Die verlorenen Kinder von Paris (eBook)

Roman
eBook Download: EPUB
2022 | 1. Auflage
416 Seiten
Harpercollins (Verlag)
978-3-7499-0317-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die verlorenen Kinder von Paris - Gloria Goldreich
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Ihr Mut schenkt Hoffnung in einer dunklen Zeit
Paris, 1935: Erschüttert beobachten Madeleine Lévy und ihre Freunde, wie sich von Deutschland aus ein Schatten über Europa legt. Immer mehr jüdische Flüchtlinge, vor allem Kinder, kommen in der Stadt an. Madeleine merkt schnell, dass sie deren Leid nicht einfach nur mitansehen kann - sie muss etwas tun. Gemeinsam mit anderen Mitgliedern ihrer jüdischen Glaubensgemeinschaft beginnt sie die Flüchtlinge aus Paris zu bringen. Sie fälschen Papiere und sichern Fluchtrouten durch die Pyrenäen. Doch die Lage in Paris wird immer gefährlicher und Madeleine muss sich entscheiden, für das eigene Leben oder das der Kinder ...



Gloria Goldreich ist die von der Kritik hochgelobte Autorin zahlreicher Erzählungen, Kinder- und Jugendbücher sowie mehrerer Romane. Ihr Werk wurde mehrfach ausgezeichnet. Sie ist die Mutter dreier Kinder und lebt mit ihrem Mann in Tuckahoe, New York.

PROLOG


Rot, weiß und blau tanzte das Feuerwerk über den kobaltblauen Abendhimmel. Aufgeregtes Kindergeschrei und schwungvolle patriotische Musik von umherziehenden Straßenmusikern vermischten sich mit spontan auflebendem Gesang. Wie immer in der Woche vor dem Vierzehnten Juli strömten die Pariser auf die Straßen, um zu feiern. Die Geräusche festtäglicher Ausgelassenheit drangen durch die offenen Fenster in den Salon der Levys, doch die versammelte Familie saß vor Kummer ganz still, gleichgültig gegenüber dem fröhlichen Treiben dort unten.

Die Hände verschränkt, die Köpfe gesenkt, wagten sie nicht, einander anzusehen, aus Angst, dass ein Blickwechsel eine Flut von Tränen auslösen könnte. Es fiel ihnen schwer, die warnenden Worte zu verarbeiten, die Dr. Pierre Paul Levy langsam, voll Bedauern und in gedämpftem Tonfall zu ihnen sagte, wobei er unbehaglich das Gewicht verlagerte. Der Schwiegersohn von Alfred Dreyfus hatte im Lauf seiner medizinischen Karriere schon vielen Familien das baldige Ableben einer geliebten Person angekündigt, doch an diesem Sommerabend verkündete er solch ein Urteil vor seinen eigenen Angehörigen.

»Ich habe euch hierhergebeten, um euch zu sagen, dass ihr auf das Unvermeidliche gefasst sein müsst. Er wird sterben. Bald. Sehr bald«, sagte er, wohl wissend, dass seine Stimme kaum zu hören war.

Jeanne Dreyfus-Levy, seine Ehefrau, drehte sich zu ihm um. Alle Farbe war aus ihren feinen Gesichtszügen gewichen, und sie redete sehr leise.

»Bist du sicher, Pierre Paul?«, fragte sie, obwohl sie wusste, dass die Frage überflüssig war. Pierre Paul war bekannt für seine diagnostische Expertise und die Exaktheit seiner Voraussagen. Er war nur allzu vertraut mit dem unheimlichen Fortschreiten der Krankheit, die langsam, aber sicher das Leben von Alfred Dreyfus beenden würde.

»Es gibt keinen Zweifel«, wiederholte er entschieden. »Seine Nieren versagen. Der Tod wird schnell eintreten.«

Jeanne nickte, ging zum Fenster, schloss es und zog die purpurroten Samtvorhänge zu, um sowohl den Anblick als auch die Geräusche des ausgelassenen Treibens zu verbannen, das die Familie in ihrer gerade beginnenden Trauer störte. Was für eine Ironie, dachte sie, dass ihr Vater, der eine fälschliche Verurteilung wegen Spionage, fünf lange Jahre des Exils und der Gefangenschaft auf der Teufelsinsel und dann auch noch heldenhaft die blutigen Schlachten des großen Krieges überstanden hatte, jetzt an einem einfachen Bauchproblem sterben würde. Sie seufzte und kehrte zu ihrem Platz auf dem Sofa neben ihrer Mutter zurück. Zärtlich nahm sie Lucies kalte Hand und massierte sacht jeden einzelnen Finger der älteren Frau.

»Aber Grand-Père wird doch nicht vor dem Tag der Bastille sterben, oder?«, fragte Etienne, das jüngste der Levy-Kinder, und wurde im selben Moment rot angesichts der Nichtigkeit dieser Frage.

»Doch. Fast sicher noch vor dem Tag der Bastille«, erwiderte sein Vater traurig.

Pierre Paul Levy konnte und wollte seine Familie nicht belügen. Als Arzt war ihm der Tod, ob plötzlich oder zögernd, schon lange ein ständiger Begleiter. Sein eigener Kummer angesichts dieses neuen bevorstehenden Verlustes war begrenzt, doch er trauerte für Jeanne; für ihren Bruder Pierre, für Lucie, deren Mutter; und für die Kinder der Familie, seine eigenen Söhne und Töchter, seine Nichten und Neffen, deren jugendliche Unbedarftheit durch den Tod ihres Großvaters erschüttert würde.

Auf deren Kummer gefasst legte er die Hand auf Jeannes Schulter, doch sein Blick haftete an Madeleine, seiner jüngeren Tochter.

Sie saß ihm gegenüber, neben ihrer Schwester Simone. Ihre Augen waren geschlossen. Lange, dunkle Wimpern, feucht von zurückgehaltenen Tränen, warfen Schatten auf ihre hohen Wangenknochen, und ihr dunkles Haar fiel ihr in einer Kaskade von Locken um die Schultern. Sie war siebzehn, sehr junge Siebzehn – zu jung, wie er fand, um einen so schweren Verlust zu erleiden. Er hatte längst das geheimnisvolle zärtliche Band zwischen Madeleine und ihrem Großvater bemerkt, das die beiden seit Madeleines frühester Kindheit tröstete und stärkte. Die starke Zuneigung zwischen ihnen war offensichtlich.

»Sie brauchen einander, sie verstehen einander«, hatte Simone einmal zu ihm gesagt. »Madeleine liest ihm von den Lippen ab, und Grand-Père aus ihrem Herzen.«

Pierre Paul hatte verstanden, wie sehr diese Worte zutrafen. Als Madeleine mit acht Jahren an Scharlach erkrankt war, hatte Alfred Dreyfus Tag für Tag, Nacht für Nacht an ihrem Bett verharrt. Als sie nach diesem lebensbedrohlichen Dämmerzustand wieder das Bewusstsein erlangt hatte, war ihr allererstes Wort Grand-Père gewesen. Und dieser Großvater, ein Mann, der selten Gefühle äußerte, hatte geweint, als er sich herabbeugte, um sie auf die Wange zu küssen. Doch als er Tage später dem frisch genesenen Kind erklärte, dass die Krankheit dessen Gehör geschädigt hatte, waren seine Augen trocken geblieben.

Er selbst und Jeanne, ihre Eltern, waren zu feige gewesen, wie Pierre Paul sich eingestand, und hatten diese schwierige Aufgabe Alfred überlassen. Aber sie hatten zugehört, als er ihrer Tochter die Wahrheit erklärte.

»Du musst deine Schwerhörigkeit als ein Geschenk betrachten. Du wirst lernen, dich zu konzentrieren und den Leuten, die mit dir sprechen, von den Lippen abzulesen. Diese Art von Konzentration wird dir zu einem tiefen Verständnis verhelfen für die Menschen und für das, was sie sagen«, hatte er erklärt, und Madeleine, mutig ihr Schicksal akzeptierend, hatte genickt.

Damals hatte sie noch nicht wirklich verstanden, was er sagte, aber seine Worte waren ihr im Gedächtnis geblieben, und sie konnte darauf zurückgreifen, wenn sie das brauchte. Vielleicht griff sie ja gerade jetzt darauf zurück.

Es war, wie er feststellte, zu einer seltsamen Umkehr der Rollenverteilung gekommen. So wie ihr Großvater an ihrem Bett gesessen hatte, als sie noch ein Kind gewesen war, hatte Madeleine während seiner Krankheit an seinem gesessen. In ihrem letzten Jahr am Lyzeum hatte sie den ganzen Frühling hindurch lange Nachmittage und Abende an seiner Seite verbracht, Stunden, die sie von ihren Schularbeiten und von ihrem Engagement für die Kinder ihrer jüdischen Pfadfindergruppe abgezwackt hatte. Die Kinder erfüllten sie mit Freude. Der sich ständig verschlechternde Gesundheitszustand ihres Großvaters jedoch erfüllte sie mit Verzweiflung.

Sie hatte gesehen, wie er zusehends abmagerte, wie sich seine Haut, brüchig wie Pergament, mit dem Einsetzen der Gelbsucht verfärbte. Als Arzttochter wusste sie, dass er im Sterben lag.

Pierre Paul blickte auf das hübsche Gesicht seiner Tochter und fragte sich, weshalb er immer nur an Madeleines Zerbrechlichkeit dachte und nie ihre bemerkenswerte Stärke würdigte. Er würdigte sie jetzt; er nahm Madeleines Hand und führte sie ins Esszimmer, wo die Familie sich um den Tisch herum versammelte, an kalt gewordenem Tee nippte und all die Angelegenheiten besprach, die angesichts des Unvermeidlichen zu erledigen waren. Vorbereitungen für die Bestattung. Ankündigungen in der Presse und beim Militär. Alfred Dreyfus war eine Person von historischer Bedeutung, Chevalier der Ehrenlegion. Kondolenzlisten mussten aufgelegt, Zuständigkeiten verteilt werden.

Als das getan war, driftete das Gespräch unausweichlich wieder zu den bedrohlichen Nachrichten aus Deutschland, die die Familie zu jeder wachen Stunde quälten. Die Grausamkeit des Nazi-Regimes, die Realität des Bösen so nah an ihrer eigenen bedrohten Grenze, ließ sich nicht ignorieren.

Ein Krieg, dachte Pierre Dreyfus, steht uns ebenso bevor, so wie der Tod meines Vaters.

»Die Berichte aus Berlin machen Angst«, stellte Pierre düster fest. »Antisemitische Gesetze werden verabschiedet, und Juden leiden furchtbar. Berufe werden ihnen verwehrt. Kinder werden vom Schulbesuch ausgeschlossen und von den jugendlichen Schlägern der Hitlerjugend terrorisiert. Entsetzliche Dinge geschehen, und das Schlimmste kommt erst noch.«

»Man wird diese Gesetze wieder streichen. Hitler wird nicht lange bestehen im Land von Schiller, Goethe, Beethoven und Bach«, entgegnete Pierre Paul. »Du bist zu pessimistisch, Pierre.«

»Nein«, erwiderte Pierre entschieden. »Ich bin nicht pessimistisch genug. Vielleicht hast du vergessen, dass mein Vater im Land von Voltaire und Racine verfolgt wurde.«

»Und freigesprochen. Frankreich ist nicht Deutschland«, widersprach Pierre Paul.

»Aber jetzt ist Deutschland gleich Adolf Hitler. Erst heute hat er gesagt, dass er Italiens Invasion in Äthiopien unterstützt. Wenn Italien in Äthiopien einmarschieren kann, warum sollte Deutschland dann nicht in Frankreich einmarschieren? Hat er nicht bereits gesagt, Deutschland habe einen berechtigten Anspruch auf das Elsass?«

Ein Schauer überlief sie alle, als er das Elsass erwähnte. Alfred Dreyfus war in Mulhouse zur Welt gekommen, und ihre weitläufige Verwandtschaft lebte immer noch dort. Ein bedrohtes Elsass bedeutete, dass die Familie Dreyfus bedroht war. Hitlers Drohungen stachen ihnen ins Herz.

Pierres Stimme wurde leiser, und er ließ die Schultern hängen. Seine Frage war rhetorisch. Die Sinnlosigkeit des Streits ermüdete ihn. So nahe sie einander auch standen, der Ehemann seiner Schwester und er waren politisch schon lange gegensätzlicher Meinung.

»Selbst in dem unwahrscheinlichen Fall einer deutschen Invasion – die Franzosen werden sich mutig und ehrenvoll verhalten«, beharrte Pierre Paul.

Madeleine zitterte. Die Erwähnung der Grausamkeiten, die jüdische Kinder in...

Erscheint lt. Verlag 26.4.2022
Übersetzer Christiane Bowien-Böll
Sprache deutsch
Original-Titel The Paris Children: A Novel of WWII
Themenwelt Literatur Historische Romane
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 2. Weltkrieg • Alfred Dreyfuß • Bedeutende Frauen • Bedeutende Frauen, die die Welt verändern • Besatzung • die die Welt verändern • Die Tochter des Malers • Dreyfußaffäre • Flucht • Fluchthelfer • Glaubensgemeinschaft • Große Liebe • Historischer Liebesroman • Historischer Roman • Ikonen ihrer Zeit • Judentum • Judenverfolgung • Jüdin • Lehrerin einer neuen Zeit • Liebe in schweren Zeiten • Mutige Frauen zwischen Kunst und Liebe • Nationalsozialismus • Pfadfinder • Rettung • vor dem Krieg • Zweiter Weltkrieg
ISBN-10 3-7499-0317-4 / 3749903174
ISBN-13 978-3-7499-0317-7 / 9783749903177
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