Zeitenwende am Potsdamer Platz (eBook)

Roman
eBook Download: EPUB
2022 | 1. Auflage
416 Seiten
Harpercollins (Verlag)
978-3-7499-0378-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Zeitenwende am Potsdamer Platz - Alexandra Cedrino
Systemvoraussetzungen
9,99 inkl. MwSt
  • Download sofort lieferbar
  • Zahlungsarten anzeigen

1938: Nach dem Tod ihres Vaters kehrt Alice nach Deutschland zurück, um die Erbschaft zu regeln. Doch sie erkennt ihr geliebtes Berlin nicht wieder. Die Stimmung ist umgeschlagen, viele Freunde sind in Gefahr. Verzweifelt nutztdie Familie alle Möglichkeiten, um die Galerie zu halten und geliebte Kunstwerke zu retten.Aber Alice erkennt schnell, welch unheilvolle Macht die Nazis bereits auf dem Kunstmarkt haben. Bald schon geht es nicht mehr nur um Gemälde von unschätzbarem Wert, sondern um Leben und Tod. Der Einzige, der ihr jetzt noch helfen kann, ist ein alter Vertrauter - und ihr schlimmster Feind.



Alexandra Cedrino, geboren 1966 in München, stammt aus der Kunsthändlerfamilie Gurlitt. Sie wuchs zwischen Bildern und Büchern auf und lebt heute in Berlin.

Streit

07. Juli 1938

Nur wenige Minuten und doch Welten von der ewig geschäftigen Fleet Street entfernt, in der alle wichtigen englischen Zeitungen saßen, genau gegenüber der hübschen, mittelalterlichen Kirche St. Etheldreda’s, am Ely Place gelegen, öffnete Alice Waldmann die blaue Tür des Gebäudes, in dem die Redaktionsräume der Workers’ News, einer kleinen, unbedeutenden, sich aber umso entschiedener gegen Hitler aussprechenden Zeitung. Vielleicht ist sie gerade deswegen so unbedeutend, dachte Alice nicht zum ersten Mal. Die Öffentlichkeit hielt nicht viel von – wie sie es nannte – Kriegstreibern. Und genau dafür wurde die Redaktion gehalten, die im Übrigen nur aus drei Männern – darunter Alices Verlobtem John Stevens – und einer Sekretärin bestand. Nicht, dass die Engländer begeistert wären über den Kurs ihrer Regierung. Doch herrschte die Meinung vor, dass es unsinnig wäre, sich erneut in einen Krieg auf dem Kontinent hineinziehen zu lassen. Den meisten saß noch immer der Schrecken des Großen Krieges in den Knochen.

Als sie die Tür des Redaktionsbüros öffnete, um John zum Mittagessen in dem kleinen Pub direkt um die Ecke abzuholen, hatte sie das Gefühl, bereits eine Woche in einer walisischen Mine hinter sich zu haben. Und das lag nicht nur am Wetter, das zwar ungewöhnlich warm war, ihr aber mit dem seit Wochen gleichmäßig grauen Himmel auf dem Gemüt lastete. Allein heute Vormittag hatte sie drei schreiende Kleinkinder fotografiert und die Abzüge in der Dunkelkammer, in die sie sich geflüchtet hatte, fertig gemacht. Sie konnte die Kleinen gut verstehen: Es war heiß, sie waren herausgeputzt und an einen Ort verschleppt worden, an dem sie nicht sein wollten, der ihnen fremd war und den sie nicht verstanden. Was ihr die Arbeit allerdings weder erleichterte noch ihre Stimmung hob.

Umso mehr hatte sie sich gefreut, als heute Vormittag Stefan Lorant, der Chefredakteur des außerordentlich erfolgreichen Fotojournals Liliput angerufen und ihr die Zusage für den Artikel über die Ausstellungseröffnung der 20th Century German Art Exhibition in den New Burlington Galleries erteilt hatte – mit Aufnahmen. Er wisse, dass seine Anfrage sehr kurzfristig komme, aber einer seiner Leute sei abgesprungen, und da Kunst ja ohnehin ihr Metier sei, wolle er fragen, ob sie … Ja! Sie wollte! Wenn sie Glück hatte, würde der Artikel in einer der nächsten Ausgaben veröffentlicht werden. Sie konnte es immer noch nicht glauben, dass sie Lorant zufällig über den Weg gelaufen war, als sie vor zwei Wochen im Ye Holy Lamb, dem Pub gleich um die Ecke der Redaktion, auf John gewartet hatte. Er war ein Bekannter ihres Onkels Johann Waldmann und genau wie sie und John vor den Nazis aus Deutschland geflohen. Vor Jahren hatte sie ihn in Berlin kennengelernt, ihm damals aber weiter keine Beachtung geschenkt. Ihr Kopf war zu der Zeit voll mit anderen Dingen gewesen. Lorant hatte sie im Pub angesprochen, und noch bevor sie es sich versah, hatten sie sich über Berlin und Kunst unterhalten. Als er erfuhr, dass sie fotografierte und sich ihren Lebensunterhalt in einem Fotostudio verdiente, hatte er mit den Augen gerollt und sie gefragt, ob sie sich vorstellen könne, ab und zu für ihn zu arbeiten. Alice hatte ohne zu zögern Ja gesagt, aber geglaubt, sie würde nie wieder etwas von ihm hören. Bis heute Vormittag das Telefon geläutet hatte.

Es wäre so schön, endlich etwas Sinnvolles, etwas Eigenes, etwas … Wesentliches zu tun, hatte sie gedacht, nachdem sie den Telefonhörer aufgelegt hatte und zurück ins Studio gegangen war, wo bereits die nächsten Kunden warteten.

Gegen halb zwölf hatte sie sich eilig die Lippen nachgezogen und die Nase gepudert, bevor Mr. Fisher ihr noch einen Kunden vor das Objektiv schieben konnte. Die Frau, die ihr aus dem Spiegel entgegenblickte, war eine andere als diejenige, die vor fünf Jahren aus Berlin weggegangen war. Gott, sie war beinahe dreiunddreißig. Älter als die meisten Mütter, deren Kinder sie heute fotografiert hatte. Zerstreut hatte sie die Partie um ihre Augen gemustert, kurz geseufzt und ihrem Spiegelbild die Zunge rausgestreckt, bevor sie die Puderdose mit einem lauten Klacken hatte zuschnappen lassen und sich auf den Weg in die Redaktion machte, um John abzuholen.

Eine halbe Stunde später stand sie vor dem Schreibtisch der Redaktionssekretärin. »Ist Mr. Stevens in seinem Büro?«, fragte sie die kleine unscheinbare Ivy, die auf ihre Schreibmaschine einhämmerte, als wäre sie ihr persönlicher Feind. Die Sekretärin sah kurz auf und blickte über die Schulter in Richtung von Johns Raum. »Scheint noch in der Besprechung zu sein«, antwortete sie knapp und wollte sich wieder der Maschine zuwenden.

»Kann ich in seinem Büro warten?«, fragte Alice, und die Sekretärin nickte, ohne aufzusehen.

»Kann aber noch dauern«, antwortete sie geistesabwesend und zündete sich eine Zigarette an, bevor sie ihre Schreibmaschine weiterbearbeitete.

Alice durchquerte den Redaktionsraum und öffnete die Tür zu dem kleinen Büro, das nicht viel mehr als eine Abstellkammer mit einem übervollen Schreibtisch und einem Besucherstuhl war. Sie setzte sich und betrachtete das Durcheinander auf dem Tisch. Deutsche Zeitungen. Mit spitzen Fingern zog sie ein Blatt heran und schnaubte. Der Stürmer. Antisemitischer Dreck. Sie beneidete John nicht darum, das lesen zu müssen, um seinen Kollegen die Situation in Deutschland zu verdeutlichen. Seine Deutschkenntnisse und sein jahrelanger Aufenthalt in Berlin kamen ihm dabei mehr als zugute. Angewidert schob sie das Blatt über den Tisch zurück.

Ungeduldig blickte sie auf die Armbanduhr. Wenn er nicht bald käme, würden sie es nicht mehr schaffen, essen zu gehen. Dann bliebe ihnen höchstens Zeit für einen kurzen Spaziergang Richtung Themse. Sie wollte eben aufstehen und die Sekretärin noch einmal fragen, als John die Tür aufstieß und beinahe in sie hineingelaufen wäre.

»Alice!«

Sie war aufgesprungen und hätte fast einen Stapel Papier umgerissen. Gerade noch rechtzeitig gelang es ihnen, vorzuhechten und die gefährlich schwankenden Massen abzustützen. Sie grinsten sich an, dann schloss John die Tür hinter sich, nahm sie in den Arm und küsste sie.

Als sie sich voneinander lösten, griff sie nach seiner Hand. »Los, wir haben nicht viel Zeit! In einer Stunde muss ich …«

John schüttelte den Kopf. »Tut mir leid, Alice. Ich kann nicht. Ich habe versucht, dich zu erreichen, aber du warst schon weg. Und ich muss gleich wieder zurück. Ich hab gesagt, ich müsste noch ein paar Unterlagen holen … Ah, da sind sie ja.« Er griff nach einem Stapel Papiere und blätterte sie rasch durch. Als sie nicht antwortete, blickte er auf, zog sie an sich und drückte ihr einen Kuss auf die Stirn. »Wir holen das morgen nach, in Ordnung?« Er ließ sie los und sah auf seine Uhr. »Ich muss jetzt wieder rein.«

Alice bemühte sich, sich die Enttäuschung nicht anmerken zu lassen. Hastig fischte sie ihr Zigarettenetui aus der Handtasche, öffnete es und hielt es John lächelnd entgegen. »Für eine gemeinsame Zigarette wird aber noch Zeit sein? Weißt du, ich wollte dir noch etwas Wichtiges erzählen. Erinnerst du dich an Lorant und diesen Artikel, den ich vielleicht schreiben kann?«

»Alice, hat das nicht bis heute Abend Zeit? Sieh mal, ich muss wirklich …«

Alice starrte ihn einen Augenblick lang an und ließ dann das Etui zuschnappen. »Was bist du nur für ein beschäftigter Mann.« Sie konnte den verbitterten Ton in ihrer Stimme hören, und er gefiel ihr überhaupt nicht.

John blickte überrascht auf, dann nahm er ihr die Handtasche ab und stellte sie auf den Schreibtisch. »Entschuldige, in Ordnung, erzähl. Aber schnell, ja?«

Alice runzelte die Stirn. Wie er mit ihr sprach … Als wäre sie eines dieser kleinen heulenden Babys, die sie den ganzen Tag lang fotografieren musste. Manchmal hatte sie das beunruhigende Gefühl, er lebte in einer ganz anderen Welt als sie. War so beschäftigt, dass er sie und das, was ihr wichtig war, gar nicht wahrnahm. Sie bohrte die Fingernägel in ihre Handflächen und trat einen Schritt zurück. »Findest du das nicht ein bisschen ungerecht? Du hast das alles …« Sie machte eine weit ausholende Geste, die sein kleines Arbeitszimmer umfasste. »Und was habe ich? Hm? Einen beschissenen Job in der Dunkelkammer eines dämlichen Fotostudios.«

»Alice, auf was willst du hinaus? Ich habe doch gesagt, dass es mir leid …«

»Ist dir eigentlich klar, was ich in Berlin zurücklassen musste?«, brach es aus ihr heraus. »Ich hatte eine Zukunft, John! Ich habe sie für dich aufgegeben. Und was habe ich dafür bekommen? Eine Dunkelkammer und heulende Babys. Und wenn sich dann endlich, endlich auch einmal eine Chance für mich ergibt, dann interessiert es dich …«

Johns Blick verfinsterte sich, und er fuhr sich mit der Hand durch die Haare. »Ja, natürlich! Wie konnte ich das nur vergessen! Du hast alles meinetwegen aufgegeben. Ich bin schuld, dass du hier versauerst, statt bei deiner großartigen, erfolgreichen Familie in Berlin zu sein. Weißt du, manchmal habe ich den Eindruck, dass du einfach alles an London schrecklich finden möchtest!« Alice lachte ungläubig auf, doch John ließ sich nicht unterbrechen. »Dass nichts dem Vergleich mit deinem geliebten Berlin standhalten kann. Ich dachte … Ach, egal.« Er wandte sich ab und stellte sich ans Fenster.

»Ach ja? Was soll denn bitte schön in London besser...

Erscheint lt. Verlag 28.6.2022
Reihe/Serie Die Galeristinnen-Trilogie
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Original-Titel Zeitenwende am Potsdamer Platz
Themenwelt Literatur Historische Romane
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 2. Weltkrieg • Berlin • Café Engel • Carmen Korn • carmen korn jahrhundert trilogie • carmen korn zeitwende • Die Ärztin • Die Charité • Die Schokoladenvilla • Die Schwestern vom Ku'damm • Exil • Familiendrama • Familiengeschichte • Familienroman • Familiensaga • Familiensaga Buch • Familiensaga Deutschland • Familiensaga Roman • familiensaga trilogie • Flucht • Fotografie • Frauenunterhaltung • Galerie • Gemälde • Gurlitt • Historischer Roman • historischer roman 2. weltkrieg • Historischer Roman Deutschland • Jahre aus Seide • Judentum • Kunst • Kunsthandel • Kunstszene • Liebe • Malerei • Nationalsozialismus • roman 20 jahrhundert • roman berlin • Seidenstadt Saga • Tuchvilla • Verfolgung • Verrat • Vierzigerjahre • Weimarer Republik • Zweiter Weltkrieg
ISBN-10 3-7499-0378-6 / 3749903786
ISBN-13 978-3-7499-0378-8 / 9783749903788
Haben Sie eine Frage zum Produkt?
EPUBEPUB (Wasserzeichen)
Größe: 1,2 MB

DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasser­zeichen und ist damit für Sie persona­lisiert. Bei einer missbräuch­lichen Weiter­gabe des eBooks an Dritte ist eine Rück­ver­folgung an die Quelle möglich.

Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belle­tristik und Sach­büchern. Der Fließ­text wird dynamisch an die Display- und Schrift­größe ange­passt. Auch für mobile Lese­geräte ist EPUB daher gut geeignet.

Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise

Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.

Mehr entdecken
aus dem Bereich
Die Geschichte eines Weltzentrums der Medizin von 1710 bis zur …

von Gerhard Jaeckel; Günter Grau

eBook Download (2021)
Lehmanns (Verlag)
14,99
Eine Reise zu den Anfängen des Denkens in der Steinzeit

von Silvia Ferrara

eBook Download (2023)
C.H.Beck (Verlag)
19,99