Das Ende des Fadens (eBook)

Commissario Montalbano übt sich in Geduld. Roman
eBook Download: EPUB
2022 | 1. Auflage
303 Seiten
Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG
978-3-7517-0975-0 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Das Ende des Fadens -  Andrea Camilleri
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Das hat ihm gerade noch gefehlt: Auf Wunsch seiner Verlobten Livia soll Commissario Montalbano sich einen Anzug maßschneidern lassen. Noch dazu anlässlich einer Feierlichkeit, die ihm höchst fragwürdig erscheint. Doch die im sizilianischen Vigàta hoch angesehene Schneiderin Elena ist eine charmante Frau, die ihn mit effizienter Professionalität überzeugt. Am nächsten Tag findet man Elena tot in ihrem Atelier, erstochen mit einer Schneiderschere. Die widersprüchlichen Aussagen mehrerer Verdächtiger abzuwägen erinnert Montalbano bald an das Entwirren eines verhedderten Wollknäuels.



Andrea Camilleri (1925-2019) ist der erfolgreichste zeitgenössische Autor Italiens und begeistert mit seinem vielfach ausgezeichneten Werk ein Millionenpublikum. Ob er seine Leser mit seinem unwiderstehlichen Helden Salvo Montalbano in den Bann zieht, ihnen mit kulinarischen Köstlichkeiten den Mund wässrig macht oder ihnen unvergessliche Einblicke in die mediterrane Seele gewährt: Dem Charme der Welt Camilleris vermag sich niemand zu entziehen.

Andrea Camilleri (1925-2019) ist der erfolgreichste zeitgenössische Autor Italiens und begeistert mit seinem vielfach ausgezeichneten Werk ein Millionenpublikum. Ob er seine Leser mit seinem unwiderstehlichen Helden Salvo Montalbano in den Bann zieht, ihnen mit kulinarischen Köstlichkeiten den Mund wässrig macht oder ihnen unvergessliche Einblicke in die mediterrane Seele gewährt: Dem Charme der Welt Camilleris vermag sich niemand zu entziehen.

Eins


Schweigend saßen sie auf dem kleinen Balkon in Boccadasse und genossen den kühlen Abend.

Livia hatte den ganzen Tag schlechte Laune gehabt, wie immer, wenn Montalbano wieder zurück nach Vigàta musste.

Sie war barfuß und sagte plötzlich:

»Kannst du mir meine Pantoffeln holen? Ich hab kalte Füße. Ich glaube, ich werde langsam alt.«

Der Commissario sah sie erstaunt an.

»Was schaust du mich so an?«

»Fängt das Altwerden für dich bei den Füßen an?«

»Na und? Ist das verboten?«

»Nein, aber ich dachte, das Alter macht sich zuerst bei anderen Organen bemerkbar.«

»Lass diese Anzüglichkeiten.«

Montalbano wunderte sich.

»Was redest du denn da?«

»Ich rede, wie es mir passt, klar?«

»Aber ich wollte doch gar nichts Anzügliches sagen. Mit Organen meinte ich – keine Ahnung – die Augen, die Ohren …«

»Holst du mir nun die Pantoffeln oder nicht?«

»Wo sind sie denn?«

»Na wo wohl? Neben dem Bett natürlich. Die Katzenpantoffeln.«

Montalbano stand auf und ging ins Schlafzimmer.

Die Pantoffeln hielten die Füße bestimmt schön warm, aber sie gefielen ihm nicht, weil sie tatsächlich aussahen wie zwei weiße zottelige Katzen mit schwarzem Schwanz. Selbstverständlich waren sie weit und breit nicht zu sehen.

Wahrscheinlich lagen sie unterm Bett.

Montalbano bückte sich.

Der Rücken! Noch so ein Körperteil, der einem zeigt, dass man alt wird, dachte er.

Er streckte den Arm aus und tastete mit der Hand.

Als er den Pelz eines Hausschuhs spürte, griff er danach, doch sofort durchzuckte ihn ein heftiger Schmerz.

Schnell zog er die Hand zurück und bemerkte auf seinem Handrücken einen tiefen Kratzer. Es blutete sogar ein bisschen.

Konnte das eine echte Katze gewesen sein?

Aber hier gab es keine Katze.

Er knipste die Nachttischlampe an und leuchtete damit unters Bett, um nachzusehen, was ihn gekratzt hatte.

Er traute seinen Augen nicht.

Einer der beiden Hausschuhe war immer noch ein Hausschuh, aber der andere hatte sich in eine lebendige Katze verwandelt, die ihn mit angelegten Ohren und gesträubtem Fell bedrohlich anfunkelte.

Wie war das möglich?

Eine unsägliche Wut packte ihn.

Er richtete sich auf, stellte die Lampe an ihren Platz, ging ins Bad, öffnete das Medikamentenschränkchen und desinfizierte die Wunde mit Alkohol.

Dann kehrte er auf den Balkon zurück und setzte sich, ohne ein Wort zu sagen.

»Und die Pantoffeln?«, fragte Livia.

»Hol sie dir selbst, wenn du dich traust.«

Livia warf ihm einen verächtlichen Blick zu. Dann schüttelte sie den Kopf, als würde sie ihn bemitleiden, und verließ den Balkon.

Montalbano untersuchte seine Hand. Die Wunde hatte aufgehört zu bluten, aber der Kratzer war wirklich tief.

Livia kam zurück, setzte sich und schlug die Beine übereinander. An den Füßen trug sie die Pantoffeln.

»War da keine Katze?«, fragte Montalbano.

»Wovon sprichst du?«, fragte Livia. »Ich hatte noch nie eine Katze in meiner Wohnung.«

»Und woher habe ich dann das hier?«, fragte der Commissario und zeigte ihr seine Hand.

Doch zu seinem maßlosen Erstaunen war der Handrücken unversehrt.

»Was denn? Ich sehe nichts.«

Da bückte sich Montalbano blitzschnell und riss ihr einen Pantoffel vom Fuß.

»Diesen Kratzer hab ich von deinem sogenannten Pantoffel«, sagte er gereizt und warf den Schuh über das Balkongeländer.

Livia fing so laut zu schreien an, dass …

… Montalbano aufwachte.

Sie waren nicht in Boccadasse, sondern in Vigàta, und Livia lag neben ihm und schlummerte friedlich. Vom Fenster sickerte fahles Morgenlicht ins Zimmer.

Wahrscheinlich weht heute der Libeccio, dachte Montalbano. Der stürmische Südwestwind.

Das Tosen der Brandung war stärker als gewöhnlich.

Er stand auf und ging ins Bad.

Eineinhalb Stunden später kam Livia in die Küche, wo der Commissario für sie das Frühstück und für sich selbst eine große Tasse Espresso zubereitet hatte.

»Um eins fährt mein Bus zum Flughafen Punta Raisi«, sagte Livia.

»Ich hätte dich gern zum Flieger gebracht, aber ich kann nicht einmal für eine Stunde aus dem Kommissariat weg. Du hast selbst gesehen, was bei uns los ist. Machen wir es so: Wenn du fertig bist, rufst du mich an, dann hole ich dich ab und bringe dich zum Bus.«

»In Ordnung«, sagte Livia, »aber diesmal hältst du dein Versprechen, nach Boccadasse zu kommen, ja? Ich will keine Ausreden hören.«

»Ich habe gesagt, dass ich komme, also komme ich.«

»Im neuen Anzug.«

»Im neuen Anzug«, antwortete Montalbano zähneknirschend.

In der kurzen Zeit, die Livia in Vigàta verbracht hatte, hatten sie täglich mindestens zwei Stunden darüber diskutiert.

Gleich nach ihrer Ankunft, noch bevor sie ihn umarmte, hatte Livia ihm die großartige Neuigkeit mitgeteilt.

»Weißt du, dass Giovanna in ein paar Tagen noch einmal heiratet?«

Montalbano riss die Augen auf.

»Giovanna? Welche Giovanna? Deine Freundin? Wen heiratet sie denn? Und was ist mit den Kindern?«

Livia fing an zu lachen und bedeutete ihm, das Auto zu holen.

»Ich erzähl es dir unterwegs.«

Kaum hatte der Commissario den Gang eingelegt, stellte er schon die nächste Frage:

»Und Stefano? Was hat er dazu gesagt?«

»Was soll er dazu gesagt haben? Er hat sich wahnsinnig gefreut. Sie sind seit über zwanzig Jahren verheiratet.«

Montalbano war verwirrt.

»Wie kann ein Vater von zwei Kindern nach zwanzig Jahren Ehe froh darüber sein, dass seine Frau einen anderen heiratet?«

Livia bekam einen Lachanfall, der ihr die Tränen in die Augen trieb. Sie musste den Sicherheitsgurt lösen, um sich den Bauch zu halten.

Es dauerte eine ganze Weile, bis sie sich beruhigt hatte und antworten konnte.

»Was du dir da zusammenreimst! Wie kommst du auf so eine Idee? Giovanna heiratet Stefano zum zweiten Mal.«

»Dann haben sie sich also scheiden lassen? Das hast du mir gar nicht erzählt.«

»Sie haben sich nicht scheiden lassen.«

»Und wieso müssen sie dann noch einmal heiraten?«

»Sie müssen nicht. Sie tun es freiwillig. Sie möchten ihren Ehebund bekräftigen.«

»Ihren Ehebund bekräftigen?!«

Jetzt war Montalbano so konfus, dass er den Wagen an den Straßenrand lenken und anhalten musste.

»Soll ich dir was sagen?«, explodierte er, »ich versteh einen verdammten Scheißdreck.«

»Spar dir die Schimpfwörter, sonst sag ich überhaupt nichts mehr!«

Sie fuhren weiter, und Livia erklärte ihm die Geschichte von Giovanna und Stefano in allen Einzelheiten.

Die beiden waren seit fünfundzwanzig Jahren glücklich verheiratet und wollten dieses Jubiläum feiern, indem sie ihr Eheversprechen erneuerten.

Bei dem Wort »erneuern« platzte dem Commissario der Kragen.

»Erneuern? Wie bei der TÜV-Plakette für das Auto? Oder beim Mitgliedsausweis für den Sportverein?«

Livia beklagte sich über Salvos mangelnden Sinn für Romantik, dann erklärte sie ihm das Zeremoniell.

»Nach fünfundzwanzig Jahren Ehe feiert man Silberhochzeit, und das bedeutet, dass man sein Treuegelöbnis erneuert. Man geht mit den Verwandten und, falls vorhanden, den Kindern, mit Freunden und Bekannten in die Kirche und feiert zum zweiten Mal die Hochzeitsmesse. Dabei bekräftigt man das Eheversprechen: ›Willst du den hier anwesenden Soundso zum Mann nehmen …‹ Das ist sehr romantisch. Die Ringe werden gesegnet. Ich habe gehört, dass jeder der beiden eine Kerze in der Hand hält und sie dann gemeinsam eine dritte Kerze anzünden, die symbolisch für ihren Lebensbund steht. Anschließend gibt es ein Hochzeitsessen mit allen Schikanen und Mandeln mit silbernem Zuckerguss. Und du musst dabei sein, das habe ich Giovanna und Stefano versprochen. Du kommst zu mir nach Boccadasse, und dann fahren wir gemeinsam nach Udine.«

Das war der erste Schlag gewesen.

Den zweiten hatte Livia ihm noch am selben Abend beim Essen versetzt. Montalbano war augenblicklich der Appetit vergangen.

»Ich hab in deinem Schrank nachgesehen«, sagte Livia mit ernster Miene.

»Und du hast Skelette darin gefunden?«

»Keine Skelette, aber die Leichen deiner Anzüge. Du hast keinen einzigen ordentlichen Anzug. Für das Fest musst du dir endlich einen schneidern lassen.«

Montalbano brach der kalte Schweiß aus. In seinem ganzen Leben war er noch nie bei einem Schneider gewesen. Er war so niedergeschmettert, dass er nicht einmal mehr die Kraft hatte, den Mund aufzumachen.

Erst nach einer Weile fasste er sich wieder, versuchte aber, das Thema zu wechseln.

»Livia, morgen früh musst du mit mir ins Kommissariat kommen. Beba weiß schon Bescheid.«

»Weswegen?«

»Weißt du, von Boccadasse aus kannst du dir überhaupt keine Vorstellung machen, wie dramatisch die Situation hier ist. Die Flüchtlingsboote kommen an den Küsten inzwischen pünktlicher an als der Bus aus Montelusa. Hunderte Menschen, Nacht für Nacht. Bei jedem Wetter. Männer, Frauen, Kinder, Alte. Sie sind durchgefroren, ausgehungert, durstig, verängstigt. Sie benötigen einfach alles. Und wir im Kommissariat sind rund um die Uhr damit beschäftigt, die Ankunft der Flüchtlinge in...

Erscheint lt. Verlag 28.1.2022
Reihe/Serie Commissario Montalbano
Übersetzer Rita Seuss, Walter Kögler
Sprache deutsch
Original-Titel L’altro capo del filo
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Schlagworte Commissario Montalbano • Familie • Italien • Kriminalroman • Krimis • Kulinarik • Liebe • Sehnsucht • Sizilien • Sommer • Traum • Urlaub
ISBN-10 3-7517-0975-4 / 3751709754
ISBN-13 978-3-7517-0975-0 / 9783751709750
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