Vertrauen (eBook)

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(Autor)

eBook Download: EPUB
2022 | 2. Auflage
352 Seiten
Diogenes (Verlag)
978-3-257-61204-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Vertrauen -  Dror Mishani
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In einem Vorort von Tel Aviv wird vor einem Krankenhaus ein Neugeborenes gefunden. Am selben Tag verschwindet ein Tourist und lässt sein Gepäck im Hotelzimmer zurück. Inspektor Avi Avraham hat genug von Bagatellfällen und häuslichen Dramen. Deshalb stürzt er sich gleich in den rätselhaften Vermisstenfall. Doch bald merkt er, dass auch das Private Sprengstoff birgt - und gerät in ein Labyrinth aus Gewalt und Täuschung, das ihn bis nach Paris führt und nicht nur mit dem Mossad in Konflikt bringt.

Dror Mishani, geboren 1975 in Cholon bei Tel Aviv, ist ein israelischer Schriftsteller und daneben Literaturwissenschaftler mit dem Spezialgebiet Geschichte der Kriminalliteratur. Seine Romane sind in viele Sprachen übersetzt, seine ?Avi Avraham?-Krimi-Serie wurde mehrfach verfilmt, und von dem Bestseller ?Drei? ist eine internationale Serienverfilmung in Vorbereitung. Dror Mishani lebt mit seiner Familie in Tel Aviv.

Dror Mishani, geboren 1975 in Cholon bei Tel Aviv, ist ein israelischer Schriftsteller und daneben Literaturwissenschaftler mit dem Spezialgebiet Geschichte der Kriminalliteratur. Seine Romane sind in viele Sprachen übersetzt, ›Drei‹ war in Deutschland monatelang auf der Bestsellerliste. Sowohl von seiner ›Avi-Avraham‹-Krimi-Serie als auch von ›Drei‹ sind internationale Verfilmungen in Vorbereitung. Dror Mishani lebt mit seiner Familie in Tel Aviv.


Kommandant Benny Saban, Chef des Ayalon-Polizeidistrikts, versuchte erst gar nicht, seine Fassungslosigkeit zu verbergen. Verärgert zog er die Schublade seines Schreibtischs auf und holte ein blaues Samtetui heraus und daraus wiederum ein Gerät aus dunkelblauem Glas, das an einen altmodischen Füllfederhalter erinnerte. »Das glaub ich dir nicht, Avi«, sagte er. »Das kannst du nicht ernst meinen.«

Doch Oberinspektor Avraham Avraham meinte es sehr ernst. Er hatte zwar erst am Morgen um dieses Treffen gebeten, aber er hatte es seit dem Frühsommer geplant und wartete darauf, seit er aus dem Urlaub zurück war. Saban fragte: »Das stört dich nicht, oder? Der Dampfer?« Und Avraham schüttelte den Kopf.

Ilana Liss, die vor Saban Distriktkommandantin gewesen war, hatte aus ebendieser Schublade gerne einen der durchsichtigen Plastikbecher geholt, ein bisschen Wasser hineingefüllt, ihn auf den Schreibtisch gestellt und Avraham gebeten: »Mach uns mal eine Zigarette an«, obwohl das Rauchen auf dem Revier untersagt war. Er hatte immer erst eine Zigarette angesteckt und sie ihr gereicht und sich dann selbst eine angezündet. Nur ganz am Anfang ihrer Zusammenarbeit, als sie noch jung gewesen waren, hatte er sich einfach zwei Zigaretten auf einmal in den Mund gesteckt und beide mit einer einzigen, langen Flamme entzündet.

Sabans Vaporizer stieß eine rosa Wolke aus, und sein Vorgesetzter redete aus dieser Wolke heraus weiter auf Avraham ein. »Aber du bist doch erst höchstens zwei Jahre, Avi … Ich verstehe dich nicht. Wie alt bist du jetzt? Sechsundvierzig? Siebenundvierzig?«

»Dreiundvierzig.«

»Im Ernst? Trotzdem. Wohin, denkst du, kannst du in dem Alter noch wechseln?«

Er wusste nicht genau, wohin. Wollte versuchen, zu einer der landesweit operierenden Abteilungen der Polizei versetzt zu werden. Zur Einheit für internationale Ermittlungen oder zum Dezernat für Betrugsfälle. Ja, vielleicht sogar zu einem der anderen Sicherheitsorgane. Und genau genommen war er auch schon fast vierundvierzig.

»Was denn für andere Sicherheitsorgane, Avi? Wovon redest du? Willst du etwa zum Inlandsgeheimdienst, willst du mir auf einmal zum Shabak-Agenten werden?«

Wie immer, wenn er sich aufregte, zwinkerte Saban stark. Und Avraham dachte, dass er ihn mehr mochte, als er bei ihrer ersten Begegnung in diesem Büro für möglich gehalten hätte. An dem Tag war Saban vor allem der Mann gewesen, der im Sessel von Ilana Liss Platz nahm, nachdem sie sich wegen ihrer Erkrankung hatte beurlauben lassen müssen. Wie Avraham es geahnt hatte, war er ein weit weniger inspirierender Vorgesetzter – Saban versuchte vor allem, den Etatrahmen nicht zu überziehen und »unsere Zahlen zu verbessern« –, aber er hatte Avraham in der ganzen Zeit nicht ein einziges Mal belogen und mühte sich vergebens, seinen Hang zu Überaufgeregtheit und Stress zu kaschieren, was bei Avraham Vertrauen weckte, ja vielleicht sogar Sympathie. Aber mit Saban über die Gründe für sein Versetzungsgesuch reden wollte er nicht. Was hätte er ihm sagen können? Ihm den Moment im Wald schildern, als aus dem glasklaren Wasser des Sees die Erkenntnis aufgestiegen war, dass er andere Fälle wollte?

»Ich verstehe wirklich nicht, was das Problem ist«, beharrte Saban. »Du bist jetzt gerade mal zwei Jahre Leiter des Ermittlungsdezernats und machst einen ziemlich guten Job, einen ziemlich sehr guten sogar. Gib dir noch ein Jahr, anderthalb, vielleicht ziehe ich ja weiter, wer weiß, und dann kannst du befördert werden, wirst Vizekommandant, kannst versuchen, einen Distrikt zu bekommen. Warum das jetzt alles über Bord werfen? Du hast doch gerade erst geheiratet. Was brauchst du noch mehr Veränderungen?«

Säße Ilana noch in diesem Sessel, hätten sie jetzt ausführlich miteinander über das gesprochen, was Avraham während des Sommers erlebt hatte. Aber Ilana war nicht im Zimmer – zumindest nicht wie einst, denn für einen flüchtigen Moment sah Avraham sie dennoch, wie sie aufstand, um das Fenster zu öffnen, ihre Gegenwart luzide und schwebend, und er schloss die Augen, als wollte er das Bild unter seinen Lidern festhalten, ehe es sich auf‌löste.

Ilana war zu Beginn des Sommers gestorben, und in die tiefe Trauer über ihren Tod hatte sich Wut gemischt, Wut darüber, dass sie sich geweigert hatte, ihn zu sehen, und ein Schuldgefühl, weil er nicht bei ihrer Beerdigung gewesen war.

Seit dem Pessachfest hatte sie sich in ihrem Haus verschanzt und niemanden mehr empfangen bis auf ihre Familie und einige wenige Freunde, zu denen er nicht zählte. Avraham war, so hatte sie es offenbar beschlossen, nicht einer der nahen Menschen, die sie bei ihrer Krankheit und ihrem Sterben begleiten sollten, und er hatte resigniert, hatte aufgehört, sie anzurufen und ihr Nachrichten zu schicken, hatte nur noch ab und an mit Gerry telefoniert, um zu erfahren, wie es ihr ging.

Zu Marianka hatte er gesagt, er verstehe Ilana, aber die Wahrheit war, dass er nicht verstand. Wofür bestraf‌te sie ihn? Warum durf‌ten Kollegen, die sie weit weniger gut kannten als er, sie treffen, während Avraham selbst auch nur ein einziger Besuch versagt blieb? Er wusste natürlich, dass sie den Moment, in dem ihr Herz zu schlagen aufhörte, nicht extra so gelegt hatte, dass er bei der Beerdigung nicht dabei sein konnte, und dennoch fühlte sich der Zeitpunkt ihres Todes in ihrem Haus in Ramat Hasharon mitten während seiner Hochzeitsreise mit Marianka in Slowenien wie ein weiterer Beleg für ihre Absicht, ihm wehzutun, an.

Genau wie der Abschiedsbrief.

Als Avrahams Mitarbeiter Eliyahu Maalul ihn von ihrem Tod in Kenntnis setzte, rief er sofort Gerry an, um ihm sein Beileid auszudrücken und sich dafür zu entschuldigen, dass er nicht zur Beisetzung kommen würde, und Gerry sagte, Ilana habe einen Abschiedsbrief für ihn geschrieben, den er gerne abholen könne, wenn er zurück in Israel wäre.

Seine gesamten Flitterwochen mit Marianka hatte Avraham überlegt, was Ilana ihm wohl geschrieben haben könnte. Sie hatten zweimal geheiratet, einmal im Rathaus von Koper, der Stadt, in der Marianka geboren und aufgewachsen war, und einmal in einer kleinen, direkt an der Adriaküste gelegenen Kirche. Dabei gewesen waren außer ihnen nur Bojan und Annika Milaniç, Mariankas Eltern, die aus ihrem Bedauern keinen Hehl machten, wenn sie den Mann, der ihnen ihre Tochter wegnahm, pfl‌ichtschuldig umarmten. Außerdem noch einige Verwandte, deren Namen sich Avraham partout nicht merken konnte, und zwei Jugendfreundinnen von Marianka, Eva und Monica, die ihr aufgeregt gestanden, er erinnere sie an den Hauptdarsteller aus der Serie Fauda, und beim Mittagessen im Anschluss an die Trauung Avraham fragten, ob er sich bei seiner Arbeit denn auch als Araber verkleide und gegen Terrororganisationen kämpfe. In jener Nacht hatten ihn Eva und Monica im Traum heimgesucht, und da alle seine Versuche, sie daraus zu vertreiben, scheiterten, fügte sich Avraham wohl oder übel in ihre erregende Anwesenheit in dem kurzen Traum, der zum Glück schon bald von einem anderen abgelöst wurde, in dem er als Halbwüchsiger mit seinem Vater in ihrem weißen Subaru die Schnellstraße hinauf nach Jerusalem fuhr. Im Traum war sein Vater ungefähr so alt wie er jetzt, rauchte die ganze Fahrt über und erzählte dem jungen Avraham eine lange Geschichte, an die er sich am Morgen nicht mehr erinnern konnte. Offenbar Avrahams Art, seinen Vater, der wegen seines Gesundheitszustands nicht mehr fliegen konnte, an seiner Hochzeit teilhaben zu lassen.

Sie waren fünf Nächte in Koper geblieben und dann in die Wälder gefahren, in einem alten Fiat ohne Klimaanlage, den ein Onkel von Marianka meinte ihnen leihen zu müssen. Sie hatten viel gelesen und Wanderungen unternommen, von denen Marianka mit Körben voller Preiselbeeren und frischen Pilzen zurückgekehrt war. Immer wieder gab es Momente, da konnte er es nach wie vor nicht glauben, dass diese Frau mit ihm zusammen in Cholon leben würde. Sie hatte begonnen, in Israel für eine Detektei zu arbeiten, die sich auf Nachforschungen und Observationen spezialisiert hatte, insbesondere im Auf‌trag von Frauen, die in Scheidungsverfahren steckten. Und gelegentlich wurde sie von der Polizei angeheuert, um bei Vernehmungen von Touristen zu übersetzen oder bei Online-Befragungen von Zeugen im Ausland. Er selbst fand nichts Trauriges daran, Tausende Kilometer weg von zuhause, von seinen Eltern und seinen Freunden zu heiraten, denn diese Hochzeit gehörte nur ihnen beiden und niemandem sonst. Der Priester hatte Englisch gesprochen, und als Avraham nicht verstand, was er tun sollte, flüsterte Marianka es ihm ins Ohr.

Es war gegen Abend gewesen, sie saßen an einem See, dessen Wasser in dunklen Farben die Kronen der Bäume ringsherum nachzeichnete. Marianka saß mit angezogenen Knien auf einer Holzbank vor der Hütte, die sie gemietet hatten, und schrieb mit Bleistift in ein rotes Heft, Worte in einer Sprache, die er nicht verstand, und Avraham las den letzten Fall von Kurt Wallander, bei dem sein Lieblingsermittler in die Keller des schwedischen Geheimdienstes und zu Atom-U-Booten geführt wurde, finsteren Geheimnissen aus den Tagen des Kalten Krieges auf der Spur. Als Marianka ihn fragte: »Worüber denkst du nach?«, sagte er, über gar nichts, weil er meistens so antwortete, besann sich dann aber und erzählte es ihr. »Ich weiß nicht, ob ich noch...

Erscheint lt. Verlag 23.2.2022
Übersetzer Markus Lemke
Verlagsort Zürich
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Schlagworte Arabisch • AVI • Avraham • Avraham, Avi • Avraham, Avraham • Baby • Cholon • Detektiv • Die Möglichkeit eines Verbrechens • Die schwere Hand • Drei • Emuna • Ermittler • Ermittlungen • Fall • Findelkind • Geheimdienst • Glaube • Hebräisch • Hebräische Literatur • Hotel • Israel • Israelische Literatur • Jeff • Judentum • Jüdisch • Krimi • Kriminalroman • Loyalität • Lügen • Missing File • Mord • Mossad • Nahostkonflikt • Palästina • Politthriller • Polizei • Religion • Säugling • Täuschung • Tel Aviv • Tik Ne'edar • TV-Serie • Vermisst • Vertrauen • Wilbusch
ISBN-10 3-257-61204-4 / 3257612044
ISBN-13 978-3-257-61204-2 / 9783257612042
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