Melancholisch schöne Welt -  Maya Terler

Melancholisch schöne Welt (eBook)

(Autor)

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2021 | 1. Auflage
276 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7557-0244-3 (ISBN)
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Rosemarys Vater ist aus ihrem Leben verschwunden und jetzt ist sie alleine. Doch was bedeutet es alleine zu sein? Um sie herum lebt jeder sein Leben wie gewohnt weiter, doch für sie bleibt alles stehen. Bis zu jenen Tag, an dem sie ein Mädchen trifft, das die Welt wieder zum Drehen bringt. Ein Mädchen, das ihr die Welt erklärt. Ein Mädchen, das sie versteht. Ein Mädchen, das ihr Freundschaft verspricht. Doch was ist real und was von all dem nur Einbildung? Was wäre, wenn dich die Menschen irgendwann vergessen würden? Und was passiert, wenn du irgendwann nicht mehr alleine bist?

Maya Terler ist 2001 in Hartberg geboren und wuchs in Vorau auf. Sie besucht die Ortweinschule im Bereich Grafikdesign in Graz. 2018 hat sie mit dem Schreiben ihres ersten Buches begonnen, wo sie besonders viele Gefühle und Erfahrungen in die Geschichte verarbeitet hat. Auch die Musik war ein großer Einfluss für die Geschichte. Momentan arbeitet sie an ihrem zweiten Roman.

Zwei


Ich lief die Stiegen unseres Hauses in meinen unbequemen Puppenschühchen hinunter und begegnete an der Haustüre Mutter, die schon mit ungeduldiger Miene auf mich wartete.

Als wir nach draußen gingen, warf sie mir einen Blick zu, als hätte ich ihr liebstes Kleid zu heiß gewaschen. Bevor ich ins Auto stieg, warf ich einen kurzen Blick zurück und betrachtete unser Haus, das innen deutlich kleiner wirkte. Meine Eltern hatten es von Großvater geerbt, nachdem er verstorben war. Wir hatten keine einzige Veränderung vorgenommen, weil wir nicht wollten, dass der Zauber, der das alte Gebäude einhüllte, verschwand. Durch die großflächigen Ranken und Efeublätter, die sich nahezu über das gesamte Haus erstreckten, sah es aus wie ein kleines Schloss mitten im Wald. Es war blickdicht umgeben von ungezähmten Bäumen und Sträuchern. Auch wenn die Holzbretter, die einst alles zusammenhielten, schon völlig morsch waren und die Dachziegel einem beinahe auf den Kopf fielen, konnte ich mir keinen schöneren Ort zum Leben vorstellen.

Andere hätten gesagt, es wäre eindeutig renovierungsbedürftig, ein heruntergekommenes Gebäude aus den Zwanzigern eben, aber in meinen Augen war es etwas ganz Anderes. Hier gehörte ich hin. Das war mein Zuhause. Es hatte eine gewisse Magie, dieses Haus, die jedoch nur Vater, Mutter und ich spüren konnten. Es war unsere Magie.

Wir waren Mutter nach zu urteilen spät dran, was für sie unglaublich schlimm war. Wieder kam diese Spannung, die schon seit Wochen über uns lag, auf, und ließ uns beide verstummen. Auch wenn wir jeden einzelnen Sonntag eine halbe Stunde zu früh dort waren und wir auch an jenem Tag mindestens zehn Minuten vor allen anderen dort waren, war sie auf irgendeine Weise sauer auf mich, weil ich schuld war, dass wir nicht rechtzeitig kamen.

Mutter gab mir für vieles die Schuld. Insgeheim glaubte ich, dass sie denkt, dass Vater auch wegen mir nicht mehr da war.

Mutter ging früher nie in die Kirche. Sie fand das alles, gleich wie ich, ziemlich lächerlich.

Menschen zahlen Steuern, beten einen Gott an, der nie existiert hat und nie existieren wird, und reden sich irgendeinen Blödsinn von Sünden, Auferstehung und Engeln ein. Ich fand das alles immer ziemlich pervers, doch für Mutter war es, seit Vater uns verlassen hatte, irrsinnig wichtig geworden, jede Woche dort hinzugehen.

Anfangs fand ich es noch angenehm, der beruhigenden Stimme des Pfarrers zuzuhören, in mich zu kehren und nachzudenken.

Aber jetzt?

Mutter meinte immer, dass die Kirche uns zu guten Menschen machte. Dass wir dort all unsere Sünden begleichen könnten und Gott uns, anders als Vater, beschützen würde. Es war wie eine Art Gehirnwäsche für sie, denn sie war anders, seitdem ihr Mann nicht mehr da war. Sie lachte nicht mehr. Sie weinte nicht mehr. Sie fühlte nicht mehr. Sie lebte nicht mehr. Zu ihren alten Freunden, die sie mindestens dreimal pro Woche getroffen hatte, brach sie den Kontakt ab und wenig später fing sie an, als Kellnerin in einem alten Pub zu arbeiten, um uns über Wasser zu halten. Wie ein Roboter führte sie ihr Leben weiter, ohne auch nur ein einziges Mal zu ihrem alten Ich zurückzukehren.

Während der Autofahrt machte ich das Radio an. What‘s Love Got to Do with It, der Nummer-1-Chartsong, lief gerade und Mutter bat mich, das Radio ein wenig lauter zu drehen. Ihr Blick verriet genug, um dem besser nichts zu entgegnen. Ich war nie ein großer Fan des Liedes und verstand auch den ganzen Trubel darum auch nicht, da mir Lieder von Queen viel eher zusagten. Ihr gefiel der Song aber. Ich wusste, dass Musik Mutter guttat, weswegen ich sie für sie lauter drehte.

Mutter fiel Vaters plötzliches Verschwinden sehr schwer und wo andere sich dem Alkohol oder einem neuen Hobby hingaben, half ihr die Musik. Die alten, teuren Platten, die ganz oben auf dem Regal im Arbeitszimmer standen und auch das Radio, welches rund um die Uhr lief. Es tat ihr gut – es wurde besser.

Mutter versuchte sogar, auf Vaters altem Klavier, das uralt, verstaubt und noch dazu schrecklich verstimmt war, sich selbst das Spielen beizubringen. Auch wenn es im Nachhinein total komisch und banal schien, klangen die paar Töne und Akkorde, die sie zu spielen vermochte, wunderschön und friedlich. Stundenlang saß sie einfach nur vor den Notenblättern, studierte jedes darauf zu findende Zeichen und versuchte langsam, die Töne auf den Tasten zu treffen, was anfangs nicht wirklich gut gelang.

Doch ich liebte es. Es war, als konnte sie die Wirklichkeit mit der Musik ausschalten, als wurde bei jedem Ton, egal wie schief oder verzerrt er auch klang, die Welt ein kleines Stück besser. Als würde sie dadurch Vater zurückholen.

Bei wiederkehrenden Fehlern wurde ihre Laune wieder schlechter und Mutter begann, andere Dinge zu vernachlässigen. Irgendwann kam es dazu, dass es zu ihrer höchsten Priorität wurde. Ich glaube Mutter tat es für Vater. Als könnte er sie hören und bei jedem falschen Ton würde sie ihn enttäuschen.

Nach vielen Wochen intensiven Lernens hörte Mutter auf und setzte sich kein einziges Mal mehr ans Klavier. Ihre ganze Leidenschaft zur Musik, die sie einst so ergriff, war plötzlich verschwunden – wie in Luft aufgelöst. Ich fragte sie nie, sie sprach nie darüber, es war einfach so.

Im Takt tippten ihre langen zarten Fingerspitzen auf das Lenkrad und ihre Lippen bewegten sich zur Melodie. Nach einiger Zeit sah ich endlich das große Kirchengebäude, das erst vor kurzem renoviert worden war. Ich stieg aus unserem alten, rostigen Auto, das meine Eltern vor zig Jahren gekauft hatten, schloss die Tür hinter mir und ging auf das riesige Gebäude zu.

Ich wusste nicht, warum mir der Tag so anders vorkam, aber irgendwas lag in der Luft. Der Gottesdienst war gleich wie immer, der Pfarrer war derselbe, wie all die Wochen zuvor, und auch die Menschen auf den Bänken waren mir nicht fremd. Trotzdem war etwas anders. Irgendetwas fühlte sich anders an, doch was es war, bemerkte ich nicht.

Wie jedes Mal folgte nach dem Kreuzzeichen ein leises Lied, gespielt auf der alten, rostigen Orgel, für deren Restaurierung das Budget offenbar nicht mehr reichte, und ein Gebet, das sich direkt an Gottes Sohn wandte. Obwohl sich meine Lippen im Takt der Wörter bewegten, sprach ich nicht wirklich mit. Das tat ich nie, weil die Worte, die die Kirche uns in den Mund legen will, nichts in dieser Welt verloren haben. Sie geben uns ein Lebensbild vor, nach dem wir uns richten sollen und sagen uns, was wir tun müssen, um frei zu sein. Der Begriff »Freiheit« hat mit kirchlichem Glauben jedoch überhaupt nichts zu tun. Freiheit bedeutet für die Menschen in der Kirche, einer Norm zu entsprechen, das Leben so wie alle zu führen und gute Menschen zu sein. Fehler werden durch Beichten beglichen, um eine reine Seele zu erlangen. Sie trichtern uns ein, uns so zu verhalten, wie Gott es von uns will.

Manchmal fragte ich mich, ob ich die einzige war, die das kranke System dahinter erkannte, die an dieser brüchigen Oberfläche zweifelte und die sich weigerte, so zu leben, wie es jemand anderes wollte. Die Menschen um mich herum glichen einer Horde gefühlloser Roboter, die alles taten, was von ihnen verlangt wurde, weil sie glaubten, ein perfektes Leben, so wie es uns die Kirche vorgab, wäre richtig. Aber nein.

Menschen haben nun mal eine Vergangenheit, dürfen auch Fehler machen oder sich falsch verhalten, das gehört nun mal zum Leben dazu.

Doch sie verstanden es nicht und würden es auch nie verstehen. Aus dem Grund hatte ich aufgegeben mich zu wehren, etwas verändern zu wollen, zu kämpfen.

Jeden Sonntag begleitete ich Mutter hierher und verschwendete drei Stunden, um mir Dinge anzuhören, an die ich nicht glaubte, die mir eigentlich egal waren. Ich wehrte mich nicht.

Also trat ich ins prachtvolle Kirchengebäude ein und ließ mich in einer Reihe weiter hinten nieder. Ich verstand schon früher nie, warum die Menschen, die als Erstes in die Kirche kamen, sich keinen Platz vorne aussuchten, sondern sich in den letzten Reihen niederließen.

Bei Konzerten, Vorträgen, Schulveranstaltungen und Aufführungen ist es doch auch nicht so, dass sich die Menschen um die letzte Reihe ringen. Eher streitet man sich, wer am weitesten vorne sitzen darf, um den besten Blick auf die Bühne zu haben.

Es war wie eine verkehrte Welt hier. Die Kirche war und blieb ein komischer Ort, weswegen ich auch immer ein komisches Gefühl hatte, wenn ich das Gebäude betrat.

Es dauerte noch fünf, vielleicht zehn Minuten, bis der Raum sich gefüllt hatte und sich alle zu einem gemeinsamen Anfangsgebet erhoben. Da ich mich in der Kirche befand, musste ich der Masse Folge leisten und erhob mich. Das Lied glaubte ich zu kennen, konnte aber nicht mitsingen. Da sich stilles Dastehen aber nicht gehörte und es mir zu umständlich war, das uralte Liederbuch aufzuschlagen, bewegte ich einfach meine Lippen zum Rhythmus und ließ die Qual über mich ergehen.

Ich fand es bescheiden, in einem beschissenen Rüschenkleid in der Kirche hocken zu müssen, mit lauter uralten Menschen um mich herum. Na ja, lieber als Schule war es mir...

Erscheint lt. Verlag 30.11.2021
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur
ISBN-10 3-7557-0244-4 / 3755702444
ISBN-13 978-3-7557-0244-3 / 9783755702443
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