Wie die amerikanischen Windräder nach Niederbayern kamen -  Irmgard Leeb-Schwarz

Wie die amerikanischen Windräder nach Niederbayern kamen (eBook)

Energie aus der Luft - vor hundert Jahren ein alter Hut
eBook Download: EPUB
2022 | 5. Auflage
120 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7557-9026-6 (ISBN)
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Windenergienutzung war vor hundert Jahren in Bayern selbstverständlich und weit verbreitet. Ein Witz? Keineswegs. Isidor Leeb, Urgroßvater der Autorin, stellte schon seit den 1880er Jahren in seinem Handwerksbetrieb in Niederbayern Windräder her. Die Idee dieser "Windmotoren" kam aus Nordamerika und wurde hier in Bayern von einzelnen Technikpionieren aufgegriffen und realisiert. Eingesetzt wurden die Windräder vor allem in der Landwirtschaft: sie trieben Wasserpumpen an, aber auch Maschinen und Dynamos. Die Autorin skizziert die Entstehung und den "Weg" der Windmotoren von Amerika bis nach Niederbayern. Die Leistung der Pioniere, die diese technische Neuheit hier einführten, steht dabei im Mittelpunkt. Denn die Windräder waren ein Segen für die vielen abgelegenen Höfe, sie bedeuteten Erleichterung und Fortschritt - und bis in die 1950er Jahre prägten sie die bäuerliche Landschaft Ober- und Niederbayerns bis weit hinein nach Oberösterreich. Und obwohl das Thema heute so aktuell erscheint: die Pioniere und ihre faszinierende Technik sind völlig in Vergessenheit geraten. Nach ihrer ersten Veröffentlichung "Wie die amerikanischen Windräder von Niederbayern nach Indien kamen", in der es um einen Windmotoren-Export nach Indien in den 1920er Jahren ging (ISBN 978-3-7528-6968-2), rundet die Autorin mit dem hier vorliegenden Band die Geschichte der Leeb-Windräder ab.

1 Vorgeschichte: Im Westen was Neues


Alles schon einmal da gewesen

Hört man heute so manche Diskussion um Windenergie und Standorte von Windrädern, kann man nur milde lächeln angesichts der Tatsache, wie weit verbreitet Windräder vor über hundert Jahren in Bayern waren. Von Oberbayern bis ins österreichische Innviertel zog sich ein dichtes stählernes Band dieser „Luftmotoren“. Und blickt man noch weiter zurück und hinaus über den Tellerrand, ins Zeitalter der großen europäischen Windmühlen, dann wird deutlich, wie weit wir uns entfernt haben von der Idee der Energie aus der Luft. Dabei hat sie eine jahrhundertealte Geschichte. Bereits in der Antike soll der Wind genutzt worden sein, um Mühlen und Schiffe anzutreiben1. Ohne seine Windmühlen hätte es Holland nicht zur Handelsmacht geschafft, und genauso wenig ohne Segelschifffahrt. Der mittelalterliche Handel zwischen den Kontinenten wäre ohne Windkraft nicht denkbar gewesen, auch nicht die Entdeckung Amerikas. Bis ins 19. Jahrhundert hinein blieb die Schifffahrt ausschließlich Segelschifffahrt. Erst dann entstanden andere, fossile Antriebsarten, die allmählich Segelschiffen und Mühlen Konkurrenz machten.

Zunächst aber waren sie noch da, die europäischen Windmühlen: am Ende des 19. Jahrhunderts gab es allein in Deutschland noch Tausende von ihnen. Diese Windmühlen sollten, ausgelöst durch die massenhafte Besiedelung Nordamerikas, eine erstaunliche Weiterentwicklung erleben. Aber wie kam das alles und wie hängt es zusammen?

Europäische Windmühlen

Erste Spuren europäischer Windmühlen führen zurück ins 12. Jahrhundert. Von Nordfrankreich und Belgien aus verbreiteten sich die „Bockwindmühlen“ im Lauf der Zeit nach Norddeutschland2 und weiter bis ins Baltikum. Bei diesem Mühlentyp war das Mühlenhaus als stabile Holzkonstruktion komplett drehbar auf einer Art Bock aufgebaut. Das meistens vierflügelige Windrad mit horizontaler Drehachse war im oberen Mühlenhaus gelagert. Änderte sich die Windrichtung, musste das ganze Mühlenhaus manuell in die neue Windrichtung gebracht werden. Dies geschah durch den an der Rückwand befestigten „Steert“, einen langen, als Hebel wirkenden Holzbalken (Abb. 1). Die Bedienung der Bockwindmühlen war überaus mühsam: Neben seiner eigentlichen Aufgabe, dem Mahlen und dem Bedienen der Mühlenmechanik, musste sich der Müller auch um die richtige Ausrichtung der Mühle und die passende Stellung der Windflügel zum Wind kümmern. Bei höheren Windstärken konnte das durchaus gefährlich werden.

Im 16. Jahrhundert entstand in den Niederlanden die „Holländermühle“. Das Mühlenhaus war fest mit dem Untergrund verbunden, lediglich die Dachhaube war drehbar und musste bei Windänderung nachjustiert werden (Abb. 2 und 3). Das solide Fundament ermöglichte es jetzt, weit größere und leistungsstärkere Mühlen zu bauen: im Vergleich zur Bockwindmühle eine bedeutende Weiterentwicklung. Die Holländermühle verbreitete sich rasch, vor allem als Pumpmühle bei der Entwässerung der holländischen Polder oder als Sägemühle in der Sägeindustrie. Auch in Deutschland war sie weit verbreitet und diente – wie schon die Bockwindmühle – vor allem dem Antrieb von Getreidemühlen3.

Abb. 1, Bockwindmühle bei Hannover mit “Steert” an seiner Rückseite (Quelle: Wikipedia, Creative Commons Attribution-Share Alike 2.5 Generic).

Abb. 2, Holländermühlen in Kinderdijk in den Niederlanden: UNESCO Weltkulturerbe seit 1997 (Foto: ©Travelinho, travelinho.com, License CC-BY-SA).

Abb. 3, Holländische Windmühle mit massivem Unterbau und drehbarer Haube (Quelle: Hammel, Ausnutzung der Windkräfte, S. 23).

„Inventions Wanted in Texas“4

Die in Nordamerika einwandernden Europäer fanden in den atlantischen Küstenregionen landschaftliche Bedingungen vor, die denen ihrer Heimatländer durchaus glichen. Es gab ausgedehnte Wälder, Flüsse und Seen; und auch die klimatischen Verhältnisse ähnelten sich. So entstand eine bäuerliche Landwirtschaft mit Getreideanbau, Holzwirtschaft, Viehzucht und Fischfang. Große Windmühlen, die die Siedler aus ihren Herkunftsländern kannten, wurden hier aufgebaut und dienten zum Antrieb von Getreide- und Sägemühlen.

Bis 1850 war der Mittlere Westen bis zum Mississippi durch die Massen europäischer Siedler vollständig in Besitz genommen. Allein fünf Millionen Deutsche wanderten in Nordamerika ein, meist getrieben durch soziale Not oder politische Unterdrückung. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts verstärkte sich der Zug weiter nach Westen. Jenseits des großen Mississippi erstreckte sich die „Great American Desert“ (heute die fruchtbaren Great Plains). Hier bot sich eine völlig andere Landschaft dar, es gab wenig Baumbestand und kaum Oberflächengewässer. Wasser kam oft nur in größeren Tiefen vor. Wo es an die Oberfläche gefördert werden konnte, war eine Grundvoraussetzung für die Bewirtschaftung des Landes geschaffen. Die großen, technisch aufwendigen Windmühlen des Ostens waren dafür nicht geeignet. Viel zu langsam setzten sie sich in Bewegung, viel zu oft standen sie still, wenn der Wind nicht ausreichte oder ihre komplizierte Mechanik Zuwendung brauchte. Jetzt war eine einfach zu handhabende und zuverlässige Pumpmechanik gefragt; Wind stand in den Ebenen kostenfrei und reichlich zur Verfügung. Mit den Siedlern kam auch die Eisenbahn, deren Betrieb ebenfalls Wasser erforderte. Besiedelung und Eisenbahn profitierten voneinander, und Voraussetzung für beides war die Versorgung mit Wasser. Die Zeit drängte, es musste eine Lösung gefunden werden:

„The great want of Texas is sufficient water … There is a million dollars lying wating for the first man who will bring us … a windmill, strong, durable and controllable.”5

(Übers. d. Verf.: Der große Bedarf in Texas ist genügend Wasser … hier liegt eine Million Dollar und wartet auf den ersten, der uns … eine starke, haltbare und leicht zu beherrschende Windmühle bringt.)

Die 1850er Jahre waren in den Vereinigten Staaten eine Zeit der Tüftler und Erfinder. In großer Zahl entstanden Windräder mit Pumpmechanismus. Viele dieser Modelle wurden als Patent angemeldet. Dennoch war es nicht möglich, mit diesen

individuellen Lösungen den riesigen Bedarf an Windrädern zu decken, die für die Besiedelung des Westens tatsächlich nötig waren. Das konnte längerfristig nur ein industriell gefertigtes Produkt erreichen.

Auch in Europa hatten sich Techniker und Ingenieure seit langem bemüht, die schwerfällige Mühlentechnik zu optimieren. Der Erfolg blieb ihnen allerdings versagt. Mit den Europäern war die Idee, Wind als Kraftantrieb zu nutzen, nach Nordamerika gekommen. Und wie sich noch zeigen wird, ist es dort gelungen, aus der alten Mühle etwas ganz Neues zu machen.

Die „Halladay Standard Windmill“

Der Durchbruch gelang Daniel Halladay6 1854 mit seiner selbstregulierenden „Standard Windmill“ (Abb. 4): Das Windrad bestand in seiner ursprünglichen Konstruktion aus vier oder auch sechs festmontierten Holzflügeln, die kippbar an drehbaren Eisenstangen montiert waren. Eine im rechten Winkel zum Windrad angebrachte hölzerne Windfahne hielt das Rad im Wind. Nahm dieser zu, drehten sich die Flügelflächen und die Angriffsfläche wurde dadurch kleiner, bis das Windrad bei starkem Wind ganz zum Stehen kam und die Flügel parallel zum Wind standen.

Der gelernte Mechaniker Halladay kannte diese Art Steuerungssystem (Zentrifugalregler) vom Dampfmaschinenbau. Mit zwei Partnern gründete er in Connecticut die „Halladay, McCray & Company“. Hier im Osten blieben die Verkaufszahlen allerdings hinter den Erwartungen zurück. Halladay erkannte, dass die Marketingaktivitäten auf die Tausenden von Farmen im Mittelwesten ausgerichtet werden mussten, deren Überleben abhängig war von einer funktionierenden Wasserversorgung7. Aber auch die Eisenbahngesellschaften, die das Wasser zum Betrieb der Dampflokomotiven benötigten, gehörten bald zur Kundschaft.

Einige Jahre später wurde die Konstruktion der Windräder überarbeitet: Die ursprünglich paddelförmigen Flügel ersetzte Halladay durch das sog. „sectional wheel“. Das neu konzipierte Flügelrad war jetzt in sechs Segmente mit schwenkbaren Abschnitten unterteilt. Die beweglichen Sektoren kippten bei starkem Wind oder zu hoher Drehzahl nach hinten um und wichen so dem Winddruck aus (Abb. 5). Das Halladay-Flügelwindrad bestand zunächst aus Holz; aber bereits in den 1880er Jahren begann die...

Erscheint lt. Verlag 15.2.2022
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Biografien / Erfahrungsberichte
ISBN-10 3-7557-9026-2 / 3755790262
ISBN-13 978-3-7557-9026-6 / 9783755790266
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