Queer*Welten 02-2020 (eBook)

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2020 | 1. Auflage
54 Seiten
Ach je Verlag
978-3-95869-478-1 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Queer*Welten 02-2020 -  James Mendez Hodes,  A?k?n-Hayat Do?an,  Rafaela Creydt,  Elena L. Knödler,  Jack Sleepwalker,  Sarah Bur
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Queer*Welten ist ein halbjährlich erscheinendes queerfeministisches Science-Fiction- und Fantasy-Magazin, das sich zum Ziel gesetzt hat, Kurzgeschichten, Gedichte, Illustrationen und Essaybeiträge zu veröffentlichen, die marginalisierte Erfahrungen und die Geschichten Marginalisierter in einem phantastischen Rahmen sichtbar machen. Außerdem beinhaltet es einen Queertalsbericht mit Rezensionen, Lesetipps, Veranstaltungshinweisen und mehr. In dieser Ausgabe: Held*innengeschichte von Askin-Hayat Do?an (Kurzgeschichte) Was der Krieg frisst von Rafaela Creydt (Kurzgeschichte) Sagittarius A* von Elena L. Knödler (Kurzgeschichte) Von Orks, Briten und dem Mythos der Kriegerrassen (Teil 2) von James Mendez Hodes (Essay) Ein Comic von Sarah Burrini

Sagittarius A*


von Elena L. Knödler

Inhaltshinweise

Implantate, künstliche Sinnesorgane, Hoffnungslosigkeit, aussterbende Menschheit

Der Schlund des Drachen war mein bevorzugter Ausblick, wenn ich mich morgens mit der ersten von vielen Tassen Guarantee an die Arbeit setzte: Ein verzerrter Ring von Licht und Materie umgab das gierige Maul, dessen Innerstes schwärzer als das Universum war. Und das musste etwas heißen, schließlich war das Universum in diesem letzten Zeitalter verdammt dunkel.

Trotzdem war es schön anzusehen, schöner als der Blick auf den sterbenden Weißen Zwerg, der uns mit letzter Mühe Leben spendete. Ich stand immer etwas früher auf, damit ich eines der Büros mit diesem Ausblick ergatterte, und ließ das Fenster das Schwarze Loch vergrößern, damit es nicht nur ein faustgroßer Fleck in der Finsternis war.

Heute war der letzte Tag vor meiner Beförderung. Mein Blick wanderte seit Minuten hin und her, Drache, Lektüre, Drache, Lektüre. Ich konnte mich einfach nicht konzentrieren, und die Routine, der ich mich sonst dankbar hingab, half nicht. Meine Gedanken kreisten um die Kinder, die ich übermorgen durch die Station führen sollte. Einige von ihnen würden die letzten Historiker*innen der Menschheit werden.

Ich schaltete die Printstation aus und zog das Kabel aus meinem Nacken.

„Lehrgang noch nicht abgeschlossen“, ertönte eine wohlbekannte Stimme. „Beschränken Sie Ihre Pause auf unter zehn Minuten, um Wissenszerfall vorzubeugen. Soll eine Warnzeit eingestellt werden?“

„Zwei Minuten vor Ablauf, auf mein I.F., bitte.“

„Vorwarnzeit ist eingestellt.“

Ich bedankte mich – auch wenn die K.I.s auf dieser Station keine Empfindungen hatten, bevorzugte ich, höflich zu sein – und führte die schleimige Sonde in den Desinfektionstank, bevor ich mein Büro verließ.

Zu diesem Intervall waren die Flure so ausgestorben wie unsere Galaxie. Meine Schritte hallten von den inoffensiv minzgrünen Wänden wider, bis ich vor den großen Fenstern mit Blick auf die Shuttleschleusen und den Weißen Zwerg stehen blieb. Er war nicht sehr hell. Die anderen Teile des Stationenkomplexes waren zu klein fürs bloße Auge, und Sternenlicht von weiter weg drang nie bis zu diesem Fenster, falls es überhaupt noch in jener Richtung existierte.

Manchmal, wenn ich hier stand und diesen einsamen blauen Gasball betrachtete, fühlte ich mich wie ein gigantisches Wesen. Meistens aber fühlte ich mich winzig und unbedeutend.

„Hey, Lah“, sagte jemensch hinter mir mit gesenkter Stimme, um mich nicht zu erschrecken.

Ich wandte mich um. Die Person vor mir war schmal und sehnig, mit grauer Haut und dunklen Haaren. Aufgrund meiner Gesichtsblindheit prüfte ich mein I.F., das mir die wichtigsten Informationen auf die Retina projizierte. Name: Ka. Position: Leiter*in der Historikabteilung. Pronomina: en/ems. Meine vorgesetzte Person, deren Posten ich morgen erhalten würde.

„Was machst du hier?“, fragte ich en.

Ka lächelte, die Arme locker hinter dem Rücken verschränkt. „Das Gleiche wollte ich dich fragen. Nicht dein gewöhnliches Intervall für Spaziergänge.“

Ich nickte nur.

„Ah, Zukunftsangst. Verstehe.“

„Nein, das ist es nicht. Glaube ich.“

„Du hast keine Sorge vor dem neuen Job?“

„Nein. Darauf hast du mich gut vorbereitet.“

Ems Lächeln wurde breiter. „Es ist zu spät zum Einschleimen. Nach meiner Versetzung morgen habe ich nichts mehr zu sagen.“

Ich seufzte, lehnte mich an das dicke Glas und brach den unangenehmer werdenden Augenkontakt ab. „Wir haben die schönste Zeit verpasst, denkst du nicht?“

„Vergangenheitsangst also“, stellte Ka fest. „Passiert allen Historiker*innen mal. Du fragst dich, warum wir nicht vor ein paar Milliarden Jahren geboren sind.“

„Es geht mir nicht mal um die Blütezeit. Selbst ein Jahrhundert früher wäre mir recht gewesen. Vorzugsweise natürlich die Norma-Cygnus-Epoche.“

„Damit du den originalen Guarantee probieren kannst.“

„Und nur dafür. Aber, Ka, die Kinder auf der Führung übermorgen ... sie sind die letzte Generation.“

„Wenn kein Wunder geschieht.“

Ich musste lachen. „In der Hinsicht ist die Geschichte nicht auf unserer Seite.“

„Es hat sich wieder ein Schiff zu uns verirrt, wird morgen ankommen. Vielleicht bringt es ein Wunder mit.“

Ich sah auf. Neuankömmlinge. So etwas kam hin und wieder vor, und es war jedes Mal eine Tragödie. Deswegen war Ka also hier, en musste mich noch briefen.

Stattdessen deutete en an mir vorbei. „Ich kann noch immer die Strahlungsreste der letzten Neutronensternkollision sehen.“

„Ich bin ganz froh, dass mir das Geschenk solcher GenAugmente erspart geblieben ist.“

„Wenn du meine Augen hättest, wäre das Universum nicht ganz so öde. Aber eines kannst du sehen: Unser Zwerg ist so hell wie der Erdmond einst, von der Erde aus gesehen. Ist das nicht schön?“

Das Wort Erde klang immer seltsam in meinen Ohren, als hätte jemand einem Gentank einen Namen gegeben. Nun wandte ich mich doch um und betrachtete den Zwerg. Die Erde war ein durchschnittlicher Planet gewesen, nur ein Krümel auf unserem Zeitstrahl. Manche politischen Strukturen hatten länger existiert als Menschen auf der Erde, und trotzdem vermisste ich letztere manchmal, als sei ich selbst dort geboren.

Nach ein paar Minuten nachdenklicher Stille blinkte mein I.F. vor meinen Augen auf. Die Printstation rief mich zurück.

 

Am nächsten Tag brachte ich Ka zum Shuttle. Dort erhielt ich von em den bescheidenen Anstecker, der mir uneingeschränkten Zugang zu den Unterrichtsräumen und Printkonsolen verschaffte. Zum Abschied öffnete ich meine Arme und Ka nahm die Umarmung dankend an, hielt sie mir zuliebe aber knapp. Ich blieb, bis sich die Schleuse hinter en schloss, dann erhielt ich das Privileg, mir ein festes Büro auszuwählen. Die Wahl war simpel – eines mit Fenster zum Drachen. Mit frischem Guarantee in der Hand setzte ich mich an die neue alte Arbeit: Anfragen beantworten oder weiterleiten, nur dass es jetzt mehr Anfragen und mehr Weiterleitungen waren, und ich noch zusätzliche Aufgaben hatte. Bis auf zwei Buchstaben zeigten meine Informationen auf dem I.F. jetzt das, was Kas bis heute angezeigt hatten: Name: Lah. Position: Leiter*in der Historikabteilung. Pronomina: en/ems.

Ich teilte fünf Historiker*innen für die Arbeit in dem und um das fremde Generationsschiff ein, und versuchte dann, die Führung für morgen vorzubereiten, indem ich die Profile der Kinder einsah, ihre Interessen und Bedürfnisse. Es machte meine Vergangenheitsangst nur schlimmer.

Abends füllten die Neuankömmlinge die Kantine. Ich schaufelte die Nahrungspaste so schnell wie möglich in mich hinein, während die Kolleg*innen neben mir angestrengt versuchten, nicht über die Fremden zu reden. Neue Menschen waren eine solche Rarität, dass manche von uns wirklich krampfhaft an ihrer guten Erziehung festhalten mussten. Die Neuen stammten von einer Asteroidensiedlung über fünfzig Lichtjahre entfernt und hatten ihr letztes Uran aufgebraucht, mehr musste ich noch nicht erfahren. Ich wollte einfach nur ins Bett, ohne über weitere Tragödien nachzudenken.

Nach ein paar Minuten stand eine hochgewachsene Person auf, nahm ihre Schüssel und setzte sich vor mich. Name: Echo. Position: unbekannt. Pronomina: sie/ihr. Natürlich eine der Fremden – hier gab es nur eine Handvoll Menschen, die im Erwachsenenalter noch binäre Pronomina nutzten.

Es war einige Jahrtausende her, dass biologische Geschlechter Bedeutung gehabt hatten, warum musste irgendwer noch daran festhalten? Als ob wir nicht alle aus Gentanks stammten. Wenn die Neuankömmlinge derart archaisch waren, hoffte Ka sicher vergeblich auf Wunder von ihnen.

Nicht, dass es mich bei meinen Kolleg*innen störte. Es waren wohl Vorurteile, die mich gerade packten, verbunden mit meiner eigenen Frustration. Normalerweise war ich nicht so. Ich schluckte meine Irritation herunter.

„Du bist wer Wichtiges, oder?“, fragte Echo. „Woran arbeitest du?“

„Ich bearbeite hauptsächlich Anfragen zu historischen Zusammenhängen.“

Sie nickte langsam und nahm einen Löffel von ihrer Nahrungspaste. Ich hatte keine Ahnung, was sie wollte, ob das hier nur ein nettes Gespräch oder etwas anderes werden sollte. Sie wirkte streitlustig, aber es war möglich, dass ich mich irrte und sie einfach verstört von ihrer Ankunft war.

„Zum Beispiel? Was fragen die Leute so?“

Es war ein Thema, über das ich gerne sprach, aber ihr Ton irritierte mich. „Heute hatte ich eine Anfrage bezüglich der pre-interstellaren Forschungsgeschichte der Physik. Ein*e Student*in suchte Unterlagen zu den sozio-ökonomischen Auswirkungen des dritten Alien-Ruinen-Fundes. Ein*e VR-Designer*in wollte –“

„Danke. Ich verstehe.“

Ich hielt inne und wandte mich dann wieder dem Essen zu.

Aber Echo war wohl doch noch nicht fertig, denn sie sagte: „Wieso lebt ihr in diesem Drecksloch?“

„Meinst du die Historikabteilung, den Stationenkomplex generell oder das Schwarze Loch?“

Echo lachte auf und hob die Schultern. „Alles.“

„Die ursprüngliche Station ist vor knapp dreihundert Jahren unserer lokalen Zeitrechnung dem Weißen Zwerg in den Orbit um Sagittarius A Stern gefolgt. Es war die einzige Möglichkeit, einige bahnbrechende Experimente fortzuführen. Seitdem wurde sie immer weiter ausgebaut. Die Historikabteilung wurde aus den geborgenen Resten einer der verlassenen Sagittarius-Stationen gebaut, deshalb sind wir hier weniger fortschrittlich ausgestattet. Andere Teile...

Erscheint lt. Verlag 20.8.2020
Reihe/Serie Queer*Welten
Verlagsort Traunstein
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Fantasy / Science Fiction Science Fiction
Schlagworte Amazonen • Ballade • Essay • Fantasy • Feminismus • Geister • Literaturkritik • Magazin • Orks • Postapokalypse • Progressive Phantastik • Queer • Rassismus • Science-fiction • Sci-Fi-Märchen • Tolkien • Transformative Wut • Vorurteile • Zine
ISBN-10 3-95869-478-0 / 3958694780
ISBN-13 978-3-95869-478-1 / 9783958694781
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