Der fürsorgliche Mr. Cave (eBook)

Roman

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2022 | 1. Auflage
256 Seiten
Verlagsgruppe Droemer Knaur
978-3-426-46082-5 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Der fürsorgliche Mr. Cave -  Matt Haig
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Wie weit geht ein Vater, um seine Tochter vor der Welt zu schützen? Beklemmend, bewegend und zutiefst zu Herzen gehend: der psychologische Roman über die zerstörerische Kraft von Liebe und Angst vom Autor des großen SPIEGEL-Bestsellers »Die Mitternachtsbibliothek«. Wann wird Liebe zu Besessenheit? Drei Mal schon musste Antiquitätenhändler Terence Cave den Verlust eines geliebten Menschen verkraften: erst den Selbstmord seiner Mutter, dann den Mord an seiner Frau, und schließlich den tragischen Tod seines Sohnes Reuben. Geblieben ist ihm nur noch seine Tochter Byrony, Reubens Zwillingsschwester - und das Gefühl, dass ihm alle genommen werden, die er liebt. Umso verzweifelter versucht Terence nun, seine wunderschöne Tochter vor jeder Gefahr zu schützen, koste es, was es wolle! Doch die 15-jährige Byrony riskiert immer mehr, um aus dem goldenen Käfig ihres Vaters auszubrechen, und Terence muss sich fragen, ob er sie wirklich nur beschützen will? Mit »Der fürsorgliche Mr Cave« hat der britische Bestsellerautor Matt Haig hat einen ebenso anrührenden wie erschütternden psychologischen Roman über einen Vater geschrieben, dessen Fürsorge in Besessenheit zu kippen droht. Die Sorgen und Nöte, die Angst-Störungen und Depressionen verursachen, kennt Matt Haig aus eigener Erfahrung. 'Sehr geschickt, beinahe unmerklich greifen Realität und Fantasie ineinander. Brillant beschreibt der Auto einen Vater, der der Dämonen in seinem Kopt nicht mehr Herr wird.' Stern Entdecken Sie auch die anderen Romane von Matt Haig bei Droemer: Die Mitternachsbibliothek, Die Radleys, Nachricht von Dad, Für immer, euer Prince

Matt Haig, Jahrgang 1975, ist ein britischer Autor. Seine eigenen Erfahrungen mit Depressionen und Angststörungen sind auch stets ein zentrales Thema in seinen Büchern. Zuletzt sind von ihm das Sachbuch »The Comfort Book« sowie die Romane »Ich und die Menschen« und der Bestseller »Die Mitternachtsbibliothek« erschienen. Im August 2024 erscheint sein neuer Roman »Die Unmöglichkeit des Lebens«. Matt Haig lebt mit seiner Familie in Brighton.

Matt Haig, Jahrgang 1975, ist ein britischer Autor. Seine eigenen Erfahrungen mit Depressionen und Angststörungen sind auch stets ein zentrales Thema in seinen Büchern. Zuletzt erschienen die Romane "Ich und die Menschen" (2014), "Wie man die Zeit anhält" (2018) und "Die Mitternachtsbibliothek" (2021), sowie die Sachbücher "Ziemlich gute Gründe, am Leben zu bleiben" (2016) und "Mach mal halblang" (2019). Matt Haig lebt mit seiner Familie in Brighton.

Wie du weißt, habe ich den größten Teil meines Lebens damit zugebracht, defekte Dinge instand zu setzen. Uhren zu reparieren, alte Stühle zu restaurieren, Porzellan zu kitten. Im Lauf der Jahre habe ich gelernt, wie man Flecken mit Ammoniak oder einem Tupfer Lackbenzin beseitigt. Ich kann Kratzer aus Glas entfernen, verschiedene Holzmaserungen imitieren. Und ich weiß, wie man einen korrodierten Tudor-Leuchter mit Essig, einem Viertelliter heißem Wasser und einem Stück feiner Stahlwolle restauriert.

Eine Mahagoni-Frisierkommode aus der Zeit Georges III. zu kaufen, mit all den Schrammen und Kratzern aus zweihundert Jahren, und ihr wieder zu ihrer ursprünglichen Pracht zu verhelfen, war früher das Höchste für mich. Oder der Moment, wenn Mrs. Weeks in den Laden kam und mit kundigen Fingern über eine Worcester-Vase strich, ohne die Sprünge zu ertasten – vor noch nicht allzu langer Zeit versetzte mich das in einen wahren Glückszustand.

Vermutlich schenkte es mir ein Gefühl von Macht. Es half mir, die Zeit zu besiegen. Es gab mir die Möglichkeit, mich gegen diese ekelhafte Epoche des Zerfalls abzuschotten. Und ich kann dir gar nicht sagen, wie fürchterlich es mich schmerzt, dass ich die Vergangenheit unserer Familie nicht auf die gleiche Weise restaurieren kann.

Es gibt da etwas, das du verstehen musst.

In meinem Leben gab es vier Menschen, die ich aufrichtig geliebt habe, und von diesen vier Menschen bist du mir als Einzige geblieben. Die anderen starben eines unnatürlichen Todes. Mein Sohn, meine Ehefrau, meine Mutter. Alle drei viel zu früh.

Man liebt drei Menschen, und sie sterben. Das rechtfertigt ja wohl kaum eine öffentliche Untersuchung, oder? Nein. Wie viele Menschen, die man liebt, müssten sterben, bevor diese Liebe Argwohn erwecken würde? Fünf Menschen? Zehn? Hundert? Drei ist nichts. Kann man vergessen. Drei Menschen bedeuten einfach nur ganz normales Pech, selbst wenn es drei Viertel all dessen bedeutet, was einem auf Erden jemals wichtig war.

Oh, natürlich habe ich versucht, dies rational zu betrachten. Na komm, Terence, habe ich zu mir gesagt. Du trägst an keinem dieser Todesfälle Schuld. Und natürlich hätte meine Verteidigung vor einem Gericht für Strafsachen Bestand.

Aber wo gibt es Gerichte für Liebessachen? Und welche Strafe könnten sie verhängen, die schlimmer wäre als die Trauer? Nach Reubens Tod gelangte ich zu der Überzeugung, dass irgendetwas mit mir und mit der Liebe, die ich zu geben hatte, nicht stimmte. Ich hatte Reuben enttäuscht. Ich hatte ihn in der Gegenwart von Freunden sterben lassen, die ich gar nicht kannte.

Ich hatte ihn zwar geliebt, aber immer gedacht, es käme einmal die Zeit, wo ich alles wieder an ihm gutmachen würde. Und ich konnte mich nicht damit abfinden, dass diese Zeit nun nie mehr kommen würde.

Natürlich ist der Tod eines Kindes für Eltern immer unerträglich. Man hört die ersten Takte einer vertrauten Sonate, und die Musik bricht ab, aber man fühlt noch die stummen Töne, ihre Schönheit und Macht sind nicht weniger real, nicht weniger vollkommen. Bei Reuben hatte ich nie auf die Melodie geachtet. Sie war die ganze Zeit erklungen, seine ganzen vierzehn Lebensjahre lang, aber ich hatte einfach nicht mehr hingehört. Ich konzentrierte mich auf den Laden oder auf dich und überließ Reuben sich selbst.

Und so bemühte ich mich jetzt, das zu finden, was ich einst missachtet hatte, und wenn ich mir genug Mühe gab, leuchtete es manchmal auf, dieses Leben, das verwandelt war, aber nicht wirklich beendet. Töne, die nicht harmonisch aufeinanderfolgten, sondern als Kakofonie erklangen und mit dem Gewicht der Schuld über mich hereinbrachen.

 

Am Morgen der Beerdigung weckte mich ein Summen. Ein wütendes Sirren, das sich durch die Dunkelheit fräste. Ich öffnete die Augen und hob den Kopf vom Kissen, um zu sehen, woher es kam. Im gedämpften Licht der Morgensonne, die durch die Vorhänge drang, lag der Raum da wie immer. Die gerahmte Fotografie deiner Mutter, der Schrank, der William-Turner-Druck, die französische Kaminuhr. Bis auf das Geräusch war alles ganz normal. Erst als ich mich weiter aufrichtete, auf die Ellbogen gestützt, erkannte ich den Ursprung des Geräuschs. Dicht über der Bettdecke, Richtung Fußende, sah ich kleine Fliegen schweben, fünfhundert vielleicht, einfach nur schweben, als läge ich in der Wüste, ein in der Sonne verwesender Leichnam.

Einen Moment lang spürte ich keine Angst. Der Anblick dieser Tierchen, die sich in kleinen ovalen Wirbeln bewegten, wirkte hypnotisch auf mich. Dann änderte sich etwas. Die Fliegen setzten sich in Bewegung, als hätten sie gemerkt, dass ich wach war, und flogen wie eine Wolke auf mein Gesicht zu. Bald hüllten sie mich ein, ein dunkler Blizzard, mit ihrem wütenden Gesumm, das immer lauter wurde. Ich kroch rasch unter die Decke, und mit dieser abrupten Bewegung verstummte der Lärm komplett. Ich wartete eine Sekunde im warmen, weichen Dunkel und tauchte wieder auf.

Die Fliegen waren verschwunden, spurlos. Ich blickte mich um, und obwohl ich die Insekten nicht mehr sah, beschlich mich das Gefühl, dass der Raum sich verändert hatte, als wären alle Gegenstände darin der gleichen Einbildung erlegen wie ich.

 

Ich erinnere mich, dass Cynthia und ich uns im Auto unterhielten, unseren Schmerz hinter banalen Worten versteckten, während der Trauerzug durch die alten angelsächsischen Straßen rollte. Einmal wandte sich Cynthia zu dir um und sagte: »Du hältst dich so tapfer!« Ich sah dich traurig lächeln und pflichtete deiner Großmutter murmelnd bei. Tatsächlich warst du die ganze Woche über bemerkenswert gefasst. Zu gefasst, fand ich und befürchtete, du würdest vielleicht alles in dir aufstauen.

Ich versuchte, meine Gedanken auf deinen Bruder zu konzentrieren, merkte aber, dass sie ständig abschweiften, nämlich zu dir und deinem veränderten Verhalten seit dem Tod deines Bruders.

Du hattest die ganze Woche lang nicht Cello gespielt. Das verstand ich natürlich. Du warst jeden Abend zu den Stallungen gegangen und hattest dich um Turpin gekümmert, ihn aber am Tag vor Reubens Tod zum letzten Mal geritten. Auch dies war eigentlich zu erwarten gewesen. Immerhin hattest du deinen Zwillingsbruder verloren und warst jetzt allein, das einzige Kind eines alleinstehenden Vaters. Trotzdem machte ich mir Sorgen. Du warst nicht zur Schule gegangen, und ich hatte den Laden zugesperrt, und doch hatten wir, glaube ich, die ganze Woche kein einziges Mal richtig miteinander geredet. Stets hattest du eine Ausrede parat, um den Raum zu verlassen (nach dem Bügeleisen schauen, Higgins füttern, auf die Toilette gehen). Selbst damals im Wagen, auf der langsamen Fahrt zum Friedhof, war mir, als ob du unter meinem Blick zusammenzucktest, als würde dir ein Hitzestrahl die Wange versengen.

Cynthia drückte meine Hand, als wir uns der Kirche näherten. Wie üblich hatte sie sich die Fingernägel schwarz lackiert und ihr gruseliges Make-up aufgelegt, und ich musste an den Scherz denken, den sie morgens unter Tränen gemacht hatte – das Praktische an ihrem Kleidungsstil sei, dass sie bei Beerdigungen nie groß überlegen müsse.

Wir hielten vor der Kirche und stiegen aus. Unsere Gesichter spiegelten die Trauer, die wir empfanden, die aber auch, das war uns durchaus bewusst, von uns erwartet wurde. Als wir an den dicht gedrängten alten Gräbern der Pestopfer vorbeikamen, dachte ich an all die toten Eltern, die von ihren Kindern getrennt worden waren. Erinnerst du dich an die Gespenstergeschichte, die Cynthia früher immer erzählt hat? Ein Junge starb an der Pest und wurde gemäß den neuen Gesetzen außerhalb der Yorker Stadtmauern bestattet, und der Geist seiner Mutter entstieg ihrem Grab und suchte vergeblich nach dem Sohn. Das hat sie euch beiden erzählt, als ihr noch klein wart und mit euren Orangen und Kerzen vom Adventsgottesdienst nach Hause gingt, und Reuben hat dich damals ausgelacht, weil du Angst hattest.

Es ist ein seltsames Gefühl. Als würde ich versinken. Man erinnert sich an etwas, aber darunter lauert immer noch etwas anderes, das einen hinabzieht. Ich muss den Kopf oben halten. Weiter frische Luft schnappen.

 

Du fragst dich vielleicht, warum ich das alles wiederaufleben lasse und dir erzähle, wo du doch selbst dabei warst, aber ich muss es dir so schildern, wie ich es erlebt habe, denn du kennst nur deine Seite, und ich kenne nur meine. Wenn du diese Schilderung gelesen hast, kannst du mein Handeln vielleicht besser verstehen, und ich hoffe, dass irgendwo in jenem Raum, jenem gestaltlosen Raum zwischen deinem Lesen und meinem Schreiben, eine Art Wahrheit zum Vorschein kommt. Eine vergebliche Hoffnung, aber die letzte, die mir bleibt, und so klammere ich mich daran, wie ich mich damals an dich geklammert habe, als wir den Pfad entlang auf die Kirche zugingen.

Am Ende des Pfads erwartete uns Peter, der Pfarrer, der uns seine Anteilnahme bekundete und den Ablauf erklärte. Er wandte sich an dich, und Cynthia antwortete schnell an deiner Stelle, um dich zu schonen. In diesem Moment drehte ich mich um und sah den Jungen, der am Abend von Reubens Tod dabei gewesen war. Den Jungen, der mir gleich verhasst gewesen war, wegen seines leeren, teilnahmslosen Gesichtsausdrucks. Diesmal fehlte die Kapuze. Er trug einen billigen Anzug mit schwarzer Krawatte, war aber zugegebenermaßen eine eindrucksvolle Erscheinung. Die bleiche Haut, das schwarze Haar und diese Augen, in denen eine dunkle, grüblerische Macht zu liegen schien. Etwas Gewalttätiges und Gefährliches.

Ich weiß nicht, ob du ihn damals auf dem Friedhof gesehen hast. Ich flüsterte Cynthia etwas ins Ohr und ging an den uralten Gräbern vorbei auf ihn...

Erscheint lt. Verlag 1.2.2022
Übersetzer Sabine Hübner
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Alleinerziehender Vater • Besessenheit • Bücher von TikTok • Byrony Cave • Die Mitternachtsbibliothek • dramatische Romane • Eltern bewältigen Tod Kind • Erziehung Kinder • Familiendrama • Familiengeschichten Romane • Familienroman • Fürsorge • Geschwister • Ich und die Menschen • Kontrolle • Kontrollverlust • Matt Haig • Matt Haig Bücher • matt haig der fürsorgliche mr cave • Mitternachtsbibliothek • psychologische Romane • Reuben Cave • Roman • Roman alleinerziehend • Romane Drama • Romane England • roman familiendrama • roman familienleben • Roman Großbritannien • Roman Trauer • SPIEGEL-Bestsellerautor • Terace Cave • tiefgründige Bücher • TikTok Autor • Tod eines Kindes • Toxic • toxische Beziehung • Überwachung • Unfall • Vaterliebe • Vater und Sohn • Vater und Tochter • verlust bewältigen • Verlust Buch • Verlust eines Kindes • Zwillingsbruder • Zwillingsschwester
ISBN-10 3-426-46082-3 / 3426460823
ISBN-13 978-3-426-46082-5 / 9783426460825
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