Der Holländer (eBook)

(Autor)

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2022 | 1. Auflage
272 Seiten
mareverlag
978-3-86648-804-5 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Der Holländer -  Mathijs Deen
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Es soll eine ruhige Fahrt übers Wattenmeer für Geeske Dobbenga werden, die letzte vor ihrer Pensionierung beim niederländischen Grenzschutz. Doch in der Emsmündung stößt ihr Patrouillenboot auf eine Leiche. Bevor die Flut sie wegträgt, bringen Geeske und ihre Mannschaft sie nach Delfzijl in den Niederlanden. Damit beginnen die Probleme: Der Tote war Deutscher, und sein Fundort liegt in umstrittenem Grenzgebiet. Während der Streit um die Zuständigkeit beiderseits der Grenze eskaliert und die Fragen rund um den toten Wattwanderer sich häufen, schickt die Bundespolizei See in Cuxhaven heimlich einen Ermittler nach Delfzijl: Liewe Cupido, gebürtiger Deutscher, aber auf der niederländischen Insel Texel aufgewachsen. Seine deutschen Kollegen nennen diesen eigenwilligen, schweigsamen Typen: den Holländer. Wer, wenn nicht er, könnte den Fall lösen?

Mathijs Deen, geboren 1962, ist Schriftsteller und Radioproduzent. Er veröffentlichte Romane, Kolumnen und einen Band mit Kurzgeschichten, der für den renommierten AKO-Literaturpreis nominiert war. 2018 wurde ihm für die literarische Qualität seines Werks der Halewijnpreis verliehen. Bei mare erschienen bisher sein Romane »Unter den Menschen« (2019) und »Der Schiffskoch« (2021).

Mathijs Deen, geboren 1962, ist Schriftsteller und Radioproduzent. Er veröffentlichte Romane, Kolumnen und einen Band mit Kurzgeschichten, der für den renommierten AKO-Literaturpreis nominiert war. 2018 wurde ihm für die literarische Qualität seines Werks der Halewijnpreis verliehen. Bei mare erschienen bisher sein Romane »Unter den Menschen« (2019) und »Der Schiffskoch« (2021).

PROLOG


»Machen Sie eine Pilgerfahrt?«

Die Pfarrerin, die auf dem Weg vom Kirchenportal zu ihrem Wagen auf Aron aufmerksam geworden ist, bleibt stehen und betrachtet den langen, hölzernen Stock, den seine rechte Hand umklammert. Es sieht aus, als würde er sich wie ein müder Wanderer darauf stützen. Die Spitze sinkt ein wenig in den Rasen vor seinen Füßen ein. Er hat sie nicht bemerkt, als sie die Kirche verließ, er blickte am Kirchturm vorbei zu den wenigen Wolken hinauf, die von Südosten her vorüberziehen. Deshalb antwortet er auch nicht gleich, sondern starrt sie an, als hätte er sie nicht verstanden.

»Sie sehen aus, als ob Sie auf Pilgerfahrt sind, mit diesem Stab. Möchten Sie die Kirche besichtigen?«

Aron, ein kräftiger Mann in den Vierzigern, hellblaue Augen, Mehrtagebart, langes Tolstoi-Hemd, breiter Gürtel um die Taille, schüttelt den Kopf. Er zieht den Stock aus dem Rasen, und während er behutsam gegen die Spitze tritt, damit der Sand abfällt, antwortet er: »Wenn ich ein Pilger bin, dann ein Pilger des Meeresbodens.«

»Ach, Sie sind Deutscher?«

Aron schaut die Pfarrerin an. »Ich bin Weltbürger.«

Die Pfarrerin lächelt. »Ein deutscher Weltbürger.« Sie macht eine einladende Geste zum Eingang hin. »Sie sind willkommen«, sagt sie. »Die Kirche ist fast tausend Jahre alt. Ich habe die Tür aufgeschlossen.«

Doch Aron bleibt nachdenklich stehen. »Ich suche nicht den Kontakt mit Gott«, sagt er, »sondern festen Boden unter den Füßen und einen Weg zur anderen Seite. Gilt das auch als Pilgern?«

Im Turm beginnt eine Glocke zu schlagen, es ist elf Uhr. Die Pfarrerin lächelt, doch wie ihre Körpersprache verrät, kommt ihr Arons Antwort, die eigentlich nach einer pastoralen Erwiderung verlangt, nicht gelegen. Sie hat wohl angenommen, mit ein paar netten Bemerkungen werde die Sache erledigt sein, vermutlich hat sie irgendeinen Termin, möchte aber nicht unhöflich sein.

»Was führt Sie dann nach Lower Halstow?«, fragt sie, während sie auf ihren Autoschlüssel drückt. Die Warnblinker ihres Autos leuchten gehorsam auf, die Türschlösser öffnen sich klackend. Aron dreht sich halb um und nickt in Richtung des kleinen Tidenhafens, der allmählich trockenfällt. Dahinter breiten sich die Schorren und Schlickflächen der Medwaymündung aus.

»Der Meeresboden«, sagt er. »In zwei Stunden ist Niedrigwasser. Ich gehe zum Fahrwasser.« Er hebt den Stock. »Deshalb der Pilgerstab«, erklärt er. »Es ist ein Peilstock, für den Fall, dass ich unterwegs doch auf Wasser stoße.« Jetzt ist er mit dem Lächeln an der Reihe. »Wir können nicht alle übers Wasser gehen. Wir Sünder müssen uns unseren Weg durch den Schlamm suchen.«

»Really?« Die Pfarrerin macht eine besorgte Miene. »Wissen Sie, was Sie tun?«

»Es ist nicht das erste Mal.«

»Es wäre auch nicht das erste Mal, dass jemand da draußen bleibt.«

»Machen Sie sich keine Sorgen, ich vertraue weniger auf Glauben als auf gründliche Vorbereitung.«

Die Pfarrerin schüttelt den Kopf. »Ich wünsche Ihnen beides«, sagt sie. Sie holt ihr Telefon aus der Tasche, schaut aufs Display, grüßt und geht im Laufschritt zu ihrem Wagen.

Aron legt sich den Peilstock auf die Schulter. Er dreht sich um und geht von der Kirche zu dem Fußweg, der am Seedeich entlang zu den Twinney Saltings führt, den Salzwiesen des Deichvorlands. Dort wird er den festen Boden verlassen und seinen Weg übers Watt suchen. Schon seit Stunden läuft das Wasser ab, als würde jemand eine Decke ganz langsam von einem Bett ziehen.

Er weiß genau, was er tut, obwohl es unmöglich ist, alle Risiken zu vermeiden. Ein Wattwanderer geht ungebahnte oder vom Meer ausgelöschte Wege. Es ist eine Umgebung voller Unwägbarkeiten, in der die Natur das Sagen hat. Er kann bestenfalls die unvermeidlichen Risiken in Gedanken vorwegnehmen und sich darauf einstellen, damit er im Fall eines Falles die Situation beherrscht. Kein Wattwanderer kann genau wissen, wie tief ein Priel ist, denn Wind und Strömung gemeinsam können ihn in einer einzigen Nacht vertieft, verlegt oder aufgefüllt haben. Deshalb der Peilstock. Außerdem kann er nie völlig ausschließen, dass ein Unwetter aufzieht oder sein Körper ihm einen Streich spielt, weshalb er Seenotfackeln und Schmerztabletten bei sich hat. Und in diesem besonderen Fall weiß Aron nicht, ob Peter ihn anrufen wird oder nicht. Er vermutet es, kann aber nicht sicher sein. Auch deshalb hat er sein Telefon mitgenommen.

Der Wattwanderer und seine Ausrüstung, auf alles vorbereitet und doch nicht sicher. Er liebt diesen Widerspruch, er liebt es, sich am Rand zu bewegen, in der Hand den Peilstock zu spüren, den er schon seit fast zwei Jahrzehnten immer an derselben Stelle festhält. So oft er auch mit anderen im Watt unterwegs gewesen ist – am häufigsten natürlich mit Peter und Klaus –, ist ihm doch nichts und niemand so nah wie sein Peilstock, die vertraute Form in seiner Hand, die Wärme der Berührung. Peilt er einen Priel und kommt das trübe Wasser dabei nicht weiter als bis zu seiner Hand, kann er ihn mit seinem Stock durchqueren. Ist der Priel tiefer, kommt das Wasser also bis über seine Fingerknöchel oder weiter, geht es nicht. Könnte er doch auch seine Gefühle peilen, das dunkle, weitverzweigte Prielnetz seiner Seele, könnte er doch ergründen, ob er will, dass Peter anruft, oder gerade nicht.

Er ist mitten auf der trockengefallenen Schlickebene des Medway, als das Telefon klingelt. Aron atmet tief durch und nimmt ab.

»Hallo, Peter«, sagt er.

Peter erwidert den Gruß nicht, sondern kommt sofort zur Sache. Er klingt sehr aufgeregt. »Es ist so weit!« Er schreit es beinahe. »Nipptide, Wind Ost vier, vielleicht fünf, 1040 hPa. Niedrigwasser 18 Uhr. Wir gehen.«

Aron schweigt einen Moment und sagt dann: »Ich sagte: Hallo, Peter.«

»Wie, was, hallo Peter?! Es ist so weit! Hierauf haben wir gewartet, oder nicht?!«

»Ich bin auf dem Medway.«

»Was … jetzt?« Es verschlägt Peter die Sprache. Er versteht es nicht. »Auf dem Medway? In England? Du hast doch gewusst, dass die Chance bestand, oder?«

»Es ist wunderschön hier, Peter.«

Doch Peter hört nicht zu. »Du willst mir doch nicht erzählen, dass du diese Gelegenheit sausen lässt, wo sie endlich da ist?!«

»Es ist deine Entscheidung.«

»Wieso meine?« Peter klingt verärgert. »Es ist unsere, Aron.«

Aron lässt den Peilstock in seiner Hand kreisen, blickt über den Priel im Medway zu der Raffinerie auf der anderen Seite.

»Jetzt ist der Moment, Aron, darum ging es doch die ganze Zeit, wie lange haben wir darauf gehofft? Zehn Jahre oder mehr? Fünfzehn?«

»Also du gehst?«

»Wir gehen«, erwidert Peter.

Aron schließt die Augen, ballt die Faust um den Stock. »Wenn wir doch alles im Voraus wüssten«, sagt er. »Bist du sicher, dass du gehen willst?«

»Morgen 16 Uhr in Manslagt, beim Nienhof. Ich zähle auf dich, du lässt mich nicht hängen. Jetzt rufe ich Klaus an.«

Aron folgt seinen Fußspuren zurück über die Salzwiesen des Deichvorlands und am Deich entlang nach Lower Halstow. Bei der Kirche zögert er, bleibt stehen, blickt sich um. Er zieht die Surfstiefel aus und lehnt seinen Stock an den Rahmen der Kirchentür, die noch offen ist. Er tritt ein, schließt die Tür hinter sich und horcht einen Moment auf die steinerne Stille. Dann geht er zwischen den Bankreihen hindurch zum Altar, hinter dem das Sonnenlicht durch zwei große Fenster mit Glasmalereien hereinfällt. Auf dem linken Fenster ein stehender Soldat, in einer Hand ein langes Gewehr, fast wie ein Stock, der Kolben vor seinen Füßen auf dem Boden. Er blickt zum rechten Fenster, auf dem der Erlöser in himmlischem Licht badet.

Aron holt ein Feuerzeug aus der Tasche und entzündet die drei großen Kerzen, die vor dem Altar stehen.

»Er muss es nicht machen«, sagt er. »Es muss nicht sein. Ich habe es ihm gesagt.«

Dann dreht er sich um, verlässt die Kirche und geht zum Green Farmhouse, dem B&B, in dem seine Frau Maria und er ein paar Tage verbringen.

Es geht auf eins zu. Im Garten der Pension sitzt Maria, eine Decke um die Schultern, und liest. Sie blickt erst auf, als er vor ihr steht und sein Schatten die Buchseiten verdunkelt.

»Du bist zurück«, sagt sie.

Er nickt. »Peter hat angerufen.«

Maria schaut ihn an, legt schweigend ihr Lesezeichen ins...

Erscheint lt. Verlag 16.2.2022
Reihe/Serie Ein Fall für Liewe Cupido
Ein Fall für Liewe Cupido
Übersetzer Andreas Ecke
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Schlagworte Borkum • De Hond • Delfzijl • Emden • Ermittler • Greetsiel • Grenzroman • Grenzschutz • Holland • Krimi • Kriminalroman • Leyhörn • Liewe Cupido • Manslagt • Nordsee • Osterems • Ostfriesland • Watt • Wattkrimi • Wattmeer • Wattwandern
ISBN-10 3-86648-804-1 / 3866488041
ISBN-13 978-3-86648-804-5 / 9783866488045
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