still da – die Zigarre kraftlos im Mund.

Seinem Gesicht, seinen Augen sehe ich an, dass er den Verrat begreift, dann schlagen die Kugeln auch in seinen Körper, und ich erwache mit einem Schrei.

Seit zwei Wochen quält mich dieser Traum.

Leise schleiche ich rüber zu Hans, der in dem Zimmer schläft, das früher einmal Isis war. Als alle dachten, ich würde Lubitsch nach Amerika folgen, war sie ausgezogen, auch um mir ihre Schwangerschaft zu verschweigen und mich mit den damit zu erwartenden Komplikationen zu verschonen. Da stehe ich nun am Bettchen von Hans, dessen Leid uns so zusammengeschweißt hat, und blicke auf ihn hinab, während ich weiß, dass ich die Chance meines Lebens nicht ergriffen habe. Gegen den Willen Isis und Arturs.

Plötzlich das Telefon.

Irritiert eile ich nach unten, hebe ab, beunruhigt von der Tatsache, dass jemand um diese Zeit anruft.

»Ja?«, flüstere ich, weil ich Hans nicht wecken will.

»Ein Herr Arnie will Sie sprechen!«, sagt das...

Erscheint lt. Verlag 15.11.2022
Reihe/Serie Wege-der-Zeit-Reihe
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Historische Romane
Literatur Krimi / Thriller / Horror
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Babylon Berlin • Berlin • Das Glücksbüro • Der Club der Traumtänzer • eine familie in deutschland • Ernst Lubitsch • film der zwaniger • Frauenrechte • Fräulein Hedy träumt vom Fliegen • Fritz Lang • Gefühl • Goldene Zwanziger • historischer berlinroman • Historischer Roman • Intelligenter historischer Roman • intelligente unterhaltung • Jeffrey Archer • Ken Follett • kino der zwanziger • operation consul • Peter Prange • Revoution der Träume • schatten der Welt • Tonfilm • traumpalast • Trilogie • Ufa • Unterhaltung • Wege der Zeit • Weimarer Republik
ISBN-10 3-8321-8255-1 / 3832182551
ISBN-13 978-3-8321-8255-7 / 9783832182557
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