Die Millionen-Party (eBook)
308 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7543-7610-2 (ISBN)
Markus Heine, geboren 1977, hat noch keine Millionen im Lotto gewonnen. Falls es dem langjährigen Redakteur irgendwann vergönnt sein sollte, würde er seine Ehefrau einweihen. Vermutlich. Mehr Infos über den Autor auf www.markus-heine.com
Sonntag, 8:00 Uhr
Meine erste Nacht als potenzieller Millionär verlief unruhig, aber fantasievoll. Was mache ich nur mit dem Gewinn? Ein neues Auto? BMW statt Golf? Malediven statt Malle? Oder gleich eine eigene Karibikinsel? Haus statt Wohnung? Warum nicht gleich ein Schloss oder eine Burg? Raus aus dem Alltag, hinein ins Millionärsleben!
»Gut geschlafen, mein Schatz?« Ich bin so tief in meiner Gedankenwelt versunken, dass ich bei Kathrins Worten erschreckt zusammenzucke.
»Wie ein Baby«, lüge ich.
»Holst du Brötchen?«
»Warum ich?«
»Das machst du doch jeden Sonntag. Oder lässt der feine Herr die Brötchen mittlerweile liefern?«
»Wie, der feine Herr?« Hat Kathrin doch etwas gemerkt? Lassen sich Millionäre die Brötchen nach Hause liefern?
Kathrin zwickt mich in die Seite. »Nun mach‘ schon, für mich zwei Croissants und ein Mohnbrötchen.«
Etwas verschlafen, aber bester Laune trotte ich zum Bäcker. Als ich mich ganz hinten in die zehn Meter lange Schlange aus männlichen Brötchenkurieren einreihe, beschließe ich, mir die Brötchen zukünftig nur noch liefern zu lassen.
»Tach auch!«, begrüßt mich die tiefe Frauenstimme von Frau Neumann nach einer gefühlten Ewigkeit. »Was darf‘s sein, junger Mann?«
»Zwei Croissants, zwei Mohn und zwei Normale.«
»Wie immer also.«
Ja, wie immer. Natürlich wie immer. Schon als Knirps bin ich mit meiner Mutter bei Frau Neumann einkaufen gegangen. Damals gab es für mich immer ein Milchbrötchen auf die Hand, heute zwei Croissants, zwei Mohn und zwei Normale. In diesem Moment wird mir bewusst, dass ich seit Jahren an jedem Sonntag für Kathrin und mich diese Brötchen kaufe. Ziemlich eingefahren, aber wenn‘s schmeckt?
»Macht 3,95 Euro - oder kommt noch etwas hinzu, junger Mann?«
»Nein, das wär’s.« Ich muss schmunzeln. Seit über 20 Jahren bin ich Frau Neumanns junger Mann und werde es vermutlich auch ewig bleiben. Ich wühle in meinem Portemonnaie, habe die 3,95 Euro aber nicht klein. Ich zücke stattdessen einen 20er.
»Geben Sie mir 15 Euro zurück, Frau Neumann.«
»Wat? Hat der junge Mann etwa im Lotto gewonnen?«
Irritiert blicke ich mich um. Woher weiß Frau Neumann von meinem Lottogewinn? Trage ich einen Stempel Lottogewinner auf der Stirn?
»Hier, 15 zurück. Bitte schön.« Frau Neumann lehnt sich ein Stückchen über die Theke. »Das ist echt nett von dir, Marco. Ich habe es ja nicht so dicke.« Und kneift mir zum Abschied in die Wange. »Grüße an die Mutter und einen schönen Sonntag noch. Der Nächste, bitte.«
Ich schlendere zurück zu unserer Wohnung. Seit drei Jahren wohnen Kathrin und ich in der Dreizimmerwohnung in der Olga-Straße, schön zentral in der Dortmunder City gelegen. Zwar nichts Besonderes, aber unser kleines Reich. Die Wohnung ist 80 Quadratmeter groß, liegt im dritten Stock und könnte in einem IKEA-Katalog abgebildet werden. Wir haben keinen ausgefallenen Geschmack, ich noch weniger als Kathrin, aber es ist gemütlich bei uns. Bei uns wird gelebt und nicht ausgestellt, sagt Kathrin immer. Am meisten mögen wir unseren kleinen Süd-Balkon. Oft mummeln wir uns dort in dicke Wolldecken ein, genießen die Nacht und warten auf das Morgengrauen.
Ich habe Kathrin in einem Café kennengelernt, in dem sie während ihres Studiums als Kellnerin arbeitete. Kathrin war die erste Freundin, die ich mir selbst ausgesucht habe. Eine gute Wahl, da muss ich mich selbst loben. Sich selbst eine Freundin auszusuchen, das hat schon etwas. Vor Kathrin war ich es eher gewohnt, von der Damenwelt entdeckt zu werden. Schüchtern bin ich nicht, kein Mann dieser Welt ist schüchtern. Nennen wir es wohl überlegt. Der letzte Schritt war nicht meiner, das stimmt. Aber schüchtern? Niemals!
Leise schließe ich die Wohnungstür. Während Kathrin sich im Bad aufhübscht, decke ich den Frühstückstisch, gieße Ostfriesentee auf und koche Eier - zwei harte für Kathrin, zwei weiche für mich. Ich lege das Eier-Quartett ins blubbernde Wasser, und sofort klammern sich kleine Wasserperlen an die braunen Schalen. Leider ist es mir auch als Millionär nicht vergönnt, dass alle vier Eier das Kochen unbeschadet überstehen. Schnell platzt bei einem die Schale auf, und das Eiweiß quillt heraus. Das nehme ich, wie immer.
»Guten Morgen, mein Schatz.« Kathrin schmiegt sich an mich und küsst mich zärtlich auf die Wange. »Ist dir wieder ein Ei zerplatzt?«
Ich fische das kaputte Ei aus dem Topf. »Weißt du eigentlich, dass ich jetzt schon seit drei Jahren jeden Sonntag für dich das Frühstück mache?«
»Für dich doch auch, oder nicht?«, antwortet Kathrin. Immer diese Feinheiten.
»Ist dir schon einmal aufgefallen, dass wir jeden Sonntag zwei Croissants, zwei Mohnbrötchen und zwei Normale essen? Und zwei weiche und zwei harte Eier.«
»Meistens zwei heile und zwei kaputte.« Kathrin grinst mich frech an und schiebt sich ihre blonden Locken hinters Ohr. »Und sicherlich freust du dich schon auf dein geliebtes Nutella-Croissant, oder?«
Ich fühle mich wie ein offenes Buch. »Die Psychologin in dir ist wohl so früh schon in Topform. Willst du nicht noch Tieferes in die zerplatzten Eier hinein interpretieren?«
»An der Zeit wäre es. Also ...«, holt Kathrin aus. »Dass du immer die gleichen Brötchen bestellst, gibt dir Sicherheit. Sieh‘ es am besten als eine Konstante in deinem Leben, die dir den Alltag vereinfacht, da du in diesem Bereich keine Entscheidungen mehr treffen musst. Außerdem ist mir natürlich nicht entgangen, dass du seit drei Jahren nicht nur unser Frühstück machst - ohne darüber zu klagen -, sondern mir auch stets die heilen Eier gibst und selbst die zerplatzten nimmst. Es ist jetzt wirklich mal an der Zeit, dass ich mich dafür bedanke.«
Seitdem ich Kathrin kenne, foppe ich sie mit ihrem Beruf. Schließlich weiß doch jeder, dass alle Psychologen einen kleinen Dachschaden haben und sich vor allem selbst therapieren möchten und müssen, ansonsten hätten sie ja nicht Psychologie studiert.
Ich tippe Kathrin mit dem Zeigefinger auf die Nase. »Befürchtest du nicht, meine Liebe, dass ich dir die unbeschädigten Eier nur deshalb überlasse, damit deine heile Welt nicht zusammenbricht?«
Kathrin schaut mich mit großen Dackelaugen an. »Glaubst du etwa, dass meine Seele so brüchig wie eine Eierschale ist?«
»Wenn du dich deinen Problemen endlich stellst, werden wir das in den Griff bekommen«, witzele ich mit erhobenem Zeigefinger. »Lass dich einfach fallen. Vertrau‘ mir.«
Kathrin lacht laut auf und kneift mir in die Seite. »Du bist echt ein Spinner!« Dann drückt sie mir einen dicken Kuss auf die Lippen, dass mir fast die Luft wegbleibt. »Vielleicht sollte ich dir einen Eierkocher schenken, damit du psychoanalytisch nicht mehr so gefordert wirst.«
Eine halbe Stunde später. Während Kathrin in der Sonntagszeitung blättert, lese ich auf einer Nachrichtenseite im Internet, dass der Lotto-Jackpot an diesem Wochenende nach Dortmund in Nordrhein-Westfalen und nach Niederlauer in Bayern geht. Wohin? Niederlauer? Noch nie gehört. Wie dem auch sei, das würde bedeuten, dass ich mir die 14 Millionen Euro nur mit einem weiteren Gewinner teilen müsste. Ungläubig stiere ich aus dem Fenster. Das wären sieben Millionen für jeden, sieben Millionen! Das kann und will ich nicht glauben.
»Schmeckt dir das Croissant heute nicht?«, fragt Kathrin über ihre Zeitung hinweg und holt mich von jetzt auf gleich aus meinen Millionärsgedanken an den Frühstückstisch zurück.
Schnell schiebe ich mir das Croissant in den Mund, Nutella bleibt in den Mundwinkeln kleben. »Doch, doch. Schmeckt super.« Ich verschlucke mich fast an dem Riesenstück.
»Bleibt es dabei, dass du heute Nachmittag zum Fußball gehst, du Nutella-Schnute?«, fragt Kathrin und reicht mir eine Serviette. Das hätte ich fast vergessen. Heute spielt ja mein BVB gegen Augsburg.
»Klar, ich muss gleich mal Klaus anrufen, wann wir uns treffen. Um 18.30 Uhr ist Anstoß. Dann ziehen wir wahrscheinlich so gegen 15 Uhr los.«
»Denk‘ aber dran, dass du morgen arbeiten musst«, ermahnt sie mich. Aha, der Mutterinstinkt, nicht nur der der Psychologin.
»Keine Sorge, wir trinken nur einige Patrönchen. Ist ja Sonntag.«
»Keine Püppchen?«
Ich muss schmunzeln. »Na ja, ob Püppchen oder Patrönchen - Hauptsache kühl und blond.« Dass wir uns heute jedoch nur zwei oder drei Bierchen gönnen, darf durchaus bezweifelt werden. Schließlich habe ich meine Millionen zu feiern. Und Klaus spuckt auch nicht ins Glas, ob es nun Samstag oder Sonntag...
Erscheint lt. Verlag | 5.10.2021 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Comic / Humor / Manga |
ISBN-10 | 3-7543-7610-1 / 3754376101 |
ISBN-13 | 978-3-7543-7610-2 / 9783754376102 |
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