Verloren -  Liv Morus

Verloren (eBook)

Memento mori

(Autor)

eBook Download: EPUB
2022 | 1. Auflage
404 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7557-8928-4 (ISBN)
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Vor sechzehn Jahren kam einer von ihnen tragisch ums Leben - nun trifft sich eine Gruppe von alten Freunden auf einem abgelegenen ehemaligen Bauernhof, um gemeinsam den Sommer am See zu verbringen. Die Wiedersehensfreude ist groß, doch bald kippt die Stimmung. Alte und neue Geheimnisse schwelen in der Sommerhitze unter der Oberfläche des fröhlichen Zusammenseins und befeuern lange überwunden geglaubte Konflikte. Als einer der Freunde tot im See gefunden wird, stellt sich erneut die Frage: War es ein Unfall oder Mord?

Liv Morus wuchs im Rheingau auf. Heute lebt sie mit ihrer Familie in der Nähe von München, wo auch ihre Krimireihe um Journalistin Elisa Gerlach und Kriminalhauptkommissar Henri Wieland angesiedelt ist. »Verloren - Memento mori« ist nach »25 Knoten« ein weiterer eigenständiger, in sich abgeschlossener Roman.

Rebecca


Sechzehn Jahre waren eine lange Zeit, doch wenn Rebecca die Augen schloss, sah sie Leos Leichnam in allen Einzelheiten vor sich, als sei es erst gestern geschehen. Sie sah, wie er auf dem Bauch im Pool trieb, seine braunen Haare wie ein Glorienschein um seinen Kopf auf dem Wasser schwebend, sein von der französischen Sommersonne gebräunter Rücken, die langen aufgequollenen Finger, die ausgestreckt waren, als hätte Leo nach etwas greifen wollen, und die im Wasser schrumpelig gewordenen Fußsohlen.

Rebecca öffnete die Augen und blinzelte die Erinnerung weg. Sie blies die Staubschicht von dem Schuhkarton, den sie unter dem Bett hervorgezogen hatte, und nahm den Deckel ab. Ein schwacher Hauch von Lavendel wehte ihr von dem Duftsäckchen entgegen, das neben dem Tagebuch und einigen Muscheln lag, die von den wenigen Fotos bedeckt wurden, die Rebecca von diesem Sommer besaß. Sie nahm die Aufnahmen aus dem Karton und sah sie der Reihe nach an: ein Gruppenbild auf der Düne von Pilat, Rebecca am Strand von Lacanau und auf dem Surfbrett, Rebecca und Viola beim Kochen und ein Foto von den vier Freundinnen auf der Terrasse des Ferienhauses: Rebecca, Nicole, Viola und Jackie. Die Freundinnen, die sie heute wiedersehen würde – zum ersten Mal seit sechzehn Jahren.

So viel war seither geschehen. Rebecca hatte sich ihr Leben in Frankfurt aufgebaut und die anderen waren nicht länger Teil davon. So nah sie sich auch vorher gewesen waren – sie waren nach dem schrecklichen Ende dieses Sommers auseinandergeglitten und ihre Freundschaft, die Rebecca damals so viel bedeutet hatte, war durch neue Freundschaften mit Kollegen von der Schule und anderen Bekanntschaften ersetzt worden. Ob es merkwürdig werden würde, die alten Freundinnen wiederzusehen? Ob sie sich sehr verändert hatten?

Zögernd griff Rebecca nach dem in schlichtem Leinen gebundenen Tagebuch. Sie schlug es auf und begann zu lesen.

Lacanau-Océan, 3. Juli
Hier ist es so paradiesisch schön, dass es mir Angst macht! Träume ich vielleicht nur? Der Anblick des Meeres ist so überwältigend; es ist noch tausend Mal schöner, als ich es mir vorgestellt habe! Das rhythmische Kommen und Gehen der Wellen, der warme Sand, in dem meine Füße versinken, das Rauschen der Brandung und das Geschrei der Möwen, der Wind in meinen Haaren und das wilde Wasser an meinem Körper – es ist einfach herrlich!

Die anderen lachen mich aus. Sie können meine Begeisterung nicht verstehen, denn sie waren alle schon am Meer, die meisten sogar richtig oft. Für sie ist es nichts Besonderes. Für mich schon! Davon habe ich geträumt, seit ich als Kind das erste Mal vor der riesigen Plakatwand stand, an der ich auf meinem Schulweg vorbeikam, und die schaumgekrönten Wellen vor einem endlos langen, von Palmen gesäumten Sandstrand angestarrt habe. »Wollen Sie Meer?«, hatte ich die verspielte Schrift nach einer Weile entziffert, ich muss gerade das Lesen gelernt haben. Das bunte Plakat an der Baustellenpalisade war wie ein Lichtblick in der grauen Betonwüste. Ich weiß noch, wie traurig ich war, als der Bauzaun mit dem Plakat entfernt wurde, nachdem der Wohnblock fertig war.

Seit dieser Zeit zieht mich das Meer magisch an. Ich sammelte Fotos aus Zeitschriften, las Bücher, die am Meer spielten, und lag meinen Eltern in den Ohren mit meinem Wunsch, nur ein einziges Mal am Meer Urlaub zu machen ...

Jetzt bin ich endlich hier und ich kann mich gar nicht sattsehen! Wir müssen nur über die Düne steigen, dann liegt das Meer blau und scheinbar endlos vor uns. Seit wir angekommen sind, bin ich schon dreimal die Düne hochgelaufen – nur um es noch mal zu sehen!

Auch das Ferienhaus der Herzogs ist paradiesisch schön! Ich beneide Ben wirklich darum, dass er hier schon so viele Ferien mit seiner Familie verbracht hat. Im Garten blüht es überall und der Duft von Lavendel und Thymian dringt sogar bis ins Haus. Es gibt einen Pool und mehrere Badezimmer und die Küche ist doppelt so groß wie die bei uns zu Hause! Ich wohne in einem kleinen Kämmerchen, das früher mal ein Personalzimmer war. Zumindest hat Nicole das behauptet. Sie teilt sich eins der großen Schlafzimmer mit Ben. Jackie und Viola haben ebenfalls zusammen ein Schlafzimmer bezogen – vermutlich will Jackie sich Christoph vom Leib halten, der sich jetzt ein Zimmer mit Michi teilt ...

Wir hatten einen wunderschönen und lustigen ersten Abend! Es ist so warm, dass wir draußen auf der Terrasse essen und danach noch lange mit unserem Wein sitzenbleiben konnten. Ich glaube, man würde sogar das Rauschen des Meeres hören, doch dafür waren Jackie und Nicole zu laut. Sie haben richtig Gas gegeben, die Musik aufgedreht und uns letztlich alle mitgerissen. Das haben wir uns verdient nach der ganzen Lernerei und den Prüfungen!

Ich bin froh, dass es mich jetzt gar nicht mehr stört, Ben und Nicole miteinander zu sehen. Und zwar nicht, weil ich Nicole gegenüber loyal bin, sondern weil ich kein Interesse mehr an ihm habe. Endlich habe ich erkannt, dass neben Bens riesigem Ego kein Platz für jemand anderen ist, und bin über meine kindische Schwärmerei hinweg. Gerade rechtzeitig, sonst hätte ich mich nicht auf diesen Sommer am Meer eingelassen und was hätte ich dann nicht alles verpasst?

Lacanau-Océan, 4. Juli
Ich würde am liebsten den ganzen Tag am Strand verbringen; bei Ebbe weit hinauswaten und bei Flut auf der Luftmatratze auf den Wellen reiten. Oder einfach nur im Sand liegen, die salzige Luft einatmen, die Sonne auf der Haut spüren, den bunten Drachen am Himmel zusehen und die Möwen dabei beobachten, wie sie sich etwas zu essen stibitzen. Ich wünschte, Mama könnte hier sein, ihr würde es auch gefallen, das weiß ich!

Nur am Strand rumzuhängen ist den anderen auf Dauer leider zu langweilig. Und zu gefährlich! Michis weiße Wabbelhaut ist schon ganz rosa; er sieht aus wie ein Schweinchen und weigert sich, in den nächsten drei Tagen in die Sonne zu gehen. Nicole ist auch lieber im Schatten, sie bekommt von zu viel Sonne Kopfweh. Und Viola hat sich an einer scharfkantigen Muschel die Fußsohle aufgerissen. Außerdem hat sie ein Einheimischer vor Quallen gewarnt, die manchmal angeschwemmt werden. Ich glaub, Viola wird sich in diesem Urlaub nicht mehr ins Wasser wagen ...

Jackie ist wie immer die Unternehmungslustigste von uns allen. Sie findet, dass die anderen sich anstellen, und hat uns heute Abend durch einige Bars geschleift. Hier ist mehr los, als ich dachte, scheint ein Surfer-Eldorado zu sein. So wurde es doch noch sehr lustig, nur Nicole ist nicht richtig in Stimmung gekommen. Als Ben zu ihr gesagt hat, dass sie nicht so rumzicken soll, war es dann ganz vorbei. Sie war total sauer auf ihn und hat mich gebeten, mit ihr heimzugehen. Wir haben uns auf die Terrasse gesetzt, Wein getrunken und gequatscht, nur über Ben wollte sie nicht reden. Als die anderen heimkamen, hat er sich bei ihr entschuldigt und sie sind in ihrem Zimmer verschwunden. Jackie findet, dass die beiden in letzter Zeit oft gestritten haben. Hoffen wir, dass sie sich jetzt mal richtig ausgesprochen und wieder versöhnt haben.

Michi ist verschwunden; um seinen Sonnenbrand einzucremen, hat er gesagt, aber vermutlich fühlt er sich verloren ohne Ben – er weicht kaum von seiner Seite. Christoph hat sich zu uns Mädels gesetzt und die Chance genutzt, Jackie mal wieder heftig anzugraben. Sonst ist er so ein diplomatischer Typ, aber er versteht einfach nicht, dass er bei ihr weiter kommen würde, wenn er ihr nicht so auf die Pelle rücken würde. Natürlich hat sie ihn wieder abblitzen lassen, daraufhin ist er dann auch reingegangen. Jackie, Viola und ich haben uns noch lange unterhalten. Viola macht sich echt Sorgen, weil sie als einzige noch keinen Job hat und nicht weiß, wie es nach dem Urlaub weitergehen soll. Sie hat sogar einen Haufen Bewerbungsmappen mitgenommen, um von hier aus welche losschicken zu können, wenn sie auf ein interessantes Inserat stößt. Jackie und ich haben ihr versprochen, dass wir mit ihr die deutschen Zeitungen durchsehen. Viola hat vielleicht nicht die besten Noten, aber ich glaube, jeder Arbeitgeber könnte sich glücklich schätzen, jemanden im Team zu haben, der so engagiert, zuverlässig und nett ist wie sie.

Ich kann mir wirklich nicht vorstellen, wie es nach dem Sommer sein wird ohne die Mädels. Schon als wir aus der WG ausgezogen sind und jeder seine Sachen abtransportiert hat, kam es mir surreal vor, aber da hat der bevorstehende Urlaub alle sentimentalen Gefühle im Keim erstickt. Doch jetzt spüre ich, dass der Moment der Trennung immer näher rückt, und ich frage mich, wie es sein wird, wenn wir alle quer über Deutschland verteilt sind und nicht mehr nur einfach über den Flur gehen müssen, um eine der anderen zu sehen. Sie werden mir so fehlen!!! Wir sollten uns die verbleibende gemeinsame Zeit wirklich nicht mit blöden Streitereien verderben, sondern die nächsten Wochen hier im Paradies genießen. Die grausame Realität wird uns früh genug einholen ...

Rebecca klappte das Tagebuch zu. Die Realität hatte sie damals viel schneller und viel grausamer eingeholt, als sie...

Erscheint lt. Verlag 6.1.2022
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror
ISBN-10 3-7557-8928-0 / 3755789280
ISBN-13 978-3-7557-8928-4 / 9783755789284
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