Als uns die Welt zu Füßen lag (eBook)

(Autor)

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2022 | 1. Auflage
336 Seiten
Harpercollins (Verlag)
978-3-7499-5111-6 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Als uns die Welt zu Füßen lag - Ilona Einwohlt
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Norddeutschland, 1931. Hals über Kopf flüchtet Vicky vom elterlichen Rosenhof Willenbrock, um der Fremdbestimmung durch ihren Vater zu entgehen. Sie sucht ihr Glück in der Großstadt und freundet sich mit der gleichaltrigen Luise an, die mit ihrem Bruder zusammenlebt und ihr für die ersten Tage Unterschlupf gewährt. Arbeit findet Vicky im illustren Modesalon, nachts erkundet sie die Stadt und verliert ihr Herz an den Swing - und den Musiker Johnny.
Doch das Leben in der Stadt zeigt sich nicht nur von seiner goldenen Seite. Bald steht Vicky nicht nur zwischen zwei Männern, sondern muss sich auch zwischen dem Leben in der Stadt und ihrer alten Heimat entscheiden, denn ihre Schwester braucht auf dem Rosenhof dringend ihre Hilfe ...



Ilona Einwohlt wollte eigentlich Ernährungswissenschaftlerin werden, hat sich dann aber nach der Lektüre von Simone de Beauvoir doch lieber für ein Literaturstudium entschieden. Längst ist sie erfolgreiche Autorin zahlreicher (Kinder- und Jugend-)Bücher. Sie interessiert sich für Themen mitten aus dem Leben, insbesondere dem von Mädchen und Frauen, und findet es immer wieder spannend, wie historische Ereignisse mit dem Schicksal von heute verknüpft sind. Ilona Einwohlt wurde 1968 in Pinneberg geboren und lebt mittlerweile mit ihrer Familie in Darmstadt.

HAMBURG,
IM WINTER 2019


Ein Traum von Weiß und Rosarot empfing die Kundinnen und Kunden, wenn sie das Bellefleur betraten. In den spiegelblanken Glasvitrinen präsentierten sich auf Spitzendecken die leckersten Cupcakes, Tartes, Kuchen und auch mal eine mehrstöckige Torte. Von der Decke hing ein funkelnder Lüster, die Wände waren weinrot tapeziert, über allem hing ein Hauch von Schokolade und Karamell in der Luft. Manchmal roch man auch Pistazien und Haselnüsse.

Tildas Cafélädchen war nichts für Pragmatiker und Rationalisten – und schon gar nichts für Menschen, die Kalorien zählten. Veganer wurden hier kaum fündig, genauso wie hartgesottene Fitnessanhänger, die Zucker zum Staatsfeind Nummer eins erklärt hatten. Denn eins war so klar wie ihre Spiegelscheiben: Ohne Zucker und Sahne konnte Tilda nicht sein, die Süße war die Würze in ihrem Leben, und jeder, der jemals eins ihrer Törtchen probiert hatte, wusste: Sie hatte recht. Wer einmal bei Tilda kaufte, kam immer wieder, für Schoko-Minz-Muffins, Crispy-Hazelnut-Törtchen oder Creamy Cheesecake. Spätestens wenn die süße Schmelze den Gaumen kitzelte, die Geschmacksknospen auf der Zunge Genuss, Liebe und Sinnlichkeit verkündeten, war es egal, wie viele sündhafte Kalorien in den Leckereien steckten.

Ihre Backkünste verdankte Tilda einem Aufenthalt als Au-pair in New York, wo sie auf die Kinder einer Food-Influencerin aufpassen sollte. Selbstredend hatten sie gemeinsam gebacken und gekocht, und verbunden mit Tildas Leidenschaft für Naschwerk und Süßes war dann daraus ihr Beruf – ach was: ihre Berufung! – entstanden.

Noch etwas hatte Tilda in die Hände gespielt: Während sie so vor sich hin trudelte, die Eltern früh verloren, ohne Mann, Kinder und festes Einkommen, hatte ihr eine entfernte Tante vor einigen Jahren dieses Haus vermacht. Einen mehrstöckigen Gebäudekomplex, mitten auf dem Kiez, mit Saal und Zwischenbau. Zu früheren Zeiten, in den wilden Zwanzigern, gehörte das Bellefleur zu den schillerndsten Etablissements der Stadt, mit Varieté, Tanzsaal und Modesalon, während des Krieges war hier ein Lazarett untergebracht gewesen, später dann eine Tanzschule. Lange Zeit hatten die prächtigen Räume im Erdgeschoss und ersten Stock danach leer gestanden, die Wohnungen obendrüber teilten sich Hausbesetzer und Obdachlose. Doch das Haus schien nur auf Tildas Tatendrang gewartet zu haben. Kaum hatte sie das Erbe angetreten, ließ sie das Gebäude räumen und renovieren, verkaufte einen Teil des Anwesens. Krempelte selbst die Ärmel hoch und verwandelte die alte Villa in unzähligen Stunden Arbeit in ein Kleinod ganz nach ihrem Geschmack, renovierte und restaurierte mit Stuck, Original-Farben und – Materialien. Nun bewohnte sie die Räume über dem Café mit angrenzender Backstube, hielt sich dort aber nur selten auf und wenn überhaupt in ihrem Bett, in das sie nach einem erfüllten Tag erschöpft hineinfiel und auf der Stelle einschlief.

Längst hatte es sich herumgesprochen, dass hier in Hamburg eine exzellente Zuckerbäckerin am Werk war. Tilda konnte sich vor Aufträgen kaum retten. Was ihre Konkurrenz mit Neid erfüllte, betrachteten ihre Freundinnen mit Sorge. Denn die viele Arbeit machte Tilda in ihren Augen zu einer Einzelgängerin, die sich außer für die Zutaten ihrer köstlichen Backwerke nur für ihre Bilanzen interessierte. Wenn sich Hannah, Anni und Mone zum Tanzen mit den Disco Boys oder im Gym zum Yoga trafen, stand Tilda in ihrem Laden. Sortierte Preisschilder, erstellte mit ihren beiden Angestellten den Wochenplan oder putzte Vitrinen, Regale und Maschinen. Wenn Hannah von ihren Dates mit Dimetrios, Karsten oder Sergio träumte, Anni Stress mit ihrem Ex hatte und Mone von den Trotzanfällen ihrer Tochter berichtete, schwärmte Tilda von erlesenen Zutaten wie Vanille, Rosenzucker und Pistazien, wählte zwischen Schokoladen mit 75 %, 80 % oder 85 % Kakaoanteil und kaufte auf dem Markt Früchte der Saison. Und wenn sich Hannah, Anni und Mone zum Sonntagsbrunch verabredeten, widmete sie sich mit Hingabe dem Studium neuer Rezepte, probierte und studierte die Zusammensetzung ihrer Törtchen und Füllungen, bis sie abends todmüde, aber überglücklich die richtige Komposition der Zutaten ausgetüftelt hatte und das Wochenende vorbei war.

Hannah, Anni und Mone waren sich nicht ganz einig darüber, ob sie neidisch auf Tilda sein sollten oder nicht. Hannah war Tildas älteste Freundin und hatte sämtliche Phasen der Geschäftsentwicklung hautnah miterlebt. Wie es sich gehörte, hatte sie ihr beim Streichen und Renovieren geholfen, sie bei der Wahl der Farben und Ausstattung beraten. Sie war es auch, die in den Tiefen des Kellers das alte Ladenschild aufgetrieben und das Café »Bellefleur« getauft hatte.

Doch seit ihrem dreißigsten Geburtstag vor einigen Wochen schien Hannah ihr Leben plötzlich angezählt zu fühlen, als hätte diese Zahl eine magische Bedeutung; auf einmal war sie der Meinung, sie brauchte nun endlich einen Mann, den sie heiraten und mit dem sie eine Familie gründen könnte. Um ihrem Glück ein Stück näher zu kommen, suchte sie auf verschiedenen Internetplattformen nach Mr. Right und hatte schon den einen oder anderen vermeintlichen Treffer gelandet. Jedes Mal aufregend, jedes Mal nicht von Dauer. An ihrer Suche nach einem passenden Partner wollte sie wohl auch ihre beste Freundin teilhaben lassen, ermunterte sie ebenfalls, sich umzuschauen. Schließlich ging auch Tilda auf die dreißig zu und hatte bisher keine Beziehung mit einem Mann gehabt, die man als »fest« bezeichnen konnte. In Hannahs Augen wurde es also höchste Zeit.

»Mir fehlt nichts«, wehrte Tilda dann jedes Mal lachend ab. »Ich habe doch noch nicht einmal Zeit, mich um den Garten zu kümmern! Siehst du die vermooste Terrasse und diesen alten Rosenstock inmitten des Unkrauts im Garten? Sie grüßen mich jeden Tag mit einem schlechten Gewissen, weil ich sie total vernachlässige. Was glaubst du, wie es da einem Mann an meiner Seite erginge?«

Damit war das Thema für sie erledigt. Doch Hannah war nicht die Einzige, die sich Sorgen um Tilda machte. Anni, selbst erfolgreich in ihrem Job als Marketingexpertin, war der Meinung, dass Tilda mit ihren Törtchen expandieren und einen Versandhandel aufmachen sollte. Mehr als einmal hatte sie ihr ein entsprechendes Konzept vorgelegt, doch Tilda wollte von alldem nichts wissen. Sie war glücklich mit ihrem kleinen Laden, hatte ihr Auskommen und wenig Interesse daran, im Internet Karriere zu machen. Was dabei rauskam, hatte sie damals in New York aus nächster Nähe miterlebt: eine ausgebrannte Starköchin, am Ende ohne Ruhm und Anerkennung. Vergessen von der Netzgemeinde, die sich im Wahn der schnellen Likes und Dislikes einen Ersatz gesucht hatte, der neu, vielversprechend und fancy war.

»Am Ende hab ich auch einen Burn-out wie du, nein danke«, war Tildas Standardantwort, wenn Anni wieder einmal Pläne schmiedete und begeistert davon schwärmte, wie Tildas Petits Fours, Tartes und Cupcakes von Hamburg aus die Welt erobern könnten.

Mone dagegen boykottierte Tildas Törtchen ganz offen und sparte nicht an Kommentaren. Mit bissigen Bemerkungen hetzte sie bei jeder Gelegenheit gegen alles, was ihrer Ansicht nach zu viel Zucker, Fett und Kohlehydrate enthielt. Dabei aß sie für ihr Leben gerne und hatte sich während ihrer Schwangerschaft ihren Gelüsten hemmungslos hingegeben.

Tilda kannte den Grund für Mones widersprüchliches Verhalten: Bei einem gemeinsamen Wellnesswochenende hatte sie sie einmal mit der Zahnbürste in der Hand vorm Klo erwischt. Seitdem beobachtete sie die Gewichtsschwankungen der Freundin mit größter Sorge. Mone wirkte unglücklich, dabei hatte sie doch eigentlich alles: Mit ihrer kleinen Familie lebte sie in einem Reihenhäuschen am Stadtrand, um Geld mussten sie sich keine Sorgen machen. Wenn sie sich trafen, was in jüngster Zeit immer seltener vorkam, erzählte sie stolz von ihrem wunderbaren Mann und der großartigen Tochter. Dann war wiederum Hannah neidisch, die sich nach einem Kind sehnte, und Anni verdrehte die Augen, weil Kinder in ihren Augen nur Zeitverschwendung waren. Tilda hörte unterdessen geduldig zu und stellte insgeheim die Zutatenliste für die Pistazienkrokant-Schnecken mit Vanillemohnmus zusammen.

Sie hätte auch an diesem Nachmittag einfach mit einem Ohr zugehört und nebenbei im Kopf an Rezepten gefeilt, wäre nicht plötzlich immer öfter ihr Name gefallen. Denn so unterschiedlich sie ansonsten waren, in einer Sache waren sich ihre drei Freundinnen einig: Tilda brauchte endlich einen Freund! Angesteckt von Hannahs Partnersuche im Internet hatten sie sich einer Mission verschrieben und mit Begeisterung ein Profil ausgefüllt, auf originellste Weise betextet. Natürlich hatten sie Tilda nicht lange um Erlaubnis gefragt, die die Aktivitäten ihrer Freundinnen augenrollend akzeptiert hatte. Aus Erfahrung wusste sie: Wenn Hannah sich einmal etwas in den Kopf gesetzt hatte, war es so gut wie unmöglich, es ihr wieder auszureden. Und sie fand es süß, dass sich ihre Freundinnen so um sie sorgten.

»Willst du so etwa zu deinem Date?«, fragte Anni und zupfte an Tildas Haaren herum. Sie hingen ihr in losen Strähnen aus dem Zopf, den sie in der Backstube immer trug. Für heute hatte sie bereits Feierabend gemacht. Seit einigen Wochen beschäftigte sie eine neue Mitarbeiterin, die ein außerordentliches Gespür für das Verfeinern des Gebäcks besaß. Renate hatte einen ganzen Koffer voller Gewürze und Aromen aus ihrer Heimat Namibia mitgebracht, und seitdem experimentierten die beiden in jeder freien Minute gemeinsam. Renate war ein echter Glücksgriff, und Tilda konnte sich voll und ganz auf sie...

Erscheint lt. Verlag 25.1.2022
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Historische Romane
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Belletristik • belletristik bücher • belletristik roman • Bücher 20. Jahrhundert • bücher für frauen • bücher historische romane • Bücher romane • Carmen Korn • Deutsche Autoren • Frauenroman • Historische Romane • historische romane bücher • historische romane neuerscheinungen • Historischer Roman • historischer roman buch • Kastanienjahre • Mohnschwestern • Roman • Roman 20. Jahrhundert • Und die Welt war jung • Zwei Handvoll Leben
ISBN-10 3-7499-5111-X / 374995111X
ISBN-13 978-3-7499-5111-6 / 9783749951116
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