Chroniken von Chaos und Ordnung. Band 2: Telos Malakin. Prüfung
Lindwurm Verlag
978-3-948695-85-9 (ISBN)
Hinter dem Namen J.H. Praßl verbirgt sich das österreichische Autorenpaar Judith und Heinz Praßl. Zusammen schreiben sie bereits seit Jahren an dem Fantasy-Epos Chroniken von Chaos und Ordnung. Judith Praßl wurde 1979 in Oberösterreich geboren.Sie ist diplomierte Philosophin, Autorin und Autodidaktin im Bereich bildender Kunst. Neben den Chroniken von Chaos und Ordnung publizierte sie in mehreren Anthologien, arbeitet freiberuflich als Grafikdesignerin, Texterin und im Bereich Kunst und Kultur. Seit 2006 schreibt sie zusammen mit Heinz Praßl an den Chroniken von Chaos und Ordnung.Heinz Praßl wurde am 1970 in Österreich geboren.Er ist diplomierter Umweltsystemwissenschaftler mit Schwerpunkt Physik. Als Mitbegründer eines Mittelaltervereins unterrichtet er mittelalterlichen Schwertkampf und leitet seit mehr als zwanzig Jahren eine Pen&Paper-Rollenspielrunde. Heute arbeitet er im Bereich Erneuerbare Energien sowie als Fachtrainer und Autor der Chroniken von Chaos und Ordnung. Mit den Chroniken von Chaos und Ordnung veröffentlichen J.H. Praßl ein auf acht Bände angelegtes Fantasy-Epos made in Austria:Vor rund 25 Jahren hatte Heinz Praßl die Idee zu einer Geschichte, die zwar in einer High Fantasy-Welt spielt, aber die zentralen Themen des Menschseins ins Zentrum stellt. In den darauffolgenden Jahren entwickelte er den gesamten Plot der Chroniken von Chaos und Ordnung und erweckte diesen im Zuge eines Pen&Paper-Rollenspiels zum Leben. 2001 stieg Judith Praßl in die Rollenspielrunde ein, woraufhin das Autorenduo 2006 mit der gemeinsamen Arbeit an der Umsetzung der Fantasyreihe begann - er als Erfinder und Konstrukteur der Geschichte, sie als Autorin. Heute arbeiten sie intensiv an der Fortschreibung der "Chroniken von Chaos und Ordnung", während in ihrer Grazer Heimat das vor mehr als zehn Jahren begonnene Spiel zur Geschichte in die finale Runde geht. Das Finale selbst kennt nur Heinz Praßl. Es wurde nirgendwo aufgeschrieben, und er hat es seit einem Vierteljahrhundert niemandem erzählt - nicht einmal seiner Co-Autorin.
Aus dem Kapitel „Wiedersehen“: Als die ersten Sonnenstrahlen die noch kühle Morgenluft des Ljosdags, der ersten Trideade im Kranichmond, zögernd anwärmten, trat Thorn aus dem Tor des Nebenhauses in den Innenhof der Festung. An der Burgmauer entlang steuerte er den Hauptturm an, wo eine der beiden Wachen die schwere Holztür aufschob, die ins Turminnere führte. Bis auf die beiden Männer war ihm keine Menschenseele begegnet. Auch, als er die gewundene Treppe in die siebte Etage hochstieg, kam ihm niemand entgegen. „Ich werde erwartet“, bemerkte Thorn auf Aschranisch, als er am Ende der Treppe den beiden Wachen gegenübertrat, die an der Doppelflügeltür zum Besprechungsraum Posten bezogen hatten. „Und ?“, gab der breitere der beiden Wachmänner in dunklem Gambeson und Kettenhemd barsch zurück. Thorn warf einen unsicheren Blick in den Raum dahinter, der leer zu sein schien. „Ist das der Besprechungsraum ?“ Ein knappes Nicken von Seiten der Wachen folgte. „Na dann“, meinte Thorn leichthin und wollte sich zwischen den Männern hindurchschummeln. Sie hoben fast zeitgleich ihre Arme und hielten ihn mit einem harten Stoß gegen die Brust zurück. „Euer Name“, befahl der Breite knapp. Thorns Zähne knirschten kaum merklich : „Thorn Gandir.“ „Kħönnt aintreten.“ Die beiden Männer nahmen ihre Hände herunter und ließen ihn passieren. Erneut stellte Thorn fest, dass sich die Aussprache eines Aschraners deutlich von seinem Akzent unterschied. Egal wie sehr er sich auch abmühte, die Landessprache wie ein Einheimischer zu beherrschen, es würde ihm nie gelingen. Er hatte während der Zeit seiner Ausbildung Aschranisch gelernt und sich mittlerweile daran gewöhnt, die Sprache auch zu benutzen. Hier sprachen alle Aschranisch. Und allmählich erschien ihm die anfangs so befremdliche Sprache fast so vertraut wie seine Muttersprache. Die Tür fiel knarrend hinter ihm ins Schloss. Ratlos musterte Thorn die leeren Stühle, die sich um die längliche, aus massivem Holz gefertigte Tafel reihten. Der halbrunde, karg eingerichtete Raum war menschenleer und still. Thorns weiche Lederstiefel verursachten auf dem steinernen Boden ein kaum hörbares Schlurfen, als er um den Tisch herum zu einem der fünf schmalen Fenster schritt, die auf der anderen Seite der Tafel einen Blick ins Freie gewährten. Die Öffnungen in der Mauer waren verglast, ein Luxus, den er nur von den aufwändigsten Gebäuden Valianors her kannte. Thorn stieß die beiden Läden des ersten Fensters auf und steckte den Kopf ins Freie. Eine kühle Morgenbrise zerzauste seine Haare, als er seine Augen an der Turmmauer nach unten und schließlich über den Innenhof gleiten ließ. Von hier oben erschloss sich ihm die Verteidigungsanlage der Festung kaum besser als vom Burghof aus. Aber der Anblick der Wachposten, die über die Mauern patrouillierten und das Tor sicherten, vereitelten ohnedies jeden Gedanken an Flucht. Flucht … wie oft hatte er in den letzten Monden mit diesem Gedanken jongliert. Flucht, Flucht, Flucht … Als er seinen Kopf hob, bot sich Thorn ein neuer faszinierenderer Anblick. Vor seinen Augen breitete sich der dunkelblaue glitzernde Teppich des Meers der Ruhe aus. Das Bild jenseits der Mauern hinterließ eine Ahnung von der Größe und Erhabenheit Amaleas und Thorn wurde es für einen winzigen Augenblick leichter um seine Seele. Freiheit – das war es, was er zu fühlen glaubte, trotz seiner selbst gewählten Gefangenschaft und der trüben Aussicht auf eine Zukunft, die Ungewissheit und Angst versprach. Ein leises Rauschen kündete von einem sanften Wellengang. Das ferne Krächzen von Möwen, die über den Wellen im Wind tanzten, trieb trotz der massiven Wehranlage dieses unerschütterliche Gefühl von Unendlichkeit über die Mauern an das Fenster heran. Er atmete tief ein und schloss die Augen. Seine Gedanken holten ihn zurück nach Alba. Bedächtig schritt er durch das grüne Meer aus Gräsern, die sanft vor ihm dahinwogten, während seine Hände über die Spitzen der knielangen Grashalme strichen. In der Ferne zeichnete sich der dunkelgrüne Teppich der Wälder ab, die Thorns Zuhause wurden – Albion. Thorn meinte, den Gesang einer Elfe zu hören … Wir stehen an einer Gabelung, Thorn Gandir, und ich werde dir eine neue Richtung weisen. Du wirst dich wehren, wirst dich winden, du wirst zappeln und schreien, doch am Ende wirst du mir dankbar sein. Denn ich habe gerettet, was von dir noch übrig war. Und was ich geschaffen habe, halte ich am Leben. Thorn fluchte leise und schaffte es damit, die Stimme aus seinen Träumen zu verdrängen. Albion … Es gehörte seiner Vergangenheit an. Hier in Billus gab es nichts, das an seine alte Heimat erinnerte. Hier in Billus war alles anders : Das kleine Zimmer, das er sich mit vier anderen teilte, war ärmlich eingerichtet. Nur selten bekam er einen seiner Mitbewohner zu Gesicht. Die Männer, die in der Festung untergebracht waren, kamen und gingen. Allein in den letzten sieben Monden hatte ein permanenter Wechsel seiner Zimmergenossen stattgefunden. Thorn hatte gar nicht erst versucht, mit einem von ihnen ins Gespräch zu kommen oder gar eine Art Freundschaft zu entwickeln. Er hatte sich bedeckt gehalten und seine Studien gemacht. Seit Beginn seiner Dienste für den Alten beobachtete er nun in jedem freien Augenblick die Gepflogenheiten in und um die Festung. Zwischen Körpertraining, Kampfübungen, Sprachstudium und dem Perfektionieren seiner spezifischen Fähigkeiten versuchte er, die Strukturen innerhalb Al’Jebals Feste auszumachen. Und obwohl er bislang keinen freien Tag gehabt hatte, hatte er einige interessante Tatbestände feststellen können. Beispielsweise wurde dafür gesorgt, in das Gefüge innerhalb der Burgmauern eine gewisse Unruhe zu bringen – eine Strategie, die gewährleistete, dass keine zwischenmenschlichen Bindungen aufkommen konnten. Nicht nur um Thorn scharten sich nur kurzfristig dieselben Leute, er sah auch andere nie längerfristig in derselben Gesellschaft und nur wenige unter ihnen suchten überhaupt Kontakt. Die Übungseinheiten wurden zwar in kleinen Gruppen besucht, aber diese waren so zusammengestellt, dass man die bekannten Gesichter ausschließlich in einer einzigen Disziplin sah und sonst nirgendwo. Nicht einmal beim Essen hatte Thorn je ein bekanntes Gesicht aus einer seiner Schulungen gesehen. Demnach musste es mehrere Speisesäle geben. Es waren die unterschiedlichsten Leute unterschiedlichster Herkunft, aber die meisten stammten, ihrer Aussprache nach, aus Aschran. Diejenigen, die Thorn zu Gesicht bekam, waren eindeutig Krieger oder zumindest im Kampf erfahren. Er vermutete, dass einige Schwertkämpfer aus den Küstenstaaten kamen, einer aus Anbar, ein Bogenschütze aus Tego und ein Speerkämpfer aus Chryseia. Es waren auch Frauen unter den Auszubildenden. Nur gab es leider keinen freien Augenblick, um sich ihnen anzunähern oder sie besser kennen zu lernen. Jeder in der Festung schien sich selbst der Nächste zu sein. Es gab auch keine Möglichkeit, die Festung ohne abgestellte Begleitung zu verlassen, einer der irritierendsten Aspekte seines neuen Zuhauses. Er sah keine Gelegenheit, sich abzusetzen. Selbst innerhalb dieser Mauern hatte er stets das unangenehme Gefühl, beobachtet zu werden. Bislang hatte er unmöglich feststellen können, wieviele Leute überhaupt in Al’Jebals Diensten standen. Ein paar wenige, viele ? Er hatte keine Ahnung. Thorn fühlte sich plötzlich beklommen, als würde ihm die Luft wegbleiben. Hastig zerrte er das Tuch von seinem Hals und klemmte es in seinen Ledergürtel. Als sein Blick daran hängen blieb, blitzte eine Erinnerung in ihm auf : Es war kurz vor ihrer Gefangennahme gewesen. Sie hatte sich im Kampf gegen einen Ork eine Verletzung am Hals zugezogen. Anstatt sich aus dem Kampf zurückzuziehen, hatte sie Thorn um sein Tuch gebeten und sich die Wunde so fest abgebunden, dass sie die Blutung zwar eindämmen konnte, sich dabei aber fast die Luftzufuhr abschnitt. Danach hatte sie ungerührt weitergekämpft. Diese Unvernunft, diese Verbissenheit – es waren nur zwei ihrer sonderbaren Eigenschaften. Chara … Die vermeintliche Söldnerin hatte auf Thorn immer den Eindruck gemacht, als würde sie nichts aus der Fassung bringen, nicht einmal die Tatsache, dass sie sterben könnte. Charas Besonderheit war, dass nichts sie zu berühren schien, und es war eben jene Eigenschaft, die Thorn sowohl bewunderte als auch zutiefst verachtete. Erneut trat ihm Charas wahre Identität vor Augen und verursachte ein schmerzendes Stechen in seiner Brust. Seine Befürchtungen hatten sich in ein brutales Faktum verwandelt – Chara war nicht die, die sie zu sein vorgegeben hatte. Chara Viola-Lukullus war nicht nur der erfundene Name einer Person, die kein moralisches Gewissen hatte. Hinter dem Namen verbarg sich ein Mensch von verabscheuungswürdiger Gesinnung – eine Assassinin, eine abgeklärte Auftragsmörderin, eine Frau ohne jede Ehre. Die Fremde aus Chryseia, die sich ihm einst angeschlossen und an seiner Seite gekämpft hatte, war die Lakaiin eines Machthabers von fast ebenso verruchter Seele wie Al’Jebal. Der Mann mit dem widersinnig klingenden Namen Bettlerkönig hatte sich vor etwa vierzig Jahren in der Ruinenstadt Kresopolis in Chryseia aus Obdachlosen eine Art Armee geschaffen, darunter auch ein Assassinen-Orden. Soviel hatte Thorn inzwischen herausgefunden. Der Bettlerkönig war ein Verbündeter Al’Jebals. Das lag zumindest auf der Hand. Die Assassinen waren seine engsten Gefolgsleute, die ebenso enteignet waren wie Chara, deren einziger Lebensinhalt darin bestand, einem Herrschenden Dienerin zu sein, ohne sich darum zu scheren, ob die Motive seiner Herrschaft gerechtfertigt oder seine Ziele erstrebenswert waren. Thorn hatte mit Chara abgeschlossen. Doch die leise, unleugbare Befürchtung, die Meuchelmörderin nie mehr wiederzusehen, strafte seine Gleichgültigkeit Lügen. Meinetwegen hast du erkannt, dass es sich auch im Schatten leben lässt. Meinetwegen weißt du, wie man sich in der Dunkelheit zurechtfindet. Dank meiner Augen erkennst du Licht, wo du nur schwarze Schemen wahrgenommen hast. Dank mir hast du eine Tür gefunden, die dir den Eintritt in ein neues Leben ermöglichte. Ab heute gehen wir gemeinsam und wir haben einen gemeinsamen Feind … Chara, Al’Jebal … Sie hatte ihn verraten. Er war ein Feind der Ordnung. Beide betrachtete er als Feinde. Beide stellten eine Bedrohung für ihn oder jene Ideale dar, für die er stand. Seine Täume hatten ihm einen neuen Weg gewiesen. Er hatte überlebt, weil er eine Alternative gesehen hatte, wo er ursprünglich und nach alter Sichtweise, nach alten Normen nur den Tod hätte wählen können. Er hatte Al’Jebals Angebot angenommen und war damit ein Handlanger des Chaos geworden. Doch dies machte ihn noch nicht zu einem Abtrünnigen. Es war nur die Brücke, die über den Abgrund führte, damit er am anderen Ufer seinen Weg fortsetzen konnte. Es war nur eine Brücke, nur vorübergehend, und dann, ja dann … „Thorn ?“, erklang eine Stimme hinter ihm. Thorn schreckte aus seinem Tagtraum und drehte sich um. Dort im Eingang stand ein Kriegspriester, schmal und mit erschreckend hässlichem Gesicht. Die tiefe Narbe, die sich über sein Nasenbein zog, und die unschönen Pockennarben, die seine Haut entstellten, verliehen ihm eine beängstigende Aura ; ebenso wie die hohlen Wangen, die dunklen Augenhöhlen und die Asymmetrie, die sein Gesicht wie die fehlerhafte Plastik eines untalentierten Bildhauers wirken ließ. Doch die blassgrauen Augen strahlten Vertrauenswürdigkeit aus, ganz so wie die jenes Priesters, den er einst gekannt hatte. Und dennoch, obwohl dieses vertraute Lächeln auf den Lippen des Mannes lag, wirkte er fremd. Telos Malakin hatte sich verändert. Statt der einfachen, weißen Priestertoga trug er eine weiße Toga aus schwerem Wollstoff, die an seiner Hüfte von einem breiten, roten Stoffgürtel gerafft wurde. Der Gürtel war so zusammengeknotet, dass ein Ende im Knoten verschwand, während das andere über Telos’ Schritt an der Robe nach unten fiel und fast bis an seine dunklen Stiefel reichte. In die breite Spitze des Gürtelbandes war ein gut sichtbares schwarzes Symbol gekreuzter Kriegshämmer gestickt. Telos wirkte eindrucksvoll, selbst für jemanden wie Thorn, der ein sehr vertrautes Verhältnis mit ihm gehabt hatte. Der Ausdruck auf seinem Gesicht, seine ganze Körperhaltung wirkten gereift und selbstsicher. Telos machte den Eindruck, als hätte er etwas gefunden, das ihn seinen Zielen ein Stück näher gebracht hatte. „Telos“, murmelte Thorn leise aber voller Dankbarkeit. Zögernd ging er auf den schlanken Mann zu und streckte ihm seine Hand entgegen. „Bei Vana, es tut gut, dich wiederzusehen !“ Der Priester ergriff seine Hand und schüttelte sie beherzt. „Thorn“, erwiderte er die Begrüßung und in seinem Gesicht zeichnete sich der deutliche Ausdruck von Freude ab. Thorn trat zurück, um Telos noch einmal in Augenschein zu nehmen, während Telos seinerseits Thorn musterte. „Agramon sei Dank, dass du lebst ! Ich dachte schon, man hätte dich aufgrund deiner Haltung …“ Telos räusperte sich. „Nun ja, du weißt … Ich fürchtete, man hätte dich hinrichten lassen, trotz deines Schwurs.“ Thorn schüttelte den Kopf. Es fiel ihm kaum auf, dass sie sich auf Aschranisch unterhielten, so sehr hatte er sich bereits an seine neue Umgebung gewöhnt. „Al’Jebal scheint mir mehr abgewinnen zu können, als mir selbst lieb ist.“ „Ich denke, da tut er gut daran. Gute Bogenschützen sind nicht leicht zu finden.“ „Als wäre das mein einziges Talent“, grinste Thorn. Telos drückte seine Schulter. „So war das nicht gemeint, mein Freund. Dein Eintopf ist auch ganz passabel.“ Er lächelte und nickte Richtung Stühle. „Weißt du, wer sonst noch an dieser Besprechung teilnehmen wird ?“ „ICH !“, dröhnte eine tiefe Stimme aus dem Gang. „Bargh Barrowsøn, lasst mich durch, Jungs. Macht schon !“ Ein unverschämt breitschultriger Mann mit langem rotblonden Haar und in zwei Zöpfen geflochtenem Bart drängte sich an den Wachen vorbei durch die Tür und fiel Telos um den Hals. „Mann, Telos, echt …“ Barghs Stimme brach vor Rührung. Er drückte Telos mit einem seiner breiten Arme an sich, dass es diesem die Luft aus den Lungen presste. Als er sich von dem Priester gelöst hatte, verpasste er Thorn einen kräftigen Schlag auf den Rücken. „Thorn, auch ’n Weilchen nich’ gesehen !“, brüllte er enthusiastisch, während sich Thorn hustend an die Brust fasste. „Ich freue mich auch, Bargh“, presste er hervor. „Wo hat man euch zwei untergebracht ?“ Nachdem Bargh in seiner üblich legeren Art geschildert hatte, dass er wie Thorn in der Festung untergebracht war und sich Thorn darüber wunderte, warum er dennoch nie seine Wege gekreuzt hatte, stapfte Bargh auf den Tisch zu und ließ sich in einen der sieben Stühle fallen. „Na sieh mal einer an“, murmelte er zufrieden, „Tee und Feigenbrot ! Da denkt jemand mit.“ „Ich war in den Unterkünften für Priester in der Tempelanlage der Monochpriesterschaft einquartiert“, erklärte Telos schließlich. Unterdessen griff Bargh nach der dampfenden Kanne und füllte eine der steinernen Schalen mit Tee. Herzhaft biss er in eine Scheibe Brot und wandte sich Thorn und Telos zu, die sich zu ihm an den Tisch gesellten. „Habd ihr schod gefrühstückd ?“, fragte er mit vollem Mund. Thorn schüttelte den Kopf und spürte augenblicklich ein Knurren in seinem Magen. Es war wohl an der Zeit, auf die Signale seines Körpers zu hören. Ständig in Ohnmacht zu fallen, war auf Dauer kein tragbarer Zustand. Während auch er sich ein Feigenbrot griff, hingen seine Augen an Telos, der sich nur an einem Schluck Tee gütlich tat. Sie waren wieder vereint. Zumindest annähernd … „Morgen“, erklang eine heisere Stimme und alle blickten auf. Im Türrahmen stand eine Frau mit schwarzen wirren Haaren, die ihr in widerspenstigen Strähnen bis auf die Schultern hinabfielen. Ihre Augen waren so schwarz wie ihr Haar und der für eine Frau ungewöhnlich muskulöse Körper verbarg sich in einem schwarzen hauchdünnen Leinenhemd und weiten schwarzen Hosen, die in weichen Lederstiefeln steckten. Die bleiche Haut ihres makellosen Gesichts wies wie immer keinerlei Zeichen von Sonneneinwirkung auf, trotz der unsäglichen Hitze, die in diesem Landstrich herrschte. Und der Ausdruck auf ihrem Gesicht zeigte wie gewohnt keinerlei Regung. „Chara“, kam es hohl aus Thorns Mund. Er legte die angebissene Brotscheibe zur Seite und musterte unbehaglich ihre Gestalt. Er hatte nicht damit gerechnet, die Assassinin je wiederzusehen. Nach allem, was er gehört hatte, hielten sich Al’Jebals Spione und Mörder unter ihresgleichen auf oder isolierten sich von jedweder Gesellschaft. Warum war Chara also hier ? „Deine Freude hält sich in Grenzen, Thorn“, stellte Chara fest, während sie auf den Tisch zuschlenderte. Da war er wieder – der Unterton in ihrer Stimme, der ihn maßlos reizte. „Telos …“, bemerkte Chara und setzte sich neben Bargh. Telos nickte Chara zu, wobei auch ihm ein leichtes Unbehagen ins Gesicht geschrieben stand. Bargh war der einzige am Tisch, der sich von Charas Erscheinung nicht aus dem Konzept gebracht fühlte. Breit grinsend tätschelte er ihren Unterarm und musterte sie von Kopf bis Fuß. „Gut siehst du aus !“, bemerkte er offenherzig. „Irgendwie … ich weiß nich’ … düster.“ Seine Augen blieben an ihrem Gesicht hängen. „Aber trotzdem hübsch.“ Charas Mundwinkel kräuselten sich zu einem kaum merklichen Lächeln. Thorns Blick fiel auf die lange Narbe, die sich über ihre Kehle zog. Das Zeichen würde ihr ein Leben lang bleiben. „Seltsam, wie schwer es ist, die Gegenwart einer Verräterin zu tolerieren“, bemerkte er kühl. „Ich hatte nicht erwartet, dass ich deinen Anblick als derart abstoßend empfinden könnte.“ „Thorn !“, wies Telos ihn mahnend zurecht. „Kein Problem, Telos“, lenkte Chara ein. „Es ist nicht verwunderlich, dass jemand wie ich eine unschöne Irritation in Thorns Wahrnehmung darstellt.“ Thorn spürte, wie seine Augen schmal wurden. Er wollte etwas erwidern, doch da vernahm er ein leises Knarzen von Metall auf Leder und spähte zur Tür. Ein Mann in Kettenrüstung und nachtblauem, mit Ledereinsätzen verstärktem Gambeson betrat den Raum und schloss die Tür hinter sich. Es war Agem Ill. Er hatte wie üblich sämtliche Waffen dabei, die ein Mann tragen konnte, ohne dabei weiche Knie zu bekommen. Vermutlich war er bereits für seinen Aufbruch nach Mon Asul gerüstet. Zum ersten Mal fiel Thorn auf, dass die Krieger in Al’Jebals Reihen ein Kennungsmerkmal hatten. Es war unauffällig, längst nicht so präsent, wie er es von den albischen Rittern oder Valianischen Soldaten her kannte. Agem Ill trug es an der linken Schulter und am Kragen seines Gambesons. Es war ein Abzeichen, das einen einzelnen fünfstrahligen Stern in Silber auf dunkelrotem Grund zeigte – Al’Jebals Wappen, dasselbe, das auch auf der Flagge am Turm der Festung prangte. „Seid gegrüßt“, sagte Agem und begab sich mit knirschenden Schritten an die Tafel, wo er hinter dem Stuhl am Kopfende stehen blieb. In seiner Aufmachung wäre sich hinzusetzen wahrscheinlich auch keine Option gewesen. „Ich hoffe, ihr habt euch mit eurer neuen Umgebung und Situation vertraut gemacht … oder abgefunden.“ Eine Weile schwieg er, bevor er hinzufügte : „Es ist Zeit.“ „Zeit wofür ?“, platzte Bargh heraus und schob sich ein neues Stück Feigenbrot in den Mund. „Zeit für euch“, antwortete Agem Ill schlicht. „Es ist an der Zeit, dass ihr euch profiliert. Al’Jebal hat etwas für euch getan, nun werdet ihr etwas für ihn tun.“ Einen Augenblick vergaß Thorn, wen er vor sich hatte und knurrte : „Was, wenn ich fragen darf, hat Al’Jebal für uns getan ? Er hält uns hier auf dieser Burg fest …“ „Al’Jebal ermöglichte euch eine Ausbildung, die sonst nur einer Handvoll Leuten zuteilwird“, unterbrach Agem Ill ihn ruhig. „Ihr habt jeweils von den Besten ihres Faches gelernt.“ Er hob seine gepanzerte Linke von der Rückenlehne des Stuhls und wies auf Telos. „Freon Eisfaust, der oberste Priester des Monoch.“ Telos nickte bestätigend, als er den Namen seines Vorgesetzten vernahm. Auf Bargh deutend, sagte Agem Ill : „Ich selbst war mit Bargh Barrowsøns und Eurer Ausbildung betraut, Gandir, und …“, er blickte Chara direkt in die Augen, doch Thorn meinte zu erkennen, dass Chara durch den Krieger hindurch zur Tür sah, als würde sie jemanden erwarten. „… Assef El’Chan, Meisterassassine und auch als Al’Jebals Linke Hand bekannt.“ Thorn versuchte, das unheimliche Bild des Assassinen mit den gelben Augen aus seinem Kopf zu verbannen. „Ausbildung ?“, presste er hervor. „Haben wir Al’Jebal etwa darum gebeten, ausgebildet zu werden ?“ Er fühlte Telos’ Hand auf seinem Unterarm und schüttelte sie genervt ab. „Alles was Al’Jebal will, ist gefügige Diener aus uns zu machen, Leibeigene, wie Chara eine ist.“ Ihr Name war das Stichwort, das Charas Aufmerksamkeit zurück an den Tisch holte. „Du hast einen Schwur geleistet, Thorn“, erinnerte sie knapp. „Thorn“, ereiferte sich Telos, „lass uns nicht schon zu Beginn Unfrieden verbreiten. Ich bitte dich inständig !“ Bargh nickte zustimmend. „Ja, ich kann das auch nich’ gut finden“, brummte er, während er ein Stück Feige aus seinem Brot pulte. Thorn holte tief Luft, schluckte seinen Ärger hinunter und lehnte sich im Stuhl zurück. „Es gibt eine Sache, die ihr für Al’Jebal erledigen werdet“, setzte Agem Ill, die Unterbrechung ignorierend, neu an. „Im südlichen Meer der Ruhe zwischen Nahualeanaca und Aschran liegt eine Inselgruppe. Man nennt sie Kabugna-Inseln. Sie werden von primitiven Stammesvölkern bewohnt. Vor einem Jahr schickten wir einen Expeditionstrupp dorthin, um einen Stützpunkt zu errichten.“ „Wofür ?“ Thorn konnte sich die Frage nicht verkneifen, doch Agem Ill überging sie einfach. „Die Gruppe, die hierfür abkommandiert wurde, kehrte nicht zurück. Sechs Monde später beauftragte Al’Jebal eine weitere Untersuchung des Gebiets. Auch die Männer dieser Expeditionsgruppe verschwanden irgendwo in jenen Gewässern und wurden nicht wiedergesehen.“ „Der Stützpunkt, den Al’Jebal will, dient, nehme ich an, dazu, seinen Einfluss bis in die nördlichen Gebiete auszudehnen ?“, brachte sich Telos unerwartet ein. „Schiffe, die er nach Erainn abkommandiert, könnten auf den Kabugna-Inseln aufgerüstet und deren Besatzung mit Proviant versorgt werden. Hat Al’Jebal vor, einen Krieg anzuzetteln ?“ Thorn starrte Telos verblüfft an. Es war nicht zu überhören, dass die Frage des Priesters eine leise Kritik beinhaltete. Zweifelte Telos etwa trotz Agramons Befürwortung an Al’Jebals Rechtschaffenheit ? „Euch und dem Waldläufer ist es gestattet, Eure eigene Einschätzung der Beweggründe Al’Jebals zu treffen.“ Mehr hatte Agem Ill zu Telos’ Einwurf nicht zu sagen. Stattdessen kam er auf den entscheidenden Punkt seines knappen Vortrags zu sprechen : „Ihr werdet in zwei Tagen ein Schiff unserer Flotte besteigen und Aschran Richtung Nord-Westen verlassen. Ihr werdet die nördlichsten Inseln aufsuchen und feststellen, was mit Al’Jebals Expeditionsgruppen geschehen ist. Und ihr werdet deren Auftrag zu Ende bringen.“ Das war’s. Mehr hatte der Mann offenbar nicht zu sagen. Thorn konnte nicht fassen, dass Al’Jebal ihr Schicksal nach der langen Zeit ihrer Ausbildung in diese tödliche Richtung lenkte. Sie sollten blind wie ihre Vorgänger lossegeln, um einen Stützpunkt zu Gunsten seiner Kriegstreiberei zu errichten ? „War’s das ?“, fragte Thorn und versuchte, jede Teilnahme aus seiner Stimme herauszuhalten. „Nein. Eine Kleinigkeit wäre da noch“, antwortete Agem Ill und rief den Wachen vor der Tür zu : „Bringt sie herein !“ Eine spärlich bekleidete Frau wurde durch den Türrahmen geschoben, bevor eine der Wachen die Tür hinter ihr schloss. „Die Orks haben sie am Rand des Gebirges aufgegriffen“, kommentierte Agem Ill das Erscheinen der Fremden. „Da Al’Jebal im Augenblick keine Verwendung für sie hat, sehe ich mich dazu veranlasst, ihm etwaige Scherereien zu ersparen. Es sei denn, ihr habt einen besseren Vorschlag.“ Thorn bot seine ganze Willensstärke auf, um den Kommentar zu schlucken, der ihm auf der Zunge lag. Da keiner etwas sagte, bemerkte Agem Ill : „Nun gut …“ „Wir werden sie mitnehmen !“, ging Telos dazwischen, bevor der Krieger sein vernichtendes Urteil fällen konnte. „Sie kann uns auf die Inseln begleiten.“ Thorns Blick fiel auf die Frau, die schwer atmend dastand und sich nicht von der Stelle rührte. Ihre Augen waren voller Hass. Mit Abscheu musterte sie Agem Ill, der deplatzierterweise lächelte. Die Fremde hatte kurzes rotes Haar. Sie war etwas kleiner als Chara und ganz hübsch. Ihre Aufmachung, die roten Tücher, die sie um ihre Hüften und ihre Brust drappiert hatte und die Katzen-Tätowierung auf ihrer Stirn legten die Vermutung nahe, dass sie aus Ahan stammte. Ein goldenes Diadem mit dem Anhänger einer stilisierten Kralle zierte ihre Stirn. Noch während Thorn die Fremde in Augenschein nahm, spürte er, wie sich ein heftiger Druck auf seinen Brustkorb legte und wie seine Knie weich wurden. Einen Moment lang hatte er das Gefühl, als hätte sich die Luft im Raum zusammengeballt, sodass er kaum atmen konnte. Benommen blickte er sich um, durchforstete das Zimmer mit den Blicken, bis er den Winkel rechts neben dem Eingang streifte. Thorn sog abrupt die Luft ein. Er hatte den samtigen Stoff einer tiefroten Robe gewahrt. Bei den Göttern, er ist hier ! Wie konnte das sein ? Wie war er unbemerkt hierhergekommen ? Oder war er etwa die ganze Zeit über im Raum gewesen ? Thorn spürte, wie sich sein Herzschlag beschleunigte. Al’Jebal musste gar nichts dafür tun. Es reichte, dass er hier war. Es schien, als hätte der Raum die anderen verschluckt, als wäre er, Thorn, der einzige noch Verbliebene an der Tafel. Er war hier ! Dieses Wissen verdrängte entschieden die vage Beklommenheit, die er die ganze Zeit über gefühlt hatte. Während der letzten Monde war die Angst vor genau dieser Begegnung eine treue Begleiterin gewesen. Umso unbarmherziger war die Erkenntnis, dass der Alte vom Berg kein Albtraum aus Thorns Vergangenheit war, sondern der reale Widersacher, dem er auch zukünftig gegenüber stehen würde. Jetzt sah sich Thorn erneut den Blicken dieses Widersachers ausgeliefert, so wie damals im Innenhof der Festung. […]
Erscheinungsdatum | 29.12.2021 |
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Reihe/Serie | Chroniken von Chaos und Ordnung ; 2 |
Verlagsort | Hamburg |
Sprache | deutsch |
Maße | 138 x 210 mm |
Themenwelt | Literatur ► Fantasy / Science Fiction ► Fantasy |
Schlagworte | Assassine • Augenblick • Belletristik • Bestseller • Botschaft • daemon • Dämonen • Das Schwarze Auge • Drache • Einsamer Wolf • Elfe • Entscheidung • epische Fantasy • Fantasy-Epos • Final Fantasy • Freundschaft • Gedankenexperiment • George R.R. Martin • Geschenk • Geschichte • Gesicht • Held • Imperium • Jugendbuch • Kampf • Kommando • Krieg • Kriegerin • Licht • Liebesroman • Macht • Magie • Mantikore • Meister • Mensch • Mission • Mommandant • Orks • Pen and Paper • Phantastik • Priester • Priesterin • Rollenspiel • Schatten • Schicksal • Schiff • Schiffe • Waldläufer • Wolfgang Hohlbein |
ISBN-10 | 3-948695-85-7 / 3948695857 |
ISBN-13 | 978-3-948695-85-9 / 9783948695859 |
Zustand | Neuware |
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