Jerry Cotton Sonder-Edition 176 (eBook)
Bastei Lübbe (Verlag)
978-3-7517-2730-3 (ISBN)
Für die Behörden war Ray Anderson ein gefährlicher Aufwiegler, für seinen Sohn Little aber war er ein Abgott. Niemand ahnte, welche blutigen Verwicklungen Andersons Verhaftung auslösen würde. Das erkannten wir schaudernd, als der Broadway starb ...
Als der Broadway starb
Für die Behörden war Ray Anderson ein gefährlicher Aufwiegler, für seinen Sohn Little aber war er ein Abgott. Niemand ahnte, welche blutigen Verwicklungen Andersons Verhaftung auslösen würde. Das erkannten wir schaudernd, als der Broadway starb ...
1
Harlem, 137st Street und Broadway
Über dem Eingang zur Subway knarrte eine Lampe im leichten Wind, der vom Hudson River herüberwehte. Auf den ausgetretenen Sandsteinstufen eines alten Wohnhauses spielten ein paar Kinder. Vor der Bar an der Ecke versammelten sich die Mitglieder der Silver Pumas. Die Nacht brach an.
Im düsteren Schlund der Einfahrt steckte wie ein Korken eine große Limousine mit getönten Scheiben. Der Lack schimmerte dunkelviolett. Vorn auf dem Kühlergrill war eine Maske aus poliertem schwarzem Holz befestigt. Das Grinsen der toten Augen und der wulstigen Lippen war böse. Wie Totenwächter lehnten zwei schwarze Bodyguards an den Kotflügeln. Jedes Kind in Harlem kannte diesen Wagen. Er gehörte »Bad« Jake Shero, dem Mann, der wie sie im Getto geboren war. Er hatte Harlem verlassen und war jetzt wiedergekommen, um seinen Brüdern und Schwestern die Freiheit zu bringen.
So jedenfalls verbreiteten es seine Gefolgsleute auf den Straßen und Plätzen, in den Bars und in den Schlangen vor den Ausgabestellen für Lebensmittelmarken. Und die Menschen glaubten ihm. Denn er beschränkte sich nicht auf Worte. Er nahm den schwarzen Dealern, Buchmachern und Zuhältern, die für die weißen Gangster in der weißen Midtown arbeiteten, das Geld ab, das sie in Harlem einnahmen. Und verteilte es im Getto!
Knisternde grüne Scheine haben eine eigene Überzeugungskraft. Und so blieb es nicht aus, dass die Schar derjenigen, die bereit war, alles für ihn zu tun, unaufhaltsam wuchs.
Tiefer in der Garage brannten mehrere Lampen auf Kosten der City of New York. Ihr hartes Licht fiel über etwa zwei Dutzend Schwarze, die im Halbkreis um einen massigen, hünenhaften Mann herumstanden.
Der Hüne war »Bad« Jake Shero.
Bad Jake hatte große Plattfüße und schaufelförmige Hände. Sein kahler Schädel glänzte. In den mächtigen Pranken hielt er einen Billardstock, den er wie einen Bogen spannte. Aus vorquellenden Augen musterte er die Anwesenden, als wollte er sie in seinen Bann ziehen.
Sein Blick verweilte kurz auf einem hageren Schwarzen von asketischem Äußeren. Er hatte ein eingefallenes Gesicht und tief liegende dunkle Augen. Ein spitzer krauser Bart spross auf dem Kinn. Der linke Jackenärmel hing leer hinab. Seine rechte Hand ruhte auf der Schulter eines etwa achtjährigen Jungen.
Ray Anderson stand etwas abseits von den übrigen Mitgliedern der Versammlung. Er schien damit zu betonen, dass er nicht zu ihnen gehören wollte. Er hielt dem Blick des schwarzen Hünen ruhig stand. Bad Jake verzog die vollen Lippen zu einem schnellen Grinsen. Dann ließ er den Billardstock durch die Luft pfeifen und deutete auf Anderson.
»Ray«, sagte er mit lauter Stimme, die hohl in dem leeren großen Keller hallte, »ich freue mich, dass du gekommen bist. Brüder, ihr alle kennt Ray Anderson. Er ist ein Veteran der Black-Power-Bewegung. Vor fünfzehn Jahren gehörte er zu den Vertrauten des unvergessenen Malcolm X. Jetzt wird Ray unsere Botschaft verbreiten. Er wird sie allen unseren Brüdern mitteilen.«
Ray Anderson nickte würdevoll. Der Junge an seiner Seite blickte zu ihm auf. Seine Augen leuchteten. Ray drückte seine Schultern. Bad Jake kam mit schweren plumpen Schritten auf Ray zu. Er reichte ihm eine Hand. Dann strich er über Little Ray Andersons krauses Haar. Der Junge erschauerte.
Bad Jake kehrte zu seinem Platz zurück. Hinter ihm an der Betonwand hing eine große Karte von Manhattan. Es war wie ein Symbol, als sein Schatten über den Umriss von Manhattan fiel und ihn verdeckte.
Er trat etwas zur Seite, sodass jeder die Karte genau erkennen konnte. Er tippte mit der Spitze des Stocks gegen die Wand und zog dann den Umriss Harlems nach.
»Hier machen wir ihnen das Leben schon schwer«, sagte er. »Sie können nicht mehr an jeder Ecke stehen und das Zeug verkaufen, mit dem sie uns und unsere Kinder vergiften. Oder uns mit ihren Losen betrügen. Oder unsere Töchter zwingen, ihre Körper zu verkaufen.« Bad Jakes Schatten bewegte sich, als er die Spitze des Stocks den Verlauf des Broadway nachzeichnen ließ. »Seht diese Straße, meine Brüder. Von Harlem aus stößt der Broadway wie eine Lanze mitten hinein in das kranke Herz dieser krebszerfressenen Stadt. Hier unten sitzen sie, die uns den Lebensraum streitig machen, die uns töten!« Er deutete auf den Times Square, folgte der Linie des Broadway nach Süden, verharrte pochend bei der City Hall und stieß dann auf die Stelle, wo die Wall Street den Broadway traf. »Hier sitzen sie, unsere Feinde, und haben Angst. Zehn Jahre lang haben wir sie in Ruhe gelassen!« Bad Jakes Augen hefteten sich auf Ray Anderson.
Er straffte sich.
»Aber die Angst haben sie nie verloren. Sie haben Angst vor unserer Lebenskraft. Deshalb fürchten sie uns. Denn sie sind bereits tot, tot, tot!« Die Stimme hallte unter der Betondecke. Der schwere Mann ließ den Billardstock sinken. Das gepolsterte Ende pochte auf den Boden. »Geht jetzt«, sagte er, und seine Stimme klang erschöpft. »Ihr wisst, was ihr zu tun habt. Geht jetzt, geht ...«
Ray Anderson blieb sekundenlang reglos stehen. Er musterte den schweren Mann, der nach Harlem gekommen war und hier den Messias spielte.
»Geh, Ray!«, sagte Bad Jake laut. »Geh, und erzähl ihnen von mir! Geh!«
Ray Anderson nickte unwillkürlich. Er verdrängte seine Zweifel. Hatte Bad Jake nicht selbst schon Opfer gebracht? Erst am Morgen hatten weiße Gangster Jakes Bruder Herbert ermordet. Sie mussten sich wehren. Sie mussten einig sein. Alle, alle mussten sich am Kampf gegen die weißen Ausbeuter beteiligen. Keiner durfte sich ausschließen.
Detective Neil St. Clair, ein hellhäutiger elegant gekleideter Schwarzer vom 26. Revier, zog eines der großen Schubfächer aus dem Gestell. Wir blickten in das im Tode erstarrte Gesicht eines Schwarzen. Ein weißes Laken verdeckte die beiden Einschusslöcher in der breiten Brust.
St. Clair sah die beiden Frauen an, die auf der anderen Seite des herausgezogenen Kühlfachs standen und in das graue, grob geschnittene Gesicht des Toten starrten. Sie nickten. Die eine war schmal, jung und hübsch, die andere größer und um die vierzig. Die Augen der jüngeren Schwarzen füllten sich mit Tränen. Sie wandte sich ab.
Der Detective schob die Lade ins Fach zurück, und wir verließen den Kühlraum des Leichenschauhauses. Im Schreibzimmer des ersten Stocks bot er den Ladys Platz an und fragte sie, ob er ihnen irgendetwas bringen könne. Kaffee? Sandwiches? Die Frauen schüttelten die Köpfe. Sie wollten es hinter sich bringen.
Ich fragte mich, weshalb Neil St. Clair mich angerufen und gebeten hatte, zum Leichenschauhaus zu kommen. Okay, es brodelte in Harlem. Es gab da einen Burschen, der die Schwarzen um sich scharte und die Kriegstrommel schlug. Jacob Shero, ein Kerl, der die letzten Jahre in Baltimore gelebt hatte. Von Verbrechen, wie es hieß. Die Polizeibehörden hatten bereits eine Sonderkommission gebildet. Ich, der G-man Jerry Cotton, war dazu ausersehen, den Verbindungsmann zwischen den städtischen Polizeidienststellen und dem FBI darzustellen.
Neil St. Clair drehte ein Formular in die Schreibmaschine. Personalien der Zeugen. Wanda Simms, vierundzwanzig Jahre alt, und Barbara Ortiz, geborene Shero.
Jetzt wurde ich hellwach.
»Beschreiben Sie bitte Ihre persönlichen Beziehungen oder den Verwandtschaftsgrad zu dem Toten«, bat der Detective die Frauen.
»Ich ... Er war mein Bruder, Herbert Shero«, erklärte Barbara Ortiz.
Neil St. Clair bearbeitete die Tasten. Dann blickte er Wanda Simms an.
»Ich war seine Verlobte«, sagte sie leise und wischte sich mit einer feingliedrigen Hand über die Augen. »Wir wollten im Juni heiraten. Herbert hatte einen Job in Union City in Aussicht ...«
Neil St. Clair schrieb mit. Als er einmal innehielt, sah er die beiden Frauen scharf an. »Und Sie identifizieren den Toten als Herbert Shero?«
»Ja«, antwortete Wanda Simms.
»Ja«, bestätigte Barbara Ortiz.
Der Detective füllte zwei weitere Zeilen aus. Dann riss er das Blatt aus der Maschine und schob es zu ihnen hinüber. »Unterschreiben Sie bitte. Dort.« Er drückte Barbara einen Kugelschreiber in die Hand.
Barbara unterschrieb und gab den Kugelschreiber an Wanda weiter. Die setzte ebenfalls ihren Namen auf das Formular.
»Sie können gehen«, sagte St. Clair.
Die Frauen standen auf und gingen hinaus. Als die Tür hinter ihnen zufiel, sagte ich zu dem Kollegen: »Wissen Sie, wer ihn getötet hat?«
St. Clair zog einen dünnen Ordner aus der Tasche, die neben seinem Stuhl stand. »Wir haben zwei Zeugen, die beschwören, dass es zwei weiße Gangster gewesen...
Erscheint lt. Verlag | 8.2.2022 |
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Reihe/Serie | Jerry Cotton Sonder-Edition |
Verlagsort | Köln |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Literatur ► Romane / Erzählungen | |
Schlagworte | 2017 • 2018 • Abenteuer • Action Abenteuer • action romane • action thriller • action thriller deutsch • alfred-bekker • Bastei • bastei hefte • bastei heftromane • bastei romane • bastei romane hefte • Bestseller • Deutsch • eBook • E-Book • eBooks • erste fälle • Fall • gman • G-Man • Hamburg • Heft • Heftchen • Heftroman • heftromane bastei • Kindle • Krimi • Krimiautoren • Krimi deutsch • krimi ebook • Krimi kindle • Kriminalfälle • Kriminalgeschichte • Kriminalgeschichten • Kriminalroman • Kriminalromane • kriminalromane 2018 • kriminalromane deutsch • Krimi Reihe • Krimireihen • krimi romane • Krimis • krimis&thriller • krimis und thriller kindle • Krimi Urlaub • letzte fälle • martin-barkawitz • Polizeiroman • Romanheft • Roman-Heft • schwerste fälle • Serie • Soko-Hamburg • spannend • spannende Krimis • spannende Thriller • Spannungsroman • Stefan Wollschläger • Tatort • Terror • thomas-herzberg • Thriller • Wegner |
ISBN-10 | 3-7517-2730-2 / 3751727302 |
ISBN-13 | 978-3-7517-2730-3 / 9783751727303 |
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